Zukunftsfrage der Menschheit – Rezension von Markus Henning
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Allen Bewohner:innen dieses Planeten stehen materielle Existenzbedingungen zu, die im Vergleich mit anderen Menschen und Weltgegenden nicht desaströs ausfallen. Dasselbe gilt für die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung, sozialer Teilhabe und kultureller Entfaltung. Wie können sie diese Ansprüche dauerhaft einlösen, ohne die Biosphäre und damit ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören? Welche Wege führen zu einer egalitären Weltgemeinschaft, deren friedliches Gedeihen die Begrenztheit natürlicher Ressourcen wirklich anerkennt?
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Der dramatische Verlust an Artenvielfalt, die Verheerungen des menschengemachten Klimawandels, die millionenfachen Opfer von Diskriminierung, Armut und Hunger, die von autoritärer Herrschaft und entfesselter Kriegsbarbarei aufgehäuften Leichenberge führen uns jeden Tag vor Augen, wie dringlich zielführende Antworten sind.
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Im Atlas der Weltwirtschaft 2022⁄23 werden wir jetzt eingeladen, uns aus makroökonomischer Perspektive in diese multiple Krisenhaftigkeit, in ihre Ursachen und Überwindungsmöglichkeiten hineinzudenken. Dazu haben Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger einen reichhaltigen Fundus statistischen Materials zusammengetragen, mit Blick auf die letzten drei Jahrzehnte für wichtige Gebiete ökonomischer Entwicklungen ausgewertet und in großformatigen Abbildungen visualisiert.
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Eine Stärke ihrer Analysen ist die zeitliche Dimension, in der Funktionsweisen und Beharrungskraft globaler Machtungleichgewichte aufscheinen. „Ein ökonomisch schwaches Land kann in der Regel nur wesentlich geringeren Einfluss auf die Spielregeln des internationalen Handels oder der Währungsverhältnisse nehmen. Beides sind aber die wesentlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich ein Land beim Austausch mit dem Rest der Welt entwickelt“ (S. 47).
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Eine handelsbedingt oft langfristig aufgebaute Auslandsverschuldung verstärkt die Abhängigkeit von den „Terms of Trade“ (Verhältnis der Export- zu den Importpreisen). Das Zusammenspiel beider Faktoren verunmöglicht es vielen Schwellen- und Entwicklungsländern, eine Geldpolitik zu betreiben, die mit niedrigen Kreditzinsen einer anhaltenden Investitionstätigkeit im Inland den Weg ebnen könnte. In dieser wirtschaftskolonialistischen Zwickmühle befinden sich z. B. große Teile von Lateinamerika und Afrika. Spiralen von überschießender Währungsabwertung und Kapitalflucht ausländischer Anleger sind ein permanentes Drohszenario. Im Ernstfall kann dem nur mit Zinsanhebungen begegnet werden. Diese wiederum mindern nicht allein die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Unternehmen und halten die gesamte Volkswirtschaft auf einem unterdurchschnittlichen Produktivitätspfad, sondern stoßen aufgrund des Zinsabstandes zu den stabileren Industrienationen das Tor für internationale Devisenspekulation sogar noch weiter auf.
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Selbst hoffnungsvoll neu antretende Regionen mit günstigen geographischen Bedingungen und gut ausgebildeten Arbeitskräften finden sich binnen Kurzem als bloße Absatzmärkte, verlängerte Werkbanken, billige Rohstofflieferanten und Hersteller landwirtschaftlicher Produkte wieder. Das buchstabieren die drei Autor:innen beispielhaft in einer eigenen Fallstudie aus, die sie dem Schicksal der Transformationsländer Mittel‑, Ost- und Südosteuropas gewidmet haben (S. 50 – 69).
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Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums geriet deren Übergang zum Marktsystem unter das Beratungsmonopol des IWF. Grund war der steigende Dollarbedarf in den ehemaligen Ostblockstaaten. Der wiederum war entstanden aus monetären Restriktionen seitens der „alten“ EU-Länder bei gleichzeitig durchbrechenden Inflationstendenzen, die in den bisher planwirtschaftlichen Strukturen bloß unterdrückt worden waren. Unter der neoliberalen Ägide des sog. Washington-Konsens schlug der Weltmarkteintritt für seine neuen Teilnehmer ins wohlfahrtstechnisch Dysfunktionale um: Schutzlose Öffnung, Deregulierung, Abbau sozialer Daseinsvorsorge und teils irrwitzige Privatisierungsprojekte unterbanden eigenständige industrielle Entwicklungen und den Aufbau öffentlicher Infrastrukturen, wie sie komplementär zu einem international auf Augenhöhe agierenden Kapitalstock benötigt werden. „Die Region ist gekennzeichnet von der Dominanz westlicher Unternehmen, massenhafter Abwanderung von Arbeitskräften und enormer politischer Instabilität, die bis zu offenem Antagonismus gegenüber der EU reicht“ (S. 50).
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Der Wirtschaftsraum der EU wiederum gehört – trotz aller internen Ungleichgewichte – neben den USA, China und Japan zu den vier Handelsriesen, welche die globale Ökonomie schon rein quantitativ dominieren. Gemessen an den außenwirtschaftlichen Leistungsbilanzen gibt es eine langfristige Dynamik des Aufholens allenfalls in einigen „Tigerstaaten“ Asiens (Südkorea, Taiwan, Thailand, Singapur) und in anderen Ländern nur solange, wie sie ihre Bodenschätze zu hohen Preisen exportieren können (allen voran die Golfstaaten und Russland, aber z. B. auch Nigeria, Angola, Gabun und Botswana).
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Allen Bewohner:innen dieses Planeten stehen materielle Existenzbedingungen zu, die im Vergleich mit anderen Menschen und Weltgegenden nicht desaströs ausfallen. Dasselbe gilt für die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung, sozialer Teilhabe und kultureller Entfaltung. Wie können sie diese Ansprüche dauerhaft einlösen, ohne die Biosphäre und damit ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören? Welche Wege führen zu einer egalitären Weltgemeinschaft, deren friedliches Gedeihen die Begrenztheit natürlicher Ressourcen wirklich anerkennt?
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Der dramatische Verlust an Artenvielfalt, die Verheerungen des menschengemachten Klimawandels, die millionenfachen Opfer von Diskriminierung, Armut und Hunger, die von autoritärer Herrschaft und entfesselter Kriegsbarbarei aufgehäuften Leichenberge führen uns jeden Tag vor Augen, wie dringlich zielführende Antworten sind.
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Im Atlas der Weltwirtschaft 2022⁄23 werden wir jetzt eingeladen, uns aus makroökonomischer Perspektive in diese multiple Krisenhaftigkeit, in ihre Ursachen und Überwindungsmöglichkeiten hineinzudenken. Dazu haben Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger einen reichhaltigen Fundus statistischen Materials zusammengetragen, mit Blick auf die letzten drei Jahrzehnte für wichtige Gebiete ökonomischer Entwicklungen ausgewertet und in großformatigen Abbildungen visualisiert.
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Eine Stärke ihrer Analysen ist die zeitliche Dimension, in der Funktionsweisen und Beharrungskraft globaler Machtungleichgewichte aufscheinen. „Ein ökonomisch schwaches Land kann in der Regel nur wesentlich geringeren Einfluss auf die Spielregeln des internationalen Handels oder der Währungsverhältnisse nehmen. Beides sind aber die wesentlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich ein Land beim Austausch mit dem Rest der Welt entwickelt“ (S. 47).
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Eine handelsbedingt oft langfristig aufgebaute Auslandsverschuldung verstärkt die Abhängigkeit von den „Terms of Trade“ (Verhältnis der Export- zu den Importpreisen). Das Zusammenspiel beider Faktoren verunmöglicht es vielen Schwellen- und Entwicklungsländern, eine Geldpolitik zu betreiben, die mit niedrigen Kreditzinsen einer anhaltenden Investitionstätigkeit im Inland den Weg ebnen könnte. In dieser wirtschaftskolonialistischen Zwickmühle befinden sich z. B. große Teile von Lateinamerika und Afrika. Spiralen von überschießender Währungsabwertung und Kapitalflucht ausländischer Anleger sind ein permanentes Drohszenario. Im Ernstfall kann dem nur mit Zinsanhebungen begegnet werden. Diese wiederum mindern nicht allein die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Unternehmen und halten die gesamte Volkswirtschaft auf einem unterdurchschnittlichen Produktivitätspfad, sondern stoßen aufgrund des Zinsabstandes zu den stabileren Industrienationen das Tor für internationale Devisenspekulation sogar noch weiter auf.
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Selbst hoffnungsvoll neu antretende Regionen mit günstigen geographischen Bedingungen und gut ausgebildeten Arbeitskräften finden sich binnen Kurzem als bloße Absatzmärkte, verlängerte Werkbanken, billige Rohstofflieferanten und Hersteller landwirtschaftlicher Produkte wieder. Das buchstabieren die drei Autor:innen beispielhaft in einer eigenen Fallstudie aus, die sie dem Schicksal der Transformationsländer Mittel‑, Ost- und Südosteuropas gewidmet haben (S. 50 – 69).
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Nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums geriet deren Übergang zum Marktsystem unter das Beratungsmonopol des IWF. Grund war der steigende Dollarbedarf in den ehemaligen Ostblockstaaten. Der wiederum war entstanden aus monetären Restriktionen seitens der „alten“ EU-Länder bei gleichzeitig durchbrechenden Inflationstendenzen, die in den bisher planwirtschaftlichen Strukturen bloß unterdrückt worden waren. Unter der neoliberalen Ägide des sog. Washington-Konsens schlug der Weltmarkteintritt für seine neuen Teilnehmer ins wohlfahrtstechnisch Dysfunktionale um: Schutzlose Öffnung, Deregulierung, Abbau sozialer Daseinsvorsorge und teils irrwitzige Privatisierungsprojekte unterbanden eigenständige industrielle Entwicklungen und den Aufbau öffentlicher Infrastrukturen, wie sie komplementär zu einem international auf Augenhöhe agierenden Kapitalstock benötigt werden. „Die Region ist gekennzeichnet von der Dominanz westlicher Unternehmen, massenhafter Abwanderung von Arbeitskräften und enormer politischer Instabilität, die bis zu offenem Antagonismus gegenüber der EU reicht“ (S. 50).
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Der Wirtschaftsraum der EU wiederum gehört – trotz aller internen Ungleichgewichte – neben den USA, China und Japan zu den vier Handelsriesen, welche die globale Ökonomie schon rein quantitativ dominieren. Gemessen an den außenwirtschaftlichen Leistungsbilanzen gibt es eine langfristige Dynamik des Aufholens allenfalls in einigen „Tigerstaaten“ Asiens (Südkorea, Taiwan, Thailand, Singapur) und in anderen Ländern nur solange, wie sie ihre Bodenschätze zu hohen Preisen exportieren können (allen voran die Golfstaaten und Russland, aber z. B. auch Nigeria, Angola, Gabun und Botswana).
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