Ende der Demokratie in Amerika? – Werner Peters
Man möchte am liebsten den Gedanken nicht hochkommen lassen und schon gar nicht aussprechen, allein aus Respekt vor den über 500.000 Corona-Toten – aber diese Pandemie hat sich in einer geradezu schicksalhaften Weise auch als ein Segen für Amerika erwiesen.
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Ohne sie und die durch sie ausgelösten Verwerfungen und Einbrüche vor allem des Wirtschaftslebens hätte es weitere vier Jahre der Präsidentschaft Donald Trumps gegeben mit einer beispiellosen Beschädigung der Demokratie und der gesellschaftlichen Ordnung.
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Es kann keinen Zweifel daran geben – betrachtet man den knappen Ausgang der Wahl am 3. November –, dass Donald Trump als Sieger hervorgegangen wäre, wenn die Wirtschaft, nicht zuletzt aufgrund seiner rücksichtslosen Aushebelung des Umweltschutzes, sich weiter so gut entwickelt hätte, wie es zu Beginn des Jahres aussah.
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Das wirtschaftliche Klima und das subjektive Befinden der Menschen in ihm sind, ob man es bedauert oder nicht, letztlich wahlentscheidend. Bill Clinton hat es bei seinem Wahlkampf für das Präsidentenamt auf die simple Formel gebracht: „It’s the economy, stupid!“. Und bei den Wahlen am 3. November war keineswegs die desolate Lage des Gesundheitswesens aufgrund der Corona-Pandemie, sondern mit 37 % bei den Wählern die Wirtschaft der ausschlaggebende Aspekt für ihr Votum.
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Wie es weitergegangen wäre
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Wenn wir wirklich erfassen wollen, in welchem Zustand sich die amerikanische Demokratie befindet, um von daher eine Einschätzung der Entwicklung der politischen Lage in den USA vorzunehmen, ist es nötig sich zu vergegenwärtigen, was vier weitere Jahre mit Donald Trump im Weißen Haus bedeutet hätten, ein Szenario, das immerhin ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung, davon viele geradezu mit Begeisterung, gewünscht hat.
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Über die durchaus ernst gemeinten Beschwörungen der Politiker und Kommentatoren, allen voran Joe Biden, dass die amerikanische Demokratie sich als widerstandsfähig erwiesen habe, insbesondere insofern sie den gewaltsamen Umsturz abgewendet habe, darf man nicht vergessen, in welchem Zustand sie sich am Vorabend der Abwahl von Donald Trump befand und wie sie nach seiner Niederlage von ihm wochenlang in ihren Grundfesten angegriffen wurde.
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Trump hat die besondere Machtfülle des Präsidenten, der nicht vom Parlament abhängig und ihm Rechenschaft schuldig ist, extrem ausgeweitet und praktisch autoritär regiert. Das System der „checks and balances“, bei dem der Kongress den Präsidenten vor allem über die Bewilligung von Haushaltsmitteln kontrolliert und in Schach hält, war zusammengebrochen. James Madison, einer der Gründerväter der Republik, hatte seine Erwartung auf das Funktionieren dieses Systems damit begründet, dass „ambition counteracts ambition“, also jede der beiden Mächte eifersüchtig darauf bedacht wäre, dass die andere Seite nicht zu stark würde. Die Schöpfer der Verfassung hatten sich nicht vorstellen können, dass die Mitglieder des Kongresses, der von ihnen bewusst als die wichtigste und stärkste Institution – weil Vertreterin des Volkes – konzipiert war, sich bedingungslos einem mittelmäßigen Demagogen unterwerfen und zum Erfüllungsgehilfen seiner erratischen politischen Agenda degradieren lassen würden. Hier wird eine gefährliche Fehlstelle in der amerikanischen Verfassung offenkundig, die aber bisher nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden hat: die institutionelle Unabhängigkeit des Präsidenten, der – entsprechende Mehrheiten im Senat vorausgesetzt – gesetzwidrig, ja geradezu kriminell agieren kann, wie die bisher alle gescheiterten Impeachment-Verfahren gezeigt haben.
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Die Republikaner im Kongress, die bis 2018 die Mehrheit in beiden Häusern hatten, danach immer noch im Senat, haben dem Autokraten im Weißen Haus keinen Widerstand entgegengebracht. Zum einen, weil er ihnen gefällig war bei der Durchsetzung ihrer Lieblingsprojekte, insbesondere Steuersenkungen für die Reichen, vor allem aber aus Angst vor der republikanischen Wählerbasis, die sich in den vier Jahren Trump-Präsidentschaft zu einer fanatischen Trump-Anhängerschaft entwickelt hatte.
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Dieser Kurs einer Umwandlung der amerikanischen Demokratie in eine faktische Ein-Personen-Herrschaft hätte sich nach einem Wahlsieg Donald Trumps und damit Bestätigung seiner Politik und seines Herrschaftsstils nur noch schneller fort- und festgesetzt. Donald Trump hatte schon vor der Wahl davon gesprochen, dass er in seiner Rolle als Präsident von der Verfassung eigentlich unumschränkte Macht zugewiesen bekommen habe, eine ungeheuerliche Anmaßung, die aber wie alle seine Tabubrüche nicht öffentlich abgestraft wurde.
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In den möglichen weiteren vier Jahren Präsidentschaft Trump mit einem willfährigen Kongress an seiner Seite oder besser unter seinem Kuratel, hätte er nicht nur die Macht des Präsidentenamtes weiter ausgebaut, sondern alle relevanten demokratischen Institutionen seinem Herrschaftssystem angepasst. Es ist bei der Fülle der sich teilweise überschlagenden Ereignisse und der Unzahl der täglichen Lügen und Ungereimtheiten aus dem Weißen Haus nicht so richtig zur Kenntnis genommen worden, dass Trump und seine Höflinge in den letzten Jahren systematisch Behörden, Kommissionen, Regierungsagenturen mit einseitig konservativem Personal besetzt oder ganz aufgelöst haben, wenn sie nicht mehr ins politische Programm von Trump passten. In ähnlicher Weise wurden auch im Justizbereich Hunderte von Richterstellen mit strammen Republikanern neu besetzt. Die öffentliche Verwaltung wäre im Jahre 2024 gleichgeschaltet gewesen. Bei der Justiz hätte es möglicherweise noch Widerstand gegeben, aber auch dort wäre der Einfluss des Trumpismus spürbar gewachsen.
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Es ist durchaus keine reine Fantasie, wenn man davon ausgeht, dass Trump auch eine Art erblicher Monarchie ins Auge gefasst hat und zumindest daran gearbeitet hätte, eines seiner Kinder, Ivanka oder Donald jr., als Nachfolger zu etablieren. Versuchsballons in diese Richtung wurden bereits gestartet. Nach all dem was die vergangenen vier Jahre gebracht haben, nach dem, was der versuchte Putsch am 06. Januar gezeigt hat, darf man sich keinen Illusionen hingeben über das Ausmaß an Energie, die Donald Trump für den Gewinn, den Ausbau und den Erhalt von Macht einzusetzen in der Lage ist.
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Wir hätten im Jahr 2024 die Demokratie in Amerika vergeblich gesucht. Das Land hätte sich ungefähr so dargestellt, wie wir die heutige Situation in der Türkei beurteilen.
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Zum Glück kam alles anders, oder etwa nicht?
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Nun wurde er aber abgewählt. Ist jetzt alles vorbei, ist alles anders? Hat die Demokratie, wie immer wieder beschworen wurde, sich als widerstandsfähig erwiesen? Ist sie wiederhergestellt? An der Oberfläche, ja. Mit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Joe Biden ist wieder so etwas wie Normalität im Politikbetrieb zurückgekehrt, vor allem gibt es wieder so etwas wie politische Kultur mit Anstand, Würde, Respekt und Dialogbereitschaft. Aber die amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten, und die Verwundbarkeit des politischen Systems, auf das die Amerikaner so stolz sind, ist offen zutage getreten. Trump, aber nicht nur er, sondern eine Reihe weiterer Opportunisten warten nur auf die Gelegenheit, die Schwächen des Systems auszunutzen, um es durch eine autoritäre Herrschaft zu ersetzen.
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Wie konnte es dazu kommen, und wieso so plötzlich und so tiefgreifend? Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und gehen weit zurück. Grundsätzlich kann man sagen, dass Donald Trump zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um eine sich seit langem aufstauende politische Gemengelage zur Entladung zu bringen. Die Basis dieses Gemenges ist eine sich bis zur Wut steigernde Unzufriedenheit vor allem der unteren Mittelschicht und der Unterschicht, die sich von dem rasanten Tempo der wirtschaftlichen Veränderungen abgehängt fühlen. Stichwort: Verlust vormals gut bezahlter Industriearbeitsplätze durch Globalisierung und Digitalisierung. Im Kern geht es aber nicht nur um den wirtschaftlichen und finanziellen Aspekt dieses Niedergangs, hierin steckt auch die Sehnsucht nach der „guten, alten Zeit“, in der die Verhältnisse klar und überschaubar waren. Trumps Lockruf „Make America great again“ versprach ja keinen Aufbruch in die Zukunft, sondern war im Grunde genommen eine Beschwörung der goldenen Vergangenheit Amerikas.
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