Die PR-Macht wächst – Pat Chris
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Um den Journalismus ist es hierzulande nicht mehr allzu gut bestellt
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Menschen in Pressestellen kümmern sich um eine ganze Menge Dinge. Sie schreiben als Ghostwriter Reden (die dann aus dem Mund des Redners so klingen, als sei das, was er sagt, tatsächlich auf seinem Mist gewachsen). Sie schauen, dass die Homepage auf dem neuesten Stand ist. Und sie beantworten Presseanfragen. Bei Unternehmen ist es seit langem Usus, Pressestellen zu haben. Im öffentlichen Sektor wurden sie in den letzten Jahren ausgebaut. Und zwar stark. Mit zum Teil erheblich negativen Effekten.
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Freien Journalistinnen fällt es zunehmend leichter, ja zu einem „PR-Job“ zu sagen, denn sich als Freie durchzuschlagen, ist ein hartes Brot. Mehrere meiner Kollegen, die ich aus der „Freien-Szene“ kenne, haben sich in den letzten Jahren in Pressestellen „gerettet“. Das Ungleichgewicht zwischen „echten“ Journalisten auf der einen sowie Pressesprechern auf der anderen Seite verschärft sich, denn die Zahl der hauptberuflichen Journalisten befindet sich im Sinkflug. Laut Siegfried Weischenberg, Kommunikationswissenschaftler, sank sie innerhalb von 20 Jahren von 54.000 auf 41.000. Bei Zeitungen soll es aktuell nur noch um die 13.000 Festangestellte geben.
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Dass einem bei den gegebenen Arbeitsbedingungen die ganze Lust vergehen kann, frei als Journalistin zu recherchieren, bestätigt mir Tina Groll. Die Berlinerin ist Journalistin und seit 2019 Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di. „Immer weniger freie Journalistinnen und Journalisten können sich hauptberuflich allein vom Journalismus ernähren, von einem auskömmlichen Leben ganz zu schweigen“, sagt sie. Aber auch Festangestellte haben nicht mehr viel zu lachen. Die Redaktionen sind laut Tina Groll „ausgedünnt“. Viele Verleger fahren nach ihren Worten „einen harten Sparkurs“.
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Immer weniger festangestellten Journalisten stehen auch laut Groll in summa immer mehr PR-Profis gegenüber. „Tatsächlich beobachten wir seit vielen Jahren eine Verschiebung des Machtgewichts zwischen PR und Journalismus“, sagt sie. Dies sei mit einer zunehmenden „Prekarisierung“ des Tageszeitungsjournalismus verbunden. Den wenigen noch verbliebenen Redakteuren fehle die Zeit für Recherche und für die Erfüllung der journalistischen Sorgfaltspflicht: „Zudem verdichten sich durch die Digitalisierung die Aufgaben, da nicht mehr ausreichend Personalaufbau stattfindet.“
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Macht verschiebt sich
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Den dadurch bedingten Machtzuwachs der Pressestellen sieht Tina Groll als großes Problem an: „Für die Qualität, die Glaubwürdigkeit und den demokratischen Auftrag des Journalismus.“ Genau das denke ich auch. Journalistinnen und Journalisten sollen hinter die Kulissen blicken. Sie sollen erkennen, aufgrund welcher Interessen es zu welchen Appellen, Diskussionen und Entscheidungen kommt. In einer hochkomplexen, extrem verflochtenen Welt, in der es immer mächtigere Interessensgruppen gibt, braucht es immer mehr Zeit, um durchzublicken. Doch statt mehr Zeit haben Journalisten mangels Finanzierung drastisch weniger Zeit. Das ist nicht nur paradox. Sondern gefährlich.
Frei zu arbeiten, heißt heute für viele Journalisten, von der Hand in den Mund zu leben. Man hat zwar alle Zeit der Welt. Was wirklich schön ist. So muss man nicht um Punkt so und soviel Uhr in einer Redaktion aufschlagen. Und dort Zeit abhocken. Sondern kann seinem eigenen Rhythmus gemäß schaffen. Tagsüber. Spät in der Nacht. Früh am Morgen. Man hat als eigene Chefin natürlich auch inhaltliche Freiheiten. Muss sich nicht an das halten, was eine Redaktionskonferenz mehr oder weniger nachvollziehbar beschließt. Doch die finanzielle Ungewissheit bereitet Bauchschmerzen. Wird man es schaffen, so viel Honorar zusammenzuschreiben, dass es für die nächste Miete reicht?
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Aus zweiter Hand
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Was Pressestellen über ihren Newsletter oder Presseverteiler verschicken, wird mangels Zeit oft kaum noch nachrecherchiert. Eben dies meint Tina Groll mit „Sorgfaltspflicht“. Die Problematik ist nicht neu. Sie wurde von Max Weber bereits im Jahr 1910 in seiner Rede auf dem ersten deutschen Soziologentag aufgegriffen. Weber wies damals auf das um sich greifende Phänomen des „Journalismus aus zweiter Hand“ hin. Das verstärkt sich immer mehr. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer äußerte 2014 auf der Tagung „65 Jahre Pressefreiheit“: „95 Prozent meiner Pressemitteilungen werden einfach abgedruckt.“
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Das Geringste, was ein Redakteur tun müsste, wäre, zum Telefonhörer zu greifen und nachzufragen. Denn dass Pressestellen mit investigativem Journalismus nichts am Hut haben, liegt auf der Hand. Letztlich ist es egal, ob es sich um ein Unternehmen handelt oder um eine kommunale Stelle: Die jeweilige Behörde oder Institution will mit dem, was sie nach außen gibt, gut dastehen. Kritisches, Negatives oder auch nur Ambivalentes bleibt in einer Pressemitteilung ausgespart. Natürlich handelt es sich häufig um etwas rein Faktisches. Etwa um die Eröffnung einer Kita. Doch viele Themen, um die es in Pressemitteilung geht, haben kontroverses Potenzial, das nicht zum Tragen kommt.
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Nicht allen „gewechselten“ Journalisten fällt es leicht, sich als PR-Mensch zu outen. Ein Kollege, einst freier Journalist und nun Pressesprecher, antwortet mir auf meine Anfrage, ob ich mich mal mit ihm über die Hintergründe seines Wechsels unterhalten dürfte, dass er dazu nichts sagen möchte. Nicht namentlich. Und nicht einmal anonym. Da ist Claudius Kroker schon offener. Der Journalist aus Bonn hat ein Büro für Pressearbeit gegründet. „Ich bin für Kunden als PR-Berater, Autor und Ghostwriter tätig, stelle Kontakte zu Medien her, schreibe Pressemitteilungen und organisiere den Versand an passende Redaktionen“, umreißt er sein Arbeitsgebiet.
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