Die neue Superklasse (Teil 2 von 2) – Günther Moewes
Ist es nicht Legendenbildung oder gar Verschwörungstheorie, die Verantwortung für alle Bösartigkeiten dieser Welt der neuen Superklasse anzulasten? Nein. Denn das, was diese Superklasse definiert, eint und ausmacht, ist es, grundsätzlich Kapitalinteressen über Bevölkerungsinteressen zu stellen. Und das dann durch Pseudowissenschaft zu rechtfertigen. Insofern ist sie mit ihren Thinktanks und Stiftungen die inoffizielle globale Schaltstelle der Kapitalseite und der ihr hörigen politischen Parteien. Ihre Ziele resultieren nicht aus der absichtsvollen Verschwörung einzelner Milliardäre, sondern aus der organisierten Verfilzung ihrer Kapitalinteressen. Die von ihr nicht mehr benötigten Teile der Bevölkerungen werden entlassen, mit Polizeigewalt aus ihren Wohnungen vertrieben oder den Schikanen einer eigens dafür geschaffenen Armutsbürokratie ausgesetzt, in der die einen Unterbezahlten die anderen Unterbezahlten kontrollieren. Sie werden allenfalls noch als Konsumenten benötigt, oder als Adressaten von Wahlkampfversprechungen und Neujahrsansprachen.
Die großen Lieblingsmärchen der neuen Superklasse
Lieblingsmärchen Nr.1
der Superklasse ist das von den „Alten, die nicht lange genug arbeiten“ (Müntefering). Und so „die Sozialsysteme belasten“ (Clement). Und für die „die Jungen bluten müssen“ (Gerhard Schröder). Das haben sich die Jüngeren und „Starken“ so lange gegenseitig erzählt, bis sie es selbst geglaubt haben. Dem stehen allerdings sehr einfache und unwiderlegbare Tatsachen entgegen: Das Sozialprodukt hat sich in Deutschland und den meisten anderen Industriestaaten in den letzten 35 Jahren aufgrund der Produktivitätszuwächse verdoppelt. Trotz abnehmender Arbeitszeit, trotz steigender Arbeitslosigkeit und trotz des immer größeren Anteils an Alten. Die Bevölkerungszahlen sind aber fast gleich geblieben. Es könnte also heute das Doppelte investiert und das Doppelte an die gleich gebliebene Bevölkerung verteilt werden wie 1980. Einschließlich der Alten und Nicht-Arbeitenden. Einschließlich der Jungen. Einschließlich der Mütter. Einschließlich der Migranten. Es wurde aber nicht verteilt. Warum nicht? Weil die Milliarden über die Jahrzehnte auf die Privatkonten der neuen Superklasse geflossen sind. Die aber nicht einmal an den Rentenbeiträgen beteiligt wurden, schon gar nicht ihren Milliarden entsprechend. Von den rund sechs Billionen Euro privater deutscher Geldvermögen gehören 1,4 Billionen dem reichsten einen Prozent. Sind diese 1.400 Milliarden 2014 tatsächlich um 10 % gewachsen, wären das 127 Milliarden. Hätte man sie stattdessen nur um 5 % wachsen lassen, hätte man 63 Milliarden pro Jahr mehr zu verteilen gehabt. Wir sind u. a. Opfer eines abwegigen Umlagesystems, in das die arbeitenden Jungen einzahlen müssen, die nicht-arbeitenden Reichen aber nicht. Und das hat sich vor 125 Jahren Otto von Bismarck ausgedacht, einer von der damaligen Superklasse. Die Jungen müssen also tatsächlich bluten. Aber nicht für die Alten, sondern für die Reichen, für die Superklasse. Deshalb hängt die so an diesem Märchen.
Wie die Auslieferung der Bevölkerung an die private Versicherungsindustrie funktioniert, zeigt besonders schön die Riester-Rente. Wer nicht einzahlt, bekommt am Ende die staatliche „Grundsicherung“. Wer jahrzehntelang eingezahlt hat, bekommt nicht etwa die Grundsicherung plus angesparte Rente, sondern nur die Rente. Und die auch nur, wenn er vorher sein Vermögen aufgebraucht hat. Ist die Rente so hoch wie die staatliche Grundsicherung, hat er praktisch für nichts gezahlt. Die private Versicherungsindustrie kennt das so. Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist es ähnlich. Zynische Begründung: Es sei ja schließlich keine Kapitalanlage wie bei den Reichen. Sondern eine „Solidarversicherung“. Solidarität der Armen mit den Armen. Oder mit den Einnahmen von Versicherungsindustrie und Superklasse. Oder mit deren Lustreisen nach Budapest. Würde das in einer Bananenrepublik passieren, würde man es „Betrug“ nennen. Und weil der sogenannte „Sozialdemokrat“ Riester das so schön gemacht hatte, wurde nicht nur die Rente nach ihm benannt, sondern er durfte anschließend bei der Versicherungsindustrie Vorträge halten. Für 10.000,– Euro pro Vortrag (Quelle: Volker Pispers).
Lieblingsmärchen Nr. 2
der Superklasse ist das vom „notwendigen Wachstum des Sozialprodukts“. „Eine Stadt mit 100.000 Wohnungen baut jedes Jahr 4.000 Wohnungen hinzu – wie viel Prozent Wachstum sind das?“ habe ich die Studenten immer gefragt. Prompte Antwort: „Vier Prozent!“ Diese Antwort ist falsch. Nach Definition der Ökonomen ist das sogenanntes „Nullwachstum“. Zwar hat sich dann der Wohnungsbestand nach 25 Jahren verdoppelt. Die Ökonomen interessiert aber nicht der Zuwachs des Bestandes, sondern nur der der Produktion. Nur wenn jedes Jahr „exponentiell“ mehr produziert wird als im Vorjahr, kann in ihren Augen Wohlstand entstehen. Wieso bloß? Um 4 % exponentielles Wachstum zu erzielen, müsste die Stadt im 25. Jahr statt 4.000 Wohnungen 10.253 hinzu bauen, im 40. Jahr 20.972. Oder alte abreißen. Tatsächlich wächst das reale, preisbereinigte BIP in Deutschland und vielen Industrieländern aber gar nicht exponentiell, sondern seit 1965 nur streng linear. Außerdem ist es mit Ausnahme von vier Jahren immer linear gestiegen, nie gesunken. Sogar bei „abnehmendem Wachstum“ und „Konjunkturschwankungen“. Wieso misst man dann lineares Wachstum in exponentiellen Prozentraten? Antwort: Um mit fiktiven Prozentableitungen zu suggerieren, da nehme etwas ab, obwohl gar nichts abnimmt. Einige kritische Ökonomen glauben sogar, man messe da tatsächlich nur Inflationszuckungen. Höhepunkt dieses Unfugs: die sogenannten „Kondratieff’schen Wellen“: Wildes Auf und Ab, obwohl das reale BIP stur linear weiter steigt. Wirtschaftsnobelpreisverdächtig.
Aber sind die Wachstumsprozente nicht Gradmesser für Arbeitslosigkeit (sogenanntes „Okunsches Gesetz“)? Auch Unsinn. Seit 1965 sind Wachstum und Arbeitslosigkeit in Deutschland langfristig stets parallel angestiegen, nicht reziprok. Der gute Okun hat nur die Selbstverständlichkeit zum „Gesetz“ erhoben, dass kurzfristig mehr Produktion auch mehr Arbeit braucht. Langfristig wird diese vorübergehende Mehrarbeit aber stets durch steigenden Maschineneinsatz und Produktivität wieder kompensiert. Ohne Arbeitszeitverkürzung entsteht stets die abstruse Logik der Ökonomen: „Leider vernichtet die steigende Produktivität immerzu Arbeit. Deshalb müssen wir jedes Jahr mehr produzieren, sonst haben wir nicht genug zu tun“.
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