Rechtspopulismus im Aufwind? – Friedrich Müller-Reißmann
In der Nacht vom 26. auf den 27. August 2018 wurde ein 35jähriger Chemnitzer auf einem Sommerfest bei einem Streit mit Ausländern durch mehrere Messerstiche getötet.
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Die Polizei sprach von Totschlag, und bis heute hat sich meines Wissens an dieser Einschätzung nichts geändert. Doch in den AfD-Landesverbänden von Thüringen, Brandenburg und Sachsen wusste man sofort, dass es Mord war („brutal ermordet durch 25 Messerstiche“), kannte Hintergründe und die eigentlichen Schuldigen und rief zum landesweiten „Schweigemarsch“ nach Chemnitz.
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Dieser Aufruf, der eine einzige Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ist, und die anschließenden Ereignisse in Chemnitz, Demonstrationen und Gegendemonstrationen, und das Gewirr an Meinungen, die die Runde machten, waren für mich ein Anstoß, mich mit dem Problem des Rechtspopulismus und der Frage, warum er gerade im Osten eine hohe Attraktivität zu besitzen scheint, verstärkt auseinanderzusetzen. Mein Interesse ist nicht zufällig, denn ich bin im Osten groß geworden, habe dann den Osten vor und nach der Wende dreißig Jahre lang aus westlicher Sicht beobachtet und, da ich dort noch viele Verwandte und Freunde hatte, jährlich besucht. Schließlich habe ich von 1994–2014 in der Oberlausitz, einer der sächsischen Problemregionen, gelebt, in denen die AfD einen hohen Stimmenanteil erlangen konnte.
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Die Ereignisse von Chemnitz zeigen exemplarisch, der „Flüchtling“ ist das große Thema, um das sich die Rechtspopulisten drehen, wobei sie das Schicksal der Geflüchteten und die Ursachen der massenhaften Flucht nicht groß interessieren. Um Sachlichkeit und Wahrheit, geht es Populisten nicht, sondern allein um Stimmungsmache im Dienste des eigenen politischen Programms. Dazu wird genommen, was passend erscheint. Und der Tod eines Chemnitzers durch Messerstiche von einem oder mehreren Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak war sehr passend, um durch Trauer um ihn (und „alle Toten der Zwangsmultikulturalisierung Deutschlands“ gleich mit) die eigene anteilnehmende Menschlichkeit zu demonstrieren und gleichzeitig Empörung, Wut und Hass gegen die Flüchtlinge zu schüren.
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Wenn ich mir vor Augen führe, dass viele Flüchtlinge (gottseidank vielleicht nicht alle) durch die Hölle gegangen sind, und was sie alles verloren haben und mit ansehen mussten, und mit welchen Traumata, Verunsicherungen und Hoffnungen sie nach Europa kommen, dann kann ich es einfach nur als infam bezeichnen, gegen solche Menschen zu hetzen, Angst und Misstrauen gegen sie zu schüren. Dabei völlig außer Acht lassend, dass diese Flüchtlinge die „Nebenwirkungen“ der herrschenden ausbeuterischen Weltwirtschaftsstrukturen des global agierenden Finanzsystems, der Rüstungsexporte (Deutschland steht hinter den USA und Russland an Stelle Drei der Waffenexporteure), der verfehlten Außenpolitik, die meint, durch Militäreinsätze den Terrorismus bekämpfen zu können, der Versäumnisse in der Klimapolitik usw. sind, also von Dingen, die weitgehend auf das Schuldenkonto der reichen Industrienationen und ihrer Kämpfe um Märkte und Ressourcen gehen. Da wäre es doch angebracht, auf die Täter zu zeigen und gegen sie aufzustehen. Doch das ist schwer, denn dabei handelt es sich erstens um übermächtige organisierte Interessen. Zweitens sind wir durch unseren Lebensstil, an den wir uns gewöhnt haben und der nur dadurch möglich ist, dass wir andere weltweit dafür mitzahlen lassen, selbst verstrickt in das Täter-System. Gegen dieses aufzustehen, bedeutete Selbstkritik und Aufgabe von liebgewordenen Gewohnheiten. Und das ist noch schwerer.
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Da ist es wesentlich leichter (sprich: populistischer), aus Opfern Täter zu machen und ersatzweise auf diese zu zeigen und gegen sie aufzustehen.
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Dabei verstehen es AfD und Co., sich geschickt zu präsentieren, indem sie sich als kritische Bürger gebärden (und teilweise auch sind), die gegen die Regierung aufbegehren und nicht mehr alles hinnehmen, was von oben kommt. Sie stilisieren sich zum Sprachrohr und Anwalt der entrechteten Mehrheit, des gerechten Volkswillens, des gesunden Menschenverstandes usw., mit einem Wort: als die wahren Volksvertreter gegen das Establishment, gegen die korrupten, verantwortungslosen, abgehobenen, realitätsblinden Eliten, gegen die willfährigen Medien usw. So finden sie Anklang bei vielen, die ganz berechtigte Wut auf die herrschende Politik haben. Während sie den Anschein erwecken, mutig gegen „die da oben“ vorzugehen, was ja durchaus angebracht wäre, treten sie in Wahrheit nach unten, auf die bedauernswertesten Opfer der herrschenden Politik.
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Wenn ich das Bild von dem ertrunkenen kleinen Jungen am Strand vor mir sehe, möchte ich zu einem „Trauermarsch“ aufrufen, nein, nicht gerade zu einem Marsch, aber mir wünschen, dass Millionen von einer solchen Trauer erfasst würden, dass sie endlich ernsthaft darüber nachdenken, was die Ursachen dafür sind, dass heute so viele Menschen in ihren Heimatländern nicht mehr leben können, die es doch vor zehn, zwanzig Jahren noch konnten.
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Die Polizei sprach von Totschlag, und bis heute hat sich meines Wissens an dieser Einschätzung nichts geändert. Doch in den AfD-Landesverbänden von Thüringen, Brandenburg und Sachsen wusste man sofort, dass es Mord war („brutal ermordet durch 25 Messerstiche“), kannte Hintergründe und die eigentlichen Schuldigen und rief zum landesweiten „Schweigemarsch“ nach Chemnitz.
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Dieser Aufruf, der eine einzige Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ist, und die anschließenden Ereignisse in Chemnitz, Demonstrationen und Gegendemonstrationen, und das Gewirr an Meinungen, die die Runde machten, waren für mich ein Anstoß, mich mit dem Problem des Rechtspopulismus und der Frage, warum er gerade im Osten eine hohe Attraktivität zu besitzen scheint, verstärkt auseinanderzusetzen. Mein Interesse ist nicht zufällig, denn ich bin im Osten groß geworden, habe dann den Osten vor und nach der Wende dreißig Jahre lang aus westlicher Sicht beobachtet und, da ich dort noch viele Verwandte und Freunde hatte, jährlich besucht. Schließlich habe ich von 1994–2014 in der Oberlausitz, einer der sächsischen Problemregionen, gelebt, in denen die AfD einen hohen Stimmenanteil erlangen konnte.
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Die Ereignisse von Chemnitz zeigen exemplarisch, der „Flüchtling“ ist das große Thema, um das sich die Rechtspopulisten drehen, wobei sie das Schicksal der Geflüchteten und die Ursachen der massenhaften Flucht nicht groß interessieren. Um Sachlichkeit und Wahrheit, geht es Populisten nicht, sondern allein um Stimmungsmache im Dienste des eigenen politischen Programms. Dazu wird genommen, was passend erscheint. Und der Tod eines Chemnitzers durch Messerstiche von einem oder mehreren Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak war sehr passend, um durch Trauer um ihn (und „alle Toten der Zwangsmultikulturalisierung Deutschlands“ gleich mit) die eigene anteilnehmende Menschlichkeit zu demonstrieren und gleichzeitig Empörung, Wut und Hass gegen die Flüchtlinge zu schüren.
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Wenn ich mir vor Augen führe, dass viele Flüchtlinge (gottseidank vielleicht nicht alle) durch die Hölle gegangen sind, und was sie alles verloren haben und mit ansehen mussten, und mit welchen Traumata, Verunsicherungen und Hoffnungen sie nach Europa kommen, dann kann ich es einfach nur als infam bezeichnen, gegen solche Menschen zu hetzen, Angst und Misstrauen gegen sie zu schüren. Dabei völlig außer Acht lassend, dass diese Flüchtlinge die „Nebenwirkungen“ der herrschenden ausbeuterischen Weltwirtschaftsstrukturen des global agierenden Finanzsystems, der Rüstungsexporte (Deutschland steht hinter den USA und Russland an Stelle Drei der Waffenexporteure), der verfehlten Außenpolitik, die meint, durch Militäreinsätze den Terrorismus bekämpfen zu können, der Versäumnisse in der Klimapolitik usw. sind, also von Dingen, die weitgehend auf das Schuldenkonto der reichen Industrienationen und ihrer Kämpfe um Märkte und Ressourcen gehen. Da wäre es doch angebracht, auf die Täter zu zeigen und gegen sie aufzustehen. Doch das ist schwer, denn dabei handelt es sich erstens um übermächtige organisierte Interessen. Zweitens sind wir durch unseren Lebensstil, an den wir uns gewöhnt haben und der nur dadurch möglich ist, dass wir andere weltweit dafür mitzahlen lassen, selbst verstrickt in das Täter-System. Gegen dieses aufzustehen, bedeutete Selbstkritik und Aufgabe von liebgewordenen Gewohnheiten. Und das ist noch schwerer.
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Da ist es wesentlich leichter (sprich: populistischer), aus Opfern Täter zu machen und ersatzweise auf diese zu zeigen und gegen sie aufzustehen.
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Dabei verstehen es AfD und Co., sich geschickt zu präsentieren, indem sie sich als kritische Bürger gebärden (und teilweise auch sind), die gegen die Regierung aufbegehren und nicht mehr alles hinnehmen, was von oben kommt. Sie stilisieren sich zum Sprachrohr und Anwalt der entrechteten Mehrheit, des gerechten Volkswillens, des gesunden Menschenverstandes usw., mit einem Wort: als die wahren Volksvertreter gegen das Establishment, gegen die korrupten, verantwortungslosen, abgehobenen, realitätsblinden Eliten, gegen die willfährigen Medien usw. So finden sie Anklang bei vielen, die ganz berechtigte Wut auf die herrschende Politik haben. Während sie den Anschein erwecken, mutig gegen „die da oben“ vorzugehen, was ja durchaus angebracht wäre, treten sie in Wahrheit nach unten, auf die bedauernswertesten Opfer der herrschenden Politik.
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Wenn ich das Bild von dem ertrunkenen kleinen Jungen am Strand vor mir sehe, möchte ich zu einem „Trauermarsch“ aufrufen, nein, nicht gerade zu einem Marsch, aber mir wünschen, dass Millionen von einer solchen Trauer erfasst würden, dass sie endlich ernsthaft darüber nachdenken, was die Ursachen dafür sind, dass heute so viele Menschen in ihren Heimatländern nicht mehr leben können, die es doch vor zehn, zwanzig Jahren noch konnten.
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