Radikales Umsteuern statt Schrumpfen – Karl-Martin Hentschel
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Eine Auseinandersetzung mit der Degrowth-Theorie anhand des Buches von Ulrike Herrmann „Das Ende des Kapitalismus“
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Ulrike Herrmann, die bekannte Wirtschaftsjournalistin der TAZ und mehrfache Spiegel-Bestsellerautorin, hat mit ihrem neuen Buch eine wichtige strategische Debatte angestoßen. Es geht um den Kapitalismus und die notwendige Antwort auf den Klimawandel. Aber obwohl ich das Buch mit Genuss gelesen und einiges gelernt habe, teile ich ihre zentralen Aussagen zur Transformation des Kapitalismus in eine klimaneutrale Gesellschaft nicht und bin bei meinen Arbeiten zu völlig anderen Ergebnissen gelangt.
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Das Buch hat drei Teile. Im ersten Teil schildert die Autorin eine überraschend positive Geschichte des Kapitalismus – der aber den entscheidenden Fehler habe, dass er immer weiter wachsen muss. Sie kommt zum Ergebnis, dass der Kapitalismus den heutigen Wohlstand und die moderne Demokratie erst ermöglicht hat. Entscheidend waren dafür ausgerechnet die Gewerkschaften. Denn wenn Unternehmer*innen glauben, dass Löhne nur Kosten sind, irren sie. Tatsächlich generieren die Löhne nämlich die Massenkaufkraft, auf der der moderne Kapitalismus basiert.
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Trotz dieser positiven Seiten hat der Kapitalismus einen eingebauten Fehler: Er funktioniert nur, wenn es Wachstum gibt. Denn er wird durch Kredite angetrieben – einerseits durch private Kredite, aber in der Krise auch Staatskredite. Diese können nur getilgt werden, wenn die Firmen Gewinne machen. Und Gewinne sind nur möglich, wenn es Wachstum gibt. Damit verbunden ist ein zweiter Effekt. Die Firmen investieren ständig in neue Technologien. Dieser technische Fortschritt kostet permanent Jobs. Aber das Wachstum sorgt auch dafür, dass immer neue Arbeitsplätze entstehen. Damit wurde die Schaffung von Arbeitsplätzen zum Ziel der Wirtschaft. „Wir arbeiten, um zu arbeiten.“
Der Kapitalismus folgt also der Logik der Krebszelle. Er muss unaufhörlich wachsen und zerstört damit erst seine Umwelt – und dann sich selbst.
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„‚Grünes Wachstum‘ gibt es nicht“ oder „Die Irrtümer der Degrowth-Theorie“
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Im zweiten Teil des Buches geht es um die große Herausforderung unserer Zeit: Den Klimawandel. Es gibt keine Alternative, als die CO2-Emissionen zu stoppen und zu Erneuerbaren Energien überzugehen. Auch die Atomkraft ist keine Lösung, da sie viel zu teuer ist und mangels geeigneter Rohstoffe nur einen Bruchteil der nötigen Energie liefern kann. Soweit kann man der Darstellung im Buch nur zustimmen.
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Nun betrachtet Herrmann die Erneuerbaren Energien. Hierbei kommt die Autorin zu folgenden Aussagen: Es werden vermutlich bis zu 1000 TWh Strom benötigt. Da ein Transport aus Afrika zu teuer ist, muss der Strom in Deutschland erzeugt werden. Die mögliche Kapazität der Produktion in Deutschland ist aber leider beschränkt und reicht nicht aus. Und Sonne und Wind liefern die Energie auch nur unregelmäßig. Deshalb werden doppelt bis dreimal so viel mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke wie heute benötigt, um in einer kalten Dunkelflaute die Stromversorgung zu sichern.
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Im Ergebnis kann nicht ausreichend grüne Energie erzeugt werden und außerdem ist die grüne Energie künftig viel teurer als heute. Weiterhin gibt es nicht genügend Rohstoffe für den Bau von Solar- und Windkraftwerken und Elektromobilität. Auch Recyceln hilft nicht weiter, da recycelte Materialien (Metalle) nicht die gleiche Qualität wie Neue haben. Weiterhin wirft die Autorin an verschiedenen Stellen allen Wissenschaftler*innen, die über diese Themen seit Jahren forschen und schreiben, vor, sie hätten diese Probleme übersehen.
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An dieser Stelle muss man Ulrike Herrmann entschieden widersprechen. Natürlich hat die Wissenschaft diese Probleme nicht „übersehen“. Tatsächlich sind alle diese Probleme seit langem bekannt und wurden seit Jahren in zahlreichen Studien untersucht und Lösungen dafür erarbeitet. Die benötigten Mengen an Energie, die Flächen für Windkraft- und Solaranlagen, die benötigten Rohstoffe und die daraus resultierenden Energiepreise wurden berechnet. Auch die Lösungen für die Schwankungen der Energieerzeugung, die Versorgung in der Dunkelflaute, die Notstromaggregate (Gasturbinen), die Speicher, die benötigten Gleichstromleitungen usw. sind längst in umfangreichen Studien dargestellt und kalkuliert worden. Dazu gibt es hunderte von wissenschaftlichen Veröffentlichungen der über 40 daran arbeitenden Institute allein in Deutschland, aber auch der Industrie und von einschlägigen Denkwerkstätten wie Agora Energiewende usw.
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Die Ergebnisse dieser Arbeiten haben wir in drei Handbüchern zum Klimaschutz zusammengestellt und sie von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Fachleuten evaluieren lassen. Dabei haben wir streng darauf geachtet, nur das darzustellen, was sicher geht. Nicht berücksichtigt haben wir daher Hunderte von neuen wissenschaftlichen Ergebnissen, die zurzeit in Arbeit sind, von denen aber eben noch nicht klar ist, ob sie wirklich funktionieren und ob sie halbwegs rentabel eingesetzt werden können. Aber man kann sicher sein, dass viele davon bald auf den Markt kommen und dazu beitragen werden, dass die Preise für die Energiewende weiter sinken werden!
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Ulrike Hermann hat durchaus Recht, wenn sie feststellt, dass die Prognosen des Energie- und insbesondere des Strombedarfs in den wissenschaftlichen Studien sehr unterschiedlich sind – zwischen 620 und 1000 TWh. Das liegt aber nicht an dem Nichtwissen der Autor*innen, sondern an den jeweiligen Annahmen: Tatsächlich fehlt dabei sogar noch die Hälfte. Denn künftig wird Strom neben einem kleinen Teil Biomasse die wichtigste Primärenergie sein. So enthalten die obigen Zahlen zwar bereits den Strom für die Herstellung von Wasserstoff, der gespeichert werden muss, um Zeiten der sogenannten Dunkelflaute zu überstehen und den Strom für Elektromobilität und Wärmepumpen, aber es fehlt der Strom als Primärenergie, der für die Herstellung der grünen Treibstoffe für Flugverkehr und Schifffahrt benötigt wird, da diese bis 2050 vermutlich noch nicht auf elektrischen Antrieb umgestellt werden können. Und es fehlt der Strom für die Herstellung von Wasserstoff, Naphtha, Ammoniak und Methanol, die als Rohstoffe für die Stahl‑, Zement- und Chemieindustrie benötigt werden. Insgesamt ergibt sich nach der Zusammenstellung des Handbuch Klimaschutz ein Primärenergiebedarf für ein CO2-freies Deutschland von sogar 2000 TWh, überwiegend in Form von Strom. Es wird also fast viermal so viel Strom benötigt, aber nur gut halb so viel Energie wie heute. Denn heute liegt der Primärenergiebedarf bei 3500 TWh – überwiegend natürlich in Form von Öl, Gas und Kohle.
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Eine Auseinandersetzung mit der Degrowth-Theorie anhand des Buches von Ulrike Herrmann „Das Ende des Kapitalismus“
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Ulrike Herrmann, die bekannte Wirtschaftsjournalistin der TAZ und mehrfache Spiegel-Bestsellerautorin, hat mit ihrem neuen Buch eine wichtige strategische Debatte angestoßen. Es geht um den Kapitalismus und die notwendige Antwort auf den Klimawandel. Aber obwohl ich das Buch mit Genuss gelesen und einiges gelernt habe, teile ich ihre zentralen Aussagen zur Transformation des Kapitalismus in eine klimaneutrale Gesellschaft nicht und bin bei meinen Arbeiten zu völlig anderen Ergebnissen gelangt.
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Das Buch hat drei Teile. Im ersten Teil schildert die Autorin eine überraschend positive Geschichte des Kapitalismus – der aber den entscheidenden Fehler habe, dass er immer weiter wachsen muss. Sie kommt zum Ergebnis, dass der Kapitalismus den heutigen Wohlstand und die moderne Demokratie erst ermöglicht hat. Entscheidend waren dafür ausgerechnet die Gewerkschaften. Denn wenn Unternehmer*innen glauben, dass Löhne nur Kosten sind, irren sie. Tatsächlich generieren die Löhne nämlich die Massenkaufkraft, auf der der moderne Kapitalismus basiert.
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Trotz dieser positiven Seiten hat der Kapitalismus einen eingebauten Fehler: Er funktioniert nur, wenn es Wachstum gibt. Denn er wird durch Kredite angetrieben – einerseits durch private Kredite, aber in der Krise auch Staatskredite. Diese können nur getilgt werden, wenn die Firmen Gewinne machen. Und Gewinne sind nur möglich, wenn es Wachstum gibt. Damit verbunden ist ein zweiter Effekt. Die Firmen investieren ständig in neue Technologien. Dieser technische Fortschritt kostet permanent Jobs. Aber das Wachstum sorgt auch dafür, dass immer neue Arbeitsplätze entstehen. Damit wurde die Schaffung von Arbeitsplätzen zum Ziel der Wirtschaft. „Wir arbeiten, um zu arbeiten.“
Der Kapitalismus folgt also der Logik der Krebszelle. Er muss unaufhörlich wachsen und zerstört damit erst seine Umwelt – und dann sich selbst.
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„‚Grünes Wachstum‘ gibt es nicht“ oder „Die Irrtümer der Degrowth-Theorie“
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Im zweiten Teil des Buches geht es um die große Herausforderung unserer Zeit: Den Klimawandel. Es gibt keine Alternative, als die CO2-Emissionen zu stoppen und zu Erneuerbaren Energien überzugehen. Auch die Atomkraft ist keine Lösung, da sie viel zu teuer ist und mangels geeigneter Rohstoffe nur einen Bruchteil der nötigen Energie liefern kann. Soweit kann man der Darstellung im Buch nur zustimmen.
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Nun betrachtet Herrmann die Erneuerbaren Energien. Hierbei kommt die Autorin zu folgenden Aussagen: Es werden vermutlich bis zu 1000 TWh Strom benötigt. Da ein Transport aus Afrika zu teuer ist, muss der Strom in Deutschland erzeugt werden. Die mögliche Kapazität der Produktion in Deutschland ist aber leider beschränkt und reicht nicht aus. Und Sonne und Wind liefern die Energie auch nur unregelmäßig. Deshalb werden doppelt bis dreimal so viel mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke wie heute benötigt, um in einer kalten Dunkelflaute die Stromversorgung zu sichern.
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Im Ergebnis kann nicht ausreichend grüne Energie erzeugt werden und außerdem ist die grüne Energie künftig viel teurer als heute. Weiterhin gibt es nicht genügend Rohstoffe für den Bau von Solar- und Windkraftwerken und Elektromobilität. Auch Recyceln hilft nicht weiter, da recycelte Materialien (Metalle) nicht die gleiche Qualität wie Neue haben. Weiterhin wirft die Autorin an verschiedenen Stellen allen Wissenschaftler*innen, die über diese Themen seit Jahren forschen und schreiben, vor, sie hätten diese Probleme übersehen.
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An dieser Stelle muss man Ulrike Herrmann entschieden widersprechen. Natürlich hat die Wissenschaft diese Probleme nicht „übersehen“. Tatsächlich sind alle diese Probleme seit langem bekannt und wurden seit Jahren in zahlreichen Studien untersucht und Lösungen dafür erarbeitet. Die benötigten Mengen an Energie, die Flächen für Windkraft- und Solaranlagen, die benötigten Rohstoffe und die daraus resultierenden Energiepreise wurden berechnet. Auch die Lösungen für die Schwankungen der Energieerzeugung, die Versorgung in der Dunkelflaute, die Notstromaggregate (Gasturbinen), die Speicher, die benötigten Gleichstromleitungen usw. sind längst in umfangreichen Studien dargestellt und kalkuliert worden. Dazu gibt es hunderte von wissenschaftlichen Veröffentlichungen der über 40 daran arbeitenden Institute allein in Deutschland, aber auch der Industrie und von einschlägigen Denkwerkstätten wie Agora Energiewende usw.
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Die Ergebnisse dieser Arbeiten haben wir in drei Handbüchern zum Klimaschutz zusammengestellt und sie von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Fachleuten evaluieren lassen. Dabei haben wir streng darauf geachtet, nur das darzustellen, was sicher geht. Nicht berücksichtigt haben wir daher Hunderte von neuen wissenschaftlichen Ergebnissen, die zurzeit in Arbeit sind, von denen aber eben noch nicht klar ist, ob sie wirklich funktionieren und ob sie halbwegs rentabel eingesetzt werden können. Aber man kann sicher sein, dass viele davon bald auf den Markt kommen und dazu beitragen werden, dass die Preise für die Energiewende weiter sinken werden!
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Ulrike Hermann hat durchaus Recht, wenn sie feststellt, dass die Prognosen des Energie- und insbesondere des Strombedarfs in den wissenschaftlichen Studien sehr unterschiedlich sind – zwischen 620 und 1000 TWh. Das liegt aber nicht an dem Nichtwissen der Autor*innen, sondern an den jeweiligen Annahmen: Tatsächlich fehlt dabei sogar noch die Hälfte. Denn künftig wird Strom neben einem kleinen Teil Biomasse die wichtigste Primärenergie sein. So enthalten die obigen Zahlen zwar bereits den Strom für die Herstellung von Wasserstoff, der gespeichert werden muss, um Zeiten der sogenannten Dunkelflaute zu überstehen und den Strom für Elektromobilität und Wärmepumpen, aber es fehlt der Strom als Primärenergie, der für die Herstellung der grünen Treibstoffe für Flugverkehr und Schifffahrt benötigt wird, da diese bis 2050 vermutlich noch nicht auf elektrischen Antrieb umgestellt werden können. Und es fehlt der Strom für die Herstellung von Wasserstoff, Naphtha, Ammoniak und Methanol, die als Rohstoffe für die Stahl‑, Zement- und Chemieindustrie benötigt werden. Insgesamt ergibt sich nach der Zusammenstellung des Handbuch Klimaschutz ein Primärenergiebedarf für ein CO2-freies Deutschland von sogar 2000 TWh, überwiegend in Form von Strom. Es wird also fast viermal so viel Strom benötigt, aber nur gut halb so viel Energie wie heute. Denn heute liegt der Primärenergiebedarf bei 3500 TWh – überwiegend natürlich in Form von Öl, Gas und Kohle.
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