Soziale Arbeit, Psychotherapie und das Geld- und Wirtschaftssystem – Armin Schachameier
Beim Lesen dieser Überschrift entsteht womöglich die Frage, was denn die Soziale Arbeit und psychotherapeutische Ansätze mit dem Geld- und Wirtschaftssystem zu tun haben könnten? Inwiefern ist es möglich, diesbezüglich Einflüsse, Bezüge und Verbindungen herzustellen und zu beschreiben?
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In diesem Artikel möchte ich versuchen, einige Antworten darauf zu geben und zeigen, dass die Arbeit mit Menschen immer in ökonomische Hintergrundstrukturen eingebettet ist, welche den Rahmen und damit die Handlungsmöglichkeiten von Interaktionen und Interventionen bestimmen, diese begrenzen oder erweitern.
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Der Gegenstandsbereich der Sozialen Arbeit ist die Verhinderung und Bewältigung von sozialen Problemlagen, in der Psychotherapie geht es um die Heilung von psychischen Erkrankungen. Die tägliche Arbeit setzt weitgehend am Individuum oder manchmal auch an einem Familiensystem an. Es geht um die Aktivierung von Ressourcen sowie um die Veränderung von Denkweisen und Einstellungen, um das Leben wieder besser bewältigen zu können und um weniger Stress zu erleben. In der Suchtberatung werden beispielsweise Ursachen einer Alkoholabhängigkeit erforscht und alternative Verhaltensweisen im Umgang mit der Substanz, den Mitmenschen und sich selbst erlernt. Aber inwieweit ist es möglich, die Entstehung eines Abhängigkeitssyndroms oder einer anderen psychischen Erkrankung ausschließlich auf der individuellen Ebene zu erklären und zu behandeln? Vor allem dann, wenn es sich um berufliche Überlastungssituationen handelt. Wer im Beruf unter Druck steht, weil an seine Stelle sehr hohe Anforderungen gestellt werden, die nicht zu verändern sind, kann noch so viel Stressbewältigungsmethoden anwenden, die von außen kommenden Belastungen bleiben dennoch bestehen.
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Des Weiteren haben Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ein höheres Risiko, psychisch oder auch physisch zu erkranken (Jacobi u.a. 2014). Armut ist jedoch nur bedingt individuell zu verantworten. Vielmehr sind durch unser Geldsystem und das neoliberal geprägte Wirtschaftssystem Profitinteressen, Wettbewerb und Wachstumszwänge bedeutsam, die Druck auf Arbeitgeber und ‑nehmer ausüben. Strukturelle Faktoren können also einen bedeutsamen Einfluss auf die Entstehung von Krankheiten und sozialen Problemlagen haben.
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Die folgende Abbildung versucht, diese Zusammenhänge darzustellen. Zu sehen ist eine Fachkraft, die mit einem bestimmten Wissen, Können und einer Haltung einer/m Klienten/in begegnet. Die ökonomischen und ökologischen Strukturen der Meso- und Makroebene beeinflussen den Mikroraum und damit die Individuen und deren Interaktionen. Jedoch ist mit den Doppelpfeilen angedeutet, dass die Menschen auch das sie umgebende Wirtschaftssystem ändern können.
Die Theorien der Sozialen Arbeit gehen zwar auf die Interdependenz von Makrostrukturen und sozialen Problemlagen ein (vgl. z. B. Thiersch 2012, Sommerfeld 2011), beschäftigen sich aber kaum ausführlich damit. Insbesondere spielt das Geld- und Währungssystem keine Rolle sowie die Entwicklung konkreter Lösungsansätze.
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Was jedoch von einigen Autoren (Grubner 2017, Kessl 2005) auf diskursanalytischer Basis herausgearbeitet wurde, ist der Einfluss neoliberaler Denkweisen auf Hilfeprozesse. Entsprechend des Menschenbildes der Wirtschaftswissenschaften, wird das Individuum im Sinn des „Homo oeconomicus“ als eine(n) eigenverantwortliche(n) Managerïn ihrer/seiner selbst verstanden, Probleme werden individualisiert (vgl. Grubner 2017, 130). Der „kalkulierend-selbstsorgende Einzelne“, der „Unternehmer seiner selbst“ soll sich nur an seinen Eigeninteressen orientierten (vgl. Kessl 2005, 166) und keine Schutz- oder Unterstützungsleistungen einfordern. Demnach ist letztlich jede® Einzelne aufgefordert, selbstbestimmt und selbstverantwortlich sein Leben zu organisieren. Im Sinne eines freien Marktgeschehens soll der „Einzelne […] sich in Konkurrenz und Wettbewerb mit den anderen begreifen, sein eigenes Handeln nach »subjektiven« Effizienz- und Effektivitätskriterien kalkulieren“ (ebd., 180). Mit dieser Argumentation können auch Einsparungen von Sozialleistungen begründet werden.
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