„Geld ist mir so gar keine Leidenschaft“ – Pat Christ

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Auf Bern­hard Sten­ge­les Wunsch­lis­te steht der eigene Erfolg nicht obenan. „Geld war mir nie wich­tig“, sagt der Thea­ter­mann und diese Worte nimmt man ihm ab. Sten­ge­le hätte leicht „Geld­kar­rie­re“ machen können. Funk und Fern­se­hen waren an ihm inter­es­siert. Doch der gebür­ti­ge Allgäu­er entschied anders. Ihn dräng­te es von jeher danach, wie er sagt, gesell­schaft­lich rele­van­te Proble­me im Thea­ter und mit den Mitteln des Thea­ters zur Diskus­si­on zu stel­len. Ganz am Ende geht es dabei auch ums Geld geht.

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Dinge beim Namen nennen, hinter­fra­gen, künst­le­risch Unge­wöhn­li­ches wagen, das ist typisch für Bern­hard Sten­ge­le, den ich aus jener Zeit kenne, als er in meiner Heimats­stadt Würz­burg Schau­spiel­di­rek­tor war. Bevor er 2012 ging, bahnte er eine Koope­ra­ti­on mit dem Ensem­ble des Carre­four Inter­na­tio­nal Théât­re Ouag­adou­gou in Burki­na Faso an. Aus dieser Koope­ra­ti­on ging das ab 2010 reali­sier­te Stück „Les funé­railles du désert“ hervor. Hier griff Sten­ge­le Themen wie Klima­wan­del und Deser­ti­fi­ka­ti­on, Trau­er­ri­ten, Homo­se­xua­li­tät und das weite Feld „Fami­lie“ auf.

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Früh, erzählt Sten­ge­le, hat es hat ihn gepackt, was seine Leiden­schaft für das Thea­ter anbe­langt. Schon als Jugend­li­cher gehör­te er einer Thea­ter­grup­pe an: „Wir prob­ten immer mitt­wochs, von acht bis zehn, diese Zeiten werde ich nie verges­sen.“ Wie „verliebt“ sei er in die Proben gewe­sen: „Ab Donners­tag zählte ich die Tage bis zum nächs­ten Mitt­woch.“ Was ihn so fessel­te, sei schwer zu beschrei­ben. Das habe etwas mit „Flow“ zu tun. Wobei es sich dabei um keinen reinen Gefühls­rausch handelt, so der 57-Jähri­ge: „Verstand und Körper erle­ben beim Schau­spiel gleich­zei­tig einen inten­si­ven Moment. Nichts zählt in diesem Moment, was vorher war, nichts, was danach sein wird.“

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40 Jahre später herrscht Pande­mie, ein rigi­der Maßnah­men­ka­ta­log zur Eindäm­mung des Coro­na­vi­rus beutelt die Kunst extrem. „Für frei­schaf­fen­de Künst­ler ist das eine Kata­stro­phe“, sagt Sten­ge­le. Und zwar nicht nur hier­zu­lan­de. Sondern welt­weit. Das erfährt Sten­ge­le durch seine inter­na­tio­na­len Kontak­te. So erhielt er von einem Kolle­gen aus Burki­na Faso ein Schrei­ben, das ihm unter die Haut ging – weil daraus so viel Not sprach: „Er fragte, ob ich ihm 50 Euro leihen könnte, das hatte er noch nie zuvor getan.“ Die Frau des Schau­spie­lers war schwan­ger. Es kam zu Kompli­ka­tio­nen. Sie musste in die Klinik. Ohne das Geld aus Deutsch­land wäre das Kind gestorben.

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Wieder ist alles dicht

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Vor allem das letzte Quar­tal des Jahres 2020 war für Kultur­schaf­fen­de desas­trös. Was an Rück­la­gen vorhan­den war, hatte meist schon der erste Lock­down im Früh­jahr verschlun­gen. Dann wurde im Herbst wieder alles dicht gemacht. Auch Bern­hard Sten­ge­le hat zu kämp­fen. Und zwar, was sein neues­tes Projekt betrifft: Der Thea­ter­ma­cher ist gerade dabei, in Thürin­gen eine Schau­spiel­schu­le zu grün­den. Eine Schule der völlig ande­ren Art soll es werden. „Inter­na­tio­nal School of Performing Arts“ soll sie heißen. Wer sie absol­viert hat, soll imstan­de sein, gesell­schaft­lich rele­van­te Themen mit den Mitteln der darstel­len­den Kunst aufzu­grei­fen. Auch, aber nicht nur auf der Bühne.

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Bern­hard Sten­ge­le labo­riert schon eine ganze Weile an der Aufga­be, die Schule zu grün­den. Die Pande­mie verzö­gert alles. Und sie verschärft ein großes Problem: „Das Konzept steht, doch wir brau­chen Geld.“ So eine Schule, sagt Sten­ge­le, kann unmög­lich privat finan­ziert werden: „Wir benö­ti­gen eine insti­tu­tio­nel­le Förde­rung.“ Im Moment zeich­net sich nicht ab, woher öffent­li­che Gelder flie­ßen sollen. Doch kann es sein und darf es sein, dass eine gute Idee, die so bisher noch nirgends verwirk­licht wurde, stirbt, bloß, weil kein Geld zur Verfü­gung steht? Oder anders und besser ausge­drückt: Weil das Geld, das vorhan­den ist, nicht hier­für zur Verfü­gung gestellt wird?

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Es wäre eine so reiz­vol­le und über­aus wich­ti­ge Aufga­be, junge Menschen mit schau­spie­le­ri­schem Talent zu befä­hi­gen, sich künst­le­risch in gesell­schaft­li­che Diskur­se einzu­brin­gen. Dies umso mehr, als es immer schwie­ri­ger zu werden scheint, faire, von Tole­ranz und Fried­fer­tig­keit gepräg­te Diskur­se zu führen. Der Diskurs­stil wird zuneh­mend unde­mo­kra­ti­scher. Fron­ten verhär­ten sich. Kriti­ker werden mund­tot gemacht. Die „Cancel Cultu­re“ greift um sich. Sten­ge­le bewies in den vergan­ge­nen Jahren, dass es möglich ist, selbst heikels­te und „schwers­te“ Themen und selbst Proble­me mit „Spalt­po­ten­zi­al“ auf die Bühne des Thea­ters zu brin­gen. Fair. Und friedlich.

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Thea­ter macht handlungsfähig

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So wird es oft als eine kniff­li­ge Ange­le­gen­heit betrach­tet, über das Thema „Geflüch­te­te“ zu disku­tie­ren. Denn es hat so viele Facet­ten. Und birgt Zünd­stoff. Da ist zum einen das Leid dieser Menschen. Die Drama­tik ihrer Flucht. Das macht betrof­fen. Dann ist da die Lage der öffent­li­chen Haus­hal­te: Wie sollen die neuen Bedar­fe finan­ziert werden? Da sind die seit langem sozial Benach­tei­lig­ten in unse­rer Gesell­schaft. Bei denen Neid aufkommt, der sich zum Teil in Rassis­mus entlädt. „Durch das Thea­ter ist es möglich, solche Proble­me auf eine Weise anzu­spre­chen, die nicht runter­zieht“, sagt Sten­ge­le. Sondern Empa­thie weckt. Impul­se gibt. Hand­lungs­fä­hig macht.

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Nicht länger auf der Stelle treten, handeln und wirk­sam werden – das wünschen viele Menschen, die sich für eine sozia­le und ökolo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on enga­gie­ren. Doch solan­ge es möglich ist, dass dort, wo schon sehr viel Kapi­tal vorhan­den ist, noch mehr hinfließt, werden sich die Trans­for­ma­ti­ons­träu­me schwer­lich erfül­len lassen können. Die leis­tungs­lo­se Geld­ver­mö­gens­meh­rung sieht auch Sten­ge­le als riesi­ges Problem an. „Wie viel Kapi­tal sich in einzel­nen Händen befin­det, ist abar­tig“, sagt er. Als ebenso „abar­tig“ empfin­det er die immer weiter voran­schrei­ten­de Ökono­mi­sie­rung. Wie massiv die um sich greift, gibt er zu, damit habe er bis vor weni­gen Jahren nicht gerechnet.

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Irgend­wann jenseits der 40 habe er einen regel­rech­ten „Schock“ erlebt, gibt der Thea­ter­mann zu: „Ich war mir früher immer so sicher gewe­sen, dass die gesell­schaft­li­chen Verhält­nis­se besser werden.“ Durch seine sozi­al­kri­ti­schen Produk­tio­nen kämpf­te er ja schließ­lich gerade dafür. Die stie­ßen auch immer auf posi­ti­ven Wider­hall. Und sugge­rier­ten Sten­ge­le: Viele ziehen am glei­chen Strang. Viele wollen, dass sich etwas ändert. Dass die Gesell­schaft sozia­ler wird. Huma­ner. Ökolo­gi­scher. Dann fiel die Mauer. Das vergrö­ßer­te seine Hoff­nung. Sten­ge­le: „Doch irgend­wann stell­te ich fest, dass der Tanz ums Golde­ne Kalb unver­min­dert weitergeht.“

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Als Kind, sagt Sten­ge­le, hatte es ihn unge­mein genervt, dass so ein großes Trara um das Thema „Geld“ gemacht wurde. Ihm klin­gen noch die Worte seines Vaters, einem klei­nen Unter­neh­mer, im Ohr: „Am Ende geht es immer ums Geld.“ Das fand der Junge einen schreck­li­chen Satz. Damit konnte er sich nicht iden­ti­fi­zie­ren. Will man denn in einer Welt leben, wo sich wirk­lich alles ums Geld dreht – am Ende? Heute sieht auch Sten­ge­le: „Es dreht sich in der Tat wahn­sin­nig viel ums Geld.“ Zwar sei ihm persön­lich Geld nach wie vor „keine Leiden­schaft“. Doch mit der Thema­tik wird der Thea­ter­mann immer stär­ker konfron­tiert. Am Geld­sys­tem, denkt er heute, muss sich drin­gend etwas ändern.
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