Die größere humanitäre Geste – Johannes Korten, Interview mit Ilija Trojanow
Johannes Korten führte das Interview mit Ilija Trojanow -
Ende Dezember 2013 hat GLS Online-Redakteur Johannes
Korten in Stuttgart den Schriftsteller und Autor Ilija Trojanow
getroffen. Im Gespräch ging es um die Datensammelwut von
Staaten und Unternehmen, fehlendes Bürgerengagement,
innere Widersprüche und die Arbeit als Schriftsteller. Ilija
Trojanow ist Kunde und Mitglied der GLS Bank.
»Mit Gewalt kann der Mensch nehmen,
aber nicht geben.« (Ilija Trojanow)
„Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
und die Verhinderung anlassloser Generalüberwachung
sind zentrale Themen, für die Sie sich immer
wieder und mit großem Engagement einsetzen.
Was treibt Sie dabei ganz persönlich an?“
„Die Frage ist eher, wieso spüre ich diesen Zugriff
und andere nicht? Die Motivation ist ja meistens
wirklich so ein Bauchgefühl, so eine Unerträglichkeit.
Stellen Sie sich vor, jemand guckt Ihnen über
die Schulter und schaut, was Sie gerade in Ihr Handy oder in
Ihren Computer tippen. Da kann und wird wahrscheinlich jeder
von uns mit Ablehnung reagieren oder mit Abwehr. Wie
kann es aber sein, dass Menschen es nicht als Übergriff, als
Repression, als Verachtung ihrer Würde empfinden, dass
Staaten und Großkonzerne sie in dieser Art überwachen, kontrollieren
und ihre Daten nach Belieben verwenden. Ich persönlich
empfinde das als nicht erträglich und kann mir auch
eine Gesellschaft, die halbwegs human ist und so etwas akzeptiert,
nicht vorstellen.“
„Was glauben Sie, worin diese Lethargie, diese
Gleichgültigkeit begründet ist? Warum bleibt dieser
Aufschrei, warum bleibt diese Wehrhaftigkeit in
weiten Teilen der Gesellschaft aus?“
„Ich glaube, es gibt ein grundlegendes Problem.
Wir bilden uns ein, wir seien demokratisch verfasst.
Dabei unterliegt – so glaube ich – unsere Ausbildung
und unsere Konditionierung weiterhin einer
uralten Logik, die alles andere als demokratisch ist, sondern
hierarchisch, eher gehorsam folgend als selbstbestimmt denkend
und agierend. Von den Menschen wird eher ein Mitschwimmen,
ein Mitlaufen, ein Kuschen verlangt, als dass
das demokratische Ideal eines selbstbestimmten Individuums
verwirklicht wäre, das sich Gedanken macht, hinterfragt,
kritisch agiert, sich engagiert und immer wieder diese Freiheit
für sich selber und seine Zeit erkämpft, verteidigt und erweitert.
Zumal Widerstand ja auch anstrengend ist und von
einem selbst ausgehen muss. In unserer Gesellschaft herrscht
ja das Prinzip der Fremdversorgung. Dissens wird aber nicht
bereitgestellt. Das muss man sich selbst erarbeiten.
Die meisten Leute haben das Gefühl, irgendwie wäre
ihnen eine vage formulierte Freiheit gewährleistet. Manche
setzen diese Zuversicht mit unserem Grundgesetz und den
darin verbrieften Bürgerrechten in Beziehung. Aber viele erliegen
dem Irrtum, diese Freiheit sei so stabil wie die Mauern
ihres Hauses. Das ist ein großes Missverständnis. Ich
glaube nicht, dass dieses System tatsächlich ein Interesse
daran hat, den von mir erwünschten freien und freiheitlich
denkenden kritischen Menschen zu erzeugen. Im Gegenteil,
wenn man sich anschaut, was in den letzten zehn Jahren
passiert ist, Stichwort Bildungsreform, geht es ja genau
in die entgegengesetzte Richtung: Freiräume verengen und
noch mehr zuspitzen auf ganz bestimmte, meist wirtschaftlich
relevante Tätigkeiten.“
„Das klingt ja wenig optimistisch. Wo sehen Sie
denn Chancen, dieses Verhalten aufzubrechen, die
Menschen dahin zu bewegen, die richtigen Fragen
zu stellen und quasi eine Systemveränderung in Ihrem
Sinne herbeizuführen?“
„Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass die genaue
Analyse der herrschenden Verhältnisse eine
pessimistische Haltung zum Ausdruck bringt. Im
Gegenteil, genau das gibt uns Ermutigung. Wir können
keinen Mut fassen und wir können eine andere, bessere
Welt überhaupt nicht imaginieren, geschweige denn ihr entgegengehen,
wenn wir nicht ein klares Verständnis davon haben,
was uns im Moment einengt, was uns bindet, uns in unseren
Möglichkeiten begrenzt, genauso wie ein Verständnis
der Fehlerhaftigkeiten, der inneren Widersprüche, der Risse
dieses Systems absolut unerlässlich ist, um eine sinnvolle alternative
Arbeit zu machen. Das Alternative beinhaltet ja semantisch,
dass man sich abgrenzt vom Existierenden, und
um das sinnvoll zu tun, muss man ja die Fehler des Existierenden
erst mal begreifen, um dann einen besseren Weg einzugehen.
Meine Hoffnung gründet auf zwei Sachverhalte: Zum einen die
Geschichte der Freiheit. Es ist faszinierend zu sehen, dass Menschen
immer wieder gegen alle möglichen Widerstände in verschiedener
Weise aufbegehren. Wir haben das in den letzten
Jahren international erlebt, Stichwort Brasilien, arabische Welt,
Länder, in denen niemand, selbst die Spezialisten, das erwartet
hatten; Zum anderen mein Zweckoptimismus. Mit dem
enormen Privileg eines Schriftstellers, sehr viel Zeit zu haben,
beschäftige ich mich seit 20 Jahren mit dieser Entwicklung. Die
katastrophalen Folgen des globalisierten Kapitalismus sind
nicht Entwicklungen, die man achselzuckend wie medikamentöse
Nebenwirkungen hinnehmen kann. Die gegenwärtige Entwicklung
stellt das Wesen von Humanität an sich in Frage.“
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