(Un)recht am Boden: – Dirk Löhr
Führt zusammen, was zusammengehört!- – -
Im Mai 2017 stieß der BDA Bayern eine Diskussion an unter der Überschrift: „Spekulationsgut Boden – brauchen wir ein neues Bodenrecht?“ Offensichtlich sehen auch die Fachleute hier mittlerweile erhebliche Probleme. Unsere Rechtsordnung orientiert sich am römischen Recht. Das gilt auch für das Bodenrecht.
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Boden ist in Deutschland zu einem erheblichen Teil Privateigentum. In ökonomischer Betrachtung handelt es sich beim Privateigentum um eine Summe von Teilrechten: Das Fruchtziehungsrecht (usus fructus), das Recht zur Veräußerung (und an den Wertsteigerungen; ius abutendi), das Nutzungsrecht (usus) sowie das Recht, den Vermögensgegenstand zu verändern (abusus). Der Staat behält sich dabei über das Bau- und Bauplanungsrecht wesentliche Eingriffe in die beiden zuletzt genannten Rechte vor (usus und abusus), insbesondere bezüglich des abusus-Rechts (Beschränkungen der Baufreiheit). Das den Boden betreffende Privatrecht ist daher durch öffentliches Recht durchzogen und gleichsam „verdünnt“. So ist es beispielsweise dem Eigentümer eines Grundstücks untersagt, in einem ausgewiesenen Wohngebiet eine Schweinezucht zu betreiben (abusus). Die von der Schweinezucht ausgehenden negativen „externen Effekte“ würden sich auf den Wert der anliegenden Grundstücke auswirken und diesen mindern. Doch reicht eine derartige „Verdünnung“ der privaten Eigentumsrechte durch das öffentliche Recht aus, um ein Funktionieren des Bodenmarktes zu gewährleisten?
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Sieht man von der „Verdünnung“ der privaten Eigentumsrechte an Grund und Boden durch das öffentliche Recht ab, ignoriert unsere Rechtsordnung weitgehend die Unterschiede zwischen Gütern, die der Eigentümer in Wert gesetzt hat (Verbrauchs- und Investitionsgüter), und denjenigen, deren Wert er vorgefunden hat bzw. der von anderen gemacht wurde (Land und Natur). Unserer Rechtsordnung liegt damit ein ähnliches Verständnis wie der neoklassischen Ökonomie zugrunde, die grundsätzlich nur die beiden Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „Kapital“ kennt. Die Produktionsfaktoren „Land“ und „Natur“ werden unter das „Kapital“ subsumiert, obwohl z. B. Boden einerseits und Kapital sowie Verbrauchsgüter andererseits vollkommen unterschiedlichen ökonomischen Gesetzen gehorchen. Steigen aufgrund erhöhter Nachfrage beispielsweise die Preise von Stanzmaschinen, kommt es aufgrund der Extragewinne zu Markteintritten; in der Folge werden der Engpass und damit auch die Extragewinne bald wieder beseitigt. Kommt es hingegen zu einer erhöhten Nachfrage nach Land, reagiert der Bodenmarkt nicht ohne weiteres mit einem erhöhten Angebot – eher ist das Gegenteil der Fall, nämlich spekulative Zurückhaltung. Selbst in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase lassen sich über die mit dem bloßen Halten von Land verbundenen Wertsteigerungen Traumrenditen erzielen. Der marktwirtschaftliche Selbstregulierungsmechanismus greift insoweit nicht. Das Baurecht kennt zwar Bauverpflichtungen, doch handelt es sich um ein relativ stumpfes Schwert, das zudem noch lange nicht die effiziente Nutzung der Grundstücke garantiert.
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Unsere Rechtsordnung schützt (über den Art. 14 GG) das Eigentum. Bei menschengemachten Gütern (Investitions- und Verbrauchsgüter) ist dies zweifellos gerechtfertigt. Die Stanzmaschine wurde von einem Unternehmer (und den von ihm bezahlten Arbeitnehmern) gefertigt; sein Eigentum daran kann z. B. mit der Arbeitstheorie des Eigentums (John Locke) legitimiert werden. Kaufe ich die Maschine, tritt der Unternehmer mir seine Rechte an dem von ihm gefertigten Gut ab.
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Bei Boden und Natur ist dies anders. Wer „macht“ eigentlich die Bodenerträge (usus fructus) und den Bodenwert (ius abutendi) in privater Hand? Der Eigentümer ist es eben gerade nicht – und damit greift auch nicht die Arbeitstheorie des Eigentums. Leistungen des Eigentümers wie z. B. Bodenverbesserungen oder Begradigungen würde der Ökonom dem Faktor „Kapital“ zurechnen, nicht dem Boden. Der große Ökonom Alfred Marshall führte die Bodenerträge und die sich hieraus ergebenden Bodenwerte auf drei Ursachen zurück: Die Kräfte der Natur (wie z. B. ein schöner Ausblick auf Berge oder ein Gewässer) und sonstige externe Effekte (wie die Agglomeration von Fachkräften in einem Ballungsraum) sowie vor allem öffentliche Leistungen, wie z. B. Infrastruktur und Sicherheit. Beim Bodenwert handelt es sich also um eine gemeinschaftlich geschaffene Leistung. Privateigentum an Land bedeutet damit die Aneignung von Werten, welche von anderen Menschen geschaffen wurden: P.-J. Proudhon klagte auch die Privatisierung solcher Werte mit seinem berühmten Ausspruch „Eigentum ist Diebstahl“ an. Im Übrigen wurde irgendwann einmal jeglicher Boden okkupiert; tatsächlich führt die „Okkupationstheorie des Eigentums“ den Begriff „Privateigentum“ auch auf seine Wurzel zurück: „Privare“ bedeutet im Lateinischen nämlich „berauben“. So meinte Frank Knight, einer der schärfsten Widersacher von Henry George, die Aneignung von Land sei legitim, da es durch Entdeckung und Eroberung „produziert“ würde: „Die ursprüngliche ‚Aneignung’ solcher Möglichkeiten durch private Eigentümer beinhaltet Investitionen in die Erschließung, in die detaillierte Untersuchung und Bewertung des Landes durch Ausprobieren, in die verschiedenartigste Entwicklungsarbeit, um die Produkte zu sichern und zu vermarkten – neben den Kosten, um das Land von bestehenden Anspruchsgruppen zu kaufen, oder aber diese zu töten oder zu vertreiben.“ Es bedarf eigentlich keines weiteren Kommentars hierzu; für zivilisierte Menschen sollte sich eine Auffassung eigentlich von selbst diskreditieren, die Raub, Tötung und Vertreibung als eine „Leistung“ betrachtet, mit der das Privateigentum gerechtfertigt werden soll.
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Doch selbst wenn man sich dieser Kritik anschließt, lautet das gängige Gegenargument: „Das Grundstück habe ich ja gekauft, also liegt eine Leistung meinerseits vor, und die Aneignung ist damit legitim.“ Aber: Kaufe ich eine gestohlene Stanzmaschine, kann ich grundsätzlich hieran nicht Eigentümer werden (§ 935 BGB). Dies gilt erst recht, wenn ich weiß oder auch nur in Kauf nehme, dass es sich um Diebesgut handeln könnte. In diesem Fall mache ich mich möglicherweise sogar strafbar. Beim Kauf eines Grundstücks, dessen Wert gemeinschaftlich geschaffen und das privat angeeignet wurde, sieht die Rechtsordnung dies aber plötzlich ganz anders – obwohl eigentlich jedermann wissen sollte, dass es sich nicht um vom Verkäufer, sondern von der Gemeinschaft geschaffene Werte handelt.
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Einerseits macht also die Rechtsordnung (abgesehen von Formerfordernissen etc.) zwischen Kapital und Land keinen grundsätzlichen Unterschied. Andererseits stellt sie aber bei Investitions- und Verbrauchsgütern den bösgläubigen Erwerb von Diebesgut unter Strafandrohung (selbst beim gutgläubigen Erwerb kann eine Kompensation vom Käufer gefordert werden), wohingegen sie bei Grund und Boden die Aneignung von durch andere Menschen geschaffenen Werten sogar über die Verfassung schützt. Dies mag geltendes Recht sein, gerecht ist es indessen nicht. Vermag eine Gesellschaft in diesen Wertungswidersprüchen keine Schieflage zu erkennen, liegt offenbar ein kulturelles Problem vor.
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Im Mai 2017 stieß der BDA Bayern eine Diskussion an unter der Überschrift: „Spekulationsgut Boden – brauchen wir ein neues Bodenrecht?“ Offensichtlich sehen auch die Fachleute hier mittlerweile erhebliche Probleme. Unsere Rechtsordnung orientiert sich am römischen Recht. Das gilt auch für das Bodenrecht.
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Boden ist in Deutschland zu einem erheblichen Teil Privateigentum. In ökonomischer Betrachtung handelt es sich beim Privateigentum um eine Summe von Teilrechten: Das Fruchtziehungsrecht (usus fructus), das Recht zur Veräußerung (und an den Wertsteigerungen; ius abutendi), das Nutzungsrecht (usus) sowie das Recht, den Vermögensgegenstand zu verändern (abusus). Der Staat behält sich dabei über das Bau- und Bauplanungsrecht wesentliche Eingriffe in die beiden zuletzt genannten Rechte vor (usus und abusus), insbesondere bezüglich des abusus-Rechts (Beschränkungen der Baufreiheit). Das den Boden betreffende Privatrecht ist daher durch öffentliches Recht durchzogen und gleichsam „verdünnt“. So ist es beispielsweise dem Eigentümer eines Grundstücks untersagt, in einem ausgewiesenen Wohngebiet eine Schweinezucht zu betreiben (abusus). Die von der Schweinezucht ausgehenden negativen „externen Effekte“ würden sich auf den Wert der anliegenden Grundstücke auswirken und diesen mindern. Doch reicht eine derartige „Verdünnung“ der privaten Eigentumsrechte durch das öffentliche Recht aus, um ein Funktionieren des Bodenmarktes zu gewährleisten?
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Sieht man von der „Verdünnung“ der privaten Eigentumsrechte an Grund und Boden durch das öffentliche Recht ab, ignoriert unsere Rechtsordnung weitgehend die Unterschiede zwischen Gütern, die der Eigentümer in Wert gesetzt hat (Verbrauchs- und Investitionsgüter), und denjenigen, deren Wert er vorgefunden hat bzw. der von anderen gemacht wurde (Land und Natur). Unserer Rechtsordnung liegt damit ein ähnliches Verständnis wie der neoklassischen Ökonomie zugrunde, die grundsätzlich nur die beiden Produktionsfaktoren „Arbeit“ und „Kapital“ kennt. Die Produktionsfaktoren „Land“ und „Natur“ werden unter das „Kapital“ subsumiert, obwohl z. B. Boden einerseits und Kapital sowie Verbrauchsgüter andererseits vollkommen unterschiedlichen ökonomischen Gesetzen gehorchen. Steigen aufgrund erhöhter Nachfrage beispielsweise die Preise von Stanzmaschinen, kommt es aufgrund der Extragewinne zu Markteintritten; in der Folge werden der Engpass und damit auch die Extragewinne bald wieder beseitigt. Kommt es hingegen zu einer erhöhten Nachfrage nach Land, reagiert der Bodenmarkt nicht ohne weiteres mit einem erhöhten Angebot – eher ist das Gegenteil der Fall, nämlich spekulative Zurückhaltung. Selbst in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase lassen sich über die mit dem bloßen Halten von Land verbundenen Wertsteigerungen Traumrenditen erzielen. Der marktwirtschaftliche Selbstregulierungsmechanismus greift insoweit nicht. Das Baurecht kennt zwar Bauverpflichtungen, doch handelt es sich um ein relativ stumpfes Schwert, das zudem noch lange nicht die effiziente Nutzung der Grundstücke garantiert.
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Unsere Rechtsordnung schützt (über den Art. 14 GG) das Eigentum. Bei menschengemachten Gütern (Investitions- und Verbrauchsgüter) ist dies zweifellos gerechtfertigt. Die Stanzmaschine wurde von einem Unternehmer (und den von ihm bezahlten Arbeitnehmern) gefertigt; sein Eigentum daran kann z. B. mit der Arbeitstheorie des Eigentums (John Locke) legitimiert werden. Kaufe ich die Maschine, tritt der Unternehmer mir seine Rechte an dem von ihm gefertigten Gut ab.
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Bei Boden und Natur ist dies anders. Wer „macht“ eigentlich die Bodenerträge (usus fructus) und den Bodenwert (ius abutendi) in privater Hand? Der Eigentümer ist es eben gerade nicht – und damit greift auch nicht die Arbeitstheorie des Eigentums. Leistungen des Eigentümers wie z. B. Bodenverbesserungen oder Begradigungen würde der Ökonom dem Faktor „Kapital“ zurechnen, nicht dem Boden. Der große Ökonom Alfred Marshall führte die Bodenerträge und die sich hieraus ergebenden Bodenwerte auf drei Ursachen zurück: Die Kräfte der Natur (wie z. B. ein schöner Ausblick auf Berge oder ein Gewässer) und sonstige externe Effekte (wie die Agglomeration von Fachkräften in einem Ballungsraum) sowie vor allem öffentliche Leistungen, wie z. B. Infrastruktur und Sicherheit. Beim Bodenwert handelt es sich also um eine gemeinschaftlich geschaffene Leistung. Privateigentum an Land bedeutet damit die Aneignung von Werten, welche von anderen Menschen geschaffen wurden: P.-J. Proudhon klagte auch die Privatisierung solcher Werte mit seinem berühmten Ausspruch „Eigentum ist Diebstahl“ an. Im Übrigen wurde irgendwann einmal jeglicher Boden okkupiert; tatsächlich führt die „Okkupationstheorie des Eigentums“ den Begriff „Privateigentum“ auch auf seine Wurzel zurück: „Privare“ bedeutet im Lateinischen nämlich „berauben“. So meinte Frank Knight, einer der schärfsten Widersacher von Henry George, die Aneignung von Land sei legitim, da es durch Entdeckung und Eroberung „produziert“ würde: „Die ursprüngliche ‚Aneignung’ solcher Möglichkeiten durch private Eigentümer beinhaltet Investitionen in die Erschließung, in die detaillierte Untersuchung und Bewertung des Landes durch Ausprobieren, in die verschiedenartigste Entwicklungsarbeit, um die Produkte zu sichern und zu vermarkten – neben den Kosten, um das Land von bestehenden Anspruchsgruppen zu kaufen, oder aber diese zu töten oder zu vertreiben.“ Es bedarf eigentlich keines weiteren Kommentars hierzu; für zivilisierte Menschen sollte sich eine Auffassung eigentlich von selbst diskreditieren, die Raub, Tötung und Vertreibung als eine „Leistung“ betrachtet, mit der das Privateigentum gerechtfertigt werden soll.
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Doch selbst wenn man sich dieser Kritik anschließt, lautet das gängige Gegenargument: „Das Grundstück habe ich ja gekauft, also liegt eine Leistung meinerseits vor, und die Aneignung ist damit legitim.“ Aber: Kaufe ich eine gestohlene Stanzmaschine, kann ich grundsätzlich hieran nicht Eigentümer werden (§ 935 BGB). Dies gilt erst recht, wenn ich weiß oder auch nur in Kauf nehme, dass es sich um Diebesgut handeln könnte. In diesem Fall mache ich mich möglicherweise sogar strafbar. Beim Kauf eines Grundstücks, dessen Wert gemeinschaftlich geschaffen und das privat angeeignet wurde, sieht die Rechtsordnung dies aber plötzlich ganz anders – obwohl eigentlich jedermann wissen sollte, dass es sich nicht um vom Verkäufer, sondern von der Gemeinschaft geschaffene Werte handelt.
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Einerseits macht also die Rechtsordnung (abgesehen von Formerfordernissen etc.) zwischen Kapital und Land keinen grundsätzlichen Unterschied. Andererseits stellt sie aber bei Investitions- und Verbrauchsgütern den bösgläubigen Erwerb von Diebesgut unter Strafandrohung (selbst beim gutgläubigen Erwerb kann eine Kompensation vom Käufer gefordert werden), wohingegen sie bei Grund und Boden die Aneignung von durch andere Menschen geschaffenen Werten sogar über die Verfassung schützt. Dies mag geltendes Recht sein, gerecht ist es indessen nicht. Vermag eine Gesellschaft in diesen Wertungswidersprüchen keine Schieflage zu erkennen, liegt offenbar ein kulturelles Problem vor.
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