Geld – Vom sozialen Sprengstoff zum sozialen Integrationsmittel – Werner Onken

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Im Zuge der neue­ren Null- und Nega­tiv­zins­ent­wick­lung scheint in den letz­ten Jahren im Bereich des Geld­we­sens schon etwas mehr in Bewe­gung gekom­men zu sein als im Bereich des Boden- und Ressour­cen­rechts. Aber auch hier könnte der „wirt­schafts­po­li­ti­sche Gezei­ten­wech­sel“ (Keynes) noch ganz am Anfang stehen. Während Keynes die Geld- (und Boden-)reformbewegung seiner­zeit als Initi­al­kraft für eine „sanf­ten Tod des Rent­ners (Rentiers), des funk­ti­ons­lo­sen Inves­tors“ betrach­tet hatte, ließe sie sich tref­fen­der als eine Hospiz­be­we­gung für die kapi­ta­lis­ti­schen Macht­struk­tu­ren in Wirt­schaft und Poli­tik charak­te­ri­sie­ren. Und sie ließe sich auch mit der Vorstel­lung vom Beginn von Geburts­we­hen einer neuen Zeit in Verbin­dung bringen.

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Zusätz­lich zu einer Entfeu­da­li­sie­rung und Entka­pi­ta­li­sie­rung der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen, die die Menschen ihrer ursprünglich-eigenen Würde entspre­chend aus Abhän­gig­kei­ten befreit und sie gleich­sam in der Verti­ka­len wieder aufrich­tet, wäre es genau­so notwen­dig, auch die sozia­len Lebens­grund­la­gen des Geldes und der Unter­neh­men zu entka­pi­ta­li­sie­ren. Die Forde­run­gen von Scher­horn und Peukert, die inter­na­tio­na­len Finanz­märk­te zu bändigen, indem Finanz­in­sti­tu­te und ihre Produk­te besser über­wacht werden, indem zur Risi­ko­min­de­rung höhere Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­run­gen an Banken gestellt werden, indem Geschäf­te außer­halb von Bilan­zen und an nicht aner­kann­ten Wert­pa­pier­bör­sen sowie Leer­ver­käu­fe und Risi­ko­ver­brie­fun­gen verbo­ten werden usw., gehen gewiss in die rich­ti­ge Rich­tung. Sie werden aber noch nicht ausrei­chen, um die struk­tu­rel­le Über­le­gen­heit des Geldes über die mensch­li­che Arbeit und ihre Erzeug­nis­se und die daraus erwach­se­ne Domi­nanz der Finanz­märk­te zu über­win­den. Zusam­men mit einer Reform der Boden- und Ressour­cen­ord­nung bedarf es einer struk­tu­rel­len Reform des Geldes, um dem Geld bzw. den Geld­ver­mö­gen die Kraft zu nehmen, sich fort­wäh­rend selbst zu vermeh­ren und sich dabei auch der öffent­li­chen Güter zu bemäch­ti­gen und sie zu priva­ti­sie­ren. Darüber hinaus könnte sie gewähr­leis­ten, dass die Würde der Menschen auch inner­halb der Zirkulationssphäre beim gleich­sam hori­zon­ta­len Handel mit Gütern und Dienst­leis­tun­gen einschließ­lich von Bank­dienst­leis­tun­gen nicht länger durch eine „kapi­ta­lis­ti­sche Partei­lich­keit“ (Suhr) des Tausch- und Kredit­mit­tels Geld verletzt werden kann. Und schließ­lich muss in Verbin­dung mit einer Neutra­li­sie­rung des Geldes eine Entka­pi­ta­li­sie­rung und Dezen­tra­li­sie­rung von Geld- und Realvermögen dafür sorgen, dass auch inner­halb der Produktionssphäre nach dem Zeit­al­ter der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on und ‑konzen­tra­ti­on mitsamt der Haftungs­be­schrän­kun­gen sowie der Patent- und Marken­pri­vi­le­gi­en anstel­le der hier­ar­chi­schen, gera­de­zu gigan­to­ma­ni­schen „Dino­sau­ri­er-Unter­neh­men“ (Röpke) in einer Zwei­ten Moder­ne egalitär‑demokratische Unter­neh­mens­struk­tu­ren und tech­ni­sche Produk­ti­ons­struk­tu­ren im Sinne von Schu­ma­chers „mitt­le­ren Tech­no­lo­gien“ und Illichs „konvi­via­len Werk­zeu­gen“ entste­hen können, in denen sich die Produzent/innen durch eine unmit­tel­ba­re Teil­ha­be und nicht durch ein imagi­nä­res sog. Volks­ei­gen­tum mit ihren Produk­ti­ons­mit­teln verbin­den. Aus einer Gesamt­per­spek­ti­ve der Reform der Geld- und Boden­ord­nung, der Kritik des frühen Ordo­li­be­ra­lis­mus am „Kult des Kolos­sa­len“ und der „Small is beautiful“-Bewegung geht es also keines­falls um eine Rück­kehr in eine vorin­dus­tri­el­le Gesell­schaft oder gar in die Stein­zeit, sondern um einen Verbleib in der Moder­ne – aber nicht mehr in der auf der Akku­mu­la­ti­on und Konzen­tra­ti­on von Kapi­tal beru­hen­den ersten Moder­ne. Viel­mehr geht es um eine allmäh­li­che und gewalt­freie Trans­for­ma­ti­on der ersten in eine zweite Moder­ne, bei der das Geld entthront und mitsamt der Arbeits­tei­lung und der Märkte als Diener so in die sozia­len und ökolo­gi­schen Lebens­wel­ten einge­bet­tet wird, dass eine Auftei­lung der Groß­kon­zer­ne und eine „Reper­so­na­li­sie­rung“ der Unter­neh­mens­ver­fas­sun­gen (Bins­wan­ger) begin­nen können.

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Sobald das Geld die Gesell­schaft nicht mehr in sich spal­ten und sie von der Natur abspal­ten kann, verlie­ren sowohl das „Natur­ka­pi­tal“ als auch das „Human­ka­pi­tal“, „Sozi­al­ka­pi­tal“ oder „Real­ka­pi­tal“ ihren Kapi­tal­cha­rak­ter. Die dezen­tra­li­sier­ten Produk­ti­ons­mit­tel sind dann nur noch Hilfs­mit­tel der Produk­ti­on, aber keine struk­tu­rel­len Macht­mit­tel mehr, die ihren priva­ten und genos­sen­schaft­li­chen Eigen­tü­mern noch länger einen Mehr­wert einbrin­gen. Sobald die kapi­ta­lis­ti­schen Finanz­märk­te mit dem von Peukert aufge­stell­ten Maßnah­men­ka­ta­log regu­liert werden und sobald die Akku­mu­la­ti­on und Konzen­tra­ti­on von leis­tungs­lo­sen Einkünf­ten aus Boden­ren­ten, Kapi­tal­zin­sen und ande­ren Privi­le­gi­en nach und nach unmög­lich werden, können die arbei­ten­den Menschen zusätz­lich zu ihrer poli­ti­schen Gleich­be­rech­ti­gung im Laufe einer Über­gangs­zeit auch in den Voll­be­sitz ihrer ökono­mi­schen Kräfte gelan­gen. Sie können sich auf glei­cher ökono­mi­scher Augen­hö­he begeg­nen und werden dann – was Emma­nu­el Sièyes zur Zeit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on vergeb­lich erhoff­te – zu einem sowohl poli­tisch als auch ökono­misch homo­ge­nen „Drit­ten Stand“ von Bürgern und Bürge­rin­nen in einer nicht mehr hier­ar­chisch geschich­te­ten nach­ka­pi­ta­lis­ti­schen Bürgergesellschaft, die die Spal­tung in eine Groß­bour­geoi­sie, klein­bür­ger­li­che Mittel­schich­ten und prekä­re Unter­schich­ten hinter sich lässt. Dem Histo­ri­ker Jürgen Kocka zufol­ge „blieb die Wirk­lich­keit des 19. und frühen 20. Jahr­hun­derts weit hinter dem Modell der bürger­li­chen Gesell­schaft zurück“, welches die Philo­so­phen des Huma­nis­mus und der Aufklä­rung entwor­fen hatten. Während sie sich im Kontrast zur Feudal­herr­schaft von Adel und Klerus mit Geburts­pri­vi­le­gi­en und konser­va­ti­ven Tradi­tio­nen eine „säku­la­ri­sier­te Gesell­schaft freier, mündi­ger Bürger (Citoy­ens)“ vorge­stellt hatten, „die ihre Verhält­nis­se fried­lich, vernünf­tig und selbst­stän­dig regeln, ohne allzu viel sozia­le Ungleich­heit, ohne obrig­keits­staat­li­che Gänge­lung“, waren seit dem Beginn der Ersten Moder­ne neue wirt­schaft­lich-struk­tu­rel­le Privi­le­gi­en entstan­den, die genau das durch­kreuz­ten, was die Grund­la­ge der neuen bürger­li­chen Gesell­schaft hätte werden sollen – nämlich ein Arbeits- und Leis­tungs­ethos anstel­le des aris­to­kra­ti­schen Müßig­gangs, Bildung und Kultur für alle sowie die Rege­lung poli­ti­scher Ange­le­gen­hei­ten mit Hilfe der Vernunft. Aufgrund der neuen kapi­ta­lis­ti­schen Spal­tung der bürger­li­chen Gesell­schaft wider­sprach sie jedoch ihrem ursprüng­li­chen Modell, weshalb sie – mit tragi­schen Folgen – zum Feind­bild von kommu­nis­ti­schen und faschis­tisch-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gegen­be­we­gun­gen wurde. Obwohl die kapi­ta­lis­ti­schen Privi­le­gi­en in der zwei­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts noch immer nicht über­wun­den wurden, sah Kocka ange­sichts der Entwick­lung der Bürgergesellschaft zur Zivil­ge­sell­schaft Anzei­chen für eine „Renais­sance der Bürger­lich­keit“. Diese Tendenz könnte durch Refor­men der Geld- und Boden­ord­nung sowie der Unter­neh­mens­ver­fas­sung und des Haftungs‑, Patent‑, Marken- und Steu­er­rechts entschei­dend gestärkt werden, so dass die bishe­ri­ge in sich wider­sprüch­li­che bürgerlich-kapitalistische Gesell­schaft in eine nach­ka­pi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft von selbst­stän­di­gen und selbst­ver­ant­wort­li­chen Bürge­rin­nen und Bürgern über­ge­hen kann, die auf der Basis ihrer aller glei­cher Frei­heit soli­da­risch mitein­an­der verbun­den sind. Im Laufe dieses Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­ses verlie­ren auch Wirt­schafts­kri­mi­na­li­tät, Korrup­ti­on und mafiöse Struk­tu­ren ihren Nährboden.

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Neben diesen bislang noch kaum wahr­ge­nom­me­nen gesell­schafts­po­li­ti­schen Poten­tia­len dieser Refor­men könnte ein im Sinne von Gesell und Keynes refor­mier­tes Geld, das die Einheit von Geben und Nehmen sowohl in der Tausch- als auch in der Kreditsphäre nicht mehr aufspal­ten kann, auch noch zwei mitein­an­der zusam­men­hän­gen­de Auswir­kun­gen auf die Wirt­schaft haben, die eben­falls noch kaum bedacht worden sind. Zum einen könnte es dazu führen, dass sich die bislang viel­fach durch Unter­bre­chun­gen gestör­ten Geldkreisläufe sowohl inner­halb einzel­ner Länder als auch welt­weit schlie­ßen. Im hoch­kom­ple­xen Netz­werk von Geld- und Wirtschaftskreisläufen können sich diese inein­an­der verwo­be­nen Kreis­läu­fe sowohl auf ihren jewei­li­gen loka­len und regio­na­len als auch globa­len Ebenen schlie­ßen. Dadurch können sich ihre Schwer­punk­te auf die unte­ren Ebenen verla­gern, so dass die Liefer­ket­ten in ihrer Gesamt­ten­denz kürzer werden. Und zum ande­ren könnte eine Reform des Geldes seine Fähig­keit stär­ken, die Komple­xi­tät der Wirt­schaft zu struk­tu­rie­ren und sie in einzel- und gesamt­wirt­schaft­li­chen Gleich­ge­wich­ten zu stabi­li­sie­ren. Indem ein refor­mier­tes Geld die dezen­tra­le Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on durch den Preis­kos­mos verbes­sert, verrin­gert es das Chaos in der Wirt­schaft und damit zugleich auch den Bedarf an einer staatlich-bürokratischen Verwal­tung und Repa­ra­tur der Unord­nung, die ohne moder­ne Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gien schon längst nicht mehr zu bewäl­ti­gen wäre.

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Dem sinken­den Bedarf an einer mit Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gien unter­stütz­ten Verwal­tung der Folgen der Dysfunktionalität des kapi­ta­lis­ti­schen Geldes entspricht im Übri­gen die in Geld­re­form­krei­sen verbrei­te­te Zurück­hal­tung gegen­über Kryp­to­wäh­run­gen wie Bitco­in oder Libra.

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Da die neuere wissen­schaft­li­che Diskus­si­on über Null- bzw. Nega­tiv­zin­sen bislang über­wie­gend tech­nisch-instru­men­tell geführt wird, sei hier zusätz­lich zu ihr durch einige Verbin­dungs­li­ni­en zur Reli­gi­on, Philo­so­phie und Wirt­schafts­ethik darge­stellt, worum es bei einer Reform des Boden­rechts und des Geld­we­sens letzt­lich geht. Und es sei auch auf weite­re offene Fragen in der gegen­wär­ti­gen Diskus­si­on über diese Refor­men verwiesen.

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