Von der Vorsorge zur Gier

Die Motive der Geldhaltung und ihre gesellschaftliche Sprengkraft

Von Andre­as Bangemann

Die Frage, warum Menschen Geld halten, führt zum Kern wirt­schaft­li­chen Handelns und seiner ethi­schen Dimen­si­on. John Maynard Keynes unter­schied drei zentra­le Motive der Geld­hal­tung: das Trans­ak­ti­ons­mo­tiv, das Vorsichts­mo­tiv und das Speku­la­ti­ons­mo­tiv. Diese Motive erschei­nen auf den ersten Blick harm­los, ja sogar logisch nach­voll­zieh­bar – und doch verbirgt sich dahin­ter die tiefe­re gesell­schaft­li­che Bruch­li­nie zwischen notwen­di­ger Vorsor­ge und zerstö­re­ri­scher Gier.

Das Trans­ak­ti­ons­mo­tiv ist der simpels­te Ausdruck unse­res alltäg­li­chen Wirt­schaf­tens. Geld wird gehal­ten, um Einkäu­fe zu täti­gen, Rech­nun­gen zu bezah­len und über­haupt am Wirt­schafts­le­ben teil­neh­men zu können. Jeder kennt diesen einfa­chen Kreis­lauf von Geben und Nehmen, der für das Funk­tio­nie­ren einer Gesell­schaft notwen­dig ist. Geld dient hier eindeu­tig als reines Tausch­mit­tel und erfüllt seinen ursprüng­li­chen Zweck.

Komple­xer wird es beim Vorsichts­mo­tiv. Es ist eben­falls vernünf­tig und gesell­schaft­lich aner­kannt, ja sogar gefor­dert, einen „Notgro­schen“ für uner­war­te­te Ausga­ben und finan­zi­el­le Notla­gen anzu­le­gen. Wer einen Notgro­schen anlegt, macht sich in der Regel keine Gedan­ken über die Höhe der Zinsen, denn sein Zweck ist klar defi­niert: Er dient der Absi­che­rung gegen unvor­her­ge­se­he­ne Ausga­ben, plötz­li­che Krank­heit und ähnli­che Notsi­tua­tio­nen – eine Art selbst gewähl­te Versi­che­rungs­leis­tung. Dieses Motiv ist tief in unse­rer Kultur veran­kert und entspricht einer verant­wor­tungs­be­wuss­ten Lebens­füh­rung. Schon Keynes erkann­te, dass die Stabi­li­tät der Gesell­schaft wesent­lich von der Fähig­keit der Menschen abhängt, sich gegen Risi­ken abzu­si­chern. Genau hier liegt aber auch der erste Ansatz­punkt für eine proble­ma­ti­sche Entwick­lung, wenn aus der notwen­di­gen Vorsicht schlei­chend das Bedürf­nis nach immer größe­ren Sicher­heits­pols­tern entsteht, das schließ­lich flie­ßend in das Motiv der Speku­la­ti­on über­ge­hen kann.

Das Speku­la­ti­ons­mo­tiv schließ­lich defi­niert Keynes als Geld­hal­tung in Erwar­tung zukünf­ti­ger finan­zi­el­ler Vortei­le, etwa durch Zins­än­de­run­gen oder Preis­stei­ge­run­gen von Wert­pa­pie­ren, Immo­bi­li­en oder ande­ren Vermö­gens­wer­ten. In einer Gesell­schaft, in der Vermö­gen und Vermö­gens­zu­wachs aus Sicht der Geld­an­le­ger zuneh­mend unab­hän­gig von tatsäch­li­cher Leis­tung oder real­wirt­schaft­li­cher Akti­vi­tät entste­hen, gewinnt dieses Motiv enorm an Bedeu­tung. Geld gilt nicht mehr nur als Mittel, sondern wird zum Selbst­zweck – zum Selbst­läu­fer, der sich über Zins und Zinses­zins expo­nen­ti­ell vermeh­ren soll. Hier ändert sich der Charak­ter des Geldes grund­le­gend: Statt einer unter­stüt­zen­den Funk­ti­on über­nimmt es nun die Haupt­rol­le im Wirt­schafts­dra­ma. Die Medi­zin „Sparen“ wird zum Gift „Speku­lie­ren“.

Dieser Wandel hat tief­grei­fen­de gesell­schaft­li­che Folgen. Keynes hat weit­sich­tig erkannt, dass das Motiv der Speku­la­ti­on letzt­lich gesell­schafts­spal­tend wirkt. Es fördert eine Menta­li­tät, die sich vor allem an der Hoff­nung auf leis­tungs­lo­se Gewin­ne orien­tiert. Es kulti­viert eine Gier, die weit über das indi­vi­du­el­le Maß hinaus­geht und selbst in Krei­sen veran­kert ist, die im kapi­ta­lis­ti­schen Wett­be­werb eigent­lich zu den Verlie­rern zählen. Die allge­gen­wär­ti­ge Sehn­sucht nach schnel­lem und mühe­lo­sem finan­zi­el­len Erfolg prägt die gesell­schaft­li­che Psyche so tief, dass sie längst zur Norma­li­tät gewor­den ist.

Diese Entwick­lung wirft Fragen nach mögli­chen Lösun­gen auf. Keynes selbst hat sich kritisch zu dieser Dyna­mik geäu­ßert, ohne jedoch eine umfas­sen­de Syste­mal­ter­na­ti­ve aufzu­zei­gen. Seine große Sympa­thie für das Konzept der Frei­wirt­schaft von Silvio Gesell weist jedoch in eine Rich­tung, in der er eine trag­fä­hi­ge Antwort sah. Gesell hatte schon früh erkannt, dass das Geld seine Macht­stel­lung verlie­ren muss, um dauer­haft als neutra­les Tausch­mit­tel zu funk­tio­nie­ren. Sein Konzept des „Frei­gel­des“ setzt genau hier an: Durch eine Umlauf­si­che­rung, auch Geld­hal­te­ge­bühr genannt – also einen Geld­be­stand, der zu schmel­zen droht, wenn er nicht aktiv ausge­ge­ben wird – sollte das Geld stän­dig in Bewe­gung blei­ben und speku­la­ti­ve Hortun­gen verhindern.

Gesell verband sein Frei­geld mit der Idee des „Frei­lan­des“, in dem der Boden, eine weite­re Quelle speku­la­ti­ver Gewin­ne, der Allge­mein­heit gehört und nur zur Nutzung gegen Entgelt über­las­sen wird. Ähnlich der Lösungs­idee beim Geld, also auch hier das Prin­zip „Nutzen statt Besit­zen“. Damit würde die zentra­le Grund­la­ge des Kapi­ta­lis­mus, die Akku­mu­la­ti­on von Reich­tum durch leis­tungs­lo­sen Zuge­winn, grund­le­gend verän­dert. Keynes war von Gesells Ansät­zen so beein­druckt, dass er ihnen in seinem Haupt­werk „Allge­mei­ne Theo­rie der Beschäf­ti­gung, des Zinses und des Geldes“ sechs ausführ­li­che Seiten widme­te und ihn in der Zukunfts­fä­hig­keit sogar über Marx stellte.

Gesells Ideen sind in der heuti­gen Welt von erstaun­li­cher Aktua­li­tät. Die Spal­tung in Arm und Reich, die Verwer­fun­gen auf den Immo­bi­li­en- und Finanz­märk­ten und das expo­nen­ti­el­le Wachs­tum der Geld­ver­mö­gen zeigen eindrucks­voll, wie recht er mit seiner Warnung vor den Folgen des speku­la­ti­ven Geld­mo­tivs hatte. Ange­sichts globa­ler Krisen wie Klima­wan­del, Ressour­cen­knapp­heit und sozia­ler Ungleich­heit scheint es drin­gend gebo­ten, wieder ernst­haft über Alter­na­tiv­mo­del­le wie die Frei­wirt­schaft Gesells nachzudenken.

Ein nach­hal­ti­ger und gerech­ter Umgang mit Geld und Vermö­gen könnte den gesell­schaft­li­chen Diskurs völlig verän­dern. Anstel­le des zerstö­re­ri­schen Wett­be­werbs um immer größe­re Teile eines begrenz­ten Kuchens könn­ten Wege entwi­ckelt werden, die Koope­ra­ti­on, Soli­da­ri­tät und nach­hal­ti­ges Inves­tie­ren beloh­nen. Eine Gesell­schaft, die das Speku­la­ti­ons­mo­tiv eindämmt und Geld wieder zu einem reinen Mittel macht, wäre wider­stands­fä­hi­ger, soli­da­ri­scher und letzt­lich menschlicher.

Hier ist eine zukunfts­ori­en­tier­te Poli­tik gefragt, die sich am besten als Poli­tik der Frei­heit mit ausglei­chen­der Verant­wor­tung beschrei­ben lässt. Sie muss der sozia­len Gerech­tig­keit verpflich­tet sein und über die reine Armuts­be­kämp­fung hinaus­ge­hen. Konkre­te poli­ti­sche Maßnah­men könn­ten beispiels­wei­se eine Bildungs­re­form sein, die gezielt syste­ma­ti­sche Benach­tei­li­gun­gen ausgleicht und die Poten­zia­le jedes Einzel­nen fördert. Ebenso wäre eine faire und wach­sa­me Steu­er­po­li­tik notwen­dig, die leis­tungs­lo­se Gewin­ne konse­quent abschöpft und gezielt in Bildung, Gesund­heit und Infra­struk­tur reinves­tiert. Zudem könn­ten Anreiz­sys­te­me geschaf­fen werden, die nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten und verant­wor­tungs­vol­les Inves­tie­ren belohnen.

Dazu braucht es Mut zur Inno­va­ti­on und die Bereit­schaft, alte Muster kritisch zu hinter­fra­gen. Keynes und Gesell bieten dafür die intel­lek­tu­el­le Grund­la­ge und das histo­ri­sche Beispiel, dass wirt­schaft­li­ches Denken tatsäch­lich revo­lu­tio­när sein kann. Viel­leicht ist es an der Zeit, diese alten Ideen aus ihrem Schat­ten­da­sein zu befrei­en und sie in einer frischen, zeit­ge­mä­ßen Spra­che neu zu inter­pre­tie­ren, die Menschen neugie­rig macht und ermu­tigt, neue Wege zu gehen. Nur so können wir aus der Spira­le von endlo­sem Wachs­tum und zerstö­re­ri­scher Gier ausbre­chen und ein Wirt­schafts­sys­tem entwi­ckeln, das auch für zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen Bestand hat.

 

2 Antworten

  1. Der Beitrag von A.B. über den Nutzen und Scha­den Geldes ist eine gute Einla­dung, sich mit diesem Thema zu beschäf­ti­gen. Das Geld hat den einzel­nen Menschen und ganze Gesell-schaf­ten viel Nutzen in der Form von blühe­n­en­den Land­schaf­ten gebracht, aber noch mehr Schä­den, aber eben auch von Hunger und Krie­gen gebracht. Das Merk­wür­di­ge ist, das ganze Gesell­schaf­ten und Regie­run­gen lieber schei­tern, statt die Proble­me aufzu­de­cken und z lösen.

  2. Holger Kreft sagt:

    Vielen Dank Andre­as, für diesen wich­ti­gen Grund­la­gen­ar­ti­kel, auch weil er leicht verständ­lich ist! 

    Und wie brin­gen wir diese und weite­re wich­ti­ge Gedan­ken in die notwen­di­gen Dialo­ge über Geld? Wie gehen wir es an, die von dir genann­ten alten schäd­li­chen Muster aufzu­lö­sen? Sicher auch mit (perfor­ma­ti­ver) Kunst, mit Thea­ter und mit Spiel. 

    Für mich wird immer deut­li­cher, dass wir es mit einem Wech­sel­spiel zu tun haben, das vier wesent­li­che Berei­che mitein­an­der in einen Wirkungs­zu­sam­men­hang bringt:
    1. das persön­li­che Verhält­nis zum und die eigene Wahr­neh­mung von Geld (Was sehe ich darin? Was verbin­de ich damit? Teufels­zeug oder Liebes­ga­be oder auch was anderes?)
    2. den prak­ti­schen sicht­ba­ren Umgang mit Geld (Was mache ich damit? Wie groß­zü­gig gehe ich damit um?)
    3. die geld­be­zo­ge­ne Kultur in Grup­pen, Gemein­schaf­ten und Gesell­schaf­ten, in den ich mich bewege (aus der Gemein­schaft heraus betrach­tet: Wie sind wir in Bezug auf Geld mitein­an­der in Bezie­hung? Was sollte bei uns und zwischen uns in Bezug auf Geld gelten?)
    4. die Tech­no­lo­gie, das System bzw. die werk­zeug­ar­ti­ge Infra­struk­tur des Geldes (mit dem Blick auf die Gemein­schaft oder Gesell­schaft aus einer Art Vogel­per­spek­ti­ve: Welche Mecha­nis­men gibt es? Inwie­weit ist das Geld gere­gelt und geord­net? Wie ist es verfasst? Wie funk­tio­niert es in unse­rer Gesell­schaft? Welchen Stel­len­wert erken­nen wir von außen betrachtet?) 

    Was du mit den Moti­ven beschreibst, hängt nach meiner Einschät­zung stark mit den persön­li­chen Wahr­neh­mun­gen und Über­zeu­gun­gen der einzel­nen „Iche“ zum Geld zusam­men (1.): Wann fühle ich mich mit wie viel Bar- und/oder Buch­geld­ver­mö­gen oder ande­ren Vermö­gens­wer­ten und/oder mit welchen Einkom­mens­strö­men ausrei­chend abge­si­chert? Wie viel Vertrau­en habe ich in meine Situa­ti­on, in die Entwick­lung und ins Leben allge­mein, weshalb ich glaube wie viel aktive Absi­che­rung ich mit wie viel „Notgro­schen“ betrei­ben zu müssen? 

    Es führt zu einem spezi­fi­schen indi­vi­du­el­len Verhal­ten und zu einem sicht­ba­ren u.U. mess­ba­ren Umgang mit Geld (2.): Bspw. wie viele „Notgro­schen“ häufe ich tatsäch­lich an oder wie groß­zü­gig bin ich mit Spen­den, etwa wenn ich auf der Straße „ange­bet­telt“ werde? 

    Die verschie­de­nen norma­ti­ven Vorstel­lun­gen und Über­zeu­gun­gen mehre­rer „Iche“ in Bezug auf Geld fügen sich in einer Fami­lie, einer Gruppe oder Gesell­schaft zu gemein­sa­men Wert­vor­stel­lun­gen in Bezug auf Geld, zu einer Kultur des Umgangs mit Geld (3.). Welche Wert­vor­stel­lun­gen vermitt­le ich? Welchen Stel­len­wert gebe ich Geld? Ist es Mittel zum Zweck? Und für welche Zwecke? Oder ist es sogar Selbstzweck?

    Die Wahr­neh­mun­gen und Über­zeu­gun­gen Einzel­ner (1.), der sicht- und ggf. mess­ba­re Umgang mit Geld (2.) und die Wir-Kultur des Geldes (3.) führen zu Struk­tu­ren und Mecha­nis­men (4.), zu denen viele krasse selbst­ver­stär­ken­de statt dämp­fen­der Rück­kopp­lun­gen gehö­ren, eben zu denen, die wir heute vorfin­den. Damit meine ich das heuti­ge Geld ohne die Umlauf­si­che­rung Gesells, aber bspw. mit Inflation.

    Und auch umge­kehrt werden natür­lich Schuhe daraus: Die vorhan­de­nen Geld­struk­tu­ren (4.) beein­flus­sen unsere geld­be­zo­ge­nen Über­zeu­gun­gen (1.). Sie wirken ebenso auf unser konkre­tes geld­be­zo­ge­nes Verhal­ten (2.) und unsere Geld­kul­tur (4.) usw. Jeder der vier Berei­che beein­flusst vermut­lich mehr oder minder direkt oder indi­rekt stark die anderen.
    Sind diese Zusam­men­hän­ge eigent­lich schon mal in dieser Weise unter­sucht worden? Falls ja, wer hat’s gemacht? Das würde ich gern wissen. Wenn nicht, was ich im Moment noch anneh­me, wäre das eine Aufga­be im Rahmen „trans­for­ma­ti­ver Geldforschung“!

    Können wir als Einzel­ne begin­nend – etwa indem wir uns zusam­men­tun und kleins­te Struk­tu­ren mit eige­ner Kultur formen – auf dieses stän­dig laufen­de Wech­sel­spiel posi­tiv Einfluss nehmen? Ich glaube und hoffe das nach­wie­vor – trotz aller zum Teil entmu­ti­gen­den Widrig­kei­ten, die wir auf der welt­wei­ten Bühne, aber auch bis in lokale Zusam­men­hän­ge oder gele­gent­lich auch in persön­li­chen Begeg­nun­gen wahrnehmen. 

    Natür­lich mache ich bei dieser Gele­gen­heit auch gern Werbung für die Ansät­ze des Augs­bur­ger Projekts „Dialog­Raum­Geld“, weil ich davon über­zeugt bin, dass damit rela­tiv nieder­schwel­lig sinn­vol­le Wege zur Umge­stal­tung unse­res Geldes beschrit­ten wurden und daraus lernend weite­re Schrit­te getan werden können:
    https://dialograumgeld.org/bericht-2020–2023
    In diesem Projekt, genau­er in den zwei größe­ren von insge­samt drei Konven­ten, haben wir die genann­ten vier unter­schied­li­chen Perspek­ti­ven erst als solche erken­nen und aner­ken­nen müssen und lernen dürfen, dass sie sich nicht ausschlie­ßen, sondern ergän­zen können und soll­ten. Zuneh­mend haben wir versucht mit dieser „Vier­fal­tig­keit“ konstruk­tiv zu arbei­ten. (Diese „Vier­fal­tig­keit“ haben im Übri­gen nicht wir erst entdeckt, sondern der us-ameri­ka­ni­sche Denker Ken Wilber, *1949. So viel muss an dieser Stelle zur Urhe­ber­schaft gesagt werden.) 

    Die fach­li­chen Grund­la­gen, die du mit deinem Arti­kel anreißt, gehö­ren aus meiner Sicht ab sofort unbe­dingt (jedoch im Grunde auch nicht erst jetzt) in alle derar­ti­gen Dialogräu­me hinein!

    Viele Grüße,
    Holger

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