Der weltweite Wirtschaftsleistungsmotor läuft heiß und heißer. Das Ziel lautet Wohlstand. Dafür scheint „Reichtum“ unentbehrlich zu sein. Diesem Ziel bringen wir Opfer.
Die Umwelt zum Beispiel. Oder die persönliche Gesundheit. Wir brennen uns aus, denn das Bestreben steht über allem: Wohlstand. Reichsein. Dabei sind wir längst so reich wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Gleichzeitig müssen wir uns aber mit zunehmenden Armutsproblemen befassen. Mauern mit Stacheldraht umgeben die Paläste der Milliardäre. In gepanzerten Fahrzeugen werden ihre Kinder, in Städten wie São
Paulo, vorbei an den Blechhütten der Slums zur Schule gefahren. Auch in den wirtschaftlich leistungsfähigsten Ländern der Erde prallen unbegreifliche Gegensätze aufeinander.
Dabei erkennt man immer das identische Muster: protziger Luxus und beklagenswerte Bedürftigkeit zur selben Zeit am gleichen Ort. Reichtum ist auf tragische Weise ungleich verteilt. Warum ist das so?
Raymond Firth schrieb 1959 in seinen Studien zur Ökonomie der neuseeländischen Maori: „In den Wäldern von Neuseeland wie in den Savannen im Sudan, überall ist eines Realität: Familien, die Hunger erleiden müssen
oder denen es an Lebensnotwendigem fehlt, sind in einem Dorf unmöglich, in dem es Familien gibt, die üppig versorgt sind.“ Da drängt sich die Frage auf: Mit welchem Recht bezeichnen wir Naturvölker als „primitiv“?
„Reichtum und Armut gehören nicht in einen geordneten Staat“ erkannte der 1930 verstorbene Reformer Silvio Gesell im Laufe von Studien, die in sein Hauptwerk „Die Natürliche Wirtschaftsordnung“ mündeten.
Der Franzose Thomas Piketty ist 42 Jahre alt und gegenwärtig Wirtschaftsprofessor an der „Paris School of Economics“. Dieser Tage ist die englische Übersetzung seines Buches „Capital in the 21st century“ (Kapital im 21.
Jahrhundert) erschienen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman aus den USA bezeichnet das Werk als eines, das die Art wie wir über Gesellschaft und Wirtschaft denken, grundlegend verändern werde.
Piketty untersuchte die Wirtschaftswachstumsprozesse über einen langen Zeitraum und glich die Ergebnisse mit der Entwicklung der Verteilung der Geldvermögen ab. Dabei stellte er fest, dass die Geldvermögen stets schneller
wuchsen, als die Wirtschaftsleistung. Bis zum Vorabend des 1. Weltkriegs war demnach das Kapital in Europa auf das 6- bis 7‑fache der gesamten Wirtschaftsleistung eines Jahres angewachsen. Eine Situation, die mit der heutigen
vergleichbar ist. Die wissenschaftliche Erkenntnis, die sich daraus ableitet, lautet: Wachsende Geldvermögen gehen grundsätzlich einher mit zunehmender Ungleichverteilung. Die Autoren der HUMANEN WIRTSCHAFT, allen voran Helmut
Creutz und der in der vorliegenden Ausgabe schreibende Günther Moewes, bestätigen in mittlerweile Jahrzehnte anhaltender Arbeit Pikettys jetzige Forschungsergebnisse. Der zu erwartende Erfolg des Wirtschaftswissenschaftlers
aus Paris wäre auch einer der akribisch im Hintergrund forschenden „freien Geister“, die sich – teilweise ein Leben lang – für die grundlegende Erneuerung des Geldsystems und des Bodenrechts einsetzen. Schließlich kamen
sie zu gleichen Ergebnissen, nur ohne die Unterstützung eines Wissenschaftsbetriebs. Thomas Piketty scheint der richtige Mann zum passenden Zeitpunkt zu sein. Das „Handelsblatt“ traut ihm
zu, er werde „Epoche machen“ und der englische „Guardian“ meint, er versenke „rigoros alles, was Kapitalisten über die Ethik des Geldmachens denken“. Er kann es demnach schaffen, auf höchster Ebene Bewegung in die
vermutlich zentralste Aufgabe der Neuzeit zu bringen: die Erforschung des Geldsystems und dessen Folgen. Können wir eine Katastrophe, wie sie sich vor 100 Jahren schon einmal anbahnte noch abwenden?
Wenn die Raten des Geldvermögenswachstums dauerhaft über jenen des Wirtschaftswachstums liegen „neigt die Vergangenheit dazu, die Zukunft zu verschlingen“, konstatiert Piketty. Das Schicksal unserer Gesellschaft
ist geprägt von der Dominanz ererbten Geldvermögens. Wer tot ist, den hat die Vergänglichkeit des Lebens eingeholt. Die Ansprüche der Geldvermögen von Toten wachsen generationenübergreifend weiter. Thomas Piketty
empfiehlt eine weltweit organisierte Vermögenssteuer gegen die Reichtumskonzentration. Das dürfte ein hinreichendes Instrument für den erforderlichen schnellen Eingriff darstellen. Löst man damit das ursächliche Problem
auf Dauer? Wenn Geldvermögen (Kapital) sich infolge Zins und Zinseszins von selbst vermehren und wachsende Ansprüche an zukünftige Leistungen von Menschen stellen, dann kann das Abschöpfen infolge leistungsloser Einkommen
entstandenen Kapitals nur der erste Schritt sein. Warum sollten wir dabei stehen bleiben und nur versuchen, die Ergebnisse eines ungerechten und fehlerhaften Systems wieder zu verteilen, anstatt nicht direkt derlei Erträge
durch Systemänderungen zu verhindern? Viele freie Geister und Verfechter einer humanen Wirtschaft befassen sich mit den Ursachen der Ungleichverteilung. Sie erarbeiten dabei auch Lösungsvorschläge.
Alles deutet darauf hin, dass die Wirtschaftswissenschaften nachziehen können.
Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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