Eine Bühne für Geldkonflikte – Holger Kreft und Nina Roob

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Ein Erfah­rungs­be­richt zum Forum­thea­ter im Rahmen des Dialog­Raum­Geld-Kongres­ses 2022 in Augsburg.
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Inwie­fern können wir mit dieser Thea­ter­form Geld­kon­flik­te lösen?
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Geld­kon­flik­te erleb­bar machen
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„Wieso bekom­me ich kein Geld zu meinem Geburts­tag, obwohl wir das in der Fami­lie doch immer gegen­sei­tig so machen? Ich will die übli­chen 50 Euro!“, fordert das Geburts­tags­kind trot­zig. „Wir dach­ten, wir schen­ken dir mal etwas, das nicht mit Geld, sondern mit gemein­sa­mer Zeit zu tun hat“, erwi­dert die Tante über die selbst­ge­bas­tel­te Geburts­tags­kar­te. „Ihr seid ja das Letzte, brecht die Verein­ba­rung…“, wirft der Vater des Geburts­tags­kin­des wütend ein, als eine Frau­en­stim­me plötz­lich „Stopp!“ ruft.
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Es wird deut­lich: Wir befin­den uns in einer fikti­ven Szene. Eine Frau aus dem Publi­kum hat das Schau­spiel ange­hal­ten, um nun selbst auf der Bühne die Rolle der Tante einzu­neh­men. Das Publi­kum und auch die Darstel­len­den der ande­ren Betei­lig­ten erle­ben nun ihren Versuch einer alter­na­ti­ven Hand­lungs­op­ti­on, um den Konflikt um das uner­war­te­te Geburts­tags­ge­schenk zu entschärfen.
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Das ist „Forum­thea­ter“! Der hier beschrie­be­ne thea­tra­le Erfah­rungs­raum basiert u.a. auf der Arbeit des brasi­lia­ni­schen Thea­ter­ma­chers Augus­to Boal. Dabei wird eine persön­lich erleb­te Konflikt­si­tua­ti­on in einer kurzen Thea­ter­sze­ne nach­ge­spielt und wieder­holt, bis eine Person aus dem Publi­kum eingreift. Mit einer eige­nen alter­na­ti­ven Hand­lungs­idee zur mögli­chen Lösung des Konflik­tes nimmt der/die Zuschauer:in aktiv den Platz einer betei­lig­ten Person in der Szene ein. Dieser Vorgang wieder­holt sich mehre­re Male. Die gesam­mel­ten „Rezep­te“ zur Lösung des Konflikts können die Betrof­fe­nen gemein­sam reflek­tie­ren und viel­leicht sogar später in ähnlich auftre­ten­den Real­si­tua­tio­nen anwenden.
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Diese Wirk­kraft des Forum­thea­ters woll­ten wir daher unbe­dingt im Rahmen des ersten öffent­li­chen Konvents des Dialog­Raum­Geld im Mai 2022 in Augs­burg als Metho­de erleb­bar machen. Beglei­tet haben uns bei unse­rer Arbeit die folgen­den Fragen:
Können wir mit Forum­thea­ter ausschließ­lich Konflikt­lö­sungs­po­ten­zia­le auf einer zwischen­mensch­li­chen Ebene aufdecken?
Inwie­fern lassen sich dadurch auch – auf struk­tu­rel­ler Ebene – Reibungs­flä­chen unse­res herr­schen­den Geld­sys­tems offen­le­gen und wie können wir unsere Erkennt­nis­se aktiv für eine Verän­de­rung dieses Systems nutzen?
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Mit diesen Fragen im Gepäck präsen­tier­ten wir in einer Abend­ver­an­stal­tung den Kongress­teil­neh­men­den unter­schied­li­che Geld­kon­flik­te, in die sie aktiv eingrei­fen konn­ten. Die eingangs darge­stell­te Szene entstammt der Abend­auf­füh­rung, wenn­gleich in leicht abge­wan­del­ter Form.
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Mehre­re Phasen der Vorbereitung
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Damit die Abend­ver­an­stal­tung mit dem Forum­thea­ter und einer gespiel­ten Szene aller­dings in der gezeig­ten Art und Weise ablau­fen konnte, war eine mehr­stu­fi­ge Vorbe­rei­tung notwen­dig: Eine fünf­köp­fi­ge Forum­thea­ter-AG plante in mehre­ren Online-Tref­fen die Abend­ver­an­stal­tung für alle Konventbesucher:innen. Obwohl wir in ganz Deutsch­land verteilt waren, gelang es uns, eigene Geschich­ten in Szenen zu verwan­deln, in Video­tref­fen zu spie­len und im digi­ta­len Forum­thea­ter zu verän­dern, d. h. durch neue Hand­lungs­ideen den Ausgang der Szene zu beein­flus­sen. Trotz der Digi­ta­li­tät spür­ten wir das empowern­de Poten­zi­al, das in dieser Metho­de steckt.
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Gleich­zei­tig wurde uns bewusst, dass wir für die Abend­ver­an­stal­tung beim Konvent einen zusätz­li­chen Schritt einfüh­ren muss­ten: Es brauch­te einen vorbe­rei­ten­den Work­shop, in dem einzel­ne inter­es­sier­te Kongress­teil­neh­men­de von persön­li­chen Erfah­run­gen erzähl­ten, in denen sie durch Geld unan­ge­nehm berührt oder gar verletzt worden waren und die sie in einer kurzen Szene schau­spie­le­risch darstell­ten. Wir luden dafür Menschen ein, die Lust am Thea­ter­spie­len und Lampen­fie­ber mitbrach­ten, und die bereit waren, auf der Bühne in eine bestimm­te Rolle hinein­zu­schlüp­fen. Die gute Nach­richt: Die Einla­dung wurde ange­nom­men! Ein Dutzend Menschen teil­ten im Work­shop ihre Geschich­ten und entschie­den sich, zwei davon in Schau­spiel­sze­nen zu verwan­deln, die sie als Darsteller:innen auch selbst spielten.
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So gestal­te­ten wir für das Publi­kum einen inter­ak­ti­ven Thea­ter­abend, bei dem wir das Geld als „Schmerz­punkt“ in indi­vi­du­el­len Konflik­ten sicht­bar machen konn­ten. In einer abschlie­ßen­den Refle­xi­on zogen wir gemein­sam mit dem Publi­kum erste erkennt­nis­rei­che Schlüs­se, auch hinsicht­lich struk­tu­rel­ler Verän­de­rungs­mög­lich­kei­ten unse­res Geldsystems.
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Chan­cen und Gren­zen des Forumtheaters
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„Ich fand es span­nend, was durch eine kleine Verän­de­rung alles anders ablau­fen kann… und welche gut gemein­ten Ansät­ze dann dennoch schei­tern“, laute­te ein O‑Ton aus dem Publi­kum. Auf unter­schied­li­chen Wegen erreich­te uns nach der Abend­ver­an­stal­tung viel Zustim­mung zur Metho­de und zu unse­rem Vorge­hen. Insbe­son­de­re die Konkret­heit und die Emotio­na­li­tät des Ansat­zes wurden sehr geschätzt. Durch das viel­sei­ti­ge Feed­back sowie durch unsere eige­nen Erfah­run­gen erga­ben sich Chan­cen, aber auch Gren­zen in Bezug auf die Metho­de des Forumtheaters:
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Die größte Chance besteht wohl in der Möglich­keit, selbst an der Szene mitzu­wir­ken und damit einen sozia­len Vorgang zu gestal­ten. Das Publi­kum muss nicht hinneh­men, was es sieht, es wird aktiv, erfährt am eige­nen Leib das Problem und auch das Gefühl, wenn ein Hand­lungs­an­satz Erfolg bzw. Miss­erfolg bringt. Durch das Hinein­schlüp­fen in eine andere Rolle wird zudem ein Perspek­tiv­wech­sel ermög­licht, der zum Verständ­nis der ande­ren Posi­ti­on und damit auch des rahmen­ge­ben­den Konflikt­kerns beiträgt. Dadurch wird für die Betei­lig­ten ein zusätz­li­cher Hand­lungs­spiel­raum erkenn­bar, den sie über den geschütz­ten Rahmen der Szene hinaus auch in ihrem Alltag nutzen können.
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Auch dem Austausch mit dem Publi­kum nach den gespiel­ten Szenen fällt eine maßgeb­li­che Bedeu­tung zu. Hier öffnet sich der Raum für die Frage, inwie­fern wir aus einem indi­vi­du­el­len Konflikt auch struk­tu­rel­le Lösungs­an­sät­ze für unser vorherr­schen­des (Geld-)System ablei­ten können: Was müss­ten wir in unse­rer Gesell­schaft ändern, um die darge­stell­ten Konflik­te auf persön­li­cher Ebene zu entschär­fen? In der Diskus­si­on mit dem Publi­kum werden Ideen gesam­melt, die perspek­ti­visch zu grund­le­gen­den Verän­de­run­gen der Verhält­nis­se führen können. Kann also das Forum­thea­ter gar ein Motor für Verän­de­rungs­pro­zes­se sein?
Um das zu beur­tei­len, müssen wir auch die Gren­zen der Metho­de beach­ten, die vor allem in Bezug auf die Thema­tik „Geld“ zu finden sind: Die Proble­ma­tik des bestehen­den Geld­we­sens allein in einer Forum­thea­ter-Szene abzu­bil­den, ist grund­le­gend nicht möglich. Denn für das Forum­thea­ter brau­chen wir immer einen konkre­ten zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungs­kon­flikt. Das Forum­thea­ter ist auf antago­nis­tisch agie­ren­de Menschen ange­wie­sen: Es bedarf einer Figur, die den Prot­ago­nis­ten oder die Prot­ago­nis­tin benach­tei­ligt, unter­drückt und physisch und/oder psychisch verletzt. Aller­dings stecken hinter Bezie­hungs­kon­flik­ten viel­schich­ti­ge Bedürf­nis­se und Inter­es­sen der Betei­lig­ten. Ange­sichts dieser Viel­schich­tig­keit drohen die Struk­tu­ren unse­res Geld­sys­tems, die den Konflikt mit verur­sa­chen oder zumin­dest fördern, oft in den Hinter­grund zu treten.
Doch für eben diese Struk­tu­ren inter­es­sie­ren wir uns auch. Es eröff­nen sich wieder­um einige Fragen:
– - – Wie viel Hand­lungs­spiel­raum erkennt der/die Protagonist:in, aber auch der/die Antagonist:in eigent­lich selbst inner­halb des gege­be­nen Rahmens, und kann und will er/sie ihn auch nutzen, um nicht einen ande­ren Menschen zu unter­drü­cken bzw. zu verletzen?
– - – Welche Verant­wor­tung tragen wir einzel­nen Menschen darüber hinaus für den umfas­sen­den Wandel? Was lässt sich jetzt gleich von mir durch meine Entschei­dun­gen verändern?
– - – Und welche struk­tu­rel­len Verän­de­run­gen müsste ich – gemein­sam mit ande­ren Menschen – zusätz­lich in Angriff nehmen, wozu es aber zunächst meine ganz indi­vi­du­el­len Entschei­dun­gen braucht?
Für uns zeigt sich immer deut­li­cher, dass das Forum­thea­ter auf der Ebene des indi­vi­du­el­len Verhal­tens helfen kann, (Macht-)Verhältnisse und Hand­lungs­spiel­raum inner­halb des bestehen­den Systems zu veran­schau­li­chen. Durch die anschlie­ßen­den Refle­xio­nen mit dem Publi­kum kann es vermut­lich auch für struk­tu­rel­le Verän­de­run­gen sensi­bi­li­sie­ren. Doch vermag es auch darüber hinaus den Weg zu öffnen für grund­le­gen­de syste­mi­sche Veränderungen?
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