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Ist die deutsche Energiewende rentabel? – Wolfgang Berger 0

Ist die deutsche Energiewende rentabel? – Wolfgang Berger

Emnid hat ermit­telt, dass 84 Prozent der Deut­schen eine rasche und voll­stän­di­ge Ener­gie­ver­sor­gung mit erneu­er­ba­ren Ener­gien wünschen. Jeder Dritte würde sich an Erneu­er­ba­re-Ener­gien-Anla­gen in seiner Nähe finan­zi­ell betei­li­gen. Das sind über 20 Millio­nen poten­zi­el­le Inves­to­ren. Ist diese Präfe­renz ratio­nal oder ist es eine emotio­na­le Präfe­renz jenseits unter­neh­me­ri­schen Kalküls?

Die meis­ten Unter­neh­men berech­nen die Renta­bi­li­tät ihrer mögli­chen oder geplan­ten Inves­ti­tio­nen mit einer einfa­chen Rech­nung: Sie ermit­teln die zusätz­li­chen Ausga­ben, die bei einer Inves­ti­ti­on Jahr für Jahr notwen­dig werden und die zusätz­li­chen Einnah­men, die diese Inves­ti­ti­on Jahr für Jahr bringt. Die jähr­li­chen Salden dieser Zahlen­rei­he stehen für die Ertrags­kraft der Investition.

Nun können wir diese Salden aber nicht einfach addie­ren – wir müssen sie mit der Zeit gewich­ten. Eine Milli­on in diesem Jahr ist mehr als eine Milli­on im nächs­ten Jahr, denn wenn wir es gut anfan­gen, hat sich die eine Milli­on in diesem Jahr bis zum nächs­ten Jahr vermehrt. Wollen wir die Zahlen addie­ren, müssen sie zuvor vergleich­bar gemacht und auf den heuti­gen Tag abzinst werden. Diese „Kapi­tal­wert­me­tho­de“ ist der umge­kehr­te Rechen­vor­gang wie die Zins­be­rech­nung für die Zukunft, nur dass hier die Zahlen nicht größer, sondern klei­ner werden, je weiter das Jahr in der Zukunft liegt, auf das sie sich beziehen.

Wenn wir beim Abzin­sen mit zehn Prozent rech­nen, sind eine Milli­on Euro in einem Jahr heute 910.000 Euro wert, denn wenn ich heute 910.000 Euro mit zehn Prozent anlege, habe ich in einem Jahr eine Milli­on. Nicht weil die Zinsen heute zehn Prozent sind; sie sind nied­ri­ger. Aber Inves­ti­ti­ons­kre­di­te sind trotz­dem teuer und Über­zie­hungs­zin­sen sind auch bei einem Leit­zins­satz der Zentral­bank nahe Null weit über zehn Prozent.

Wenn wir mit zehn Prozent rech­nen, sind eine Milli­on Euro in zwei Jahren dann heute noch einmal zehn Prozent weni­ger wert, also 830.000 Euro. Und so können wir weiter rech­nen: Eine Milli­on Euro in zehn Jahren sind heute 390.000 Euro wert. Eine Milli­on Euro in 100 Jahren sind heute 700 Euro wert. Eine Milli­on Euro in 200 Jahren sind heute drei Euro wert und eine Milli­on Euro in 250 Jahren sind abge­zinst heute nur ganze vier Cent wert.

Weil die lang­fris­ti­gen Auswir­kun­gen so lächer­lich gering sind, brau­chen wir die Rech­nung nur für gut zehn
Jahre durch­zu­füh­ren. Was danach geschieht, wirkt sich auf das Ergeb­nis kaum noch aus. Was danach geschieht, beein­flusst die Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dun­gen also nicht mehr. In unse­rem gegen­wär­ti­gen destruk­ti­ven Geld­sys­tem erzwingt der Rendi­te­zwang deshalb die Zerstö­rung der Umwelt. Der Erhalt der Umwelt wirkt sich erst lang­fris­tig aus und ist deshalb nicht renta­bel. Eine Nach-uns-die-Sint­flut-Menta­li­tät erhöht den Börsen­wert des Unter­neh­mens (Share­hol­der Value) und ist deshalb die logi­sche Konsequenz.
In Zeiten nied­ri­ger Zinsen wach­sen die großen Vermö­gen über Aktien und die Speku­la­ti­on mit Derivaten.
Nied­ri­ge Zinsen verlei­hen Deri­va­ten eine Hebel­wir­kung, mit der sie fast die ganze Welt aufkau­fen können.

Bei flie­ßen­dem Geld pendelt der effek­tiv gezahl­te Markt­zins um Null; zusätz­li­che Einnah­men und Ausga­ben von Inves­ti­tio­nen werden deshalb nicht mehr abge­zinst. Damit wird es renta­bel, die Umwelt zu erhal­ten. In einem solchen Geld­sys­tem werden die Märkte deshalb Nach­hal­tig­keit und dauer­haft halt­ba­re Güter erzwingen.

Finanzwelt auf der Bühne – Eine schwierige Annäherung – Pat Christ 0

Finanzwelt auf der Bühne – Eine schwierige Annäherung – Pat Christ

Das Thea­ter kann das Thema „Geld“ (noch) nicht so rich­tig packen

Sie joggen zwei­mal in der Woche, ernäh­ren sich gesund – und haben ansons­ten nur eines im Sinn: Umsatz zu machen. Dafür nehmen die drei Finanz­be­ra­ter in Robert Woel­fls Stück „Wir verkau­fen immer“ alle nur denk­ba­ren Konse­quen­zen in Kauf: Bruch mit der eige­nen Fami­lie, Bezie­hungs­abs­ti­nenz, Einsam­keit. Beacht­lich, dass es ein Stück über die Finanz­welt auf die Thea­ter­büh­ne geschafft hat. Nur leider bleibt es – und nicht nur dieses Stück – inhalt­lich weit hinter den Erwar­tun­gen an ein solches Thema zurück.

Sie sind weder noncha­lant noch fies oder ausge­bufft, die beiden Finanz­be­ra­ter und die Finanz­be­ra­te­rin, die Regis­seur Stephan Susch­ke bei der Urauf­füh­rung des Stücks im Septem­ber im Würz­bur­ger Stadt­thea­ter zum Tria­log antre­ten lässt. Unsi­cher sind sie. Und geknickt. Vor allem Martin, in Würz­burg von Robin Bohn darge­stellt, ist ganz betrübt darüber, dass seine Eltern ihn der Falsch­be­ra­tung bezich­ti­gen – haben sie doch dank seiner Einflüs­te­run­gen all ihr Geld in Aktien inves­tiert, deren Kurs dann massiv gefal­len ist. Seit­dem reden sie nicht mehr mit ihrem Sohn. Zu groß ist (noch) der Schock darüber, dass all ihr Vermö­gen vernich­tet ist.

Die drei von Woelfl kreierten Finanz­be­ra­ter müssen sich unge­mein abschuf­ten. Tja. Hätten Sie bloß was Vernünf­ti­ges gelernt… Das Leben genie­ßen, nein, das können Julia, Martin und Ricar­do nicht. Denn da ist ja die perma­nen­te Hatz nach dem Geld. Immer hinken sie hinter ihren eige­nen Erwar­tun­gen her. Immer ist da die Angst vor dem Absturz. Und immer stehen sie mit dem Rücken an der Wand. Gefun­den haben sie sich für den Moment des Tria­logs auch nicht aus alter Freund­schaft. Eher zum Schlag­ab­tausch. Ähnlich Mitglie­dern einer Sekte feuern sie sich gegen­sei­tig an, das zu glau­ben, was als Glaube in ihnen längst am Bröckeln ist. Woelfl präsen­tiert seine Figu­ren verhed­dert in einem Job, der abso­lut nicht zum Glück­lich­ma­chen taugt.

Zu bloßen „Kunden“ degra­diert Wie sie mit ande­ren umge­hen, treibt ihnen beim Erzäh­len keines­wegs die Röte ins Gesicht. Sie schei­nen nicht zu checken, in welchem unmensch­li­chen Maß sie ihre Mitmen­schen zu bloßen „Kunden“ degra­die­ren. Was frei­lich schon etwas mit der Reali­tät zu tun hat. Unbe­strit­ten gehört die Angst davor, zu wenige Kunden zu haben oder bereits gewon­ne­ne Kunden zu verlie­ren, zur Reali­tät von Finanz­be­ra­tern. Realen Schil­de­run­gen zufol­ge gera­ten nicht wenige Finanz­be­ra­ter gar so stark ins Trudeln, dass sie in die Privatinsolvenz
hinein­schlid­dern. Denn neue Kunden zu finden, ist schwer. Auch für Woel­fls farb­lo­se Figu­ren bedeu­tet dies eine chro­nisch stres­sen­de Heraus­for­de­rung. Dabei versu­chen sie auf Teufel komm raus, zu neuen Geschäfts­kon­tak­ten zu kommen. Und weil sie es so sehr versu­chen, passie­ren Pannen. Werden andere geschä­digt. Um exis­ten­zi­ell notwen­di­ges Geld gebracht. Wie Martins Eltern…

Helmut Creutz 2013
Foto: Privat
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Problemfeld Inflation – Helmut Creutz

„Infla­ti­on ist nicht nur Betrug am Sparer, nicht nur die unso­zi­als­te Form der Umver­tei­lung, sondern auch die Erwerbs­lo­sig­keit von morgen. Längst ist wider­legt, dass fünf Prozent Infla­ti­on leich­ter zu ertra­gen seien als fünf Prozent Arbeits­lo­sig­keit; viel­mehr sind null Prozent Infla­ti­on die vorzüg­lichs­te Voraus­set­zung für null Prozent Erwerbs­lo­se. Der Glaube, Voll­be­schäf­ti­gung lasse sich mit ‚ein biss­chen Preis­stei­ge­rung‘ erkau­fen, musste welt­weit teuer bezahlt werden.“ Peter Gillies, 1987

Das schrieb Peter Gillies, Chef­re­dak­teur der deut­schen Tages­zei­tung DIE WELT, im Jahre 1987, als die Infla­ti­on – zum drit­ten Mal in der Nach­kriegs­zeit – wieder zu einem stei­len Anstieg ansetz­te. Und zwar bezo­gen auf eine Aussa­ge des dama­li­gen Bundes­kanz­lers Helmut Schmidt, der bereits in den 1970er Jahren einmal die Ansicht vertre­ten hatte, dass „fünf Prozent Infla­ti­on besser sind als fünf Prozent Arbeitslosigkeit!“ –

Wie frag­wür­dig diese Auffas­sung jedoch war, geht aus der Darstel­lung 1 hervor, die jenen Zeit­raum zwischen 1965 und 2005 erfasst, in dem die Infla­ti­ons­sät­ze drei Mal Höchst­stän­de erreich­ten. Erkenn­bar werden daraus auch die jewei­li­gen Folgen: Anstie­ge der Zins­sät­ze und – mit etwa zwei­jäh­ri­ger Verzö­ge­rung – die der Arbeits­lo­sig­keit sowie der zusätz­lich einge­tra­ge­nen Firmenpleiten.

Diese Auswir­kun­gen in der Real­wirt­schaft werden noch deut­li­cher, wenn man – wie in der Grafik gesche­hen – die Infla­ti­ons- und Zins­kur­ven einmal um zwei Jahre nach rechts verschiebt und damit die zeit­li­chen Verzö­ge­run­gen zwischen
beiden Vorgän­gen neutra­li­siert. Nun mag die Infla­ti­on in unse­ren Tagen und ange­sichts der heuti­gen Raten von inzwi­schen etwa zwei Prozent, gar kein großes Thema mehr sein. Aber denkt man an die Massen von Bargeld, die heute in der Welt vorhan­den aber nicht im Umlauf sind, kann sich das sehr schnell verän­dern! Deshalb ist es auch in unse­ren Tagen sinn­voll, sich nicht nur an jene Hyper­in­fla­ti­on der Zwan­zi­ger Jahre zu erin­nern, sondern sich auch mit jenen Entwick­lun­gen aus unse­rer Wirt­schafts­epo­che zu befas­sen, die – bezo­gen auf die letz­ten Jahr­zehn­te – aus der Darstel­lung 1 hervorgehen.

Infla­tio­nen als Ursa­chen der Konjunk­tur­schwan­kun­gen Wie diese Darstel­lung vermit­telt, war die Ursa­che des stän­di­gen Auf und Ab in unse­rer jüngs­ten Vergan­gen­heit im ersten Schritt die Schwan­kun­gen der Infla­ti­ons­sät­ze, denen dann im Gleich­schritt jeweils die der Gutha­ben- und Kredit­zin­sen folg­ten. Aufge­schla­gen wird bei diesen Kredit­zin­sen dann noch
jene Marge, mit der die Banken ihre eige­nen Kosten absi­chern, vor allem für Perso­nal und Risiko. Und natür­lich – wie bei jedem Unter­neh­men – auch noch der betriebs­not­wen­di­ge Gewinn, der allei­ne schon zur Bedie­nung des Eigen­ka­pi­tals erfor­der­lich ist. Aus der Darstel­lung 1 geht vor allem aber auch der lang­fris­ti­ge Anstieg des Arbeitslosensockels
hervor, auf den sich die infla­ti­ons­be­ding­ten aktu­el­len Schübe jeweils aufsat­teln. Wieder­ge­ge­ben ist diese Arbeits­lo­sig­keit jeweils in Prozen­ten der Erwerbs­tä­ti­gen, als so genann­te „Arbeits­lo­sen­quo­te“, deren Sockel – wie
ersicht­lich – von etwa einem Prozent Anfang der 1970er Jahre bis 2005 auf fast zehn Prozent ange­stie­gen ist. Die über der Arbeits­lo­sen­quo­te einge­tra­ge­ne zusätz­li­che Kurve der Insol­ven­zen, also der Firmen­schlie­ßun­gen, folgt – wie ersicht­lich – mit ihren Schwan­kun­gen eben­falls den Entwick­lun­gen von Infla­ti­on und Zinsen, verstärkt sogar ab 1990.

Und was sind die Ursa­chen der Inflation?

ans Ruder © 2013 Pat Christ
Foto: © Pat Christ
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Vorgegaukelte Demokratie – Pat Christ

Hambur­ger Poli­tik­wis­sen­schaft­ler unter­su­chen Entwick­lung hin zur Postdemokratie

Wohin steu­ert unsere Poli­tik? Nach Ansicht vieler Poli­tik­wis­sen­schaft­ler mitten hinein in die Post­de­mo­kra­tie. Erkenn­bar, sagen sie, ist dies vor allem daran, wie Poli­tik heute begrün­det wird. Dem demo­kra­ti­schen Ideal zufol­ge ist Poli­tik prin­zi­pi­ell verhan­del­bar. Doch de facto wird heute immer weni­ger debat­tiert, ver- und ausge­han­delt. Was angeb­lich zwin­gend imple­men­tiert werden muss, steht von vorne­her­ein fest.

Die Globa­li­sie­rung ist nur eine Entwick­lung von vielen, die so, wie sie sich voll­zieht, als schick­sals­haft und alter­na­tiv­los darge­stellt wird. Poli­ti­sche Gegen­ar­gu­men­te sind rar. Aber auch in ande­ren Feldern wird poli­ti­sches Handeln zuneh­mend als „alter­na­tiv­los“ darge­stellt. Wirt­schaft­li­che Sach­zwän­ge und Zwänge des Mark­tes, Effi­zi­enz- und Kosten­ar­gu­men­te dienen immer häufi­ger als Begrün­dung für Entschei­dun­gen. Für den Bürger ist dies nicht unbe­dingt zu verspü­ren – handelt es sich doch um einen schlei­chen­den Prozess. Bürge­rin­nen und Bürger, die sich wünschen, in einer Welt zu leben, die noch halb­wegs in Ordnung ist, behar­ren darauf: Wir haben eine Demo­kra­tie! Inwie­weit wir tatsäch­lich längst im Post­de­mo­kra­ti­schen gelan­det sind, das unter­sucht Matthi­as Lemke an der Helmut-Schmidt-Univer­si­tät in Hamburg. Über 3,5 Millio­nen Zeitungs­ar­ti­kel aus der Frank­fur­ter Allge­mei­nen Zeitung, der ZEIT, der Süddeut­schen Zeitung und der taz, die seit 1949 erschie­nen, werden seit einem Jahr von ihm und seinen Kolle­gen ausge­wer­tet. Das Projekt dauert noch zwei Jahre. Viel häufi­ger „unver­zicht­bar“ Nach wie vor werden Wahlen durch­ge­führt und Regie­run­gen wech­seln. Doch das hat mit Demo­kra­tie immer weni­ger zu tun, erga­ben laut Lemke die bishe­ri­gen Ergeb­nis­se. „Wir unter­su­chen unter ande­rem die Häufig­keit von Wörtern im Zeit­ver­lauf“, erklärt er gegen­über der HUMANEN WIRTSCHAFT: „Dazu etablier­ten wir ein Wörter­buch mit Begrif­fen, die Alter­na­tiv­lo­sig­keit ausdrücken.“

Statt stich­hal­ti­ge Argu­men­te zu liefern, operie­ren Anhän­ger der Alter­na­tiv­lo­sig­keits­rhe­to­rik zum Beispiel gern mit den Worten „unver­zicht­bar“, „unab­ding­bar“ oder „Sach­zwang“. Lemke: „Solche Wörter haben zuge­nom­men.“ Im nächs­ten Schritt werden die Begrif­fe analy­siert, die sich in der Nach­bar­schaft dieser Wörter befin­den. So kann fest­ge­stellt werden, in welchem Kontext etwa in einem Zeitungs­be­richt vom „Sach­zwang“ die Rede ist. Mit diesem Wort könnte ja auch davor gewarnt werden, die Demo­kra­tie auszu­höh­len. Dann wäre das Wort „Sach­zwang“ als nega­ti­ver Begriff in einem Arti­kel aufge­taucht. „Derzeit wissen wir einfach noch nicht, ob die Nach­bar­wör­ter jeweils posi­tiv oder nega­tiv sind“, sagt Lemke. Klar sei auf alle Fälle, dass gerade im Kontext der poli­ti­schen – weni­ger der wirt­schaft­li­chen – Bericht­erstat­tung heute Wörter, die der Alter­na­tiv­lo­sig­keits­rhe­to­rik entstam­men, wesent­lich häufi­ger auftre­ten als früher. Am stärks­ten ist der Zuwachs beim Wort „alter­na­tiv­los“. Aber auch „unver­zicht­bar“ wird von Polit­kern heute häufi­ger verwen­det als in der Nachkriegsära.

Finanzzirkus 0

Der Krieg gegen die arbeitende Bevölkerung – Wolfgang Berger

Im Jahre 1870 bildet die Londo­ner Manège-Schule erst­mals Zirkus­di­rek­to­ren aus. Die Abschluss­qua­li­fi­ka­ti­on für die erfolg­rei­chen Absol­ven­ten ist eine Berufs­be­zeich­nung, die hundert Jahre später auch woan­ders in Mode kommt: Mana­ger. Der Begriff leitet sich vom latei­ni­schen „manum agere“ ab: jemand an der Hand führen.

Im Zirkus hat es ange­fan­gen. Kennen Sie das? Zirkus­tie­re werden an der Leine geführt, mit Tricks und Gewalt dres­siert und zu Kunst­stü­cken gezwun­gen, die sie von sich aus nie tun würden. So wie Zirkus­tie­re gegen ihre Natur auf ein nicht artge­rech­tes Verhal­ten gedrillt werden, dril­len Unter­neh­men viele Menschen gegen ihre Natur auf ein nicht artge­rech­tes Verhalten.

„Angst und Geld sind das einzi­ge, was Mitar­bei­ter moti­viert“, meinte Jeffrey Skil­ling, Chef der Enron Corpo­ra­ti­on – einem Ener­gie­kon­zern aus Texas – bis zur spek­ta­ku­lä­ren Pleite in 2001. Der Harvard Absol­vent hatte seine Karrie­re bei der Unter­neh­mens­be­ra­tung McKin­sey begon­nen und dann den größ­ten Wirt­schafts­kri­mi des 20. Jahr­hun­derts insze­niert. Nach jahre­lan­gen Anfech­tungs­kla­gen hat im Sommer 2013 ein Bezirks­rich­ter in Hous­ton, Texas, seine Gefäng­nis­stra­fe von 24 auf 14 Jahre redu­ziert – gegen Zahlung von 40 Millio­nen Dollar.
Die Share­hol­der-Value-Doktrin zerbricht die Menschen 

Die Enron-Pleite hat 22.000 Menschen arbeits­los gemacht und zugleich ihre Alters­ver­sor­gun­gen vernich­tet. In den letz­ten fünf Jahren vor dem Zusam­men­bruch hat Enron seinen Gewinn jähr­lich um 65 Prozent stei­gern können. Der nach der Börsen­ka­pi­ta­li­sie­rung gemes­se­ne Wert des Unter­neh­mens war welt­weit an sechs­ter Stelle. Namhaf­te Exper­ten haben im Jahre 2000 den Enron-Verwal­tungs­rat (Board) als einen der fünf besten der USA bewertet.

In weni­gen Tagen ist dann das Karten­haus aus Gier, Skru­pel­lo­sig­keit und Größen­wahn zusam­men­ge­fal­len. Auslö­ser für eine Unter­neh­mens­stra­te­gie, die zunächst von der Fach­welt bewun­dert und anschlie­ßend von einem Tsuna­mi regel­recht über­rollt wird, ist ein US-ameri­ka­ni­sches Gerichts­ur­teil. Weil alle großen Firmen eine Nieder­las­sung in den USA haben und dort mit astro­no­mi­schen Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen verklagt werden können, hinter­lässt es eine Spur auf der ganzen Welt:

1932 grün­den Joseph und Charles Revson die Kosme­tik­fir­ma Revlon. Zu Beginn der 1980er Jahre inter­es­siert sich die Leitung der Firma für die Gewin­ne der Eigen­tü­mer, aber außer­dem auch noch für Belan­ge von Beleg­schaft, Kunden und Liefe­ran­ten. Da wird sie verklagt. 1985 verur­teilt der Dela­ware Supre­me Court (das höchs­te Gericht des Bundes­staa­tes) die Führung des Unter­neh­mens. Nach dem Urteil des Gerichts muss die Leitung eines Unter­neh­mens der Eigen­tums­meh­rung der Aktio­nä­re alles – wirk­lich alles andere unter­ord­nen. Mit diesem Urteil gelingt es Ronald Pere­man, die Akti­en­ge­sell­schaft „feind­lich“ zu über­neh­men. Und das heißt: Gegen den erbit­ter­ten Wider­stand der Beleg­schaft und der Unternehmensleitung.

Das Urteil zwingt die Unter­neh­men der Welt zu einer Stra­te­gie, die „Share­hol­der-Value-Doktrin“ genannt wird. „Share­hol­der Value“ ist der Betrag, den das gesam­te Unter­neh­men zum gegen­wär­ti­gen Börsen­kurs wert ist. Das Manage­ment muss mit allen lega­len Mitteln den Unter­neh­mens­wert stei­gern und dadurch den Reich­tum der Aktio­nä­re mehren. Andere Ziele dürfen nur verfolgt werden, wenn es nicht zu Lasten dieses höchs­ten Gebots geht.

Wo die Doktrin nicht befolgt wird, sinkt der Akti­en­kurs – und damit droht eine feind­li­che Über­nah­me des Unter­neh­mens. Fonds, die solche Spiele radi­kal betrei­ben, finan­zie­ren Über­nah­men mit Kredi­ten großer Finanz­in­sti­tu­te, vornehm­lich in der „City of London.“ Die Rück­zah­lung der Kredi­te wird dem erober­ten Unter­neh­men aufge­bür­det. Wenn es den Wert des Unter­neh­mens erhöht, muss die Unter­neh­mens­lei­tung Perso­nal entlas­sen. Naomi Klein beschreibt diese Machen­schaf­ten und ihre Hinter­grün­de auf 763 Seiten detail­liert und fakten­reich: »Die Schock-Stra­te­gie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus«.

Die Vorstän­de müssen mitspie­len und ihre Verant­wor­tung für das Ganze zurück­stel­len. Die Voraus­set­zun­gen dafür schuf Mitte der 1970er Jahre die Unter­neh­mens­be­ra­tung »McKin­sey & Compa­ny Inc.« Bis dahin waren Mana­ger Arbeit­neh­mer, ebenso wie die ihnen unter­stell­ten Mitar­bei­ter – und stan­den damit in natür­li­chem Inter­es­sen­ge­gen­satz zu den Kapi­tal­eig­nern. Mit „Stock Opti­ons“ (Akti­en­op­tio­nen) wurden die ange­stell­ten Unter­neh­mens­füh­rer von der Seite der Beleg­schaft auf die Seite des Kapi­tals gezogen.

Akti­en­op­tio­nen werden als Erfolgs­bo­nus – als Beloh­nung – zusätz­lich zum Gehalt ausge­ge­ben, wenn der Akti­en­kurs eine bestimm­te Höhe erklimmt. Wer solche Optio­nen besitzt, kann sie gegen Aktien des von ihm gelei­te­ten Unter­neh­mens eintau­schen und diese Aktien später auch verkaufen.

Unab­hän­gig von den Zwän­gen der Recht­spre­chung hat der Inha­ber von Optio­nen ein persön­li­ches Inter­es­se an einem hohen Akti­en­kurs. Die Versu­chung ist groß, diesem Inter­es­se andere Themen unter­zu­ord­nen: die Belan­ge der Beleg­schaft und die lang­fris­ti­ge Zukunft des Unter­neh­mens; gewach­se­ne Kunden- und Liefe­ran­ten­be­zie­hun­gen; Fair­ness gegen­über Wett­be­wer­bern; Loya­li­tät gegen­über Produk­ti­ons­stand­or­ten, die die Infra­struk­tur bereit­stel­len und deren Bevöl­ke­rung von Entlas­sungs­wel­len betrof­fen ist; sowie Rück­sicht auf den Staat, auf dessen Infra­struk­tur alle Unter­neh­men ange­wie­sen sind.

Akti­en­op­tio­nen haben den Kapi­ta­lis­mus von Grund auf verän­dert. Die Führung von börsen­ge­han­del­ten Akti­en­ge­sell­schaf­ten ist seit­dem weni­ger bestrebt, Produk­te oder Dienst­leis­tun­gen anzu­bie­ten, Stand­or­te und Arbeits­plät­ze zu erhal­ten. Sie bemüht sich vor allem darum, den Akti­en­kurs nach oben zu trei­ben. Die übri­gen Arbeit­neh­mer – bis dahin in einer Inter­es­sen­ge­mein­schaft mit der Unter­neh­mens­spit­ze – blei­ben zurück und profi­tie­ren nicht mehr von dem Produk­ti­vi­täts­zu­wachs, den sie erarbeiten.
Auch das Land, in dem die Akti­en­ge­sell­schaft ihren Sitz hat, bleibt zurück. Die Mehr­heit der Aktien der 30 größ­ten und umsatz­stärks­ten deut­schen Unter­neh­men, die an der Frank­fur­ter Börse gehan­delt werden – die deut­schen „DAX-Konzer­ne“ – gehört nach Auskunft der Wirt­schafts­prü­fer Ernst & Young auslän­di­schen Inves­to­ren. In ande­ren Ländern ist es kaum anders. Viele dieser Konzer­ne weisen Bilanz­sum­men aus, die das Brut­to­in­lands­pro­dukt der meis­ten Staa­ten dieser Welt übersteigen.

Die Fonds haben ihren Sitz über­wie­gend auf exoti­schen Inseln, die ihnen als „tax haven“ (Steu­er­flucht­stät­te) dienen. Diese „Offshore“-Finanzplätze“ liegen jenseits der eige­nen Küste (off shore). Aber die Fonds werden in der „City of London“ verwal­tet. Ähnlich wie der Vati­kan kein Teil Itali­ens ist, gehört der Finanz­di­strikt „City of London“ nicht zu Groß­bri­tan­ni­en. Er ist eine eigen­stän­di­ge poli­ti­sche Einheit. Die dort gülti­gen Geset­ze werden von den ca. 250 global täti­gen Finanz­in­sti­tu­ten gestal­tet, die dort nieder­ge­las­sen sind und keine natio­na­le Iden­ti­tät haben.

Samuel J. Palmi­s­a­no, Aufsichts­rats­vor­sit­zen­der der Compu­ter­fir­ma IBM, drückt die Aufla­gen des Finanz­sek­tors in seiner „Road­map to 2015“ (Ziel­pla­nung für 2015) knackig aus: „Earnings to double“ (Den Gewinn verdop­peln). Unter der Leitung der CEO (Präsi­den­tin) Virgi­nia M. „Ginni“ Romet­ty sollen die welt­weit über 430.000 Mitar­bei­ter die Rendi­ten der Aktien in weni­gen Jahren um 100 Prozent erhö­hen. Dieser Druck wird an die gesam­te Beleg­schaft weitergegeben.

Die Konse­quen­zen zeigen sich in den Verei­nig­ten Staa­ten – dem Ausgangs­punkt der verän­der­ten Recht­spre­chung – am drama­tischs­ten: 1970 verdien­te ein Unter­neh­mens­chef in den USA das 25fache des Durch­schnitts­ein­kom­mens seiner Mitar­bei­ter, heute ist es das 500fache. Im Rest der Welt drif­ten die Einkom­men zwischen der Unter­neh­mens­spit­ze und der Beleg­schaft ähnlich stark auseinander.

Tipps aus dem Reparatur-Café – Pat Christ 0

Tipps aus dem Reparatur-Café – Pat Christ

Drei Fragen an den Olden­bur­ger Post­wachs­tums­öko­no­men Niko Paech

So, wie Menschen heute nach Geld, Konsum und immer mehr Wohl­stand jagen, das kann nicht gut sein und wird nicht gut gehen, warnt Niko Paech seit langem. Der Post­wachs­tums­öko­nom plädiert für ein neues Bewusst­sein von gutem Leben, das einen ande­ren Konsum­stil hervor­bringt. Inak­zep­ta­bel ist für den Wachs­tums­kri­ti­ker, dass Waren auf Verschleiß herge­stellt werden. Gegen­über Pat Christ berich­tet er, was jeder einzel­ne gegen geplan­te Obso­les­zenz tun kann.

Herr Paech, in welchem Umfang produ­zie­ren gerade Elek­tro­kon­zer­ne Ihren Erkennt­nis­sen zufol­ge auf vorzei­ti­gen Verschleiß?

Minia­tu­ri­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung und die Halb­lei­ter­tech­no­lo­gie bilden perfek­te Voraus­set­zun­gen für das Design von Objek­ten, die nicht repa­ra­bel sind und deren Verschleiß sich unbe­merkt, zuwei­len auch schwer beweis­bar, regel­recht einpro­gram­mie­ren lässt. Das ist die Schat­ten­sei­te vermeint­li­cher Fort­schrit­te in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie: Wo sich alles steu­ern und program­mie­ren lässt, kann eben auch die Zerstö­rung auto­ma­ti­siert werden, ohne den Nutzern die Chance zu lassen, selbst­tä­tig für Instand­hal­tung zu sorgen oder Objek­te zu repa­rie­ren. Digi­ta­li­sie­rung als Spät­sta­di­um einer durch und
durch indus­tri­el­len Fremd­ver­sor­gung führt nicht nur zur Verküm­me­rung eige­ner Fähig­kei­ten, sondern auch zur Entmün­di­gung. Einer­seits machen wir uns zuse­hends abhän­gig von den heiß geliebten
Elek­tronik­spiel­zeu­gen, ande­rer­seits können wir deren Hard­ware in keins­ter Weise gestal­ten oder beherr­schen. Hinzu kommt, dass die Komple­xi­tät des Designs der Produk­te dazu führt, dass wir die Quali­tät nicht mehr eigen­hän­dig prüfen können. Ein Fahr­rad, ein Hemd, eine mecha­ni­sche Näh- oder Schreib­ma­schi­ne, eine Rohr­zan­ge, ein Möbel­stück etc. kann ich mir genau anschau­en. Unter
Nutzung meiner Sinnes­or­ga­ne bin ich wenigs­tens teil­wei­se in der Lage, das Mate­ri­al, die Robust­heit, die Verar­bei­tung zu prüfen. Ein Smart­phone ist vergli­chen damit eine Mischung aus Wunder­tü­te und Roulette.

Nur haltbar ist nachhaltig – Pat Christ 0

Nur haltbar ist nachhaltig – Pat Christ

Stefan Schrid­de wehrt sich mit „Murks? Nein danke!“ gegen program­mier­ten Verschleiß

Gesell­schafts­kri­tik ist für Stefan Schrid­de an dieser Stelle fehl am Platz: Nicht die „geizi­gen“ Konsu­men­ten, sondern die Konzer­ne tragen nach seiner Meinung die volle Verant­wor­tung dafür, dass immer mehr Produk­te auf Verschleiß produ­ziert werden. Mit seinem Verein „Murks? Nein danke!“ setzt er sich dafür ein, dass halt­ba­rer produ­ziert wird. „Halt­bar­keit ist der größe­re Hebel als Nach­hal­tig­keit“, betont der Stadt- und Regionalentwickler.
Dass Produk­te bewusst auf Verschleiß produ­ziert werden, sei längst keine Verschwö­rungs­theo­rie mehr, sagt er. An vielen Beispie­len konn­ten Schrid­de und seine Mitstrei­ter dies aufzei­gen. „Es werden zum Beispiel Konden­sa­to­ren für Geräte ausge­wählt, die eindeu­tig unter­di­men­sio­niert sind“, so der Anti-Murks-Aktivist.
Dabei koste­ten elek­tro­ni­sche Bautei­le, die zehn Jahre länger halten würden, gar nicht mehr: „Im Falle der Konden­sa­to­ren müsste man um die drei Cent zusätz­lich ausge­ben.“ Auch könn­ten Plati­nen kosten­neu­tral so geplant werden, dass sie es 30 Jahre länger machen: „Das haben mir Inge­nieu­re, mit denen ich gespro­chen habe, bestätigt.“
Was bei einer Jacke schlecht möglich ist, funk­tio­niert bei allen tech­ni­schen Gerä­ten: Ein einge­bau­ter Zähler begrenzt bewusst die Nutzung. Aufge­flo­gen ist diese Verschleiß­me­tho­de inzwi­schen unter
ande­rem bei Toner­kar­tu­schen, Kaffee­ma­schi­nen und Akkus. Schrid­de: „Bei Kartu­schen wird zum Beispiel auf 15.000 Seiten runter­ge­zählt.“ Ist diese Zahl erreicht, erfolgt die Meldung, dass die Kartu­sche leer ist. Wer so clever ist und den Chip auf Null stellt, kann jedoch mit dieser angeb­lich leeren Kartu­sche munter weiter­dru­cken: „Manche Kartu­schen drucken insge­samt 50.000 Seiten.“ Also drei­mal so viel.

Renan Demirkan – Foto: © Pat Christ
Foto: © Pat Christ
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Eine Schauspielerin begehrt auf – Pat Christ

Im Allge­mei­nen ist der Begriff nicht umstrit­ten: „Tole­ranz“ wird viel und gern verwen­det. Da gibt es den „Verein für Tole­ranz & Zivil­cou­ra­ge“ in Neumüns­ter. Die „Tole­ranz Fabrik“ in Würz­burg. Oder das „Bünd­nis für Demo­kra­tie und Tole­ranz“ der Bundes­re­gie­rung. Für die aus der Türkei stam­men­de Schau­spie­le­rin Renan Demir­kan aller­dings ist Tole­ranz eine „Herr­schafts­ges­te“. Ange­sichts des sich ausbrei­ten­den Rechts­ra­di­ka­lis­mus warnt sie in ihrem Buch „Respekt“ vor den Folgen „tole­ran­ter“ Respekt­lo­sig­kei­ten. In tole­ran­ten Gesten verrät sich für Demir­kan oft ekla­tan­te Respekt­lo­sig­keit. „Die viel beschwo­re­ne ‚Tole­ranz‘ besteht auf dem Abstand zu Allem“, sagt sie. Wer sein Gegen­über tole­riert, lässt es zwar leben. Aber er nimmt sie oder ihn noch lange nicht an. Ist noch lange nicht bereit, den Schritt vom „Ich“ zum „Wir“ zu voll­zie­hen. Tole­ranz passt genau zur indi­vi­dua­li­sier­ten Kultur des Westens, findet Renan Demir­kan: „Denn dessen Ideal­bild ist der getrenn­te Mensch.“ Den man auf Abstand duldet. Ohne sich weiter mit ihm zu soli­da­ri­sie­ren. Tole­riert wird damit nicht nur das Indi­vi­du­um. Sondern zum Beispiel auch wach­sen­de Armut und Unge­rech­tig­keit im eige­nen Land.

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Über Kapitalfluten und Hochwasserschutz – Günther Moewes

In den Medien erhebt sich derzeit der ganz große Aufschrei: Der Nied­rig­zins bringe unsere gesam­te Alters­ver­sor­gung zum Einsturz. Es drohe Alters­ar­mut. „Und sie wird nicht nur die ohne­hin schon Armen erwi­schen, sondern jene Mittel­schicht, die bisher immer glaub­te, alles rich­tig zu machen.“ Nicht nur den Armge­mach­ten drohe Alters­ar­mut – auch die bisher als privi­le­giert gelten­den „Archi­tek­ten, Rechts­an­wäl­te und Ärzte müssen um ihre Renten­an­sprü­che bangen“. Und so ganz neben­bei auch viele Zins­geg­ner, die ja meist nicht gerade zur Unter­schicht zählen. „Die nied­ri­gen Zinsen sind allen­falls gut für Haus­käu­fer, die Banken und vor allem für Regie­run­gen“ schreibt DER SPIEGEL.[1] Und für Miet­haie. [1 Alle Zitate aus DER SPIEGEL 192013, Titel­ge­schich­te, S. 63, 68.]

Halten wir erst einmal fest: am bishe­ri­gen Beute­sche­ma hat sich wenig geän­dert. Verlie­rer sind nach wie vor die Wert­schöp­fen­den, Arbei­ten­den, Arbeits­lo­sen, Armge­mach­ten, Alleinerziehenden,
Rent­ner und Schuld­ner. Und Gewin­ner sind nach wie vor die Besit­zen­den, Groß­gläu­bi­ger, Speku­lan­ten, Inves­to­ren, Haus­käu­fer und Miet­haie. Nur etwas hat sich geän­dert: Die Regie­run­gen haben entdeckt, wie sie sich auf Kosten der Millio­nen Klein­gläu­bi­ger einen blan­ken Fuß machen können, wie sie am elegan­tes­ten ihre gewal­ti­gen Staats­schul­den auf die Bevöl­ke­run­gen abwäl­zen können. Nach
der Masche mit Rettungs­schir­men und Spar­zwang nun die mit Null­zins­po­li­tik, Infla­ti­on und priva­ter Alters­vor­sor­ge. Auch diese Masche ist uralt. Schon immer haben Staa­ten sich so ihrer Kriegs- und Krisen­schul­den entle­digt. Und deshalb ist das alles auch seit eh und je früh­zei­tig voraus­ge­sagt worden, meist von der kriti­schen Wissen­schaft und manch­mal von den jewei­li­gen Oppo­si­tio­nen der jewei­li­gen Regierungen.

Grafik Nr. 30 - Helmut Creutz 0

Minuszinsen – eine Lösung unserer Probleme? – Helmut Creutz

Worum geht es? Dass die entschei­den­den Voraus­set­zun­gen für eine dauer­haf­te Absen­kung der Zinsen nur über die Zentral­ban­ken und deren Leit­zin­sen erreich­bar sind, dürfte weit­ge­hend Zustim­mung finden. Dabei geht es vor allem um jenen Haupt­re­fi­nan­zie­rungs­satz, zu dem die Banken bei der Zentral­bank Geld auslei­hen können, was in norma­len Zeiten über­wie­gend nur jeweils für eine Woche der Fall ist. Der darüber liegen­de „Spit­zen­re­fi­nan­zie­rungs­satz“ bietet den Banken die Möglich­keit, bei Bedarf noch zusätz­li­ches Geld zu erhal­ten, während der untere Einla­ge­satz den Banken ermög­licht, übri­ges Geld bei der Zentral­bank zu nied­ri­ge­ren Zinsen zu parken, was meist nur über Nacht geschieht.

Wie aus der Darstel­lung hervor­geht, wurden die beiden letzt­ge­nann­ten Zins­sät­ze, trotz aller Auf- und Abstie­ge, in der Vergan­gen­heit immer mit einem Prozent­punkt Abstand zum Haupt­re­fi­nan­zie­rungs­satz fest­ge­setzt. Im Zuge der mehr­fa­chen Abstie­ge des Haupt­sat­zes 200809, redu­zier­te man jedoch diesen Abstand, „Leit­zins­kor­ri­dor“ genannt, auf drei­vier­tel Prozent, wahr­schein­lich um bei dem unte­ren Einla­ge­satz nicht mit der Null­li­nie in Berüh­rung zu kommen! Doch als man im Juli 2012 den Leit­zins­kor­ri­dor sogar auf ein halbes Prozent absenk­te, war dieses Tabu gebro­chen: Es gab zum ersten Mal bei der Bundes­bank, bzw. der EZB, einen Null-Zins­satz! Doch bei der nach­fol­gen­den Haupt­satz-Absen­kung im Mai 2013 auf ein halbes Prozent, vermied man den nun eigent­lich anste­hen­den Durch­bruch in den Minus­be­reich erneut durch eine Redu­zie­rung der Zins­satz-Abstän­de, dies­mal auf ein halbes Prozent! – Das heißt, der Vorteil, der den Banken beim „Parken“ von Über­schüs­sen einge­räumt wird und ursprüng­lich bei einem Prozent lag, ist über drei Vier­tel nun auf ein halbes Prozent­ge­schmol­zen! – Dass mit solchen nied­ri­gen Zins­sät­zen und vor allem Zins­satz-Abstän­den auch die Steue­rungs­mög­lich­kei­ten der Zentral­ban­ken schwin­den, dürfte einleuch­ten. Deshalb wären, zumin­dest bei den Einla­ge­sät­zen, Zins­sät­ze unter Null längst überfällig.

Niko Paech bei der Jubiläumsfeier
Foto: © Pat Christ
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„Wir haben es in der Hand!“ – 10 Jahre CHIEMGAUER – Pat Christ

Gemein­sam für eine lebens­wer­te Zukunft:
3.500 Menschen enga­gie­ren sich inzwi­schen für den CHIEMGAUER. Sie wissen, so CHIEM­GAU­ER-Grün­der Chris­ti­an Gelle­ri: „Wir haben es in der Hand, ob wir etwas ändern!“ Zehn Jahre ist die in den Land­krei­sen Chiem­gau und Rosen­heim gülti­ge Regio­nal­wäh­rung inzwi­schen alt. Grund genug, einmal inne zu halten und über Chan­cen und Gren­zen von Komple­men­tär­wäh­run­gen zu disku­tie­ren. Dies taten 300 Teil­neh­mer beim 5. Regio­nal­wäh­rungs­kon­gress in Traunstein.
Unter­neh­men, die auf nichts ande­res als auf Gewinn­ma­xi­mie­rung schau­en, werden mit dem Chiem­gau­er wenig anfan­gen können. Denn je nach­dem, was ein Betrieb produ­ziert, kostet dieses Geld mitun­ter mehr als es der Firma bringt. Was Domi­nik Sennes von der St. Leon­hards Vertriebs GmbH bei einer Podi­ums­dis­kus­si­on zum Auftakt des Kongres­ses bestä­tig­te. „Wir müssen 90 Prozent der CHIEMGAUER zurück­tau­schen“, so der Gemein­wohl­öko­nom, der bei St. Leon­hard für nach­hal­ti­ge Entwick­lung zustän­dig ist. Der Rück­tausch kostet. Dennoch sieht es die Firma als sinn­voll an, sich beim Chiem­gau­er zu betei­li­gen: „Wir wollen ein Bewusst­sein für das Geld­we­sen schaffen.“ …

Zum 90. Geburtstag von Helmut Creutz – versch. Gratulanten 0

Zum 90. Geburtstag von Helmut Creutz – versch. Gratulanten

Für Helmut Creutz ans andere Ende der Welt

Um Helmut kennen­zu­ler­nen, musste ich einen ziem­li­chen Umweg in Kauf nehmen. 17.717 Kilo­me­ter, um genau zu sein. Von meinem Studi­en­ort Leip­zig aus hatte es mich im Jahr 2000 nach Neusee­land verschla­gen. Dort wollte ich während eines Urlaubs­se­mes­ters mein Englisch verbes­sern. Und ich war auf der Suche nach neuen Ideen…

Helmut Creutz 2013
Foto: Privat
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Helmut Creutz – Die andere Sicht auf die Dinge

„Was ist das über­haupt für eine Wissen­schaft, in der man – abge­se­hen von weni­gen Ausnah­men – die entschei­den­den Ursa­chen unse­rer wesent­li­chen Mise­ren und Zwänge nicht wahr­nimmt und uns damit ohne gang­ba­re Auswe­ge in die Zukunft entlässt?“  Offen­bar muss man außer­halb des Wissen­schafts­be­trie­bes der Schul­öko­no­mie stehen, um seinen Blick für Zusammenhänge…

Helmut Creutz 2013
Foto: Privat
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Sommertagung in Wuppertal 13. und 14. Juli 2013

Welch schö­ner Anlass: Helmut Creutz feiert am 8. Juli seinen 90. Geburts­tag. Kurz darauf, am 13. und 14. 7. werden er und viele andere auf unse­rer dies­jäh­ri­gen Sommer­ta­gung anwe­send sein. Das Programm finden Sie hier als PDF-Datei. Anmel­dun­gen sind mit diesem Formu­lar möglich. (Auf die blaue Schrift klicken)

Weder Armut noch Überfluss – Pat Christ 0

Weder Armut noch Überfluss – Pat Christ

Hans Diefen­ba­cher über die neue (Arbeits)Freiheit in der Postwachstumsgesellschaft

Unter dem Komman­do der Wachts­ums­ideo­lo­gen wird geschuf­tet auf Teufel komm raus. Arbeit ist in unse­rer Gesell­schaft von höchs­tem Wert. Aller­dings nur die Erwerbs­ar­beit. Andere Arbeit findet zwar zuhauf statt. Doch wird sie nicht entlohnt. Und schon gar nicht wert­ge­schätzt. „Hier bedarf es einer Verän­de­rung des gesell­schaft­li­chen Moni­to­rings“, fordert der Umwelt­öko­nom Profes­sor Hans Diefen­ba­cher von der Forschungs­stät­te der Evangelischen
Studi­en­ge­mein­schaft (FEST).

Die Plau­si­bi­li­tät von Wachs­tum als höchs­tes wirt­schafts­po­li­ti­sches Ziel steht zuneh­mend in Frage. Zwar wird es durch Wachs­tum – rein theo­re­tisch – möglich, immer mehr zu konsu­mie­ren. Doch laut Diefen­ba­chers Analy­sen steigt die Lebens­zu­frie­den­heit dadurch nicht an. Oft ist sogar das Gegen­teil der Fall. Denn zu viel bleibt auf der Stre­cke. In einer rein auf das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) ausge­rich­te­ten Gesell­schaft haben etwa Haus­ar­beit oder Ehren­amt kaum einen Wert. Dennoch zielen die Appel­le der Poli­ti­ker und Poli­ti­ke­rin­nen einzig auf ein Hinauf­trei­ben des BIP als unan­ge­foch­te­nes Ziel ab.

Nicht nur Poli­ti­kern diesen Star zu stechen, darum bemü­hen sich Aufklä­rer wie Hans Diefen­ba­cher immer inten­si­ver. So zeigt der Heidel­ber­ger Forscher auf, dass ab einem bestimm­ten Einkom­men eine klare Entkopp­lung der Verbin­dung zwischen Wirt­schafts­wachs­tum und der empfun­de­nen Lebens­qua­li­tät stattfindet.

Die Grenzen der Postwachstumsforschung – Pat Christ 0

Die Grenzen der Postwachstumsforschung – Pat Christ

HUMANE WIRTSCHAFT sprach mit Mitglie­dern der Bundes­tags-Enquete­kom­mis­si­on „Wachs­tum – Wohl­stand – Lebensqualität“

Die Ener­gie­wen­de sei gera­de­zu eine Probe aufs Exem­pel, inwie­weit sich „green growth“ erfolg­reich umset­zen lässt – dies verkün­de­te Franz Fehrenbach
von der Robert Bosch GmbH im Febru­ar bei einer Green­tech-Konfe­renz in Frank­furt. Bosch sieht in der Ener­gie­wen­de vor allem eines: Wachstumschancen.
Und genau darum scheint es in Deutsch­land nach wie vor zu gehen. Trotz zuneh­men­der Wachs­tums­kri­tik. Und einer Enquete­kom­mis­si­on, die den Stel­len­wert von Wachs­tum eben­falls kritisch hinterfragt.

Vor rund drei Jahren ließ Angela Merkel verlau­ten: „Wir müssen lernen, den Wachs­tums­be­griff neu zu defi­nie­ren.“ Anfang 2011 äußer­te sie in einer Grund­satz­re­de gar, es sei einer der „der fatals­ten Irrtü­mer“ auf den Finanz­märk­ten, „dass man das Wachs­tum über alles gesetzt hat“. Viel­leicht klang das seiner­zeit gut. Zwischen­zeit­lich scheint Merkel jeden­falls verges­sen zu haben, was sie damals gesagt hat.

Wachstum im Euro-Raum durch Geldpoltik 0

Wachstum im Euro-Raum durch Geldpoltik

EU-Streit über Spar­kurs: Wie Barro­so sich kurz eine eigene Meinung erlaub­te http://tinyurl.com/cv73g37 Dazu 2 EB-Leser­­kom­­men­­ta­­re vom 24.02.2013 gegen 02:00 Uhr:  Wachs­tum ist ohne Staats­aus­ga­ben möglich Barro­so hat rich­tig fest­ge­stellt, dass die Rezes­si­on im Euro-Raum uner­träg­lich für die Bürger ist. Auch Deutsch­land beginnt darun­ter zu leiden und auch bei uns ist die…

Wachstum im Euro-Raum durch Geldpoltik 0

Wachstum im Euro-Raum durch Geldpoltik

EU-Streit über Spar­kurs: Wie Barro­so sich kurz eine eigene Meinung erlaub­te Kommen­tar: Wachs­tum ist ohne Staats­aus­ga­ben möglich Barro­so hat rich­tig fest­ge­stellt, dass die Rezes­si­on im Euro-Raum uner­träg­lich für die Bürger ist. Auch Deutsch­land beginnt darun­ter zu leiden und auch bei uns ist die Abwahl der Bundes­re­gie­rung deswe­gen nicht mehr undenkbar,…

Negativ- bzw. Minuszins – oder  Zinssenkung durch Umlaufsicherung? – Helmut Creutz 0

Negativ- bzw. Minuszins – oder Zinssenkung durch Umlaufsicherung? – Helmut Creutz

Zinsen im Minus­be­reich, bisher eher
als ein Unwort gemie­den, hatte die FAZ
bereits am 18. Dezem­ber 2012 unter
der Über­schrift „Das Gespenst der negativen
Leitzinsen“[1] behan­delt. Inzwischen
wurde das Thema im in weiteren
Zeitun­gen aufge­grif­fen, bis hin zur
„Neuen Zürcher Zeitung“[2], in der man
sich auch an die Ideen Gesells und dessen
Vorschlä­ge zu einer Belas­tung der
Bargeld­hal­tung erinnerte.
Wie kam es
zu diesen Diskussionen?
Auslö­ser waren die Über­an­stie­ge der
von der EZB den Banken eingeräumten
Geld­mit­tel, die eigent­lich als Sicherheiten
deren Kredit­ge­schäf­te beleben
soll­ten. Statt­des­sen aber wurden diese
von den Banken bei der Zentral­bank in
jenen Bestän­den geparkt, die man unter
dem Begriff „Basis­geld“ zusammenfasst.
– Dieses Basis­geld addiert sich
wieder­um aus dem Banknotenumlauf,
den Mindest­re­ser­ven und jenen so genannten
Einla­ge­fa­zi­li­tä­ten, auf denen
die Banken – wenn über­haupt – normalerweise
nur ganz gerin­ge Überschüsse
zwischen­par­ken und das meist nur
über Nacht. Die Mindest­re­ser­ven dage-
1 siehe: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/
anlei­hen-zinsen/­geld­po­li­tik-das-gespenst-der-nega­ti­venleit­zin­sen-
11996945.html
2 Vgl.: http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/
wirt­schafts­nach­rich­ten/ist-der-mone­ta­ris­mus­wi­der­legt-
1.17937413
gen entspre­chen den Zwangseinlagen,
die von allen Banken bei der Zentralbank
gehal­ten werden müssen.

Vom Geld und anderen Gemeingütern – Pat Christ 0

Vom Geld und anderen Gemeingütern – Pat Christ

„Gemein­gut in Bürge­rIn­nen­hand“ nennt sich ein Verein, der für die Bewah­rung und Demo­kra­ti­sie­rung aller öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen und für die gesell­schaft­li­che Verfü­gung über die natur­ge­ge­be­nen Gemein­gü­ter eintritt. Wasser, Bildung, Mobi­li­tät, Ener­gie und vieles andere sollen wieder demo­kra­tisch kontrol­liert werden. Das erste Projekt 2011 war die Kampa­gne „Wollt-ihrwis­sen“ zum Wasser-Volks­ent­scheid in Berlin. Dabei ging es um die Offen­le­gung von PPP-Geheim­ver­trä­gen. Zahl­rei­che GiB-Akti­vis­tIn­nen bekämp­fen vor Ort in ihren Städ­ten und Gemein­den Priva­ti­sie­rungs­be­stre­bun­gen. Hierzu gehö­ren attac-Grup­pen, lokale Zusam­men­schlüs­se gegen Public Priva­te Part­ner­ship (PPP) und gegen die Bahn­pri­va­ti­sie­rung, sowie lokale Anti­pri­va­ti­sie­rungs­bünd­nis­se. Der Verein selbst ist orga­ni­sa­to­risch und poli­tisch unabhängig.

Reich & Arm © Pat Christ
Foto: © Pat Christ
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Warum die Politik Armut will – Pat Christ

„Logik der Ökono­mie – Krise der Arbeit“ heißt ein Taschen­buch aus dem Jahr 2001, das Franz Segbers zusam­men mit Uwe Becker und Micha­el Wiedemey­er veröf­fent­licht hatte. Fünf Jahre später erschien gemein­sam mit Jürgen Klute „Gute Arbeit verlangt ihren gerech­ten Lohn.“ Aktu­ell lässt der Theo­lo­ge wieder mit einem brisan­ten Thema aufhor­chen: „Reich­tum ist gewollt – Armut auch!“ Vor allem mit Studie­ren­den disku­tiert Segbers darüber, welche Ursa­chen die neue Armut im reichen Land Deutsch­land hat. Wachs­tums­ideo­lo­gie und unge­zü­gel­ter Fort­schritts­glau­be haben offen­sicht­lich nicht erfüllt, was sie seit jeher verspre­chen: Dass es allen Menschen besser gehen wird, wenn wir nur mehr und immer mehr produ­zie­ren. Im Gegen­teil, so Segbers: „In Deutsch­land war die Armut prak­tisch bekämpft. Sie war ledig­lich ein Phäno­men von Rand­grup­pen.“ Vor allem Alters­ar­mut war lange Zeit kein brisan­tes Problem. Jetzt ist diese Proble­ma­tik zurückgekehrt.
Was kein Zufall ist. Deutsch­lands Poli­ti­ker verzö­ger­ten und verlang­sam­ten den sozi­al­po­li­ti­schen Fort­schritt, der sich seit dem 2. Welt­krieg entwi­ckelt hatte, nicht nur, sondern dräng­ten ihn gera­de­zu zurück. Obwohl die Wirt­schaft in den vergan­ge­nen Jahren stetig wuchs, kam es plötz­lich wieder dazu, dass heute viele Menschen nach dem Renten­ein­tritt nicht mehr genug Geld zur Verfü­gung haben, um ihren Lebens­stan­dard zu halten. Sie müssen in schlech­te Wohnun­gen ziehen und sich von dem ernäh­ren, was die Tafel­lä­den bieten.

Schulden machen, um Zinsen bezahlen zu können – Helmut Creutz 0

Schulden machen, um Zinsen bezahlen zu können – Helmut Creutz

Wie der Staat durch Schul­den­auf­nah­me die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet.

In der Darstell­lung sind sowohl die jähr­li­chen Neukre­dit­auf­nah­men der Öffent­li­chen Haus­hal­te in Deutsch­land (gelbe Säulen) als auch die jähr­li­chen Zins­zah­lun­gen in Mrd. Euro (dunkle Kurve) wieder­ge­ge­ben, zusätz­lich im unte­ren sepa­ra­ten Teil außer­dem die durch­schnitt­li­chen Ertrags-Zins­sät­ze der Banken (= Zins­er­trä­ge in Prozent der durch­schnitt­li­chen Bilanz­sum­me). Wie aus dem Vergleich mit diesen Zins­kur­ven deut­lich wird, stie­gen in Folge der Hoch­zins­pha­sen 1974, ‑82
und ‑93 jeweils sowohl die Zins­zah­lun­gen als auch die Neukre­dit­auf­nah­men des Staa­tes deut­lich an.

Darstellung Nr. 034/043 © Helmut Creutz 1

Erläuterungen von Helmut Creutz zur seiner Darstellung Nr. 034043

In der Darstel­lung werden, bezo­gen auf den Zeit­raum 1950 bis 2010 und den deut­schen Wirt­schafts­raum, den Entwick­lun­gen der Geld­ver­mö­gen im oberen Teil der Grafik die der Verschul­dun­gen im unte­ren Teil gegen­über gestellt.
Wie aus den einge­tra­ge­nen nomi­nel­len Milli­ar­den­be­trä­gen hervor­geht, nahmen beide Größen in den 60 Jahren auf etwa das 220- bzw. 260-fache zu. Umge­rech­net in Prozen­ten des BIP, also gemes­sen an der Wirt­schafts­leis­tung stie­gen sie auf gut
das Fünf­fa­che und erreich­ten 2010, mit Größen von 320% bzw. 305% des BIP, mehr als das Drei­fa­che der Wirt­schafts­leis­tung! – Die zusätz­lich einge­tra­ge­nen lang­fris­ti­gen Trend­li­ni­en lassen die Über­ent­wick­lun­gen der Größen durch den Börsen­boom um 2000 ebenso erken­nen wie den nach­fol­gen­den Einbruch durch die Finanzmarkt-Krisen.

Wer stirbt? Wer bleibt übrig? – Wolfgang Berger 0

Wer stirbt? Wer bleibt übrig? – Wolfgang Berger

Finan­zi­el­le Massen­ver­nich­tungs­waf­fen fahren die Ernte ein. 

Nied­ri­ge Hypo­the­ken­zin­sen und die Erwar­tung stei­gen­der Immo­bi­li­en­prei­se haben auch „Subprime“-Kreditnehmer (mit schlech­ter Boni­tät) zu Haus­ei­gen­tü­mern gemacht. Diese Kredi­te wurden zu „Deri­va­ten“ gebün­delt und mit kurz­fris­ti­gen Rück­kauf­ver­ein­ba­run­gen („Repos“ = Sale and Repurcha­se Agree­ment) weiter­ver­kauft. So kam erst einmal Geld in die Kasse. Bear Sterns und Lehman Brot­her (USA) brachen 2008 zusam­men, als sie Rück­kauf­ver­pflich­tun­gen nicht erfül­len konn­ten. Das aber waren nur Testläufe.

Früher wurden Kredi­te gegen Sicher­hei­ten verge­ben. Jeder Haus­ei­gen­tü­mer weiß das. Deri­va­te in Verbin­dung mit Repo-Geschäf­ten schöp­fen Geld ohne Sicher­hei­ten. Die eine Bank nimmt, die andere gibt – und das im Kreis­lauf ad infi­ni­tum. Das Geld kommt nicht in die Real­wirt­schaft, die dem Finanz­sek­tor gleich­gül­tig ist. Deshalb löst es keine Infla­ti­on aus. Der Kreis­lauf hat sich zum Killer-Spiel entwi­ckelt: Live and let die (Lebe und lasse ster­ben). Als Bear Sterns zusam­men­brach war JP Morgan Chase der Sieger. Von Lehman Brot­hers Unter­gang haben die briti­sche Barclays und Gold­man Sachs profitiert.

Der Test hat funk­tio­niert. Gold­man Sachs hat mit Hank Paul­son als USFi­nanz­mi­nis­ter mehre­re Geset­ze durch­brin­gen lassen, die Deri­va­te in safe havens (siche­ren Häfen) verwan­delt haben. Das bedeu­tet: Eine Bank, die Wert­pa­pie­re über Deri­va­te besitzt, kann diese beim Konkurs der Schuld­ner­bank behal­ten. Durch zwei EU-Direk­ti­ven haben Deri­va­te-Besit­zer auch in Europa bevor­zug­ten Gläu­bi­ger­sta­tus. Während es im regu­lä­ren Insol­venz­recht eine Bevor­zu­gung von Gläu­bi­gern nicht gibt, ist sie bei Deri­va­ten jetzt die Norm.

Nun konnte der nächs­te Test­bal­lon stei­gen: Mit MF Global war in 2010 eine US-Bank das Opfer, die Einla­gen von 38.000 Kunden verwal­te­te und Farmern mit Waren­ter­min­ge­schäf­ten die Einnah­men nach der Ernte absi­cher­te. Insge­samt 1,2 Milli­ar­den Dollar sind verschwun­den; tausen­de Farmer haben ihr gesam­tes Vermö­gen verlo­ren. Bran­chen­ken­ner vermu­ten, dass die 1,2 Milli­ar­den über Deri­va­te bei JP Morgan gelan­det sind. Niemand ist verhaf­tet worden; es ist alles nach Recht und Gesetz abge­wi­ckelt worden.

Die EU-Banken-Regu­lie­rung soll uns beru­hi­gen. Die belgisch-fran­zö­si­sche Dexia, die Darle­hen an Kommu­nen verge­ben hat, ist im „Stress-Test“ der Euro­päi­schen Banken­auf­sicht mit der Best­no­te bewer­tet worden und kurz darauf in Schwie­rig­kei­ten gera­ten. Belgi­en, Frank­reich und Luxem­burg muss­ten in 2011 Staats­ga­ran­tien in Höhe von 90 Milli­ar­den Euro geben. Gewin­ner waren dies­mal Banken in Canada, Hong­kong und das Emirat Katar. Ihnen allen geht es darum, system­re­le­vant zu werden: so groß, dass sie bei einem Schei­tern geret­tet werden müssen („too big to fail“) – Voll­kas­ko für Raub­über­fäl­le auf Kosten der Steuerzahler.

Hedge-Fonds betrei­ben das Deri­va­te­ge­schäft unter der Tisch­kan­te der regu­lier­ten Banken in einer atem­be­rau­ben­den Größen­ord­nung weiter. Die offi­zi­el­len Bank­bi­lan­zen sehen sauber aus; die Risi­ken werden verschlei­ert. Die mäch­tigs­te Bank der Welt, die Base­ler Bank für Inter­na­tio­na­len Zahlungs­aus­gleich (BIZ) hat dem ihren Segen erteilt. Ist es ein Plan, verwund­ba­re Banken oder schwa­che Natio­nen auszu­rau­ben? Was jetzt noch fehlt ist ein Crash-Ereig­nis, das die großen Spie­ler brau­chen, um Wett­be­wer­ber abzu­schie­ßen. Niemand wird bei der Enteig­nung ein Gesetz verlet­zen oder bestraft werden. Es ist alles gut vorbe­rei­tet. Es wird viele Verlie­rer geben und wenige strah­len­de Sieger. Dann ist „too big to fail“ passé; für Regie­run­gen gilt dann „too week to act“ (zu schwach zum Handeln): sie sind den großen Spie­lern untertan.

Prof. Frithjof Bergmann – Foto: Pat Christ
Foto: © Pat Christ
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Mit Freu(n)den den Wandel gestalten – Ein Bericht von Pat Christ

Der Bauer auf seiner Schol­le kannte noch keine Stech­uhr. Seine Arbeit war zwei­fel­los hart. Sicher oft sehr hart. Doch hätte man früher je von einem Land­wirt mit Burn-out gehört? Lange stand die Art und Weise, wie der Bauer seinen Lebens­un­ter­halt verdien­te, für den größ­ten Teil der Bevöl­ke­rung als Synonym für „Arbeit“. Vor 200 Jahren, so Frith­jof Berg­mann, änder­te sich das. Es begann ein Arbei­ten, das die Menschen erschöpf­te. Und sie, bedingt durch das neue Arbeits­sys­tem, in „Reiche“ und „Arme“ spal­te­te. So zumin­dest der allgemeine
Sprach­ge­brauch. Frith­jof Berg­mann, Philo­so­phie­pro­fes­sor und Erfin­der des Konzepts der „Neuen Arbeit“, spricht lieber von „Oasen­men­schen“
als von „Reichen“ und von „Wüsten­men­schen“ als von „Armen“. Etwa 80 Prozent der Mensch­heit gehö­ren letz­te­rer Gruppe an, so der Forscher
bei seinem unge­wöhn­li­chen Auftakt zur Jahres­fei­er 2012 der HUMANEN WIRTSCHAFT in der Silvio-Gesell-Tagungs­stät­te. Und es werden unwei­ger­lich immer mehr. Denn in der tech­no­lo­gi­sier­ten und globa­li­sier­ten Welt gibt es nicht mehr genug bezahl­te Arbeit für alle. Weshalb Berg­mann in Detroit seit langem ein neues Arbeits­sys­tem entwickelt.

Hot Euro, © Martin Bangemann, bestmoose.de 2

Vollgeld… – Helmut Creutz

Ein Beitrag zur Lösung unse­rer Geld­pro­ble­me oder zur weite­ren Verwir­rung? – Versuch einer Klärung
„Mit der Einfüh­rung des Voll­gel­des wäre … mit einem Schlag die Euro­kri­se been­det. Die bestehen­den Staats­schul­den aller Euro­län­der wären kein Problem mehr und die Finanz­märk­te wären froh, wenn sie über­haupt noch Staats­an­lei­hen zum Kauf finden. Die Euro­staa­ten könn­ten sich entspannt auf die Einhal­tung des Fiskal­pak­tes und der Schul­den­brem­se und den Ausgleich der Handels­de­fi­zi­te konzen­trie­ren, so dass keine neuen lang­fris­ti­gen Staats­schul­den mehr entste­hen.“ [Aus einem Papier des Vereins „ Initia­ti­ve Moneta­ti­ve“ von Thomas Mayer]

© Pat Christ
Foto: © Pat Christ
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Nicht mehr länger nur Mainstream – Pat Christ

Dass ein ange­hen­der Maschi­nen­bau­er ein recht strik­tes Studi­um durch­lau­fen muss, mit viel Mathe­ma­tik, Tech­ni­scher Mecha­nik, Elektrotechnik
und Inge­nieur­geo­me­trie, das leuch­tet noch ein. Doch eine Volks­wir­tin? Die sollte, wie jede andere Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, ein wesent­lich freie­res Curri­cu­lum haben. Hat sie de facto aber nicht. Woge­gen das deutsch­land­wei­te „Netz­werk Plura­le Ökono­mik“ Sturm läuft. In einem Offe­nen Brief fordern die Akteu­re eine Neuge­stal­tung der Volks­wirt­schafts­leh­re. Jeden Montag gibt es an der Univer­si­tät Bayreuth nach­mit­tags Übun­gen zur Vorle­sung „Mathe­ma­ti­sche Grund­la­gen für Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler“. Am Donners­tag wird bereits um 8 Uhr am Morgen eine (zwei­stün­di­ge) Frage­stun­de ange­bo­ten. Auch da geht es um mathe­ma­ti­sche Grund­la­gen. Am Montag­vor­mit­tag versam­meln sich die Studen­tin­nen und Studen­ten mit der Matri­kel-Endzif­fer 0 bis 5 im Audi­max, um sich Kennt­nis­se über statis­ti­sche Metho­den anzu­eig­nen. Übun­gen zu jenen Metho­den stehen in Bayreuth am Diens­tag­nach­mit­tag auf dem Programm. Am Vormit­tag dieses Tages geht es in einem Inten­siv­kurs um das indus­trie­öko­no­mi­sche Thema „Markt und Wettbewerb“.

Prof. Dr. Dr. Wolfgng Berger 0

Die globale Finanz- und Schuldenkrise – Wolfgang Berger

Richard Portes, Profes­sor an der „London School of Econo­mics“ gilt als bedeu­tends­ter Ökonom Groß­bri­tan­ni­ens. In 2007 schreibt er: „…
the inter­na­tio­na­li­sa­ti­on of the Icelan­dic finan­cial sector is a remar­kab­le success story that the markets should better acknow­ledge“ (die erfolg­rei­che globa­le Ausrich­tung des islän­di­schen Finanz­sek­tors sollte die Märkte mehr beein­dru­cken). Frede­ric S. Mish­kin – Ökonomieprofessor
an der „Colum­bia Univer­si­tät New York“ und ehema­li­ger Präsi­dent der US-Zentral­bank – veröf­fent­licht in 2007 einen Aufsatz „Finan­cial Stabi­li­ty in Iceland“ (Die finan­zi­el­le Stabi­li­tät Islands). Die islän­di­sche Zentral­bank zahlt ihm dafür 124.000 Dollar [http://de.wikipedia.org/wiki/Frederic_Mishkin].

Die „Lebensleistungsrente“ ist eine Wohlverhaltensrente 1

Die „Lebensleistungsrente“ ist eine Wohlverhaltensrente

Nach­fol­gend finden Sie meinen Leser­brief zum FAZ-Wirt­­schafts­­­lei­t­ar­­ti­kel vom 06.11.2012 – Seite 11. Sie finden den FAZ-Leit­ar­­ti­kel im Inter­net unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/rentenpolitik-lohn-fuer-lebensleistung-11950966.html In der SffO-Tagung am kommen­den Wochen­en­de in Bad Boll Gene­ra­ti­ons­ver­trag und Grund­ein­kom­men Ergän­zung oder Wider­spruch? wollen wir diesen Fragen auf den Grund gehen. Sie finden das Programm unter http://www.sffo.de/sffo/sffo_20121110_Gen-Vertrag_fly.pdf Offen­sicht­lich sucht…

„Leider fehlt es noch an Kraft und Mut“ – Pat Christ 0

„Leider fehlt es noch an Kraft und Mut“ – Pat Christ

Nur eine splee­ni­ge Spie­le­rei? Vor allem für ältere, einst in öffent­li­chen Ämtern aktive Menschen ist es schwer, sich auf das Thema
„Regio­geld“ einzu­las­sen, sagt Petra Berger­mann vom Schwa­ba­cher Verein Regio-Mark: „Sie haben nun einmal im gege­be­nen System als Funk­tio­när funk­tio­niert.“ Die mitt­le­re Gene­ra­ti­on nehme das, was sie über die Bedeu­tung von regio­na­lem Geld erzäh­le, immer­hin zur Kennt­nis. Doch leider fehle es hier an Zeit, Kraft und Mut, sich für eine Geld­re­form einzusetzen.