Was kommt nach dem Scheitern? – Dietrich Heißenbüttel
Ökonomien anders denken: das nahm sich zum zweiten Mal eine Veranstaltung im Stuttgarter Kunstgebäude vor. In gewisser Weise ist das Scheitern vorprogrammiert: Wenn 2019 Teile des Staatsministeriums, untergebracht im benachbarten Neuen Schloss zwischen Finanz- und Wirtschaftsministerium, wegen der Sanierung ihrer Räume den Ort der Kunst erneut zweckentfremden, wird Ökonomie hier wieder ganz konventionell gedacht werden. Könnten die Wände die hoch intelligenten Reden der Veranstaltung „New Narratives 2“ aufsaugen und an die Nachnutzer abgeben, wäre damit viel gewonnen. „Wenn Sie wissen wollen, wie heute auch diskutiert wird“, riet Staatssekretärin Petra Olschowski zur Eröffnung, unter dem Eindruck einer Debatte am Vortag, den Teilnehmern: „Da drüben ist der Landtag von Baden-Württemberg.“ Sie meinte den neuen Populismus: „Starke Machtapparate nutzen Falschnachrichten, manipulativ gesetzte Meldungen zur Abwertung und Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen.“ Dagegen richte sich die Veranstaltung: „Neue Erzählungen, um die es hier geht, sind das Gegenteil dessen, was Populisten produzieren.“
- – - Doch wie könnte ein Erfolg überhaupt aussehen? Neue Erzählungen, geeignet die Weltwirtschaft zu reformieren: ist das nicht zu viel verlangt? Ist die Welt nicht ohnehin aus den Fugen? Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich, ökologischer Raubbau, Kriege, Armut und Fluchtbewegungen: was könnte eine viertägige Konferenz von Künstlern und Sozialwissenschaftlern dem entgegensetzen? Seit der ersten Runde vor einem Jahr (s. HUMANE WIRTSCHAFT 3/2017) hat sich wenig zum Besseren gewendet. „Wie, wenn wir es nicht schaffen?“ stand als Frage über dem ersten Tag, organisiert von Boris Ondreika, der von einer „Ökonomie des Untergangs“ sprach. Der Künstler und Kurator aus Bratislava erteilte in seiner sprachlich dichten Einführung allen Versuchen, die Welt zu retten, eine radikale Absage. „Meine Gemütslage ist pessimistisch“, gestand er und illustrierte seine „Economy of Doom“ mit einer beeindruckenden Reihe von Bildern aus dem Heavy-Metal-Musikgenre: Jüngste Gerichte, Atomexplosionen, Genozide, Horrorszenarien der Zukunft. „Schrauben Sie Ihre Erwartungen auf ein Minimum herab“, empfahl er, „bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor, und Sie werden auf die bestmögliche Weise überrascht werden.“
- – - Auch Kapitalismus und Demokratie sind gescheitert, wenn ein Donald Trump mit seiner ausgrenzenden Politik in der größten Wirtschaftsnation der Welt die Wahlen gewinnen kann. Darauf reagiert das New Yorker Kollektiv Anon, das mit seinem Altwoke-Manifest vom Standpunkt der „Anderen“ und „People of Color“ nicht nur gegen ultrarechte Alt-Right-Tendenzen, sondern auch gegen die Hilflosigkeit der Linken polemisiert. „Wir befinden uns vielleicht an der Schwelle der Apokalypse“, meinte Alexandra Mason, und Joseph Giacona, der einzige studierte Ökonom der Konferenz, zeigte dass der Wohlstand der kapitalistischen Wirtschaft immer auf Aneignung und damit auf Ausgrenzung beruhe. Unternehmen wie Amazon erzielen mit geringem Arbeitseinsatz enorme Gewinne. Dem setzt Giacona die Hoffnung auf eine Rückverlagerung der Gewinne an die Erzeuger durch Blockchain-Technologie entgegen.
- – - Sie sei keine Amerikanerin, betonte Gayatri Chakravorty Spivak in ihrer Keynote-Lecture am Vortag, obwohl sie seit 57 Jahren in den USA lebt und an der Columbia University lehrt. Sie befand sich auf dem Weg von ihrer Heimatstadt Kalkutta, wo sie an einer Grundschule unterrichtet, nach Kunming, wo sie selbst eine Konferenz organisiert hat, um die indisch-chinesischen Beziehungen zu verbessern. Als herausragende Vertreterin der Subaltern Studies legte sie Wert darauf, dass alles, was sie zu sagen habe, nicht auf akademischen Debatten, sondern auf ihren Erfahrungen im Engagement für die Rechtlosen und Unterprivilegierten in Indien, Nigeria und anderswo beruhe. Auch sie warnte vor zu großen Erwartungen: Was „bezahlte akademische Arbeitnehmer“ wie sie erreichen könnten, sei bestenfalls, in der nächsten Generation Studierender, unter denen sich auch künftige Entscheidungsträger befänden, einen Wunsch oder ein Verlangen (desire) nach Gerechtigkeit zu wecken. Als Worst Case subalterner Gruppierungen nannte sie die Rohingya: in ihrem eigenen Land zu Außenseitern gestempelt und ohne Fürsprecher.
- – - Anders als beim ersten Mal war diesmal jeder Tag an eine Organisatorin oder einen Organisator delegiert. Auf Ondreika folgte am Samstag Athena Athanasiou, die in einem dezidiert feministisch besetzten Panel nach der Möglichkeit fragte, zu verteidigen „what is yet to come“. Athanasiou hat sich unter anderem mit den serbischen Women in Black beschäftigt, die sich gegen die Jugoslawienkriege zur Wehr gesetzt haben. Statt nur Demokratie und Menschenrechte gegen Rechtspopulismus und Krise in Schutz zu nehmen, sei vielmehr im Sinne des Philosophen Jacques Derrida die Zukunft offen zu halten. Derrida spielt mit den beiden französischen Begriffen für Zukunft: futur und avenir, um zwischen einer prognostizierbaren Zukunft (futur) und einem nicht vorhersehbaren avenir, Englisch what is yet to come, zu unterscheiden – auf Deutsch vielleicht zu übersetzen mit „was noch kommen muss“, weil dies nämlich noch nicht feststeht.
weitere Details online…
- – - Doch wie könnte ein Erfolg überhaupt aussehen? Neue Erzählungen, geeignet die Weltwirtschaft zu reformieren: ist das nicht zu viel verlangt? Ist die Welt nicht ohnehin aus den Fugen? Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich, ökologischer Raubbau, Kriege, Armut und Fluchtbewegungen: was könnte eine viertägige Konferenz von Künstlern und Sozialwissenschaftlern dem entgegensetzen? Seit der ersten Runde vor einem Jahr (s. HUMANE WIRTSCHAFT 3/2017) hat sich wenig zum Besseren gewendet. „Wie, wenn wir es nicht schaffen?“ stand als Frage über dem ersten Tag, organisiert von Boris Ondreika, der von einer „Ökonomie des Untergangs“ sprach. Der Künstler und Kurator aus Bratislava erteilte in seiner sprachlich dichten Einführung allen Versuchen, die Welt zu retten, eine radikale Absage. „Meine Gemütslage ist pessimistisch“, gestand er und illustrierte seine „Economy of Doom“ mit einer beeindruckenden Reihe von Bildern aus dem Heavy-Metal-Musikgenre: Jüngste Gerichte, Atomexplosionen, Genozide, Horrorszenarien der Zukunft. „Schrauben Sie Ihre Erwartungen auf ein Minimum herab“, empfahl er, „bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor, und Sie werden auf die bestmögliche Weise überrascht werden.“
- – - Auch Kapitalismus und Demokratie sind gescheitert, wenn ein Donald Trump mit seiner ausgrenzenden Politik in der größten Wirtschaftsnation der Welt die Wahlen gewinnen kann. Darauf reagiert das New Yorker Kollektiv Anon, das mit seinem Altwoke-Manifest vom Standpunkt der „Anderen“ und „People of Color“ nicht nur gegen ultrarechte Alt-Right-Tendenzen, sondern auch gegen die Hilflosigkeit der Linken polemisiert. „Wir befinden uns vielleicht an der Schwelle der Apokalypse“, meinte Alexandra Mason, und Joseph Giacona, der einzige studierte Ökonom der Konferenz, zeigte dass der Wohlstand der kapitalistischen Wirtschaft immer auf Aneignung und damit auf Ausgrenzung beruhe. Unternehmen wie Amazon erzielen mit geringem Arbeitseinsatz enorme Gewinne. Dem setzt Giacona die Hoffnung auf eine Rückverlagerung der Gewinne an die Erzeuger durch Blockchain-Technologie entgegen.
- – - Sie sei keine Amerikanerin, betonte Gayatri Chakravorty Spivak in ihrer Keynote-Lecture am Vortag, obwohl sie seit 57 Jahren in den USA lebt und an der Columbia University lehrt. Sie befand sich auf dem Weg von ihrer Heimatstadt Kalkutta, wo sie an einer Grundschule unterrichtet, nach Kunming, wo sie selbst eine Konferenz organisiert hat, um die indisch-chinesischen Beziehungen zu verbessern. Als herausragende Vertreterin der Subaltern Studies legte sie Wert darauf, dass alles, was sie zu sagen habe, nicht auf akademischen Debatten, sondern auf ihren Erfahrungen im Engagement für die Rechtlosen und Unterprivilegierten in Indien, Nigeria und anderswo beruhe. Auch sie warnte vor zu großen Erwartungen: Was „bezahlte akademische Arbeitnehmer“ wie sie erreichen könnten, sei bestenfalls, in der nächsten Generation Studierender, unter denen sich auch künftige Entscheidungsträger befänden, einen Wunsch oder ein Verlangen (desire) nach Gerechtigkeit zu wecken. Als Worst Case subalterner Gruppierungen nannte sie die Rohingya: in ihrem eigenen Land zu Außenseitern gestempelt und ohne Fürsprecher.
- – - Anders als beim ersten Mal war diesmal jeder Tag an eine Organisatorin oder einen Organisator delegiert. Auf Ondreika folgte am Samstag Athena Athanasiou, die in einem dezidiert feministisch besetzten Panel nach der Möglichkeit fragte, zu verteidigen „what is yet to come“. Athanasiou hat sich unter anderem mit den serbischen Women in Black beschäftigt, die sich gegen die Jugoslawienkriege zur Wehr gesetzt haben. Statt nur Demokratie und Menschenrechte gegen Rechtspopulismus und Krise in Schutz zu nehmen, sei vielmehr im Sinne des Philosophen Jacques Derrida die Zukunft offen zu halten. Derrida spielt mit den beiden französischen Begriffen für Zukunft: futur und avenir, um zwischen einer prognostizierbaren Zukunft (futur) und einem nicht vorhersehbaren avenir, Englisch what is yet to come, zu unterscheiden – auf Deutsch vielleicht zu übersetzen mit „was noch kommen muss“, weil dies nämlich noch nicht feststeht.
weitere Details online…
Aktuelle Kommentare