Mühelos mächtig – Roland Rottenfußer
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Die Vererbung von Besitz ist antidemokratischer Wahnsinn, weil sie materielle Ungleichheit über Generationen fortschreibt und verstärkt- – -
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Der Zins ist schädlich, gewiss, aber er bliebe ein begrenztes Übel, wäre da nicht ein anderer Faktor, der ihn verewigt und potenziert: das Erbe. Erbschaften zementieren Familienprivilegien und unterhöhlen die Chancengleichheit. Der Sohn von Manuel Neuer wird nicht automatisch nächster Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft. In Unternehmen sind derlei Absurditäten aber durchaus üblich. Schwerer wiegt, dass sich dadurch die Akkumulation von Vermögen und politischem Einfluss über Generationen fortsetzen kann. Wer für das Leistungsprinzip und gegen demokratisch nicht legitimierte Machtkonzentration ist, kann nicht gleichzeitig für uneingeschränktes Erben sein. Es müssen Wege gefunden werden, Erbschaften auf ein sozialverträgliches Maß zu begrenzen. Ein paar Vorschläge.
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John Fontanelli war ein einfacher Pizza-Austräger in New York. Eines Tages erfuhr er von ein paar dubiosen Anwälten, dass er Erbe eines Riesenvermögens war. Wert: eine Billion Dollar. Das Vermögen war von seinem Vorfahren Jakob Fugger vor 500 Jahren angelegt worden — mit der Auflage, es erst jetzt, zur Jahrtausendwende, auszuzahlen. Mit Zins und Zinseszins kam so über die Jahre eine stattliche Summe zustande. John Fontanelli war mit einem Schlag der mit Abstand reichste Mensch der Welt. Zum Vergleich: Elon Musk wird heute auf „nur“ 265 Milliarden geschätzt.
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Diese Geschichte ist natürlich nicht wahr. Sie ist dem Roman „Eine Billion Dollar“ von Andreas Eschbach (2001) entnommen. Aber sie könnte wahr sein.
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Was fängt man mit so viel Geld an? Das bisschen, was John in der ersten Euphorie für Maßanzüge, Autos und ein Landhaus in England verpulverte, war schnell wieder „verdient“. Mehr noch: Wie Johns Vermögensverwalter McCaine ihm auf Anfrage mitteilte, war sein Bankkonto trotz großzügiger Ausgabenpolitik auf rätselhafte Weise in der Zwischenzeit weiter angeschwollen. Ab einer gewissen Höhe ist ein Vermögen kaum kleinzukriegen — aufgrund von Zins und Zinseszins. Zum Glück ist John Fontanelli in Eschbachs Roman ein guter Kerl. Er sucht nach Wegen, mit seinem Geld die ganze Welt zu beglücken. Was wäre aber, wenn so viel Geld in die Hände von weniger wohlmeinenden Individuen geriete?
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Was kostet die Welt?
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Ein machtbewusster, skrupelloser Erbe würde sich, nachdem er sein Grundbedürfnis nach fünf Jachten und zehn Ferienhäusern gestillt hat, vielleicht Politiker kaufen. Solche, die alles, was legal ist, in seinem Namen für legitim erklären. Und er würde versuchen, Einfluss auf die Politik seiner Schützlinge zu nehmen. Vielleicht würde er sich auch Medien kaufen, die dem Volk in professionellen Kampagnen einreden, dass es in ihrem Interesse sei, entrechtet und ausgeplündert zu werden. Relativ günstig ist in Zeiten knapper Kassen auch die komplette Infrastruktur einer Volkswirtschaft zu haben: Wasser, Eisenbahn, Verkehrsbetriebe. Lohnend wäre es auch, mehrere scheinbar konkurrierende Energieversorger zu kontrollieren, um den Verbrauchern überhöhte Strompreise aufzuzwingen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
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Leider ist das hier gezeichnete Szenario schon heute Realität. Mit Guthaben von weit weniger als einer Billion kann eine Minderheit heute das Geschehen auf der Erde zu ihren Gunsten manipulieren. 0,1 Prozent der heute lebenden Menschen besitzen 81 Prozent des weltweiten Vermögens. Eine solche Ungleichverteilung wäre nicht möglich gewesen ohne eine merkwürdige Gewohnheit der menschlichen Spezies: das Erben. Warum es so gefährlich ist, lässt sich an einem einfachen Beispiel zeigen.
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Nehmen wir an, ein 20-Jähriger legte ein Vermögen von 10.000 Euro an. Er stirbt mit 80. Bei einem Verdopplungszeitraum von 20 Jahren kann sich ein solches Vermögen während der Lebensspanne seines Besitzers höchstens verachtfachen (80.000 Euro). Vererbt er es an seinen 40-jährigen Sohn, so kann dieser, bis er selbst stirbt, schon über ein Vermögen von 320.000 Euro verfügen. Beim Enkel wären es 1.280.000 und so weiter. Wir kennen das Spiel.
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Natürlich werden manche hier auf die Nullzinspolitik der letzten Jahre verweisen. Diese war jedoch im langfristigen Kontext lediglich eine Episode, die uns nicht verleiten sollte, die Wirkungsweise von Zinsen — gemeint sind auch versteckte Zinsen, die in Preisen enthalten sind — und Erbschaften zu unterschätzen.
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Die Mühe, geboren zu werden
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Da ist es erstaunlich, dass selbst in der zinskritischen Geldreformerszene relativ selten über Erbschaften gesprochen wird. Dabei basiert eines der bekanntesten Rechenbeispiele für die Absurdität des Zinses auf dem Prinzip der unbegrenzten Vererbung: der „Josephspfennig“. Der englische Moralphilosoph Richard Price rechnete 1772 aus: Ein Pfennig, angelegt mit 5 Prozent zum Zeitpunkt von Jesu Geburt, hätte bis in die Gegenwart ein Vermögen im Wert von 150 Erden aus purem Gold erwirtschaftet. Das Beispiel funktioniert nur, wenn man die ungeschmälerte Weitervererbung von Vermögen unterstellt. Hier muss festgehalten werden:
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Übermäßiger Reichtum ist nicht nur deshalb schädlich, weil er Armut bedingt — dieser Effekt könnte ja durch Wirtschaftswachstum begrenzt werden. Reichtum ist vielmehr an sich schädlich, weil er Macht generiert, die nicht demokratisch verliehen ist.
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Sahra Wagenknecht, prominente Politikerin der Partei „Die Linke“, schreibt hierzu: „Politische Macht ist heute nicht mehr unmittelbar erblich, wirtschaftliche Macht dagegen ist es, und mit ihr vererbt sich auch die Macht, der ganzen Gesellschaft die eigenen Interessen aufzuzwingen.“
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Nebenbei bemerkt soll der jetzige König Charles von seiner Mutter, Queen Elizabeth, ein Vermögen im Wert von 750 Millionen Pfund geerbt haben. Und es wäre naiv, anzunehmen, dass Geld, Tradition und Netzwerke ihm nicht auch eine weit überproportionale Macht in den Schoß gelegt hätten.
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Die Ungerechtigkeit von Erbschaften empörte schon die großen Geister der Aufklärung. 1784 schrieb der Komödiendichter Beaumarchais in seinem berühmten Monolog des Figaro an die Adresse des Adels: „Adel, Reichtum, Rang und Würden, all das macht Sie so stolz! Was haben Sie denn geleistet für so viele Vorteile? Sie haben sich die Mühe gegeben, geboren zu werden, weiter nichts.“
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Das Stück wurde zum Skandal, die betreffende Textstelle musste von Mozart und da Ponte aus ihrer Oper „Le Nozze di Figaro“ entfernt werden. Die Wahrheit ist eben nicht immer bequem.
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Die Vererbung von Besitz ist antidemokratischer Wahnsinn, weil sie materielle Ungleichheit über Generationen fortschreibt und verstärkt- – -
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Der Zins ist schädlich, gewiss, aber er bliebe ein begrenztes Übel, wäre da nicht ein anderer Faktor, der ihn verewigt und potenziert: das Erbe. Erbschaften zementieren Familienprivilegien und unterhöhlen die Chancengleichheit. Der Sohn von Manuel Neuer wird nicht automatisch nächster Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft. In Unternehmen sind derlei Absurditäten aber durchaus üblich. Schwerer wiegt, dass sich dadurch die Akkumulation von Vermögen und politischem Einfluss über Generationen fortsetzen kann. Wer für das Leistungsprinzip und gegen demokratisch nicht legitimierte Machtkonzentration ist, kann nicht gleichzeitig für uneingeschränktes Erben sein. Es müssen Wege gefunden werden, Erbschaften auf ein sozialverträgliches Maß zu begrenzen. Ein paar Vorschläge.
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John Fontanelli war ein einfacher Pizza-Austräger in New York. Eines Tages erfuhr er von ein paar dubiosen Anwälten, dass er Erbe eines Riesenvermögens war. Wert: eine Billion Dollar. Das Vermögen war von seinem Vorfahren Jakob Fugger vor 500 Jahren angelegt worden — mit der Auflage, es erst jetzt, zur Jahrtausendwende, auszuzahlen. Mit Zins und Zinseszins kam so über die Jahre eine stattliche Summe zustande. John Fontanelli war mit einem Schlag der mit Abstand reichste Mensch der Welt. Zum Vergleich: Elon Musk wird heute auf „nur“ 265 Milliarden geschätzt.
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Diese Geschichte ist natürlich nicht wahr. Sie ist dem Roman „Eine Billion Dollar“ von Andreas Eschbach (2001) entnommen. Aber sie könnte wahr sein.
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Was fängt man mit so viel Geld an? Das bisschen, was John in der ersten Euphorie für Maßanzüge, Autos und ein Landhaus in England verpulverte, war schnell wieder „verdient“. Mehr noch: Wie Johns Vermögensverwalter McCaine ihm auf Anfrage mitteilte, war sein Bankkonto trotz großzügiger Ausgabenpolitik auf rätselhafte Weise in der Zwischenzeit weiter angeschwollen. Ab einer gewissen Höhe ist ein Vermögen kaum kleinzukriegen — aufgrund von Zins und Zinseszins. Zum Glück ist John Fontanelli in Eschbachs Roman ein guter Kerl. Er sucht nach Wegen, mit seinem Geld die ganze Welt zu beglücken. Was wäre aber, wenn so viel Geld in die Hände von weniger wohlmeinenden Individuen geriete?
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Was kostet die Welt?
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Ein machtbewusster, skrupelloser Erbe würde sich, nachdem er sein Grundbedürfnis nach fünf Jachten und zehn Ferienhäusern gestillt hat, vielleicht Politiker kaufen. Solche, die alles, was legal ist, in seinem Namen für legitim erklären. Und er würde versuchen, Einfluss auf die Politik seiner Schützlinge zu nehmen. Vielleicht würde er sich auch Medien kaufen, die dem Volk in professionellen Kampagnen einreden, dass es in ihrem Interesse sei, entrechtet und ausgeplündert zu werden. Relativ günstig ist in Zeiten knapper Kassen auch die komplette Infrastruktur einer Volkswirtschaft zu haben: Wasser, Eisenbahn, Verkehrsbetriebe. Lohnend wäre es auch, mehrere scheinbar konkurrierende Energieversorger zu kontrollieren, um den Verbrauchern überhöhte Strompreise aufzuzwingen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
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Leider ist das hier gezeichnete Szenario schon heute Realität. Mit Guthaben von weit weniger als einer Billion kann eine Minderheit heute das Geschehen auf der Erde zu ihren Gunsten manipulieren. 0,1 Prozent der heute lebenden Menschen besitzen 81 Prozent des weltweiten Vermögens. Eine solche Ungleichverteilung wäre nicht möglich gewesen ohne eine merkwürdige Gewohnheit der menschlichen Spezies: das Erben. Warum es so gefährlich ist, lässt sich an einem einfachen Beispiel zeigen.
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Nehmen wir an, ein 20-Jähriger legte ein Vermögen von 10.000 Euro an. Er stirbt mit 80. Bei einem Verdopplungszeitraum von 20 Jahren kann sich ein solches Vermögen während der Lebensspanne seines Besitzers höchstens verachtfachen (80.000 Euro). Vererbt er es an seinen 40-jährigen Sohn, so kann dieser, bis er selbst stirbt, schon über ein Vermögen von 320.000 Euro verfügen. Beim Enkel wären es 1.280.000 und so weiter. Wir kennen das Spiel.
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Natürlich werden manche hier auf die Nullzinspolitik der letzten Jahre verweisen. Diese war jedoch im langfristigen Kontext lediglich eine Episode, die uns nicht verleiten sollte, die Wirkungsweise von Zinsen — gemeint sind auch versteckte Zinsen, die in Preisen enthalten sind — und Erbschaften zu unterschätzen.
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Die Mühe, geboren zu werden
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Da ist es erstaunlich, dass selbst in der zinskritischen Geldreformerszene relativ selten über Erbschaften gesprochen wird. Dabei basiert eines der bekanntesten Rechenbeispiele für die Absurdität des Zinses auf dem Prinzip der unbegrenzten Vererbung: der „Josephspfennig“. Der englische Moralphilosoph Richard Price rechnete 1772 aus: Ein Pfennig, angelegt mit 5 Prozent zum Zeitpunkt von Jesu Geburt, hätte bis in die Gegenwart ein Vermögen im Wert von 150 Erden aus purem Gold erwirtschaftet. Das Beispiel funktioniert nur, wenn man die ungeschmälerte Weitervererbung von Vermögen unterstellt. Hier muss festgehalten werden:
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Übermäßiger Reichtum ist nicht nur deshalb schädlich, weil er Armut bedingt — dieser Effekt könnte ja durch Wirtschaftswachstum begrenzt werden. Reichtum ist vielmehr an sich schädlich, weil er Macht generiert, die nicht demokratisch verliehen ist.
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Sahra Wagenknecht, prominente Politikerin der Partei „Die Linke“, schreibt hierzu: „Politische Macht ist heute nicht mehr unmittelbar erblich, wirtschaftliche Macht dagegen ist es, und mit ihr vererbt sich auch die Macht, der ganzen Gesellschaft die eigenen Interessen aufzuzwingen.“
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Nebenbei bemerkt soll der jetzige König Charles von seiner Mutter, Queen Elizabeth, ein Vermögen im Wert von 750 Millionen Pfund geerbt haben. Und es wäre naiv, anzunehmen, dass Geld, Tradition und Netzwerke ihm nicht auch eine weit überproportionale Macht in den Schoß gelegt hätten.
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Die Ungerechtigkeit von Erbschaften empörte schon die großen Geister der Aufklärung. 1784 schrieb der Komödiendichter Beaumarchais in seinem berühmten Monolog des Figaro an die Adresse des Adels: „Adel, Reichtum, Rang und Würden, all das macht Sie so stolz! Was haben Sie denn geleistet für so viele Vorteile? Sie haben sich die Mühe gegeben, geboren zu werden, weiter nichts.“
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Das Stück wurde zum Skandal, die betreffende Textstelle musste von Mozart und da Ponte aus ihrer Oper „Le Nozze di Figaro“ entfernt werden. Die Wahrheit ist eben nicht immer bequem.
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