Nachruf auf Ekkehard Lindner – Prof. Dr. Dirk Löhr und Jörg Gude

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Nach­ruf auf Ekke­hard Lindner
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* 27.11.1922 in Rauscha (Ruszów) östlich von Görlitz
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† 4.3.2021 in Morin­gen bei Göttingen

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Prof. Dr. Dirk Löhr und Jörg Gude, 1. und 2. Vorsit­zen­der der SG

Werner Onken, Redak­ti­on „Zeit­schrift für Sozialökonomie“

„Wer einen Fluss über­quert, muss die eine Seite verlas­sen.“ Mit diesem Satz von Mahat­ma Gandhi ist die Trau­er­kar­te über­schrie­ben, durch die wir erfuh­ren, dass der frühe­re lang­jäh­ri­ge 2. Vorsit­zen­de und Geschäfts­füh­rer der „Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Gesell­schaft 1950 e. V. (SG)“ Ekke­hard Lind­ner nach einem fast einhun­dert­jäh­ri­gen erfüll­ten Leben fried­lich auf der ande­ren Seite des Flus­ses ange­kom­men ist. Von 1972 bis 2006 gehör­te Ekke­hard Lind­ner dem Vorstand der SG an und ihm verdan­ken wir die Grün­dung und Orga­ni­sa­ti­on unse­rer Tagungs­rei­he „Münde­ner Gespräche“.

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Ekke­hard Lind­ner stamm­te aus dem Kreis Görlitz, wo sein Vater in der Klein­stadt Rauscha östlich der Oder eine Apothe­ke betrieb. Die Krise der frühen 1920er Jahre und die große Welt­wirt­schafts­kri­se ab 1929 brach­ten die Fami­lie in wirt­schaft­li­che Bedräng­nis; so wech­sel­te sie mehr­fach ihren Wohn­sitz, um nach­ein­an­der in Danzig, Stet­tin und Neurup­pin eine neue Exis­tenz­grund­la­ge zu suchen. Nach dem Abitur nahm Ekke­hard Lind­ner als Soldat am Zwei­ten Welt­krieg teil, in dessen Verlauf die ihm vom deutsch­na­tio­nal einge­stell­ten Eltern­haus, von der Schule und der Hitler-Jugend einge­impf­ten Ideale bald an der Reali­tät des Krie­ges zerschell­ten. Die anfäng­li­che Begeis­te­rung wich dem bitte­ren Gefühl, von den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gewalt­herr­schern miss­braucht zu werden.
Wegen star­ker Unter­ernäh­rung wurde Ekke­hard Lind­ner bereits im Herbst 1945 aus der russi­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft entlas­sen. In Frankfurt/Oder erhielt er die Möglich­keit der Ausbil­dung zum Volks­schul­leh­rer. Während­des­sen wurde sein Inter­es­se an sozia­len Fragen geweckt; aber weder die marxis­ti­schen Theo­rien noch der poli­ti­sche Kurs der SED vermoch­ten ihn zu über­zeu­gen. Als den ange­hen­den Lehrern nahe­ge­legt wurde, sich poli­tisch zu orga­ni­sie­ren, schloss sich Ekke­hard Lind­ner daher nicht der SED, sondern der „Libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Partei Deutsch­lands“ (LDP) an. In ihr suchte er eine Brücke zwischen seinem neu geweck­ten sozia­len Empfin­den und dem Stre­ben nach bürger­li­chen Freiheitsrechten.

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In der LDP lernte Ekke­hard Lind­ner 1947 den mittel­stän­di­schen Fabri­kan­ten Ewald Vogt kennen, der schon vor 1933 in der „Frei­wirt­schaft­li­chen Partei Deutsch­lands“ (FPD) aktiv gewe­sen war. Die LDP war in jenen Jahren für ihn wie auch für andere Anhän­ger der Geld- und Boden­re­form­ideen von Silvio Gesell in der SBZ gewis­ser­ma­ßen ein poli­ti­scher Zufluchts­ort. So kam es zu Gesprä­chen über Gesells Reform­ideen, die schließ­lich zur Entste­hung eines sich regel­mä­ßig tref­fen­den Diskus­si­ons­zir­kels führ­ten, der nach außen als Buch­füh­rungs­kurs getarnt war. Die Schrif­ten von Gesell und dessen Anhän­gern, beson­ders von Karl Walker und Werner Zimmer­mann, sowie deren Zeit­schrift „Die Gefähr­ten – Monats­schrift für Erkennt­nis und Tat“ beschaff­te Vogt regel­mä­ßig aus West-Berlin. Dieser Zirkel bestand bis 1954, als Vogt wegen eines angeb­li­chen Konkurs­be­trugs vorüber­ge­hend in Unter­su­chungs­haft kam. Aus der LDP trat Ekke­hard Lind­ner wegen deren Gleich­schal­tung mit dem SED-Régime aus und ließ sich auch nicht zu einem Eintritt in die SED bewegen.

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1958 floh er aus der DDR in die Bundes­re­pu­blik und siedel­te sich in der Umge­bung von Göttin­gen an. Nach entspre­chen­der Weiter­bil­dung wurde er Real­schul­leh­rer in Nort­heim und nahm 1973 die Möglich­keit wahr, in der Region Nort­heim, Einbeck, Bad Ganders­heim und Uslar die Leitung einer neu gegrün­de­ten Kreis­volks­hoch­schu­le zu über­neh­men. In den drei­zehn Jahren bis zu seiner Pensio­nie­rung baute er aus klei­nen Anfän­gen eine große Insti­tu­ti­on mit 12 haupt­amt­li­chen und rund 400 neben­be­ruf­li­chen Mitarbeiter/innen auf, in der Kurse zur zweck­frei­en und beruf­li­chen Erwach­se­nen­bil­dung stattfanden.

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Schon bald nach seiner Über­sied­lung in die Bundes­re­pu­blik hatte Ekke­hard Lind­ner auch Kontak­te zu den Orga­ni­sa­tio­nen der Geld- und Boden­re­form­be­we­gung gesucht und sich nach einer Zeit der Orien­tie­rung entschlos­sen, in der „Sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Gesell­schaft“ mitzu­ar­bei­ten, deren führen­der Kopf damals Karl Walker war. Schon bald über­nahm Ekke­hard Lind­ner die Schrift­lei­tung der „SG-Kommen­ta­re zum aktu­el­len Zeit­ge­sche­hen“ und schrieb auch selbst Aufsät­ze und Broschü­ren über den Ost-West-Konflikt und das Poten­zi­al der Geld- und Boden­re­form für eine fried­li­che Über­win­dung dieses Konflikts. Sodann vertief­te er sich in die Werke großer Philo­so­phen und begeis­ter­te sich vor allem für „Abend­län­di­sche Wand­lung“, „Ursprung und Gegen­wart“ und andere Werke von Jean Gebser. Danach wandte sich Ekke­hard Lind­ner, von den Werken Gebsers ange­regt, der Psycho­lo­gie zu. Zunächst vertief­te er sich in die Werke von Sigmund Freud und danach noch inten­si­ver in die Werke des Indi­vi­du­al­psy­cho­lo­gen Alfred Adler, der als Gegen­ge­wicht zum sehr stark ausge­präg­ten Indi­vi­dua­lis­mus in west­li­chen Gesell­schaf­ten das „Gemein­schafts­ge­fühl“ der Menschen beton­te und eine polare Ergän­zung von Indi­vi­du­um und Gemein­schaft propa­gier­te. Weil er die frühe­re Verbin­dung zwischen der Psycho­lo­gie und dem Marxis­mus nicht für trag­fä­hig hielt, versuch­te Ekke­hard Lind­ner in seiner Broschü­re „Mensch und Markt“, eine Brücke zwischen der Psycho­lo­gie und dem Geld- und Boden­re­form­an­satz zu bauen und psycho­lo­gi­sche Aspek­te einer nach­ka­pi­ta­lis­ti­schen Markt­wirt­schaft zu verdeut­li­chen. Als wir uns gegen Ende der 1970er Jahre kennen­ge­lernt und über den Gene­ra­tio­nen­un­ter­schied hinweg ange­freun­det hatten, konn­ten wir auch noch unsere gemein­sa­me Begeis­te­rung für „Haben oder Sein“ und andere Werke des Sozi­al­psy­cho­lo­gen Erich Fromm teilen, während unsere Ansich­ten über die Sozio­bio­lo­gie, der sich Ekke­hard Lind­ner auch noch zuwand­te, sehr unter­schied­lich blieben.

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