Paolo Cirio – Kunstderivate – Redaktion
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Paolo Cirio widmet sich den Rechts‑, Wirtschafts- und Kultursystemen der Informationsgesellschaft. Im Rahmen seiner forschenden und interventionistischen Kunst untersucht er gesellschaftliche Bereiche, die durch das Internet beeinflusst werden, wie z. B. Datenschutz, Urheberrecht, Demokratie und Finanzen. Er zeigt seine Arbeiten in Form von Drucken, Installationen, Videos und öffentlicher Kunst.
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Seine Techniken der Entblößung, Aneignung und Rekontextualisierung sensibler Informationen regen dazu an, die komplexen Themen der Gegenwart zu sehen, zu verstehen und zu hinterfragen. Cirio verwendet eine populäre Sprache, Ironie, Interventionen und verführerische Bilder, um ein breites Publikum für Kunstwerke zu begeistern. Seine Werke machen oft Widersprüche sichtbar, legen Mechanismen offen und kritisieren Prozesse, um die Abläufe sozialer, technologischer und kognitiver Systeme zu entlarven.
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„Derivatives“ heißt das neueste Projekt des umtriebigen Künstlers. Mit seinen Arbeiten will er bewusst zum Nachdenken anregen. Er lenkt auf kreative Weise Aufmerksamkeit auf Zusammenhänge, die ein Schattendasein zu führen pflegen, aber entscheidenden Einfluss auf wahrhaftige Gegebenheiten ausüben.
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Derivatives besteht aus über hunderttausend Bildern und Aufzeichnungen von Kunstwerken, die von Sotheby’s‑Auktionen angeeignet wurden, um sie in Finanzderivate zu verwandeln. Cirio überschreibt die Auktionspreise mit dicken gedruckten Ziffern über den jeweiligen Bildwerken und verkauft sie als digitale Kunstwerke auf der Website https://art-derivatives.com für einen festgelegten Bruchteil des bei den Auktionen für das Original erzielten Wertes. Ein „Future-Finanzderivat-Vertrag“ wird in das Werk integriert und von den Käufern und dem Künstler Cirio zum Zeitpunkt des Verkaufs unterzeichnet. Es handelt sich um Wetten gegen die Preisentwicklung der ursprünglichen Werke.
„Die Steinwüste“ von Paul Klee wurde am 23. März 2017 in Paris zum Preis von 209.156,- US-Dollar versteigert. Das Derivat von Paolo Cirio kostet ein Tausendstel des Originals, nämlich 2,09 Dollar. Die vertragliche Vereinbarung dazu sieht vor, dass der Preis des Derivats sich in 5 Jahren verzehnfacht, wenn das Original in dieser Zeit nicht auf dem Markt erscheint oder – falls doch – zu einem niedrigeren Preis wie beim letzten Mal versteigert wurde. Es handelt sich demnach um eine Wette auf fallende Preise, die – theoretisch – eine selbsterfüllende Prophezeiung werden könnte, wenn die Kunst Cirios viele „Spekulanten“ anzieht. Ein Spiel mit Erwartungen. Vergleichbar damit, was heute den internationalen Kapitalmarkt antreibt.
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Cirios Kunstinvestoren nehmen ironischerweise an der Finanzierung von Kunst teil. Dabei zielt das Projekt darauf ab, den Kunstmarkt mit einer eigenen Logik zu unterwandern. Als eine Form der Institutionskritik reflektieren die Derivate den spekulativen Wert von Bildern bei der Darstellung von Kunst als Finanzinstrument. Die Ästhetik der Kunst wird oft an den überhöhten Preisen gemessen. Daher werden Bilder eher unter dem Aspekt ihrer finanziellen Qualitäten als durch ihre visuellen Merkmale und künstlerischen Verdienste gesehen. Das führt Cirio vor Augen. Darüber hinaus setzt sich das Projekt für mehr Transparenz und Fairness auf dem Kunstmarkt ein. Um eine Regulierung zu provozieren, hat Paolo Cirio die Geheimhaltung und Manipulationen von Kunstauktionen durch umfangreiche Untersuchungen ermittelt und legt sie offen. Mit seiner Arbeit will er gegen Praktiken vorgehen, die Ungleichheit innerhalb der Kunstwelt sowie den unsachgemäßen Gebrauch von Reichtum und Kunst selbst erzeugen.
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2014 entwickelte Paolo Cirio ein Kunstprojekt, das er „World Currency“ nannte.
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https://paolocirio.net/work/world-currency/
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Zu seiner Motivation sagt er damals in einem Interview:
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„Währungen sind Werkzeuge und damit politisch neutrale Handlungsfelder, wie jede Technologie. Es ist die Art und Weise, wie diese Werkzeuge eingesetzt werden und wie auf sie zugegriffen wird, die sie politisiert. In diesem Beitrag geht es darum, darüber nachzudenken, wie wir einen gerechteren Markt schaffen können, der Risiken verteilt. Einer, der dazu beitragen soll, unsere Zivilisation zu entwickeln, ohne unnötigen Schaden anzurichten. Um das zu erreichen, müssen wir uns einfach kulturelle Werte zu eigen machen, die darauf abzielen, faire Regeln und Nachhaltigkeit zu schaffen. Ein Gesetz kann viel dazu beitragen, Finanzspekulationen zu unterbinden und die Transparenz der Regierung zu erhöhen, aber es besteht ein dringender Bedarf an neuen, geradlinigen politischen Strukturen und einem besseren Verständnis unserer Modernität.“
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