Vereinigte Staaten von Europa?
Unter der Überschrift „Entweder – oder“ hat Mark Schieritz in DIE ZEIT vom 31.08.2012 auf Seite 3 sauber dargelegt, dass eine falsche Alternative diskutiert wird. Und er lenkt den Blick auf Konstruktionsfehler der Währungsunion, die zum Teil schon behoben sind. Dafür gebührt ihm große Anerkennung. Wer ihm folgt, kann endlich wieder Hoffnung schöpfen, dass die aktuellen Probleme in absehbarer Zeit – entgegen der verbreiteten, politisch gefährlichen Stimmungslage – doch lösbar sind.
Dazu muss aber auch noch die Angst der Politiker und der Bevölkerung vor Staats- und vor Bankenpleiten überwunden werden. Beide sind heute nur deshalb ein Horrortrip, weil sachgerechte Insolvenzverfahren fehlen. Das Bailout-Verbot wurde aus genau diesem Grunde von den Groß-Anlegern als leere Drohung behandelt und von den Staaten (erwartungsgemäß) nicht eingehalten.
Ein sachgerechtes Insolvenzverfahren für Euro-Mitgliedstaaten führt zum weitgehenden Schuldenerlass und zur Wiederherstellung der Kapitalmarktfähigkeit. Ein solches Verfahren zu schaffen, bedeutet „mehr Europa“, aber andererseits Respekt vor der Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten. Ich habe das hier schon in einem früheren Beitrag zum Bailout-Verbot näher ausgeführt. Horst Köhler sagte als Bundespräsident schon am 22.03.2010 in einem FOCUS-Interview (Seite 5 und 6) es sei „an der Zeit, das für viele Undenkbare zu denken: Wir brauchen geordnete Insolvenzverfahren nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Staaten.“
Auf den Finanzmärkten gibt es private Einrichtungen (Banken), die zu groß sind, um Pleite zu gehen, ohne dass es zu unvorhersehbaren und unbeherrschbaren Turbulenzen kommt. Da stellt sich erstens die Frage, ob solche Einrichtungen eine so gefährliche Größe erlangen und behalten dürfen. Das ist eine Frage des europäischen Monopol- und Kartellrechts. Darüber hinaus fehlen aber auch Regeln für eine wirksame Banken- und Finanzmarktaufsicht auf europäischer Ebene für private Institutionen, die zu groß sind, um von ihren Sitzländern notfalls aufgefangen oder abgewickelt zu werden. Staaten dürfen durch Private nicht erpressbar sein. Hier brauchen wir nach dem Subsidiaritätsprinzip „mehr Europa“, um „systemrelevante“ Finanzinstitute entweder auffangen oder abwickeln zu können. Bankenschulden dürfen künftig nicht mehr wie in Irland oder Spanien zu Staatsschulden werden. Der ESM ist nur ein erster Schritt in diese Richtung. Private Unternehmen müssen für Fehlverhalten haften; wenn sie versagen, sind sie zu restrukturieren oder aufzulösen; ihre Gläubiger sind zu beteiligen, soweit ihnen nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes eine Einlagensicherung (zwangsweise, aber genossenschaftlich) garantiert wird. Der Zahlungsverkehr ist auch im Abwicklungsfalle aufrechtzuerhalten.
Der vom Sachverständigenrat empfohlene Schuldentilgungsfonds für Altschulden sollte dann eigentlich nicht mehr notwendig sein. Vielleicht ist er politisch unvermeidlich, um die Insolvenzordnung für Staaten und systemrelevante Banken einerseits für einen Teil der Altschulden überflüssig (unanwendbar), aber andererseits für die verbleibenden und vor allem die künftigen Schulden durchsetzbar zu machen. Denn nur diese europarechtlichen Insolvenzordnungen geben die Sicherheit, dass der Schuldentilgungsfonds einmalig bleibt und nicht zum Wiedergänger wird.
Eckhard Behrens, Heidelberg
Vorstandsmitglied des Seminars für freiheitliche Ordnung e.V.
Vor Gericht oder vor dem Untergang
Bald ist der letzte Schritt getan,
die Richter ziehen Roben an,
verhandelt wird die Republik.
Die Börsianer zittern schon,
erwarten den verdienten Lohn
und machen sich zum Jubeln schick.
In Stille schreitet der Senat
zum Sitzungssaal, mit dem Traktat,
das jede Weitsicht untergräbt.
Die Herrscher lächeln gönnerhaft,
jetzt ist der nächste Schritt geschafft,
eh sich das Volk empört erhebt.
Im Parlament beklatschen sie
den Sieg der Geldpiraterie -
ein Stand beerdigt seine Macht.
Die letzte Stimme ist gezählt,
der neue Weg scheint ausgewählt,
Europa gleitet in die Nacht.
Am Horizont zieh‘n Wolken auf,
des Volkes Stimme ist verkauft,
nun herrscht allein die Kommission
Ein Richterwort hat dies vollbracht,
doch eh der Volkszorn jäh erwacht,
holt sich der Teufel seinen Lohn.
http://www.politpoems.blogspot.de
Man muss hoffen, dass der vorzüglich klare Beitrag von Eckhard Behrens dem Autor des Zeit-Beitrags zugesandt wird. Dieser letztere Beitrag ist etwas naiv. Es ist nicht zu erwarten, dass die europäischen Regierungen ihre Verpflichtungen zur Haushaltsdisziplin einhalten werden, sie tun es seit jeher zu Haus nicht und werden es auch nicht tun, wenn sie in Brüssel als EU-Lenker versammelt sind.Das haben sie schon bewiesen, und wenn man die Tatbestandsanalyse in dem neuen Buch von Kirchhof gelesen hat, kann man alle Hoffnung fahren lassen (nur Kirchhof lässt sich nicht entmutigen). Das Insolvenzverfahren für Staaten ist die einzige Lösung, aber es stört das eingefahrene Geben und Nehmen zwischen den Regierungen und dem Finanzmarkt und begegnet deshalb gewaltigem politischen Widerstand. Wahrscheinlich kann nur eine ungeregelte Staatsinsolvenz in Europa den Anstoss zur Einführung eines geregelten Verfahrens führen, weil alle erst dann den Schlamassel spüren und die Wohltat der Schuldenbereinigung erhoffen können.