Lied der Arbeit – Dietrich Heißenbüttel
Zwischen den Bereichen der Ökonomie und der Kunst lassen sich verschiedene Verbindungen ziehen. Die offenkundigste betrifft den Kunstmarkt, der einen Großteil der Feuilletonspalten füllt. Rekord-Auktionserlöse, erfolgreiche Künstler und Galerien erwecken den Eindruck, mit Kunst könne man viel Geld verdienen. Was allerdings nur auf einen verschwindend kleinen Teil der Kunstproduktion zutrifft, während die große Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler von ihrer Kunst nicht leben kann. Eine genaue Analyse der Marktmechanismen, gleich ob aus kunsttheoretischer oder aus ökonomischer Sicht, müsste eigentlich zu dem Ergebnis kommen: Kunst ist per se keine Ware, kann jedoch in gewissen Grenzen zur Ware gemacht werden.
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Kann umgekehrt auch Ökonomie Gegenstand der Kunst sein? Ökonomische Prozesse sind schwer zu greifen, geschweige denn abzubilden. Selbst wenn Geld auf dem Tisch liegt, erklärt das noch nicht die zugrunde liegenden Mechanismen der Geldwirtschaft. Die Auswirkungen ökonomischer Krisen bekommt Jeder zu spüren, ebenso machen sich wirtschaftliche Erfolge für den Einzelnen unmittelbar bemerkbar. Aber im Bild festhalten lassen sich nur die Auswirkungen: Armut oder Wohlstand. Die Scharniere und Transmissionsriemen der Wirtschaftsmaschinerie bleiben der unmittelbaren Anschauung verborgen.
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Die Ausstellung „Konstruktion der Welt“ der Mannheimer Kunsthalle hat auf zweierlei Weise versucht, diesem Problem näherzutreten. In den Worten der beiden Kuratoren: „Zehn Jahre nach der großen Finanzkrise 2008“, schreibt Eckhart J. Gillen, „die das kapitalistische Wirtschaftssystem in Amerika und Europa erschüttert hat, zeigt die Ausstellung Konstruktion der Welt erstmals das Wechselverhältnis von Kunst und politischer Ökonomie zwischen den Kriegen in der Weimarer Republik, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Sebastian Baden: „Der zweite Teil rückt die gesellschaftlichen Bedingungen nach der Finanzkrise um 2008 – zehn Jahre vor Eröffnung unserer Ausstellung – in den Blick.“ Ein weiterer Ausgangspunkt war die Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ 1925 in Mannheim, die entgegen den damals etablierten Richtungen vom Expressionismus bis hin zu klassizistischen Tendenzen einen neuen Blick auf die im Wandel befindliche industrialisierte Welt warf, um, wie der Direktor der Kunsthalle Gustav Hartlaub schrieb, „mit frischem Wagemut eine Kulturtradition in die Zukunft hinein zu bauen.“
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Schon allein Ökonomie und Finanzkrise zum Gegenstand einer Kunstausstellung zu machen, impliziert eine ähnliche Umkehr der Blickrichtung. Und zwar nicht nur im Bereich der Gegenwartskunst, wo viele Künstlerinnen und Künstler längst nicht mehr damit zufrieden sind, losgelöst von gesellschaftlichen Problemen ästhetische Objekte zu fabrizieren. Auch im historischen Teil, der sich auf die Jahre 1919 bis 1939 beschränkte, trat etwas völlig Anderes zutage als in herkömmlichen Ausstellungen über die Kunstrichtungen jener Zeit. Die Grenzen des Kunstbereichs wurden unschärfer. Dafür trat die gesellschaftliche Realität deutlicher hervor. Dies begann mit den Medien. Schon im ersten Raum der Ausstellung waren zwischen Gemälden und Zeichnungen auch drei Filme auf großformatigen Leinwänden zu sehen: „Der Mann mit der Kamera“ von Dsiga Wertow; „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“ von Walter Ruttmann; und „Manhattan“ von Charles Sheeler und Paul Strand. Neben modernen und suprematistischen Werken hingen realistische Arbeiten, neben freier Kunst auch Plakate und Werbegrafik.
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Offenbar bleibt bei der üblichen Beschränkung auf die großen Meister der Moderne ein weiter Bereich der damaligen Kunst links liegen, insbesondere wenn diese Kunst Einblicke in die gesellschaftlichen Verhältnisse eröffnet. Im Bereich der Wirtschaft standen sich zwei Systeme gegenüber: Kapitalismus und Kommunismus, USA und Sowjetunion. Dazwischen das Deutsche Reich, hin- und hergerissen zwischen Novemberrevolution, repräsentativer Demokratie und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. In den Bilddarstellungen ist jedoch Vieles vergleichbar, bis hin zu einzelnen Motiven: Die von unten aufgenommenen Balkone des Dessauer Bauhauses auf einem Foto von Laszlo Moholy-Nagy finden sich bereits zwei Jahre zuvor bei Alexander Rodtschenko und kehren dann noch einmal auf einer aquarellierten Tuschzeichnung von Alexander Deineka wieder. Vereinfacht gesagt: ohne russischen Konstruktivismus kein Bauhaus. Blasser blieben die amerikanischen Werke.
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Wie aber zeigte sich hier nun die Ökonomie? Es überwog das klassische Bild der Arbeit: gigantische Fabriken, Maschinen, Hochhäuser und Staudämme, Arbeiter-Heroen auch in den USA, vereinzelt auch häusliche Arbeit von Frauen oder Büroarbeit: zwei Architekten, ein großartiges „Mädchen mit Reißschiene“ von Nikolaj Sagrekow. Dann aber die Krise: Armut und Elend, in Deutschland schon direkt nach dem Ersten Weltkrieg, nun auch in den Vereinigten Staaten. Der Ton wird schärfer. Künstler wie Ben Shahn oder Philip Evergood malen und fotografieren Streiks und Demonstrationen, ein Grubenunglück, den gewaltsamen Zusammenstoß mit der Polizei im „Memorial Day Massacre“ beim „Little Steel Strike“ 1937 in Chicago. Es gab eine Künstlergewerkschaft und eine „Workers Film and Photo League“, die 1932 einen nationalen Hungermarsch nach Washington dokumentierte. Alice Neel malt 1933 ein Bild unter dem Titel „Synthese von New York. Die große Depression“ und drei Jahre später eine nächtliche Demonstration um ein Schild: „Nazis murder Jews“. Zur selben Zeit näherten sich Deutschland und die Sowjetunion immer mehr einem parteiverordneten, eindimensionalen, monumentalen Klassizismus.
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Hier brach der historische Teil der Ausstellung ab. Achtzig Jahre später hat sich in der Kunst, aber auch in der Ökonomie so viel getan, dass sich kaum noch eine Vergleichsebene herstellen lässt. Muskulöse oder ausgehungerte Proletarier gehören ebenso der Vergangenheit an wie gigantische Zahnräder oder schwarz rauchende Schornsteine. Die körperliche Schwerarbeit der Working Poor ist ausgelagert in den globalen Süden. 54 Videos von Harun Farocki und Antje Ehmann, die verschiedene Arten von Arbeit in 15 Städten der Welt zeigen, homogenisieren freilich eher die Differenz. In den schönen Fotos, die Maha Maamoun in ägyptischen Grundbuchämtern aufgenommen hat, gibt es immerhin noch lange Wartschlangen und von Hand beschriebene Dokumente auf langsam vergilbendem Papier. Heute entzieht sich die Ökonomie dem Blick. Ironischer Weise hat sich, nachdem die Kunst, die sich nach dem Krieg von der sichtbaren Realität zurückgezogen hatte, dieser nun wieder zuwendet, das Wirtschaftsgeschehen ins Undarstellbare verflüchtigt. Am besten verdeutlichte dies eine Arbeit von Simon Denny, der zwei Computer ohne Gehäuse Bitcoins schürfen ließ. Man konnte ihnen ganz genau zusehen und verstand doch nicht, wie es funktioniert – oder ob der Künstler vielleicht nur so tut.
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Kann umgekehrt auch Ökonomie Gegenstand der Kunst sein? Ökonomische Prozesse sind schwer zu greifen, geschweige denn abzubilden. Selbst wenn Geld auf dem Tisch liegt, erklärt das noch nicht die zugrunde liegenden Mechanismen der Geldwirtschaft. Die Auswirkungen ökonomischer Krisen bekommt Jeder zu spüren, ebenso machen sich wirtschaftliche Erfolge für den Einzelnen unmittelbar bemerkbar. Aber im Bild festhalten lassen sich nur die Auswirkungen: Armut oder Wohlstand. Die Scharniere und Transmissionsriemen der Wirtschaftsmaschinerie bleiben der unmittelbaren Anschauung verborgen.
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Die Ausstellung „Konstruktion der Welt“ der Mannheimer Kunsthalle hat auf zweierlei Weise versucht, diesem Problem näherzutreten. In den Worten der beiden Kuratoren: „Zehn Jahre nach der großen Finanzkrise 2008“, schreibt Eckhart J. Gillen, „die das kapitalistische Wirtschaftssystem in Amerika und Europa erschüttert hat, zeigt die Ausstellung Konstruktion der Welt erstmals das Wechselverhältnis von Kunst und politischer Ökonomie zwischen den Kriegen in der Weimarer Republik, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Sebastian Baden: „Der zweite Teil rückt die gesellschaftlichen Bedingungen nach der Finanzkrise um 2008 – zehn Jahre vor Eröffnung unserer Ausstellung – in den Blick.“ Ein weiterer Ausgangspunkt war die Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ 1925 in Mannheim, die entgegen den damals etablierten Richtungen vom Expressionismus bis hin zu klassizistischen Tendenzen einen neuen Blick auf die im Wandel befindliche industrialisierte Welt warf, um, wie der Direktor der Kunsthalle Gustav Hartlaub schrieb, „mit frischem Wagemut eine Kulturtradition in die Zukunft hinein zu bauen.“
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Schon allein Ökonomie und Finanzkrise zum Gegenstand einer Kunstausstellung zu machen, impliziert eine ähnliche Umkehr der Blickrichtung. Und zwar nicht nur im Bereich der Gegenwartskunst, wo viele Künstlerinnen und Künstler längst nicht mehr damit zufrieden sind, losgelöst von gesellschaftlichen Problemen ästhetische Objekte zu fabrizieren. Auch im historischen Teil, der sich auf die Jahre 1919 bis 1939 beschränkte, trat etwas völlig Anderes zutage als in herkömmlichen Ausstellungen über die Kunstrichtungen jener Zeit. Die Grenzen des Kunstbereichs wurden unschärfer. Dafür trat die gesellschaftliche Realität deutlicher hervor. Dies begann mit den Medien. Schon im ersten Raum der Ausstellung waren zwischen Gemälden und Zeichnungen auch drei Filme auf großformatigen Leinwänden zu sehen: „Der Mann mit der Kamera“ von Dsiga Wertow; „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“ von Walter Ruttmann; und „Manhattan“ von Charles Sheeler und Paul Strand. Neben modernen und suprematistischen Werken hingen realistische Arbeiten, neben freier Kunst auch Plakate und Werbegrafik.
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Offenbar bleibt bei der üblichen Beschränkung auf die großen Meister der Moderne ein weiter Bereich der damaligen Kunst links liegen, insbesondere wenn diese Kunst Einblicke in die gesellschaftlichen Verhältnisse eröffnet. Im Bereich der Wirtschaft standen sich zwei Systeme gegenüber: Kapitalismus und Kommunismus, USA und Sowjetunion. Dazwischen das Deutsche Reich, hin- und hergerissen zwischen Novemberrevolution, repräsentativer Demokratie und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. In den Bilddarstellungen ist jedoch Vieles vergleichbar, bis hin zu einzelnen Motiven: Die von unten aufgenommenen Balkone des Dessauer Bauhauses auf einem Foto von Laszlo Moholy-Nagy finden sich bereits zwei Jahre zuvor bei Alexander Rodtschenko und kehren dann noch einmal auf einer aquarellierten Tuschzeichnung von Alexander Deineka wieder. Vereinfacht gesagt: ohne russischen Konstruktivismus kein Bauhaus. Blasser blieben die amerikanischen Werke.
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Wie aber zeigte sich hier nun die Ökonomie? Es überwog das klassische Bild der Arbeit: gigantische Fabriken, Maschinen, Hochhäuser und Staudämme, Arbeiter-Heroen auch in den USA, vereinzelt auch häusliche Arbeit von Frauen oder Büroarbeit: zwei Architekten, ein großartiges „Mädchen mit Reißschiene“ von Nikolaj Sagrekow. Dann aber die Krise: Armut und Elend, in Deutschland schon direkt nach dem Ersten Weltkrieg, nun auch in den Vereinigten Staaten. Der Ton wird schärfer. Künstler wie Ben Shahn oder Philip Evergood malen und fotografieren Streiks und Demonstrationen, ein Grubenunglück, den gewaltsamen Zusammenstoß mit der Polizei im „Memorial Day Massacre“ beim „Little Steel Strike“ 1937 in Chicago. Es gab eine Künstlergewerkschaft und eine „Workers Film and Photo League“, die 1932 einen nationalen Hungermarsch nach Washington dokumentierte. Alice Neel malt 1933 ein Bild unter dem Titel „Synthese von New York. Die große Depression“ und drei Jahre später eine nächtliche Demonstration um ein Schild: „Nazis murder Jews“. Zur selben Zeit näherten sich Deutschland und die Sowjetunion immer mehr einem parteiverordneten, eindimensionalen, monumentalen Klassizismus.
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Hier brach der historische Teil der Ausstellung ab. Achtzig Jahre später hat sich in der Kunst, aber auch in der Ökonomie so viel getan, dass sich kaum noch eine Vergleichsebene herstellen lässt. Muskulöse oder ausgehungerte Proletarier gehören ebenso der Vergangenheit an wie gigantische Zahnräder oder schwarz rauchende Schornsteine. Die körperliche Schwerarbeit der Working Poor ist ausgelagert in den globalen Süden. 54 Videos von Harun Farocki und Antje Ehmann, die verschiedene Arten von Arbeit in 15 Städten der Welt zeigen, homogenisieren freilich eher die Differenz. In den schönen Fotos, die Maha Maamoun in ägyptischen Grundbuchämtern aufgenommen hat, gibt es immerhin noch lange Wartschlangen und von Hand beschriebene Dokumente auf langsam vergilbendem Papier. Heute entzieht sich die Ökonomie dem Blick. Ironischer Weise hat sich, nachdem die Kunst, die sich nach dem Krieg von der sichtbaren Realität zurückgezogen hatte, dieser nun wieder zuwendet, das Wirtschaftsgeschehen ins Undarstellbare verflüchtigt. Am besten verdeutlichte dies eine Arbeit von Simon Denny, der zwei Computer ohne Gehäuse Bitcoins schürfen ließ. Man konnte ihnen ganz genau zusehen und verstand doch nicht, wie es funktioniert – oder ob der Künstler vielleicht nur so tut.
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