Warum gibt es keine politischen Gedichte mehr? Diese Frage schwang mit, als die Zeit im März 2011 ihr Projekt „Politik und Lyrik“ aus dem Boden stampfte. Eine alte Form der politischen Auseinandersetzung sollte wiederbelebt werden, eine Form die „schärfer und witziger“ sein konnte als Artikel oder Fotos – meinten die Redakteure. Die Frage, warum es keine politischen Gedichte mehr gab oder gäbe, war für die Initiatoren schnell beantwortet: Angeblich weil wir in einem ideologiefreien Zeitalter lebten, in dem parteipolitische oder gar agitatorische Inhalte nicht mehr gefragt seien. Interessant, dachte ich mir – interessant, weil ich glaube, dass die Welt sich niemals tiefer in eine Ideologie verstrickt hat, als das gegenwärtig der Fall ist. Nur dass die Urheber dieser Ideologie kaum bekannt sind und nicht den Status genießen, den man Ideologiestiftern in früheren Zeiten einräumte. Das aber hängt eng mit ihren Glaubenssätzen zusammen, die Freiheit und Individualität zum Zentrum der neuen Lehre erklären. Mit fast schon religiösem Sendungsbewusstsein setzt uns die Maschinerie der Massenmedien alltäglich jenen Glaubenssätzen aus und programmiert uns zu Sklaven einer Minderheit von Globalisierungsprofiteuren. Diese Minderheit bezeichnet sich selbst gern als ideologiefrei und wissenschaftsorientiert, ohne über die damit verbundenen Vorteile viele Worte zu verlieren. So wirksam ist die Gehirnwäsche, dass der uninformierte Mitläufer selbst in den tiefsten Krisen noch nach jenen Problemlösern schreit, die unsere Probleme erst verursacht haben. Da herrscht keinerlei Einsicht, kein Hauch der Hoffnung.
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