Böses Foul: EM-Halbfinale für umstrittene Änderung des Melderechts genutzt

In ganz Europa rich­tet sich das öffent­li­che Leben nach dem Zeit­plan einer Fußball-Europa- oder ‑welt­meis­ter­schaft aus. Wich­ti­ge Veran­stal­tun­gen und Tref­fen werden termin­lich außer­halb dieser so viele in den Bann ziehen­den Groß­ver­an­stal­tun­gen gelegt. Die meis­ten Spiele der Euro 2012 in Polen und der Ukrai­ne wurden um 20:45 Uhr angepfiffen.

Fußballtheorie © Martin Bangemann

Dadurch konnte das „Tages­ge­schäft“ eini­ger­ma­ßen normal abge­wi­ckelt werden. Ausge­rech­net am 28.6.2012 um kurz nach 20:45 Uhr, als das Halb­fi­nal­spiel der deut­schen Natio­nal­mann­schaft gegen Itali­en ange­pfif­fen wurde, stand im deut­schen Bundes­tag eine höchst brisan­te Geset­zes­än­de­rung auf dem Programm. Vor leeren Rängen wurde das Melde­we­sen geän­dert. Melde­äm­ter werden demnach zu Anlauf­stel­len für „Banden-Werbung“. Ohne weite­res ist es fortan möglich, dass Unter­neh­men an die Daten der Melde­äm­ter kommen, deren einzi­ges Ziel es ist, den Leuten mittels verlo­cken­der „Ange­bo­te“ das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Aus allen Frak­tio­nen regt sich im Nach­hin­ein der Wider­stand, doch fragt man sich, wo denn die Protest­ler während der Abstim­mung des Bundes­tags waren, wenn sie das Gesetz nicht haben wollen.
Eigent­lich ist dem Staat ja im „Spiel“ des öffent­li­chen Lebens, neben seiner Funk­ti­on als Erlas­ser von Regeln, die Rolle des Schieds­rich­ters zuge­dacht. Für dieses „Foul“ an den Bürge­rin­nen und Bürgern erscheint die „gelbe Karte“ fast als eine zu milde Strafe. Doch welchem Spie­ler steht es schon zu, den Schieds­rich­ter zu ermahnen? 

4 Antworten

  1. Gerhardus Lang sagt:

    Heute erschien in der NWZ ein Arti­kel von Martin Hofmann, der einmal chro­no­lo­gisch unter­such­te, was der Bundes­tag so durch­wink­te, wenn gerade mal wieder Fuss­ball gespielt wurde. Dazu habe ich folgen­den Leser­brief geschrieben:

    Spie­lend durchgesetzt

    Der ausge­zeich­ne­te Arti­kel von Martin Hofmann am 16.7. beschreibt eine Praxis, die einen Miss­stand grell beleuch­tet: Die fehlen­de Gewal­ten­tei­lung in unse­rem Staat. Indem der größte Teil der Geset­ze von der Exeku­ti­ve, nämlich der Bundes­re­gie­rung und dem Bundes­rat einge­bracht werden, macht man den Bock zum Gärt­ner. Der Bundes­tag verkommt mehr und mehr zu einer Versamm­lung, welche die von der Regie­rung einge­brach­ten Geset­zes­ent­wür­fe „abnickt“, und das, wie in der Sitzung am 28.6.12 erneut gesche­hen, ohne wirk­li­che Lesung und Diskus­si­on. Wie ein Gesetz durch einen so spär­lich besetz­ten Bundes­tag Rechts­gül­tig­keit erlan­gen kann, ist nicht zu begrei­fen. Es wird höchs­te Zeit, dass die nicht vorhan­de­ne Gewal­ten­tei­lung einge­rich­tet wird und der Bundes­tag allein als Gesetz geben­de Versamm­lung seiner Bedeu­tung gerecht wird. Ob dort aller­dings mit den von den Partei­en im Voraus ausge­wähl­ten Abge­ord­ne­ten die rich­ti­gen Persön­lich­kei­ten vorhan­den sind, darf nach diesem unwür­di­gen und unsach­ge­mä­ßen Verhal­ten grund­sätz­lich bezwei­felt werden. Hier wird die Forde­rung nach strik­ter Gewal­ten­tei­lung nicht erfüllt und Macht ermög­licht, die zuneh­mend miss­braucht wird: Die Exeku­ti­ve darf keinen Einfluss auf die Gesetz­ge­bung haben und umge­kehrt die Legis­la­ti­ve keine auf Exeku­ti­ve. In der Legis­la­ti­ve dürfen zusätz­lich keine Inter­es­sen vertre­ten werden, sondern hier muss eine von Inter­es­sen freie Versamm­lung die Gleich­heit vor dem Gesetz garan­tie­ren. Die in ihr versam­mel­ten Persön­lich­kei­ten müssen eine Art rich­ter­li­che Unab­hän­gig­keit und Über­par­tei­lich­keit reprä­sen­tie­ren. Dann würden derar­ti­ge Pein­lich­kei­ten der Vergan­gen­heit angehören.

    Dr. Gerhar­dus Lang, Bad Boll, den 16.7.12

  2. Andreas Bangemann sagt:

    „Deshalb wird auch gemun­kelt, dass sich alle Paral­men­ta­ri­er bei Beginn ihrer Tätig­keit eine neue Wirbel­säu­le einbau­en lassen, bei der das Abni­cken nicht zum Verlust des eige­nen Kopfes führen kann.“

    @Gerhardus Lang, Groß­ar­tig, den kannte ich noch nicht, werde ihn mir aber garan­tiert merken :-)

  3. Gerhardus Lang sagt:

    Wir müssen uns immer wieder fragen, wie lange wir noch diesem Nieder­gang des Paral­men­ta­ris­mus zuschau­en wollen. Die von den Partei­en aufge­stell­ten Kandi­da­ten gleich welcher Partei nehmen ihre Manda­te einfach nicht Ernst. Sei sind ja auch an der eigent­li­chen Gesetz­ge­bung wenig betei­ligt, sondern stim­men nur immer zu, was die Regie­rung als Exeku­ti­ve ihr als Legis­la­ti­ve vorlegt, ein Vorgang, der mit „Abni­cken“ charak­te­ri­siert ist. Deshalb wird auch gemun­kelt, dass sich alle Paral­men­ta­ri­er bei Beginn ihrer Tätig­keit eine neue Wirbel­säu­le einbau­en lassen, bei der das Abni­cken nicht zum Verlust des eige­nen Kopfes führen kann.

    Gerhar­dus Lang, Bad Boll

  4. Reinke sagt:

    Eigent­lich erwar­ten wir solche Entschei­dun­gen immer dann, wenn das Volk besof­fen gemacht wird. Und dazu gehört eben Fußball.
    Wir bekom­men noch mehr Müll, noch mehr Mist und noch mehr auf uns zuge­schnit­te­ne Marke­ting­ana­ly­sen von Psycho­pop­pern. Schade, daß man nicht einfach mal rein­lan­gen kann. 

    Gleich­zei­tig bejam­mern einige Hobby­öko­no­men vom Stamme Sinn den deut­schen Ausverkauf,
    (http://www.welt.de/wirtschaft/article107910014/Oekonomen-rebellieren-gegen-EU-Gipfel-Beschluesse.html)
    den sie mit dem neoli­be­ra­len Mist erst ange­zet­telt haben. In Analo­gie zur Psycho­lo­gie kann man spot­ten: Die Wirt­schafts­wis­sen­schaft ist die Krank­heit für deren Thera­pie sie sich hält.

    Herz­li­che Grüße vom alten Schmug­gel­pfad aus Südniedersachsen
    mit dem alten Spruch von Los Tros Tornados:
    „Fürch­te Gott und deinen Lieben Nach­barn auch“

    Wolf­gang Reinke

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