Ein alternativer Blick auf unser Wirtschaftssystem
In der öffentlichen Debatte um die (2. Welt-)Wirtschaftskrise ist das Thema Arbeitseinkommen allgegenwärtig.
Derzeit z. B. in Form der Diskussion zum Thema „Gesetzlicher Mindestlohn“. Tabuisiert wird eine Debatte um die andere Seite dieser Medaille: die Kapitalkosten und Kapitaleinkommen. Jene stellen nicht nur die eigentliche Ursache der Wirtschaftskrise dar, sondern manifestieren zugleich eine gesellschaftlich legitimierte Art der Sklaverei, indem die Arbeits- und damit Lebenszeit der großen Masse der Bevölkerung in einer ungerechtfertigten Form einer vergleichsweise
kleinen, aber vermögenden Minderheit zukommt.
Wenn eine Person eine andere zwingt, ohne Gegenleistung Zeit zu opfern, um Arbeiten zu verrichten, so lässt sich dies als Sklaverei bezeichnen. Sklaverei geht einher mit Freiheitsberaubung der Sklaven und ist Diebstahl ihrer Lebenszeit.
Sklaverei ist in der sogenannten „zivilisierten Welt“ moralisch geächtet und gesetzlich untersagt. Trotzdem findet sie in einem Maße statt, das nur wenigen bewusst ist. Der Großteil der Menschheit wird dabei von einer kleinen vermögenden Élite als Sklaven eingesetzt – legitimiert und gefördert durch Wirtschaftswissenschaften, Politik, einem passenden Rechtssystem sowie einem durch indirekte Wirkungsweisen undurchsichtig wirkenden Wirtschaftssystem. Diese weitreichende Aussage verlangt berechtigterweise eine Erklärung. In einer Wirtschaft gibt es grundsätzlich nur zwei Arten von Einkommen: Arbeitseinkommen und Kapitaleinkommen. Arbeitseinkommen wird von jenen erzielt, welche ihre Arbeitskraft gegen Lohn oder Gehalt anbieten. Kapitaleinkommen erhalten die Bereitsteller von Kapital, häufig auch „Investoren“ oder „Kapitalisten“ genannt. Dabei „streiten“ sich aber beide Interessengruppe um ein Gesamteinkommen, nämlich um das, was innerhalb einer bestimmten Periode in der Volkswirtschaft produziert wird. Vereinfacht: das Volkseinkommen. Volkseinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen
Insgesamt kann in einer Volkwirtschaft nur das verteilt werden, was zuvor produziert wurde. Wenn also Kapitalbereitsteller und Arbeitszeitbereitstellern sich die Gesamtproduktion teilen müssen, so wird deutlich, dass die jeweilige Gruppe nur das bekommen kann, was die andere Gruppe „übrig“ gelassen hat. Es gilt also:
Volkseinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen.
Anhänger marxistischer Wirtschaftstheorien unterteilen aufgrund dieser Einkommensarten die Gesellschaft in „Klassen“,
in diesem Fall in „Arbeiterklasse“ und „Kapitalisten“. In unserer Gesellschaft ist es weitgehend unhinterfragter Bestandteil, dass die Bereitsteller von Kapital einen entsprechenden Bonus erhalten. Dieser Bonus nennt sich Zins, Dividende, Miete, Ausschüttung oder Rendite. Die Summe aller dieser Boni, die in einer Volkswirtschaft meist von Unternehmen gezahlt werden, nennt man Kapitalkosten.
Die Kapitalkosten der Unternehmer sind entsprechend Kapitaleinkommen der Kapitalgeber. Diese Kapitaleinkommen müssen von den Unternehmen aber über den Verkauf von Produkten erzielt werden. Oder anders: Die Kunden der Unternehmen bezahlen nicht nur die Kosten für real getane Arbeit in den Unternehmen (Personalkosten), sondern auch die darüber
hinausgehenden Boni für die Kapitalgeber. Jeder Kunde zahlt somit Kapitaleinkommen über die Preise. Helmut Creutz kommt in seinen Analysen auf einen durchschnittlichen Kapitalkostenanteil in den Verkaufspreisen von bis zu 40 %.
Ein Beispiel soll zeigen, dass diese Zahlen durchaus realistisch sind. Bekanntlich erhalten Vermieter allein für den
Besitz ihrer Immobilie vom Mieter ein Einkommen (Miete), zu welchem die laufenden Kosten in Form von „Nebenkosten“
hinzugerechnet werden. Bei einer Wohnung im Wert von 100.000 Euro erwartet der Besitzer eine Verzinsung seines investierten Kapitals mindestens entsprechend dem Geldmarktzinssatz. Eine Verzinsung von 5 % entspräche hierbei 5.000 Euro jährlich bzw. ca. 420 Euro monatlich, die der Mieter pro Jahr an den Wohnungsbesitzer bezahlen muss.
Dieser Zahlung steht keine konkrete Leistung gegenüber, weil der Bau der Immobilie offensichtlich bereits abgeschlossen ist und nun nur noch die Knappheitssituation auf dem Markt vom Besitzer ausgenutzt wird. Beträgt die Monatsmiete dieser beispielhaft angenommenen Situation 600 Euro, so entsprechen die ca. 420 Euro monatlicher
Kapitalkosten etwa 70 % des „Wohnungspreises“. Dabei gilt: Je höher der Kapitaleinsatz bei einem Produkt, umso höher auch die Kapitalkostenanteile (Kosten für den Mieter, Einkommen für den Vermieter) in den Verkaufspreisen.
Leistungsloses Einkommen = Einkommenslose Leistung = gestohlene Lebenszeit = gesellschaftlich legitimierte Sklaverei
Kapitaleinkommen stellen genau den Punkt dar, an welchem von gesellschaftlicher Sklaverei die Rede sein darf. Diejenigen, die Kapitaleinkommen durch die Bereitstellung ihres Eigentums erzielen, müssen dafür Arbeits- und Kapitaleinkommen nichts tun. Sie erzielen diese Einkommen allein durch den Besitz. Man spricht deshalb von „leistungslosen Einkommen“.Erkennbar sollte sein, dass dann, wenn jemand Einkommen erzielt, ein anderer Ausgaben haben muss. Wenn also die Kapitalbesitzer Einkommen erzielen, ohne eine Leistung dafür zu erbringen, so müssen andere eine Leistung erbringen, ohne dafür ein Einkommen zu erzielen: einkommenslose Leistung. Erbracht werden muss diese Leistung
ohne Gegenleistung von allen Kunden, die über die Preise – ohne wirklich eine Wahl zu haben – erhöhte Ausgaben haben.
Die meisten Kunden sind aber Arbeitnehmer, die ihre Einkäufe mit ihrer Lebenszeit bezahlen, indem sie in ihrem Job, ihr Know-how und ihre Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Einkommenslose Leistung ist demnach nichts weiter als Zeitaufwand der Arbeitenden ohne eine entsprechende Gegenleistung erwarten zu dürfen. Oder eben: Sklaverei mittels eines auf Kapitaleinkommen basierenden Wirtschaftssystems zugunsten der Besitzenden. Michael Ende hat diese Zusammenhänge in seinem Buch „Momo“ metaphorisch dargestellt. Dort wird den Bewohner von den „Zeitdieben“, welche die Menschen zum „Zeitsparen“ bewegen, hinterlistig ihrer Lebenszeit und Lebensfreude beraubt. Es gibt mehrere Gründe, die heutigen Besitzstände und die Möglichkeit der Erzielung leistungsloser Einkommen (Kapitaleinkommen) in Frage zu stellen.
Zum einen geht es hierbei um Gerechtigkeit. Die Aneignung der Arbeits- und damit Lebenszeit anderer, nur durch den bloßen Besitz, wäre moralisch zu verurteilen. Abseits von einer Moraldiskussion ist jedoch auch die Stabilität eines Wirtschaftssystems gefährdet, wenn es leistungslose Einkommen zulässt. Die Ursache zyklischer Wirtschaftskrisen in kapitalistischen Wirtschaftssystemen ist nicht in zu hohen Lohnnebenkosten oder zu geringen Wachstumsraten zu finden, wie uns eine auf dem kapitalen Auge blinde politische „Élite“ weismachen will, sondern in einem Verteilungsproblem des
Wirtschaftssystems. Lässt man leistungslose Kapitaleinkommen zu, so bedeutet das, dass Kapitalbesitzer allein durch die Nicht-Zurückhaltung ihres Kapitals noch mehr Kapital erzielen. Sie nutzen ihren Besitzvorteil gegenüber der Gesellschaft, indem sie ihr „Privateigentum“ nur gegen eine Belohnung zur Verfügung stellen. Die Vermögen der Besitzenden werden auf diesem Wege immer größer. Die ständig wachsenden Vermögen werden jedoch erneut zinsbringend in der Volkswirtschaft investiert und erhöhen somit die Kapitaleinkommen der späteren Perioden und so weiter. Dies ist ein sich exponentiell beschleunigender Prozess.
Anhand von Volkseinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen lässt sich ableiten, dass nur dann die Kapitaleinkommen steigen können, ohne die Arbeitseinkommen zu schmälern, wenn die Gesamtwirtschaft wächst (= steigendes Volkseinkommen). Anhand dieser simplen Zusammenhänge ließe sich somit nicht nur der Wachstumszwang
unserer Volkswirtschaften erklären (Wachstum, Wachstum über alles), sondern kann zugleich abgelesen werden,
welcher Interessengruppe die heutige Wirtschaftspolitik wirklich dient: den Kapitalbesitzern. Der Kapitalismus als instabiles Gesellschaftssystem Ein Wirtschaftssystem, das leistungslose Kapitaleinkommen zulässt, tendiert dazu, den Besitzenden immer mehr Besitz zuzuschanzen, während für die Arbeitenden immer weniger übrig bleibt. Es dürfte selbst den Reichsten der Reichen auffallen, dass eine Gesellschaft, welche diesen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, nicht dauerhaft stabil sein kann, sondern sich in Arm und Reich aufspaltet und zugleich die Wirtschaft schädigt. Denn:
Arbeitseinkommen werden überwiegend verkonsumiert, anstatt investiert, kurbeln demnach den Konsum und damit den Wirtschaftskreislauf an und helfen vor allem der kleinen und mittelständischen Wirtschaft. Kapitaleinkommen
dagegen werden meist nur dann in die Wirtschaft in Form von Investitionen oder Krediten „zurückgeführt“, wenn eine entsprechende Rendite erzielt wird – was erneut die Konzentration der Vermögen und damit die Instabilität des Wirtschaftssystems fördert.
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