Der Geldumschlag – Kurzgeschichte von Andreas Bangemann
oder Die Alchemistin von Eindhoven
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Kurzgeschichte von Andreas Bangemann
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Holly saß mitten im Trubel an einem quadratischen Tisch im Halbdunkel. Neben ihren Füßen ein alter Lederkoffer mit Schnallriemen. Ohne lange nachzudenken, setzte Finn sich auf den freien Stuhl ihr gegenüber. Die Begegnung fand auf dem „Economia Festival“ statt. Kunst trifft Ökonomie. Das vermeintliche Ausgeliefertsein an unaufhörliches Wachstum führte weltweit zu einer Zunahme an Ausstellungen und Veranstaltungen, im Rahmen derer sich Kunstschaffende mit dem Einfluss wirtschaftlicher Zwänge auf alle Bereiche des Lebens auseinandersetzten. Das Thema Geld ist dabei unumgänglich. Die Betriebsamkeit der angereisten Wissbegierigen strahlte die Hektik eines Marktgeschehens aus. Finn gefiel seine Position unterhalb der Köpfe der Vorbeilaufenden. Er kam sich wie auf einem Beobachterposten vor, wenngleich ihm klar war, dass er sich vom Standpunkt der Anderen auf einer Art Präsentierteller befand. Sein Platz öffnete eine spezielle Sicht auf den Raum und die Bewegungen der Besucher. Dort eine Installation mit Kopfhörern, hier Stellwände mit Schautafeln, da ein sitzplatzsuchender Durstiger. Kein Ort, um zur Ruhe zu kommen. Da kam ihm diese mysteriöse Kunstinstallation „Zwei Stühle an Holztisch“ gelegen. Ihr Projekt hieß „Kunst-Alchemie“. Holly war US-Amerikanerin. Nach einem kurzen Geplauder und seinen fragenden Blicken auf ihren „Ausstellungsplatz“ kam sie direkt zur Sache. Sie bat Finn um einen Geldschein. Einen beliebigen, was immer er in diesem Moment zu geben bereit und willens war. „Wozu?“, dachte er. Was hatte sie vor? Ihr nichtssagendes Lächeln konnte Teil eines Zaubers oder eine Betrugsmasche sein.
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Wenn der Tisch ihre Alchemistenküche war, was war der sich verwandelnde Ausgangsstoff oder ließ sie aus dem legendären Nichts Wertvolles entstehen? Konnte sie Bares transmutieren? Sofern es kein Produkt wäre, was sie im Gegenzug hervorbrächte, ergäbe nur ein Mehr des Gegebenen einen Sinn. An ihrem kärglich ausgestalteten Tischchen fehlte ein augenfälliger Hinweis, es könne ein Wunder geschehen. Möglicherweise steckte das Geheimnis in ihrem Koffer am Boden.
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Der Stuhl, auf dem er saß, war ein knappes Gut im mit moderner Kunst gefüllten Raum. Warum mangelt es Kunstausstellungen und Messehallen an Sitzplätzen? Wer rastet, dem fehlt Zeit zu konsumieren. Ruhende unterbrechen den Fluss. Vollzog er soeben einen Rollenwechsel? Vom Konsumenten zum Exponat? Die Mischung aus fehlendem Mut, aufzustehen und zu gehen, seiner Neugierde und dem Wunsch nach einer Verschnaufpause, ließ ihn verhohlen sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche zücken. Er dachte für einen Moment an die klischeebeladene Sinndeutung eines Beobachters mit Abstand, der einen Mann sähe, der nach einer kurzen Unterhaltung einer Frau einen Geldschein zuschob. Hollys Blick ruhte regungslos und erwartungsvoll auf Finn und seinem Tun. Im Schutz der Tischkante stellte er fest, dass nur ein Fünfzig-Euro-Schein herauslugte. Würde es den wert sein? War jetzt die letzte Gelegenheit zum Abbruch? Zur Flucht? Seine Neugierde behielt die Oberhand. In dem Moment, in dem er den Geldschein auf den Tisch legte, verabschiedete er sich innerlich von ihm. Er sinnierte für einen Augenblick über die vielen nichtsnutzigen Ausgaben, die er im Leben bereits getätigt hatte. Da käme es auf eine weitere nicht an, beruhigte er sich selbst. Er platzierte den Schein so auf dem Tisch, dass Holly ihn zwar sehen konnte, er aber noch weit genug entfernt war, um ihr den Zugriff leicht zu machen.
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„Was wird jetzt geschehen?“, wollte er von ihr wissen. Ihre Geheimniskrämerei, die durch ihre konzentriert-freundliche Gestik und Mimik verstärkt wurde, erzeugte in ihm eine Distanz zu ihr. Da die Unterhaltung in englischer Sprache ablief, war nie eindeutig klar, ob das „You“ ein Du oder ein „Sie“ war. Ihre orakelhafte Anziehungskraft und die Wärme, die sie ausstrahlte, ließen die an sie gerichteten Worte in seinem Kopf als „Du“ widerhallen. Immerhin hatten sie sich zu Beginn mit ihren Vornamen vorgestellt. „Bist Du Dir sicher, dass Du diesen hohen Wert einsetzen möchtest? Jede kleinere Note erfüllt den gleichen Zweck.“, bemerkte sie mit Blick auf den Geldschein. „Welchen Zweck denn?“, entgegnete er.
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In seinem Kopf begann ein Fluten, als würde eine Schleuse geöffnet. Das Thema, das ihn schon Jahrzehnte begleitete, schoss ein. Geld in all den Formen, in denen es uns begegnet, ist ein Abstraktum, auch wenn wir es gewohnt sind, damit täglich handeln zu können. Dessen Funktionen und Wirken beruhen auf Vorstellungen, Erwartungen und Optionen, die wir lernten, zu verinnerlichen. Der Gebrauch von Münzen und Scheinen, Bankguthaben und allen leicht zu Geld zu machenden „Produkten“ – wie es die Finanzexperten in Banken und Anlageberatungen zu nennen pflegen – hat sich verselbstständigt. Geldscheine liegen auf der Hand. Sie bleiben dennoch abstrakt, weil sie nur Zeichen der damit zu erwerbenden Waren und Leistungen sind, nicht diese selbst. Geld in der Hand beweist gesamtwirtschaftlich gesehen ein zur Hälfte abgeschlossenes Tauschgeschäft. Eine Leistung ist bereits erbracht, die Gegenleistung jedoch noch nicht. Bargeld scheint das größte Vertrauen zu verdienen, weil es von Zentralbanken herausgegeben und verwaltet wird. Alle anderen Formen sind Ableitungen von Geld. Ohne Bezug zum baren Geld, den Münzen und Banknoten, sind alle Ableitungen sinnlos.
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Er fand zunehmend Gefallen an der Entwicklung ihres Zusammenseins und den spontanen Einfällen, die es in ihm auslöste. Wie hat Holly das geschafft? Sie hat doch nichts getan! Ungewissheit überschattete seine Gedankenausflüge. Er hatte sich noch nicht wirklich von seinem Geld gelöst. Die Unklarheit darüber, was sie damit vorhatte, bedrückte ihn, wie schwarze Gewitterwolken, die während eines Spaziergangs im Park aufzogen. Bestand ihre Kunst darin, Gemütsbewegungen und Nachdenken zugleich auszulösen? Wie in einer Oper, in der die Musik die Stimmen von Sopran und Tenor trägt? Ausgerechnet er, der er seit Jahrzehnten das Geldsystem analysiert, wird auf sich selbst zurückgeworfen und sieht sich im dämmrigen Licht einer Kunstbühne den Gefühlen seines persönlichen Verhältnisses zum Geld ausgeliefert. Nichts schien in diesen Momenten, einen Bezug zu seiner Arbeit an strukturellen Fragen zum Geld in der Wirtschaft zu haben.
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Kurzgeschichte von Andreas Bangemann
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Holly saß mitten im Trubel an einem quadratischen Tisch im Halbdunkel. Neben ihren Füßen ein alter Lederkoffer mit Schnallriemen. Ohne lange nachzudenken, setzte Finn sich auf den freien Stuhl ihr gegenüber. Die Begegnung fand auf dem „Economia Festival“ statt. Kunst trifft Ökonomie. Das vermeintliche Ausgeliefertsein an unaufhörliches Wachstum führte weltweit zu einer Zunahme an Ausstellungen und Veranstaltungen, im Rahmen derer sich Kunstschaffende mit dem Einfluss wirtschaftlicher Zwänge auf alle Bereiche des Lebens auseinandersetzten. Das Thema Geld ist dabei unumgänglich. Die Betriebsamkeit der angereisten Wissbegierigen strahlte die Hektik eines Marktgeschehens aus. Finn gefiel seine Position unterhalb der Köpfe der Vorbeilaufenden. Er kam sich wie auf einem Beobachterposten vor, wenngleich ihm klar war, dass er sich vom Standpunkt der Anderen auf einer Art Präsentierteller befand. Sein Platz öffnete eine spezielle Sicht auf den Raum und die Bewegungen der Besucher. Dort eine Installation mit Kopfhörern, hier Stellwände mit Schautafeln, da ein sitzplatzsuchender Durstiger. Kein Ort, um zur Ruhe zu kommen. Da kam ihm diese mysteriöse Kunstinstallation „Zwei Stühle an Holztisch“ gelegen. Ihr Projekt hieß „Kunst-Alchemie“. Holly war US-Amerikanerin. Nach einem kurzen Geplauder und seinen fragenden Blicken auf ihren „Ausstellungsplatz“ kam sie direkt zur Sache. Sie bat Finn um einen Geldschein. Einen beliebigen, was immer er in diesem Moment zu geben bereit und willens war. „Wozu?“, dachte er. Was hatte sie vor? Ihr nichtssagendes Lächeln konnte Teil eines Zaubers oder eine Betrugsmasche sein.
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Wenn der Tisch ihre Alchemistenküche war, was war der sich verwandelnde Ausgangsstoff oder ließ sie aus dem legendären Nichts Wertvolles entstehen? Konnte sie Bares transmutieren? Sofern es kein Produkt wäre, was sie im Gegenzug hervorbrächte, ergäbe nur ein Mehr des Gegebenen einen Sinn. An ihrem kärglich ausgestalteten Tischchen fehlte ein augenfälliger Hinweis, es könne ein Wunder geschehen. Möglicherweise steckte das Geheimnis in ihrem Koffer am Boden.
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Der Stuhl, auf dem er saß, war ein knappes Gut im mit moderner Kunst gefüllten Raum. Warum mangelt es Kunstausstellungen und Messehallen an Sitzplätzen? Wer rastet, dem fehlt Zeit zu konsumieren. Ruhende unterbrechen den Fluss. Vollzog er soeben einen Rollenwechsel? Vom Konsumenten zum Exponat? Die Mischung aus fehlendem Mut, aufzustehen und zu gehen, seiner Neugierde und dem Wunsch nach einer Verschnaufpause, ließ ihn verhohlen sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche zücken. Er dachte für einen Moment an die klischeebeladene Sinndeutung eines Beobachters mit Abstand, der einen Mann sähe, der nach einer kurzen Unterhaltung einer Frau einen Geldschein zuschob. Hollys Blick ruhte regungslos und erwartungsvoll auf Finn und seinem Tun. Im Schutz der Tischkante stellte er fest, dass nur ein Fünfzig-Euro-Schein herauslugte. Würde es den wert sein? War jetzt die letzte Gelegenheit zum Abbruch? Zur Flucht? Seine Neugierde behielt die Oberhand. In dem Moment, in dem er den Geldschein auf den Tisch legte, verabschiedete er sich innerlich von ihm. Er sinnierte für einen Augenblick über die vielen nichtsnutzigen Ausgaben, die er im Leben bereits getätigt hatte. Da käme es auf eine weitere nicht an, beruhigte er sich selbst. Er platzierte den Schein so auf dem Tisch, dass Holly ihn zwar sehen konnte, er aber noch weit genug entfernt war, um ihr den Zugriff leicht zu machen.
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„Was wird jetzt geschehen?“, wollte er von ihr wissen. Ihre Geheimniskrämerei, die durch ihre konzentriert-freundliche Gestik und Mimik verstärkt wurde, erzeugte in ihm eine Distanz zu ihr. Da die Unterhaltung in englischer Sprache ablief, war nie eindeutig klar, ob das „You“ ein Du oder ein „Sie“ war. Ihre orakelhafte Anziehungskraft und die Wärme, die sie ausstrahlte, ließen die an sie gerichteten Worte in seinem Kopf als „Du“ widerhallen. Immerhin hatten sie sich zu Beginn mit ihren Vornamen vorgestellt. „Bist Du Dir sicher, dass Du diesen hohen Wert einsetzen möchtest? Jede kleinere Note erfüllt den gleichen Zweck.“, bemerkte sie mit Blick auf den Geldschein. „Welchen Zweck denn?“, entgegnete er.
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In seinem Kopf begann ein Fluten, als würde eine Schleuse geöffnet. Das Thema, das ihn schon Jahrzehnte begleitete, schoss ein. Geld in all den Formen, in denen es uns begegnet, ist ein Abstraktum, auch wenn wir es gewohnt sind, damit täglich handeln zu können. Dessen Funktionen und Wirken beruhen auf Vorstellungen, Erwartungen und Optionen, die wir lernten, zu verinnerlichen. Der Gebrauch von Münzen und Scheinen, Bankguthaben und allen leicht zu Geld zu machenden „Produkten“ – wie es die Finanzexperten in Banken und Anlageberatungen zu nennen pflegen – hat sich verselbstständigt. Geldscheine liegen auf der Hand. Sie bleiben dennoch abstrakt, weil sie nur Zeichen der damit zu erwerbenden Waren und Leistungen sind, nicht diese selbst. Geld in der Hand beweist gesamtwirtschaftlich gesehen ein zur Hälfte abgeschlossenes Tauschgeschäft. Eine Leistung ist bereits erbracht, die Gegenleistung jedoch noch nicht. Bargeld scheint das größte Vertrauen zu verdienen, weil es von Zentralbanken herausgegeben und verwaltet wird. Alle anderen Formen sind Ableitungen von Geld. Ohne Bezug zum baren Geld, den Münzen und Banknoten, sind alle Ableitungen sinnlos.
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Er fand zunehmend Gefallen an der Entwicklung ihres Zusammenseins und den spontanen Einfällen, die es in ihm auslöste. Wie hat Holly das geschafft? Sie hat doch nichts getan! Ungewissheit überschattete seine Gedankenausflüge. Er hatte sich noch nicht wirklich von seinem Geld gelöst. Die Unklarheit darüber, was sie damit vorhatte, bedrückte ihn, wie schwarze Gewitterwolken, die während eines Spaziergangs im Park aufzogen. Bestand ihre Kunst darin, Gemütsbewegungen und Nachdenken zugleich auszulösen? Wie in einer Oper, in der die Musik die Stimmen von Sopran und Tenor trägt? Ausgerechnet er, der er seit Jahrzehnten das Geldsystem analysiert, wird auf sich selbst zurückgeworfen und sieht sich im dämmrigen Licht einer Kunstbühne den Gefühlen seines persönlichen Verhältnisses zum Geld ausgeliefert. Nichts schien in diesen Momenten, einen Bezug zu seiner Arbeit an strukturellen Fragen zum Geld in der Wirtschaft zu haben.
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