Wunder mit Verfallsdatum – Roland Rottenfußer
Eigentlich war es still geworden um „Geldreform“, „Freigeld“, Regionalwährungen und verwandte Themen, die vor 10 Jahren zumindest unter Eingeweihten Blütenträume von einer echten Systemalternative sprießen ließen. Die Unbeweglichkeit des (kapitalistischen) Status Quo und die Macht seiner Unterstützer hatten dafür gesorgt, dass die Idee selbst als Utopie an Kraft verloren hatte. Überraschend kam jetzt ein Film über die Gründungslegende dieser Denkrichtung ins Fernsehen. Wenn man die Ideen Silvio Gesells zu „Schwundgeld“ und „Umlaufsicherung“ umsetzt, so scheint die in Grundzügen wahre Geschichte zu suggerieren, dann funktionieren sie und verwandeln eine marode, verschuldete Kleinstadt in blühende Landschaften. Interessanterweise interpretiert Regisseur Urs Eggers die radikale Geldreform auch als wirksames Gegenmittel gegen Rechtstendenzen – 1932, als das „Wunder“ stattfand, wie auch heute.
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„Das Wunder von Wörgl“, das der Schweizer Regisseur Urs Egger 2018 umsetzte, ist eine historische Episode, die sich in Tirol (Österreich) im Jahr 1932 tatsächlich zugetragen hat. Wörgl – wie die ganze Region – wurde damals von tiefer Not und Arbeitslosigkeit gebeutelt. Eine Fabrik war geschlossen worden, der Film zeigt eindrucksvoll aufgerissene Straßen, verwahrloste Läden und Winkel der Kleinstadt. Der Lokführer und Gemeinderat Michael Unterguggenberger (Karl Markovics) wird beinahe gegen seinen Willen von der Gemeindeversammlung zum Bürgermeister bestimmt und soll es richten. Seine Frau Rosa (Verena Altenberger) ist zunächst skeptisch, unterstützt den Gatten jedoch dann nach Kräften, während der Bub aus erster Ehe, Michi, gegen seinen Vater aufbegehrt, indem er sich mit den im Ort schon aktiven Nazis verbrüdert.
Unterguggenberger ist zunächst völlig ratlos, wie er die soziale Misere im Ort in den Griff bekommen soll. Bis er sich an ein Buch erinnert, das er vor Jahren gelesen hatte: Silvio Gesells „Natürliche Wirtschaftsordnung“. Die grundlegende Idee: Geld ist nichts Mysteriöses und auch nichts, das aus sich selbst heraus von Wert wäre; es ist ein Tauschmittel und eine Vereinbarung. Warum also fehlt es an allen Ecken und Enden? Warum tyrannisiert Geld gleichsam die Menschen, die es zu ihrem eigenen Nutzen erschaffen haben, durch sein aufdringliches Nichtvorhandensein? Es gibt Arbeitskraft im Ort, Menschen guten Willens – und es gibt menschliche Bedürfnisse, Konsumwünsche, also einen „Markt“ für Waren und Dienstleistungen. Warum also muss Not im Ort herrschen?
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In Anlehnung an Silvio Gesell, den Geldtheoretiker und kurzfristigen Finanzminister der Münchner Räterepublik, vermutet Unterguggenberger: es liegt an einem Konstruktionsfehler im Geldsystem. In einer eindrucksvollen, schnell geschnittenen Szenenfolge zeigt der Film, wie ein Hundert-Schilling-Schein durch viele Hände wandert, bis er nach unzähligen Kaufvorgängen wieder zu seinem ursprünglichen Besitzer zurückkehrt. Das Fazit: Geld muss ausgegeben werden – je öfter desto besser. Mit relativ wenig Geld kann man viele glücklich machen: den Bäcker, weil der sein Brot bezahlt bekommt, den Schneider, weil der Bäcker bei ihm eine Näharbeit in Auftrag gibt, die Prostituierte, weil der Näher ihre Dienste in Anspruch nimmt usw. Nur wenn der Geldfluss ins Stocken gerät, ist Gefahr im Verzug, schwächelt die Wirtschaft. Besonders gefährlich: das Horten und Zurückhalten von Geld mit der Absicht, Zinsgewinne dafür einzustreichen.
Unterguggenberger stellt sich nun auf den Standpunkt, ein Gemeinwesen dürfe sich Geld, das nicht vorhanden ist, kurzerhand selbst erschaffen. Mit Rücksicht auf die Gesetzeslage, speziell das Geldmonopol der Zentralbank, dürfe man es nur nicht Geld nennen. Er erfindet also die „Arbeitsbestätigungs-Scheine“ (A.B.-Scheine), die er für notwendige Renovierungsarbeiten innerhalb der Gemeinde vergibt. Die praktische Lösung, die Unterguggenberger findet, um das Geld im Fluss zu halten, besteht darin, dass es sich um so genanntes Schwundgeld handelte. Es verlor in gewissen Abständen an Wert – symbolisiert durch eine zahlungspflichtig aufzuklebende Marke –, so dass die Menschen motiviert waren, es möglichst schnell wieder auszugeben. Gesell sprach auch von einer „Umlaufsicherung“. Es wurde sichergestellt, dass das Geld zügig umlief, anstatt – wie ein Drachenschatz in einer Höhle – unfruchtbar vor sich hin zu gammeln.
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Dieser Aspekt der Geschichte ist besonders interessant, weil selbst in relativ kritischen wirtschaftstheoretischen Artikeln gern behauptet wird, mäßige Zinsen müssten sein, weil ja sonst niemand mehr Geld verleihe. Die Idee ist: Wer nicht fürs Geldverleihen durch noch mehr Geld belohnt wird, wird es lieber für sich behalten. Es gibt aber noch einen zweiten Weg: Geldbesitzer für das Behalten ihrer Reichtümer zu „bestrafen“ – nicht, weil man ihnen etwas Böses will, sondern um des höher zu bewertenden gemeinsamen Wohls, der florierenden Wirtschaft willen. In Wörgl wurde dieser Weg konsequent gegangen.
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Als „Natürliche Wirtschaftsordnung“ bezeichnet man – wie Karl Markovics als Unterguggenberger im Film erklärt – die Tatsache, dass Geld einen Wertverlust erfahren sollte wie alles in der Natur. Metall rostet, Gemüse fault – nur der Wert von Geld wird in „normalen“ Systemen künstlich gesteigert, durch Zins, Spekulation und andere Mechanismen. Das Zurückhalten von Geld – eigentlich also gemeinschaftsschädigendes Verhalten – wird belohnt.
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Das Erstaunliche am Experiment von Wörgl ist nun, dass es historisch nachweislich funktioniert hat. Zu überwinden waren Anfangsschwierigkeiten, die jeder kennt, der einmal versucht hat, Anfang der 2000er-Jahre eine Regionalwährung zu etablieren. Menschen betrachten das umlaufgesicherte Geld als „Spielgeld“, es kommen Zweifel an seiner Legalität auf, Zweifel vor allem, ob man es – einmal für gute Ware eingesammelt – je wieder loswird. Was ist, wenn ich auf meinem Geld hocken bleibe und die Wirtin es mir nicht abnimmt? Jeder misstraut dem anderen. Wenn jeder dem jeweils anderen unterstellt, er werde den Geldkreislauf unterbrechen, blockieren sich die Zweifelnden gegenseitig, das Experiment scheitert.
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Im Wörgl-Film ist es nun das Votum des Pfarrers, das in der Gemeinde den Durchbruch bringt. Dieser appelliert von der Kanzel, an das Gute in allen Menschen zu glauben. Sicher ist dieses Detail – wie manche andere im Film – in der Historie nicht verbürgt. Aber der große Bogen stimmt: die Gemeinde blühte auf, marode Anlagen erstrahlten in neuem Glanz, Arbeitslosigkeit und Armut gab es fast nicht mehr.
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„Das Wunder von Wörgl“, das der Schweizer Regisseur Urs Egger 2018 umsetzte, ist eine historische Episode, die sich in Tirol (Österreich) im Jahr 1932 tatsächlich zugetragen hat. Wörgl – wie die ganze Region – wurde damals von tiefer Not und Arbeitslosigkeit gebeutelt. Eine Fabrik war geschlossen worden, der Film zeigt eindrucksvoll aufgerissene Straßen, verwahrloste Läden und Winkel der Kleinstadt. Der Lokführer und Gemeinderat Michael Unterguggenberger (Karl Markovics) wird beinahe gegen seinen Willen von der Gemeindeversammlung zum Bürgermeister bestimmt und soll es richten. Seine Frau Rosa (Verena Altenberger) ist zunächst skeptisch, unterstützt den Gatten jedoch dann nach Kräften, während der Bub aus erster Ehe, Michi, gegen seinen Vater aufbegehrt, indem er sich mit den im Ort schon aktiven Nazis verbrüdert.
Unterguggenberger ist zunächst völlig ratlos, wie er die soziale Misere im Ort in den Griff bekommen soll. Bis er sich an ein Buch erinnert, das er vor Jahren gelesen hatte: Silvio Gesells „Natürliche Wirtschaftsordnung“. Die grundlegende Idee: Geld ist nichts Mysteriöses und auch nichts, das aus sich selbst heraus von Wert wäre; es ist ein Tauschmittel und eine Vereinbarung. Warum also fehlt es an allen Ecken und Enden? Warum tyrannisiert Geld gleichsam die Menschen, die es zu ihrem eigenen Nutzen erschaffen haben, durch sein aufdringliches Nichtvorhandensein? Es gibt Arbeitskraft im Ort, Menschen guten Willens – und es gibt menschliche Bedürfnisse, Konsumwünsche, also einen „Markt“ für Waren und Dienstleistungen. Warum also muss Not im Ort herrschen?
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In Anlehnung an Silvio Gesell, den Geldtheoretiker und kurzfristigen Finanzminister der Münchner Räterepublik, vermutet Unterguggenberger: es liegt an einem Konstruktionsfehler im Geldsystem. In einer eindrucksvollen, schnell geschnittenen Szenenfolge zeigt der Film, wie ein Hundert-Schilling-Schein durch viele Hände wandert, bis er nach unzähligen Kaufvorgängen wieder zu seinem ursprünglichen Besitzer zurückkehrt. Das Fazit: Geld muss ausgegeben werden – je öfter desto besser. Mit relativ wenig Geld kann man viele glücklich machen: den Bäcker, weil der sein Brot bezahlt bekommt, den Schneider, weil der Bäcker bei ihm eine Näharbeit in Auftrag gibt, die Prostituierte, weil der Näher ihre Dienste in Anspruch nimmt usw. Nur wenn der Geldfluss ins Stocken gerät, ist Gefahr im Verzug, schwächelt die Wirtschaft. Besonders gefährlich: das Horten und Zurückhalten von Geld mit der Absicht, Zinsgewinne dafür einzustreichen.
Unterguggenberger stellt sich nun auf den Standpunkt, ein Gemeinwesen dürfe sich Geld, das nicht vorhanden ist, kurzerhand selbst erschaffen. Mit Rücksicht auf die Gesetzeslage, speziell das Geldmonopol der Zentralbank, dürfe man es nur nicht Geld nennen. Er erfindet also die „Arbeitsbestätigungs-Scheine“ (A.B.-Scheine), die er für notwendige Renovierungsarbeiten innerhalb der Gemeinde vergibt. Die praktische Lösung, die Unterguggenberger findet, um das Geld im Fluss zu halten, besteht darin, dass es sich um so genanntes Schwundgeld handelte. Es verlor in gewissen Abständen an Wert – symbolisiert durch eine zahlungspflichtig aufzuklebende Marke –, so dass die Menschen motiviert waren, es möglichst schnell wieder auszugeben. Gesell sprach auch von einer „Umlaufsicherung“. Es wurde sichergestellt, dass das Geld zügig umlief, anstatt – wie ein Drachenschatz in einer Höhle – unfruchtbar vor sich hin zu gammeln.
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Dieser Aspekt der Geschichte ist besonders interessant, weil selbst in relativ kritischen wirtschaftstheoretischen Artikeln gern behauptet wird, mäßige Zinsen müssten sein, weil ja sonst niemand mehr Geld verleihe. Die Idee ist: Wer nicht fürs Geldverleihen durch noch mehr Geld belohnt wird, wird es lieber für sich behalten. Es gibt aber noch einen zweiten Weg: Geldbesitzer für das Behalten ihrer Reichtümer zu „bestrafen“ – nicht, weil man ihnen etwas Böses will, sondern um des höher zu bewertenden gemeinsamen Wohls, der florierenden Wirtschaft willen. In Wörgl wurde dieser Weg konsequent gegangen.
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Als „Natürliche Wirtschaftsordnung“ bezeichnet man – wie Karl Markovics als Unterguggenberger im Film erklärt – die Tatsache, dass Geld einen Wertverlust erfahren sollte wie alles in der Natur. Metall rostet, Gemüse fault – nur der Wert von Geld wird in „normalen“ Systemen künstlich gesteigert, durch Zins, Spekulation und andere Mechanismen. Das Zurückhalten von Geld – eigentlich also gemeinschaftsschädigendes Verhalten – wird belohnt.
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Das Erstaunliche am Experiment von Wörgl ist nun, dass es historisch nachweislich funktioniert hat. Zu überwinden waren Anfangsschwierigkeiten, die jeder kennt, der einmal versucht hat, Anfang der 2000er-Jahre eine Regionalwährung zu etablieren. Menschen betrachten das umlaufgesicherte Geld als „Spielgeld“, es kommen Zweifel an seiner Legalität auf, Zweifel vor allem, ob man es – einmal für gute Ware eingesammelt – je wieder loswird. Was ist, wenn ich auf meinem Geld hocken bleibe und die Wirtin es mir nicht abnimmt? Jeder misstraut dem anderen. Wenn jeder dem jeweils anderen unterstellt, er werde den Geldkreislauf unterbrechen, blockieren sich die Zweifelnden gegenseitig, das Experiment scheitert.
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Im Wörgl-Film ist es nun das Votum des Pfarrers, das in der Gemeinde den Durchbruch bringt. Dieser appelliert von der Kanzel, an das Gute in allen Menschen zu glauben. Sicher ist dieses Detail – wie manche andere im Film – in der Historie nicht verbürgt. Aber der große Bogen stimmt: die Gemeinde blühte auf, marode Anlagen erstrahlten in neuem Glanz, Arbeitslosigkeit und Armut gab es fast nicht mehr.
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