Kann ein Dackel den Planeten retten? – Stefan Nold
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“ Gemeinsam marschieren wir in einer großen Menge die vierspurige Frankfurter Straße entlang, machen einen Schlenker über Darmstadts große Ringstraßen bis wir ins Zentrum zum Karolinenplatz gelangen. In der Nähe liegen die großen Hörsäle, das Verwaltungsgebäude der Technischen Universität und das Kongresszentrum. Das Wetter ist gut, die Stimmung auch. Die Bewegung „Fridays for future“ hat über zehntausend Menschen auf die Straße gebracht. Viele tragen Plakate. Immer wieder stockt unser Zug. Mal werden Reden gehalten, mal müssen Busse, die die Route queren, vorbeigelassen werden, mal lassen wir Demonstrationszügen den Vortritt, die sich aus anderen Straßen auf die Hauptroute einfädeln wollen. Halb Darmstadt ist am Freitag, dem 20. September 2019 auf der Straße und streikt für eine konsequente und sozial gerechte Klimapolitik. Während einer der Pausen verteilt eine Frau an die Umstehenden Blätter mit dem Lied des belgischen Filmemachers Nic Balthazar „Sing for the Climate.“[1] Nach der alten Melodie Bella Ciao singen wir:
Überall sehen wir junge, hoffnungsvolle Gesichter. Eine Woche später sind meine Frau und ich für zehn Tage in Wien, um diese wunderschöne, uns noch unbekannte Stadt zu erkunden. Am Hauptbahnhof rät man uns, die U‑Bahn zu unserem Quartier in der Innenstadt zu nehmen, denn auf allen Hauptverkehrsstraßen seien Fridays-for-Future-Demonstrationen unterwegs, so dass mit der Straßenbahn kein Durchkommen sei. Ganz Europa ist auf den Beinen, damit endlich etwas dafür getan wird, dass auch künftige Generationen weiter auf unserem Planeten leben können.
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Rückblick
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Acht Jahre ist es her, dass ich geschrieben hatte: „Wir wissen, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind und sind dennoch der Meinung, wir könnten nicht anders. Wir haben ausgeklügelte Navigationssysteme, die uns bis zum Mars bringen, aber wenn es um das Schicksal der Erde geht, fliegen wir auf Sicht. Mit welchem Werkzeug können wir diese falsch verdrahtete Steuerung aufbrechen und den Selbstzerstörungsmechanismus unschädlich machen?“[2]
Die Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT druckte einen längeren Textauszug mit dem Titel „Ratschläge eines Gärtners“[3] und der streitbare Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach schrieb mir aus den Ferien von Hand einen langen, ermutigenden Brief: „Wer sich Zeit lässt und sie sich nimmt, lässt sich immer mal wieder – meist von den kleinen Geschichten und den alternativen Entwürfen eines gelingenden gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens inspirieren und berühren.“ Sonst war das Echo verhalten. Albrecht Müller, der Macher des bekannten und lesenswerten Internet-Blogs „Nachdenkseiten“, antwortete: „Da Ihr Buch thematisch nicht ganz zu uns passt, steht es seit geraumer Zeit tatsächlich in einem öffentlichen Buchregal in einem Pfälzer Dorf.“ Wie so viele handelt auch er am liebsten mit Denkschablonen. Alles was nicht in die eigene Schablone passt, wird aussortiert und in einer alten, zu einem Bücherregal umfunktionierten Telefonzelle abgelegt.
Anders Levermann, Professor am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, schrieb mir am 23. 5. 2013 von seiner dienstlichen Mail-Adresse: „mein tag hat 24h die ich zwischen familie und arbeit aufteile, sie bestimmen keine minute davon auch wenn sie mir bücher schicken, .. was sie machen ist ein eindringen in anderer leute leben und dazu haben sie kein recht.“ Ich kannte diese an Hass grenzende Ablehnung gut. Als wir von der Initiative BI ONO gegen die Darmstädter Nordostumgehung einige Jahre zuvor hoffnungsfroh bei den Grünen vorstellig geworden waren, um unsere Vorschläge zu präsentieren, schauten wir in versteinerte Gesichter. Die Grünen waren damals in Darmstadt Teil einer SPD-geführten Koalition, die die Straße auf Biegen und Brechen durchdrücken wollte. Die grüne Stadtverordnete Doris Fröhlich schrieb mir im August 2008: „Eine Ablehnung der Vorlage würde das Ende der Koalition bedeuten und damit jede weitere Einflussnahme auf die Gestaltung dieser Stadt… Seien Sie versichert, dass weder ich noch meine Fraktion diese Entscheidung leichten Herzens tragen.“ Leute wie Karl-Heinz Stephan-Roßbach, die uns unterstützten, waren die Ausnahme. Ich erinnere mich noch gut an seine Rede vor der Abstimmung am 30. 9. 2008 in der Stadtverordnetenversammlung, in der er seine Ablehnung des Projekts begründete. Es war ein leidenschaftliches und doch etwas fahriges Plädoyer: Er stand mit seiner abweichenden Meinung unter ungeheurem Druck seiner Fraktion, wie er uns anschließend berichtete. Ein halbes Jahr später, am 9. März 2009, trugen wir ihn, 56 Jahre alt, auf dem Waldfriedhof zu Grabe. Unseren Erfolg beim Bürgerentscheid im Juni 2009 hat er nicht mehr erlebt. Die Darmstädter Grünen schrieben in ihrer Todesanzeige:
„Völlig unerwartet und viel zu früh ist unser Parteifreund und Fraktionsmitglied Dr. Karl-Heinz Stephan-Rosbach aus unserer Mitte gerissen worden. Wir verlieren mit ihm einen hoch engagierten, menschlich integren und liebenswürdigen Mitstreiter. Seine Fachkompetenz, seine Hilfsbereitschaft und seine liebenswerte Art, die menschliches Miteinander stets über politische Auseinandersetzung stellte, werden uns sehr fehlen. Wir sind seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Trauer tief verbunden.“
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Scientists for Future
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Waren die großen Demonstrationen im September 2019 tatsächlich der Wendepunkt? Meine Hoffnung war groß. Drei Monate später, am 29. Januar 2020, besuchte ich eine Veranstaltung der Scientists for Future Darmstadt in der Pauluskirche und hörte mir die Vorträge von Till Below[4] und Sven Linow[5] an. Die Kirchenbänke waren voll. Below sagte: „Wenn wir unsere Emissionen in den nächsten 10 Jahren nicht halbieren, geraten wir langfristig in einen ungebremsten Klimawandel, der gesellschaftlich nicht mehr beherrschbar ist.“ Jeder spürte: „So kann es nicht weitergehen. Wir müssen jetzt sofort das Ruder herumreißen.“ Ich wollte dabei sein. 2011 hatte ich am Kommunalwahlprogramm der Linken „Eine Stadt für alle“ mitgearbeitet und gemeinsam mit Werner Krone und anderen das Kapitel „Ökologische Stadtentwicklung und zukunftsfeste Verkehrsplanung“ erstellt. Es war eine erfüllende, gestaltungskräftige und schöne Zeit voller hitziger Diskussionen bis in einzelne technische Details hinein: „Aus der Fahrradhauptstadt Münster weiß man: Ein Autofahrer kostet eine Kommune so viel wie 14 Radfahrer – wobei Folgekosten des KFZ- Verkehrs durch Feinstaub und andere Umweltbelastungen noch gar nicht enthalten sind.“[6] (Originalquelle zur Zahlenangabe: G. Joksch, Stadtbaurat a. D. in Münster[7]) Wir wollten eine Verdopplung des Radverkehrsanteils von 15 auf 30 Prozent in fünf Jahren. Trotz vieler Initiativen wie dem Radentscheid sind wir heute, 10 Jahre später, von diesem Ziel immer noch weit entfernt: Der Radverkehrsanteil liegt in Darmstadt derzeit bei 22 %.[8] Bei den Linken bin ich seit einigen Jahren nicht mehr, aber ich hoffte mich bei den Scientists neu einbringen zu können.
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