In Wuppertal entsteht ein Lernort – Andreas Bangemann
Holger Kreft, Mitarbeiter der Kerngruppe und Mitinitiator der konzipierten Bildungseinrichtung, fragte im Workshop, bei dem er die Idee des zukünftigen Lernorts vorstellte, die anwesenden Teilnehmer, wie das Angebot einer Bildungsstätte aussehen müsste, um Bildung mit kreativer Zukunftsgestaltung zu verknüpfen. Wie macht man ein Bildungsangebot attraktiv?
Anna gab zur Antwort: „Sommercamp das ganze Jahr“.
So kam es, dass das für den Zeitraum von 13. bis 26. Juli 2015 geplante zweite Sommercamp zu einem beispielhaften „Kurzsemester“ des künftigen Jahresangebots werden wird.
Kolleg, Künstlerwerkstatt, Freier Lernort, Denkfabrik, Gärraum für Existenzgründungen und Lebensort. Das soll nach Maßgabe der Mitwirkenden des derzeitigen Kernteams die neue Einrichtung umschreiben. „Prozessorientiertes Lernen ist die direkte Verbindung von Lernen und praktischer Anwendung. Wir lernen nicht mehr für ein späteres Leben, sondern wir leben, was wir lernen.“
Ein projektbezogenes Lernumfeld, in dem Raum bleibt, die hinzuziehende Kompetenz in selbstorganisierenden Prozessen zu ermöglichen. Die Komposition der Lerninhalte soll nach den Vorstellungen des Planungsteams die Einzigartigkeit des Lernorts ausmachen.
Denkweisen sind etabliert, wonach dem Teilen (Sharing) in der Wirtschaft eine Zukunftsperspektive gegeben wird. Erkennbar ist jedoch, dass die sich durchsetzenden und erfolgreichen Projekte doch wieder dem dominierenden Gesamtsystem dienlich sind, das man im Grunde genommen verändern will. So landen kooperative Modelle am Ende wieder im vernichtenden Konkurrenzkampf des auf Knappheit ausgerichteten Kapitalismusdenkens.
Carsharing, Internet-Taxiangebote auf privater Basis wie „Uber“, zeitlich begrenztes Wohnen (z. B. AirBnB); alles Angebote, die am Ende kaum das zu Überwindende verringern, sondern vielmehr zusätzliche Kaufangebote sorgen und dadurch dem ressourcenverbrauchenden Wirtschaften weitere Wachstumsschübe verschaffen. Um eine solche Entwicklung zu stoppen und zu einer nachhaltigen, an organischem Leben Beispiel nehmenden zu gelangen, braucht es Bildungseinrichtungen, die Lebensmodelle mit Veränderungspotentialen hinsichtlich des prägenden Gesamtsystems verknüpfen. Das Konkrete tun und damit das zur Zeit Bestimmende bewusst verändern.
Dieses Ansinnen lässt sich bewerkstelligen, wenn man das Geldsystem und seinen Einfluss auf alles Wirtschaften im Blick behält. Genau das soll bei den Projekten des geplanten Lernorts eine entscheidende Maßgabe sein.
Mitinitiator Holger Kreft ergänzt:
Und dabei ist auch zu fragen, welche unserer ganz persönlichen Denk- und Handlungsmuster denn diese oft extrem ressourcenzehrenden und menschenunfreundlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen tragen oder gar befördern. Welche unserer individuellen Routinen sind nicht lebens‑, gemeinschafts- und zukunftsdienlich? Wie können wir stattdessen neue angemessenere Verhaltensmuster entwickeln, ausprobieren, verbessern und einüben, die dann auch andere Strukturen hervorbringen? Welche Anreize sind falsch gesetzt? „Transformation beginnt mit persönlicher Veränderung. Die Verbindung mit sich selbst ermöglicht erst die Verbindung mit anderen Menschen und der Welt“ (in Anlehnung an Pieter Spinder, Knowmads Business School Amsterdam). Die Lernenden sollen die Möglichkeit bekommen, sich selbst besser kennenzulernen und sich zu stärken, um den künftigen Herausforderungen mit Lust, Engagement, Kreativität und Kompetenz begegnen zu können.
Die Schlagworte, die das zukünftige Spektrum der Bildungsarbeit prägen, heißen dementsprechend:
• Geld, Zeit und Wirtschaft • Erschaffen von Werten • Verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen • Nachhaltigkeit und Wachstum • Persönlichkeitsentfaltung • Bewusstsein • Kunst und Kultur • Körperliche Bewegung • Ernährung • Neue Methoden für Bildung und Gemeinschaftsprozesse • Teambildung
• Entwicklung resilienter Gelingensmodelle
Es ist geplant, dauerhafte Studiengänge eng an konkrete Projekte zu knüpfen, die am Ende zu Gelingensmodellen führen, statt zu Geschäftsmodellen im herkömmlichen Sinn. Die dazugehörenden Prozesse begleiten und gestalten die Lernenden. Das macht sie auf besondere Weise fähig, Erfahrungen in andere Bereiche hineinzutragen, gibt ihnen aber auch die Chance, die entwickelten Modelle in ihrer Umsetzungsphase im Weiteren mitzutragen. Natürlich wachsende Übergänge aus Lernphasen hin zu wirtschaftlichen Verbindungen „nach draußen“ sind die großen Ziele der Einrichtung. Das ganze gepaart mit dem Willen und dem Wissen, wie dadurch auch die Bedingungen des Wirtschaftens insgesamt verändert werden können, macht den Anspruch ehrgeizig und einzigartig.
Konkrete Beispiele für Lern-Projekte sind bereits vorgesehen:
Der Wiederaufbau und die künstlerische Nutzung einer Freilichtbühne
Die Entwicklung eines Modells zur Einführung einer Leittechnik für Gebäude, die optimale Energienutzung und weitgehende Unabhängigkeit von Monopolen jeglicher Art zum Ziel hat. Der inspirierende Gedanke von „Open Source“ soll dabei alle Entwicklungen für Hard- oder Software tragen.
Entwicklung und Konzeption dezentraler Zahlungssysteme für Handel und Gewerbe, die dem Sicherheitsdenken und dem Anspruch der Wahrung von Anonymität der Wirtschaftsteilnehmer gerecht wird.
Entwicklung monopolfreier Online-Buchungssysteme für Hotelübernachtungen mit optimalen Nutzeneffekten für alle Beteiligten
Entwicklung von Beratungsleistungen zur Selbsthilfe für den Aufbau unabhängiger Lernorte.
Lernorte entstehen derzeit an vielen Stellen. Das macht Hoffnung für eine Zukunft, deren Interesse an den Abenteuern neuer Ideen stetig wächst. Das Wuppertaler Projekt passt da hinein:
Lernen ist Leben
Lernprozesse werden häufig als vorbereitende Maßnahmen für ein späteres Leben wahrgenommen. Mit zertifizierten Abschlüssen empfindet man sich dann reif für das Leben nach dem Lernen und die Welt außerhalb des Lernapparates, gerade so als gäbe es zwei Leben: eines in der Lernphase und eines danach. Das liegt zum einen an den entsprechend ausgerichteten Lehrplänen und zum anderen an der Erwartungshaltung von Lernenden.
Sollte Lernen und wirkliches Leben nicht eins sein?
Raum für Ideale
Wenn Lernen automatisiert wird, weil Knappheit und Zeitmangel die bestimmenden Faktoren werden, dann bleiben Ideale auf der Strecke. Zusammenhangloses Lehrbuchwissen, in Lehrfabriken zertifiziert, verdrängt Weisheit in eine ferne Zukunft.
Der neue Lernort in Wuppertal schafft Raum für Ideale, in dem wir Lernen und Leben vereinen. Lehrende und Lernende setzen Projekte um, die ökonomisches Gelingen mit nachhaltigen Gesellschaftsprozessen verbinden. So können wir gemeinsam auf vielfältige Weise kreativ mit Kopf und Herz, Bauch und Hand die Zukunft gestalten.
Das Projekt ist in seiner jetzigen Phase offen für Menschen, die sich von dem Konzept angesprochen fühlen. Es ist geplant strukturell alle Vorkehrungen zu treffen, damit der Lernort, einem lebenden Organismus gleich, Raum für Entwicklung und Veränderung gibt.
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