Vom schmerzhaften Erwachen – Pat Christ

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Aus dem Offi­zier Marcel Barz wurde ein Vorden­ker alter­na­ti­ver Lebensweisen
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Er denkt heute anders, arbei­tet anders, hat mit ande­ren Menschen zu tun, kurzum: sein ganzes Leben ist heute anders als vor drei Jahren. Am Anfang seines Wand­lungs­pro­zes­ses stan­den nackte Zahlen. Daten­ana­lyst Marcel Barz fand 2021 heraus, dass es auf Basis der zur Verfü­gung stehen­den Rohda­ten 2020 keine coro­nabe­ding­te Über­sterb­lich­keit gege­ben hat. Eigent­lich hatte er das Gegen­teil bewei­sen wollen. Zunächst konnte er sein eige­nes Rechen­er­geb­nis kaum glauben.
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Das sind so Momen­te, wo man nicht recht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Man hätte erhei­tert aufla­chen können, gaben doch die nack­ten Zahlen des Statis­ti­schen Bundes­amts und der Deut­schen Inter­dis­zi­pli­nä­ren Verei­ni­gung für Inten­siv- und Notfall­me­di­zin keiner­lei Hinwei­se darauf, dass ein kata­stro­pha­les Killer­vi­rus sein Unwe­sen trei­ben würde. Doch wie konnte es sein, dass in der Öffent­lich­keit beängs­ti­gen­de Zahlen kursie­ren, die auf nicht korrek­ten statis­ti­schen Auswer­tun­gen beru­hen? Marcel Barz veröf­fent­lich­te seine ihn selbst irri­tie­ren­den Ergeb­nis­se als Video in der Erwar­tung, von Fach­leu­ten wider­legt zu werden. Doch das geschah nicht.
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Der Jüter­bo­ger schrieb zudem öffent­li­che Stel­len und Medien an, weil er dachte, dass man seine Ergeb­nis­se mindes­tens mit einer gewis­sen Neugier aufneh­men würde. Weiter­hin gab er zu erken­nen, dass er dank­bar wäre, auf Denk­feh­ler hinge­wie­sen zu werden. Aus der „Commu­ni­ty“ wurde er auch auf klei­ne­re Fehler aufmerk­sam gemacht. An der Haupt­er­kennt­nis rüttel­te jedoch niemand: 2020 war ganz offen­sicht­lich kein Jahr, in dem sonder­lich viele Menschen gestor­ben wären, sofern man die Alters­struk­tur und das Bevöl­ke­rungs­wachs­tum berück­sich­tigt. Doch das schien weder Behör­den noch Medien zu interessieren.
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In Deutsch­land sind aller­kleins­te Klei­nig­kei­ten aufs Akri­bischs­te gere­gelt, was bis dahin geht, dass sich Gerich­te mit der Frage befas­sen, ob die Holz­spie­ße einer Brat­wurst zum Netto­ge­wicht des Produkts zu zählen sind oder nicht. Wie nun kann es in einem juris­tisch derart detail­ver­lieb­ten Land zu einem derma­ßen groben Schnit­zer kommen? Wie kann es sein, dass in einem von fast 1.800 Geset­zen mit über 50.000 Einzel­nor­men durch­or­ga­ni­sier­ten Staat Maßnah­men ergrif­fen werden, die auf schlech­ten statis­ti­schen Auswer­tun­gen und schwam­mi­gen Daten­grund­la­gen beru­hen? Marcel Barz konnte das nicht fassen: „Am Anfang lag ich näch­te­lang wach.“
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Der Glaube bröckelt
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Von dem, was Marcel Barz früher geglaubt hat, von seiner eins­ti­gen Welt­an­schau­ung, blieb nicht mal mehr ein Rudi­ment übrig. Wobei es nicht das erste Mal war, dass er mit etwas konfron­tiert wurde, das dem herr­schen­den Narra­tiv radi­kal zuwi­der­lief. Es gab, schil­dert der ehema­li­ge Offi­zier der Bundes­wehr, schon einmal etwas Ähnli­ches, und zwar wurde Barz um 2012 herum durch Volker Pispers auf Abson­der­lich­kei­ten in Bezug auf den Anschlag auf das World Trade Center hinge­wie­sen. Später hörte er von der „Brut­kas­ten­lü­ge“: „Und irgend­wann begann ich, mich zu fragen, ob es doch sein könnte, dass man uns verarscht.“
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Marcel Barz ist kein Mensch, dessen obers­tes Ziel darin bestün­de, möglichst sorgen­frei zu leben. Immer wieder im Gespräch, wenn wir auf Themen zu spre­chen kommen, die ihm mit einem Mal suspekt erschie­nen, schil­dert er, wie inten­siv er jeweils versuch­te, hinter die Dinge zu kommen. „Ich hatte Volker Pispers damals immer wieder gehört, und ich habe zur Außen­po­li­tik der USA gele­sen, was ich nur finden konnte“, sagt er. Wochen­lang ging das so. Es gab Tage, da kam er zu dem Schluss: „Alles, was uns erzählt wird, ist eine riesi­ge Lüge!“ Es gab Tage, da rief eine innere Stimme: „Nein, das kann nicht sein!“ Barz: „So ging das stän­dig hin und her.“
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Es ist selten genug, dass etwa ein Thea­ter­stück oder ein Kaba­rett­pro­gramm in einem Betrach­ter so viel auslöst, dass er beginnt, radi­kal zu hinter­fra­gen, was er bis dahin für wahr gehal­ten hat. Dassel­be gilt für Vorträ­ge. Und Bücher. Es mangelt ja nicht an Menschen, die erkannt haben, dass etwas in eine gefähr­lich falsche Rich­tung läuft. Und die versu­chen, andere wach­zu­rüt­teln. Was meist miss­lingt. Und zwar viel­leicht deshalb, weil sich die meis­ten Menschen vor jener schmerz­haf­ten Ambi­va­lenz­pha­se während des „Erwa­chens“ fürch­ten. Es tut weh, bestä­tigt Marcel Barz, wenn einem dämmert, dass man sich jahre­lang hat belü­gen und für ein „mieses Spiel benut­zen“ lassen.
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