Maßnahmen gegen den Klimawandel müssen sich rechnen – Editorial 0619

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Maßnah­men gegen den Klima­wan­del müssen sich rechnen
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In einer Geld­wirt­schaft entsteht zu jedem frei wähl­ba­ren Zeit­punkt ein Saldo, der aus Einnah­men und Ausga­ben errech­net wird. Man zieht Bilanz. Sei es, weil man es muss, zum Beispiel für das Finanz­amt, oder weil man es will, um Entschei­dungs­grund­la­gen für zukünf­ti­ges Vorge­hen zu haben. Akteu­re können der Welt­kon­zern oder Einzel­per­so­nen sein. Über‑, bzw. Unter­schüs­se errech­nen sich aus den geld­wer­ten Zahlungs- und Leis­tungs­strö­men. Wann immer man einen Kassen­sturz macht, bekommt man ein Ergeb­nis in Zahlen, die rot (im Falle eines Minus) oder schwarz sein können. Blen­det man die Bildung von Rück­la­gen für in über­schau­ba­rer Zukunft auftre­ten­de Ausga­ben aus, entwi­ckeln im Kapi­ta­lis­mus darüber hinaus­ge­hen­de Über­schüs­se ein Eigen­le­ben. Man hortet sie, um liqui­de zu blei­ben, oder steckt sie in eine Geld­an­la­ge, die man nicht zum Zweck des eige­nen Konsums kauft, sondern um zu inves­tie­ren. Dabei gibt man die Kassen­dif­fe­renz hin, in der Erwar­tung, den Betrag zu einem fest­ge­leg­ten Zeit­punkt mit einem Zuschlag zurück­zu­be­kom­men. Das wieder­um führt in aller Regel zu einer Vergrö­ße­rung des Über­schus­ses auf Seiten des Anle­gers und der Zinses­zins­ef­fekt nimmt für ihn von nun an seinen Lauf. Verzin­sung bezieht man aus einer Viel­falt von „Kapi­tal­markt­pro­duk­ten“.
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Ein „Exper­te“ brach­te es dieser Tage so auf den Punkt: „Kapi­ta­lis­mus ohne Rendi­te und Zinsen, ist wie Okto­ber­fest ohne Bier.“ Kein grund­sätz­lich hinken­der Vergleich, wenn man die unap­pe­tit­li­chen Rand­er­schei­nun­gen des Volks­fes­tes oder gar die sozia­len Lang­zeit­wir­kun­gen über­mä­ßi­gen Alko­hol­kon­sums vor Augen hat. Das zentrals­te Merk­mal des Kapi­ta­lis­mus wird eben­falls benannt. Dadurch wird eine Unter­schei­dung zur Markt­wirt­schaft unmit­tel­bar einleuch­tend. Diese braucht keine Zins­ge­win­ne. Der Kapi­ta­lis­mus ist der Wurm­fort­satz der Markt­wirt­schaft. Über seine Funk­ti­on lässt sich treff­lich streiten.
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Während der Rausch des Bieres endet, entwi­ckelt sich die Wirkung der Zinsen expo­nen­ti­ell weiter. Der mensch­li­che Körper „vernich­tet“ den Alko­hol, dem Fest­tag folgt der nüch­ter­ne Alltag. Dem Wirt­schafts­kör­per hinge­gen werden die Zinsen dauer­haft hinzu­ge­fügt und lassen das Fest nie enden. Das Getränk wird „verzehrt“, seine Wirkung verfliegt, wie bei allem im Kreis­lauf des Lebens. Das Geld jedoch, das wir beim Tausch für einen Krug Gers­ten­saft üppigst fort­ge­ben, verschwin­det nicht, denn mit jeder Zahlung für eine Leis­tung entste­hen wieder­um die eingangs benann­ten Salden.
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Der Ewig­keits­an­spruch verzins­ten Geldes sickert in die Wirt­schaft ein und wirkt dort wie der Drang des Alko­ho­li­kers zum nächs­ten Glas. Das immer­wäh­ren­de „Fest des Kapi­ta­lis­mus“ wird in aller Regel nicht thema­ti­siert, wenn man ange­sichts der Viel­zahl an Folgen, die es bewirkt zu neuen Lösun­gen kommen will. Im Gegen­teil. Zur Bekämp­fung der Auswir­kun­gen des Klima­wan­dels ruft man nach inno­va­ti­ven Tech­no­lo­gien, einem raschen Voran­trei­ben der Digi­ta­li­sie­rung, Kompen­sa­ti­ons­in­ves­ti­tio­nen zum Ausgleich schäd­li­chen Verhal­tens, dem Handel mit Verschmut­zungs­zer­ti­fi­ka­ten usw.. Vergleich­ba­res gilt für sozia­le Schä­den mit der Viel­zahl an Folgen, den Mili­ta­ris­mus oder jegli­chen Eingrif­fen in die Natur. Egal, was wir umset­zen: Es muss sich rech­nen, sprich das Volks­fest Kapi­ta­lis­mus darf nicht enden.
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Neue­run­gen werden unter den Vorbe­halt der ökono­mi­schen Erfolgs­rech­nung gestellt. Fatal ist, dass sich der Nieder­gang rech­net. Die Wirt­schaft verbraucht mehr nicht-erneu­er­ba­re Ressour­cen denn je und addiert die Repa­ra­tur­maß­nah­men, die sich aus Umwelt- und Klima­schä­den erge­ben als Leis­tungs­stei­ge­rung dem Sozi­al­pro­dukt hinzu. Darüber hinaus fördert man Kompen­sa­ti­ons­pro­jek­te oder heißt sie zumin­dest will­kom­men. Dabei werden schäd­li­che Akti­vi­tä­ten nicht etwa unter­las­sen, sondern eine vermeint­lich ausglei­chen­de hinzu­ge­fügt. Was wieder­um als wachs­tums­för­dernd neu entsteht, ist wegen der damit verbun­de­nen Komple­xi­tät in seinen Folgen nicht vorher­sag­bar. Die Bäume, die man wieder­gut­ma­chend für die belas­ten­de Flug­rei­se pflanzt, sind wie Öl im Kapi­ta­lis­mus­feu­er oder der zum Bier gereich­te Schnaps, um im Bild zu blei­ben. Tech­no­lo­gi­scher Fort­schritt und Digi­ta­li­sie­rung werden ihrer wünschens­wer­ten Zukunfts­mög­lich­kei­ten beraubt, weil man sie wie alle ande­ren Maßnah­men unter das Wachs­tums­kal­kül stellt. Der Ruf nach Klima­schä­den repa­rie­ren­den Neue­run­gen muss dem rendi­te­su­chen­den Kapi­tal dien­lich sein. Wachs­tum darf nicht infra­ge gestellt werden. Wir sehen die beweis­bar erfolg­lo­se Leier von gestern, mögen hinter Tech­ni­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung, Green Econo­my und ideen­rei­chen Erfin­dun­gen auch noch so viel hoff­nungs­vol­le Moder­ni­tät erschei­nen. Es bleibt ein zum Schei­tern verur­teil­ter Versuch, die entstan­de­nen Proble­me mit den immer glei­chen Mitteln zu lösen. Ein Knie­fall vor dem Wachs­tums­den­ken. Ohne zu erfor­schen, welche noch unent­deck­ten Trieb­kräf­te hinter unse­rer Art zu wirt­schaf­ten stecken, werden wir auf keinen „grünen Zweig“ kommen. Verfall und Zerstö­rung gehen mit zuneh­men­der Geschwin­dig­keit weiter, weil der Brand­herd der Destruk­ti­vi­tät ausge­blen­det bleibt. Der steckt maßgeb­lich im Geld­we­sen, das weiter­hin unend­li­ches Wachs­tum verheißt, zumal das Volks­fest nicht enden darf.
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Die Lösung ist unkom­pli­ziert, doch in uner­reich­bar erschei­nen­der Ferne zugleich. Man muss dem zirku­lie­ren­den Geld in der Wirt­schaft einzig die Ewig­keit fort­neh­men und sie dem Prozess in seiner Tota­li­tät schen­ken, gleich­be­deu­tend mit der Hinga­be an den endlo­sen, univer­sa­len Kreis­lauf aus Werden und Vergehen.
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Herz­lich grüßt Ihr Andre­as Bangemann 

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