Kant nennt es „Unrecht“ – Thomas Mohrs
Warum die Geheimverhandlungen über das Handelsabkommen TTIP ein Kulturbruch sind und warum die Philosophie Einspruch erhebt.
Wie hieß das doch beim alten Kant:
„Alle auf das Recht anderer Menschen
bezogene Handlungen, deren Maxime
sich nicht mit der Publicität verträgt,
sind Unrecht.“ Übersetzt: Jegliche
politische Maßnahme, die vor
ihrer Implementierung das Licht der
Öffentlichkeit scheuen muss, ist per
definitionem Unrecht. 1795 hat Immanuel
Kant das geschrieben, in seinem
„Ewigen Frieden“, einer der ersten
echten Globalisierungs-Theorien. Und
irgendwie ist noch immer was dran an
dieser „Publizitäts“-These.
Nehmen wir zum Beispiel diese
„Transatlantic Trade and Investment
Partnership“ (TTIP), das
größte „Freihandelsabkommen“ aller
Zeiten, das gerade zwischen der EU und
Nordamerika ausgehandelt wird. Nein:
Nennen wir das Kind beim Namen:
das gerade übern großen Teich hinweg
in Brüssel und Washington ausgemauschelt
wird. Unter Ausschluss
der Öffentlichkeit, geheim, hinter verschlossenen
Türen. Abgeschirmt von
Vertretern demokratisch gewählter
Parlamente und erst recht von NGOs
und Verbraucher- und Konsumentenschutzverbänden.
Denn die könnten den versammelten
Lobbyisten der globalen Konzerne
und Investoren womöglich in die Suppe
spucken – in die Hühnersuppe gewissermaßen.
Denn: Wenn das funktioniert
mit der TTIP (bzw. der TAFTA:
Transatlantic Free Trade Area), dann
können sich beispielsweise amerikanische
Fleischkonzerne mit ihren
Chlorhühnern, die derzeit in Europa
aufgrund der strengeren Hygiene-
Standards verboten sind, in den europäischen
Markt einklagen. Einfach
so, weil diese „überzogenen“ europäischen
Standards ein Chlorhuhn-Investitionshemmnis
darstellen und damit
zukünftige mögliche Gewinne der Konzerne
gefährden.
Und wenn ein europäischer Staat sich
weigern sollte? Dann entscheidet nicht
die nationale oder die europäische Gerichtsbarkeit,
sondern im Rahmen des
Freihandelsabkommens organisierte
Tribunale, beschickt von internationalen
Anwaltskanzleien, deren Vertreter
heute Kläger, morgen Verteidiger,
übermorgen Richter sind. Und wenn
das von der Weltbank (!) beaufsichtigte
Tribunal entscheidet, dass der renitente
Staat die „erwarteten künftigen
Profite“ des Konzerns XY „unrechtmäßig“
gefährdet, dann ist dieser Staat
gezwungen, seinen Markt für das
strittige Produkt – ob Chlorhuhn, Hormonfleisch,
genverändertes Saatgut,
„großzügig“ geprüfte Pharmaprodukte,
Benzin mit toxischen Zusatzstoffen
or whatever – zu öffnen. Oder millionenschwere
Entschädigungen zu zahlen.
Aus Steuergeldern, versteht sich.
Ein Witz zur Faschingszeit? Schön
wär’s, wenn auch nur bedingt lustig.
Nein, es ist kein Witz und lustig
schon gar nicht: Was mit dem TTIP auf
uns zukommt, ist – wie es „Le Monde
diplomatique“ formuliert – ein
„Staatsstreich in Zeitlupe“, die klammheimliche
Installation einer „Wirtschafts-
NATO“, deren Befugnisse
buchstäblich grenzen-los sind. Es ist ein Kultur-Bruch von fundamentalem
Ausmaß: die totale Unterwerfung
des Primats der Politik unter das
Primat der Wirtschaft.
Daher ist es nötig, das Monstrum TTIP
als „auf das Recht anderer Menschen
bezogene Handlung“ ins Licht der Öffentlichkeit
zu stellen, um zu zeigen,
was es ist: Unrecht!
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