Be- oder entschleunigen? Wachsen oder schrumpfen? – Reinhard Loske

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Die Dialek­tik der ökolo­gi­schen Transformation
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Wirft man einen Blick auf die zahl­rei­chen Diskur­se zur ökolo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on in Deutsch­land, Europa und welt­weit, dann fallen neben Gemein­sam­kei­ten hinsicht­lich der allge­mei­nen Ziele auch viel­fäl­tigs­te Unter­schie­de hinsicht­lich der Konzep­te, Stra­te­gien und Maßnah­men zur Ziel­er­rei­chung ins Auge. Die Liste der oft kaum über­brück­bar schei­nen­den Wider­sprü­che ist dabei lang.
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Entschleu­ni­gung, Entrüm­pe­lung und Entschla­ckung werden von vielen Umwelt­be­weg­ten als Schlüs­sel­ele­men­te nach­hal­ti­ger und ressour­cen­schlan­ker Wirt­schafts- und Lebens­sti­le gese­hen. Prot­ago­nis­ten des „Green Deals“ hinge­gen prei­sen die Beschleu­ni­gung von Verfah­ren zur Durch­set­zung grüner Tech­no­lo­gien sowie groß­an­ge­leg­te grüne Inves­ti­ti­ons­of­fen­si­ven als Wachs­tums­sti­mu­li. An die Stelle von Konsu­mis­mus-Kritik tritt bei ihnen das Lob nach­hal­ti­gen Konsums. Kann es den einen gar nicht genug Ökoin­no­va­tio­nen geben, setzen die ande­ren auf Exno­va­tio­nen, also Ausstie­ge, lang­le­bi­ge Gebrauchs­ge­gen­stän­de und die Befrei­ung von Tech­n­obal­last. Wo die einen sich an tech­ni­schen Bauwer­ken in der Land­schaft wie Solar- und Wind­parks, Wasser­kraft­wer­ken und Biogas­an­la­gen erfreu­en und deut­lich mehr davon wollen, kommen den ande­ren Land­schafts­ver­schan­de­lung, Mono­kul­tu­ren, Arten­schwund und Ziel­kon­flik­te in den Sinn. Wird hier das soge­nann­te grüne Wachs­tum in den Stand einer neuen ökono­mi­schen Leit­idee erho­ben, was als Konzept mitt­ler­wei­le tief in den poli­ti­schen Main­stream vorge­drun­gen ist, werden dort die Post­wachs­tums­öko­no­mie und das grüne Schrump­fen („Degrowth“) als einzig zukunfts­fä­hi­ge Formen des Wirt­schaf­tens gese­hen. Fordern die einen handel­ba­re Emis­si­ons­rech­te für CO2 und deren schritt­wei­se Verknap­pung oder CO2-Steu­ern, damit die Preise in der grünen Markt­wirt­schaft die „ökolo­gi­sche Wahr­heit“ sagen und so klima­po­li­ti­sche Lenkungs­ef­fek­te erzie­len können, warnen andere vor einer ökono­mi­schen Inwert­set­zung und Total­kom­mer­zia­li­sie­rung der Natur. Im Kapi­ta­lis­mus mit seinen Akku­mu­la­ti­ons- und Wett­be­werbs­zwän­gen sei Nach­hal­tig­keit grund­sätz­lich unmög­lich. Grüner Kapi­ta­lis­mus sei deshalb nichts als eine gefähr­li­che Illu­si­on. Und nicht zuletzt: Setzen die einen auf grüne Welt­märk­te, grüne Wett­be­werbs­fä­hig­keit, nach­hal­ti­ge Globa­li­sie­rung und allum­fas­sen­de Ökoef­fi­zi­enz, sind den ande­ren Regio­na­li­sie­rung, Koope­ra­ti­on, Subsis­tenz und Suffi­zi­enz die besten Mittel, um der Entfrem­dung der Menschen von ihrer Umwelt entge­gen­zu­wir­ken und die gebo­te­nen ökolo­gi­schen Reduk­ti­ons­zie­le zu erreichen.
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Was folgt aus diesem großen Durch­ein­an­der der Stim­men; was daraus, dass die einen „Mehr und schnel­ler!“, die ande­ren „Weni­ger und lang­sa­mer!“ rufen? Versu­chen wir uns an einer Antwort, soll­ten zunächst einmal die Posi­tio­nen mit Allein­ver­tre­tungs­an­spruch näher unter die Lupe genom­men werden, allen voran die Idee des tech­no­lo­gie­ge­trie­be­nen grünen Wachs­tums und die Vorstel­lung, ökolo­gi­sche Verant­wor­tung sei vor allem beim Indi­vi­du­um und seinem Lebens­stil zu verorten.
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Die Gren­zen des grünen Wachstums
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So unzwei­fel­haft es ist, dass in Zukunft manche Sekto­ren der Wirt­schaft wach­sen müssen, von den erneu­er­ba­ren Ener­gien und der Wasser­stoff­wirt­schaft über digi­ta­le Steue­rungs­tech­ni­ken für Umwelt­schutz und Ressour­cen­ein­spa­rung bis zu Kreis­lauf­wirt­schaft, nach­hal­ti­ger Verkehrs­tech­nik, flächen­scho­nen­der Sied­lungs­tech­nik und natur­ver­träg­li­cher Land­nut­zungs­tech­nik, so klar ist doch, dass im Gegen­zug vieles schrump­fen oder gänz­lich unter­blei­ben muss. Kohle­kraft­wer­ke, Verbren­nungs­mo­to­ren, neue Fern­stra­ßen, Regio­nal­flug­hä­fen, Land­schafts­zer­sied­lung, Wasser­ver­schwen­dung, Wegwerf­pro­duk­te, Über­glo­ba­li­sie­rung, Pesti­zid- und Mine­ral­dün­ger­ein­satz, Massen­tier­hal­tung, Futter­mit­tel­im­por­te, Fleisch­kon­sum und ande­res, von all dem brau­chen wir in Zukunft weni­ger, von manchem gar nichts mehr. Wird die Bremse hier nicht durch klare poli­ti­sche Vorga­ben deut­lich ange­zo­gen, nützt der ganze tech­ni­sche Fort­schritt wenig, denn die poten­zi­el­len Effi­zi­enz­ge­win­ne werden durch Zuwachs­ef­fek­te aufge­fres­sen. Meta­pho­risch gespro­chen: Das Schiff würde zwar effi­zi­en­ter bela­den, wegen Über­la­dung aber dennoch unter­ge­hen. In der ökono­mi­schen Fach­spra­che ist dieses Phäno­men als Rebound- oder Bume­rang-Effekt bekannt.
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Über­dies muss gelten, dass die Wohl­stands­mes­sung in Zukunft realis­tisch erfolgt und nicht auf das Brut­to­in­lands­pro­dukt fixiert bleibt. Wo Wohl­stand mit ganz­heit­li­chen Indi­ka­to­ren gemes­sen wird, die ökono­mi­sche, sozia­le und ökolo­gi­sche Fakto­ren glei­cher­ma­ßen betrach­ten, entste­hen auch ganz andere Wohl­stands­bil­der, Wohl­stands­er­zäh­lun­gen, Wohl­stands­mo­del­le. Genau diese braucht es aber, um die fatale TINA-Geschich­te („There is no alter­na­ti­ve“) rund um das Wirt­schafts­wachs­tum zu entkräften.
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Kurzum: Auch grünes Wachs­tum hat Gren­zen. Auch grünes Wachs­tum braucht enorme Mengen an Rohstof­fen. Für einzel­ne Sekto­ren der Volks­wirt­schaft mag es vorüber­ge­hend eine sinn­vol­le Leit­ori­en­tie­rung sein, für die Volks­wirt­schaft insge­samt ist es das nicht. Wer die Rück­bau- und Rege­ne­ra­ti­ons­be­dar­fe verschweigt und nur vom Zubau und der dyna­mi­schen Erschlie­ßung immer neuer Ressour­cen redet, betrügt sich selbst und andere. Vor allem aber würde so – ganz ohne Vorsatz oder gar bösen Willen – sicher­ge­stellt, dass alle Umwelt­zie­le krachend verfehlt werden.
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Die Selbst­be­frei­ung vom Über­fluss: Reicht das?
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Umge­kehrt sind aber auch Stra­te­gien, die nicht auf poli­ti­sche Regu­lie­rung, Inves­ti­tio­nen, Tech­nik und Inno­va­tio­nen, sondern vor allem auf indi­vi­du­el­le Lebens­sti­län­de­run­gen und Ausstie­ge aus dem Hams­ter­rad setzen, für sich genom­men nicht imstan­de, die notwen­di­gen ökolo­gi­schen Ziele zu errei­chen, sei es die soge­nann­te Klima­neu­tra­li­tät bis 2045 (ange­mes­se­ner wäre ange­sichts der eska­lie­ren­den Erder­wär­mung Klima­po­si­ti­vi­tät bis 2035), das unver­züg­li­che Stop­pen des Biodi­ver­si­täts­schwun­des oder die Flächen­ver­brauchs­neu­tra­li­tät (Netto­neu­ver­sie­ge­lung von null) bis 2030, ganz zu schwei­gen von großen Zielen wie einer Redu­zie­rung des Ressour­cen­ver­brauchs um den „Faktor 10“.
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Die Errei­chung solch anspruchs­vol­ler Ziele ist eine eminent poli­ti­sche Gemein­schafts­auf­ga­be und kann nicht auf eine indi­vi­dua­li­sier­te Selbst­be­frei­ung vom Über­fluss verkürzt werden. Zu sehr wird der Stoff­wech­sel zwischen Gesell­schaft und Natur durch die physi­schen Infra­struk­tu­ren vorbe­stimmt, inner­halb derer wir leben. Werden diese Infra­struk­tu­ren nicht konse­quent verschlankt und auf ökolo­gi­sche Nach­hal­tig­keit umge­stellt, wird auch „das Rich­ti­ge im Falschen“ kaum zu einer echten Trend­wen­de führen.
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Sicher, aufge­klär­te gesund­heits- und nach­hal­tig­keits­ori­en­tier­te Lebens­sti­le (englisch LOHAS) von Einzel­nen oder klei­nen Grup­pen sind rich­tig und gut, weil sie ins Handeln brin­gen. Man bemüht sich vernünf­ti­ger­wei­se selbst um das ökolo­gisch Gebo­te­ne, zumal das oft auch Krea­ti­vi­tät, Lebens­freu­de, Zufrie­den­heit und neue Quali­tä­ten mit sich bringt. Manche ökolo­gi­sche Praxis ist zunächst in der Nische gedie­hen und später in den Main­stream hinein­ge­wach­sen. Denken wir nur an die erneu­er­ba­ren Ener­gien, den Vege­ta­ris­mus, die Biole­bens­mit­tel oder das Car Sharing.
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Lebens­stil­pio­nie­re waren wich­tig und blei­ben wich­tig. Aber eine zu stark indi­vi­dua­li­sier­te oder milieu­spe­zi­fi­sche Rahmung der Nach­hal­tig­keit läuft Gefahr, das Poli­ti­sche aus dem Blick zu verlie­ren und nicht mehr auf das Ganze der Gesell­schaft zu zielen. Für Popu­lis­ten aller Art ist das ein gefun­de­nes Fres­sen, denn kaum etwas tun sie lieber, als ökolo­gi­sche Praxis als Marot­te einer satu­rier­ten und vermeint­lich abge­ho­be­nen „Bio-Bour­geoi­sie“ zu denun­zie­ren, der die klei­nen Leute egal sind und die sich selbst eine höhere Moral zuschreibt.
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Kurzum: So sinn­voll, sinn­stif­tend und ins Handeln brin­gend ökolo­gisch bewuss­te Lebens­sti­le sind, so wenig können diese doch klare poli­ti­sche Rahmen­be­din­gun­gen erset­zen. Ein Slogan wie „Vergesst die Poli­tik! Macht es lieber selbst!“ mag sympa­thisch klin­gen, ist aber letzt­lich eine falsche Zuspit­zung. Nach­hal­tig­keit braucht verbind­li­che poli­ti­sche Ziele, die für alle gelten – und zu deren Errei­chung (stark problem­ver­ur­sa­chen­de) Wohl­ha­ben­de wesent­lich mehr beitra­gen müssen als (stark problem­be­trof­fe­ne) Einkom­mens­schwa­che. Das muss natio­nal wie inter­na­tio­nal gelten.- – -
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