Überlegungen zur Ökonomie in Quarantäne – Ferdinand Wenzlaff

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Eine Wirt­schafts­kri­se wird erwar­tet. Dies nicht als Herauf­be­schwö­rung nega­tiv einge­stell­ter Stim­men, ganz im Gegen­teil scheint es derzeit für jeden unzwei­fel­haft zu sein, dass bei einer solch sprung­haf­ten Ände­rung von außer­öko­no­mi­schen („exoge­nen“) Para­me­tern für bestimm­te Bran­chen Einkom­men wegbre­chen und dass dies die Ökono­mie vor Heraus­for­de­run­gen und Anpas­sungs­schwie­rig­kei­ten stellt. Der mögli­che Erkennt­nis­wert dieser Über­le­gun­gen soll erstens darin liegen, die weni­ger sicht­ba­ren eher abstrakt wirken­den Mecha­nis­men einer geld­ver­mit­tel­ten Markt­öko­no­mie zu reflek­tie­ren, die sich in einer Phase des struk­tu­rel­len Wandels (hier: tempo­rä­re Quaran­tä­ne) verstär­ken; zwei­tens gilt es die bei jeder Gele­gen­heit laut werden­den Heils­brin­ger von Zentral­bank­fi­nan­zie­rung und Heli­ko­pter­geld in ihre Schran­ken zu verwei­sen; drit­tens soll gezeigt werden, dass der schock­ar­tig einge­führ­te Zustand der Quaran­tä­ne zwar Anpas­sungs­pro­ble­me verur­sacht, mittel- bis lang­fris­tig aber über den struk­tu­rel­len Wandel absor­biert wird. Eben wie auch jede andere Para­me­ter­än­de­rung, wie tech­ni­scher Fort­schritt, neue Geset­ze, stei­gen­de Rohstoff­prei­se oder Präferenzänderungen.

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Stagna­ti­ons­ten­denz – Das ökono­mi­sche Problem auch ohne Quarantäne 

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Es sei hier versucht, in weni­gen Zeilen unsere (monetär)keynesianische Theo­rie des Problems entwi­ckel­ter Geld­wirt­schaft zusam­men­zu­fas­sen. Mit stei­gen­den Einkom­men stei­gen die Spar­quo­ten. Während untere Einkom­mens­klas­sen zum Teil nega­ti­ve Spar­quo­ten aufwei­sen und auf Konsum verzich­ten müssen, wird in höhe­ren Einkom­mens­klas­sen vergleichs­wei­se viel gespart, weil die Konsum­wün­sche dort befrie­det sind. Dies wird spätes­tens seit Keynes als margi­na­le Spar­nei­gung bezeich­net. Da die alte klas­sisch-neoklas­si­sche Auffas­sung nicht mehr gilt (alles Gespar­te würde auto­ma­tisch inves­tiert, wodurch letzt­end­lich der Konsum noch weiter steige), ist ganz ohne Bewer­tung offen­kun­dig, dass Einkom­mens­un­gleich­ver­tei­lung zu Nach­fra­ge­man­gel führen kann. Jeder Euro, den man dem Miets­haus­ei­gen­tü­mer „wegnimmt“ und auf die Hartz4- oder BAföG-Trans­fers drauf­schlägt, wird demnach nicht gespart, sondern wäre nach­fra­ge­wirk­sam. Dies ist eine ganz unpo­li­ti­sche Fest­stel­lung eines unleug­ba­ren Mecha­nis­mus zur Bildung der effek­ti­ven Gesamtnachfrage.

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Jedoch ist dieser Mecha­nis­mus damit noch nicht voll­stän­dig darge­legt: In der Stan­dard-Ökono­mie regelt der Preis alles, auch die Über­ein­kunft von Ange­bot und Nach­fra­ge nach Kapi­tal. Wenn der Zins diese Über­ein­kunft regeln würde, müsste er bei einem Über­an­ge­bot an Spar­vo­lu­men ins Nega­ti­ve fallen. Hier sind jedoch Gren­zen gesetzt, womit wir beim zwei­ten Teil des Mecha­nis­mus des Problems einer entwi­ckel­ten Geld­wirt­schaft ange­kom­men sind. In den letz­ten Jahren hat man viel von nega­ti­ven Zinsen gehört. Jedoch, der Schein trügt. Die Zinsen sind gefal­len und es gibt zum Teil nega­ti­ve Nomi­nal­zin­sen auf (als sicher einge­stuf­te) Schwei­zer Staats­an­lei­hen. Gleich­zei­tig aber steigt die Hortung von Kunst­schät­zen, Gold, Immo­bi­li­en und Boden als alter­na­ti­ve Vermö­gens­an­la­ge zu Geld­ver­mö­gen. Die sich abzeich­nen­de Flucht in die Real­ver­mö­gen indi­ziert eine Unter­schran­ke des Zins­ver­falls. Würden die Zinsen noch weiter sinken, fiele die Bereit­schaft zur Haltung von Geld­ver­mö­gen noch weiter. Warum sollte man Geld­ver­mö­gen zu so nied­ri­gen oder gar nega­ti­ven Zinsen halten, wenn deren Wert in realen Werten gemes­sen unsi­cher ist. Bei 100 % Infla­ti­on kann man nur noch ein halbes Haus kaufen. Das Horten von Real­ver­mö­gen wie Gold oder (unbe­wirt­schaf­te­tem) Boden wirft zwar keine Rendi­te ab, jedoch besteht ein gerin­ge­res Verlust­ri­si­ko gemes­sen in Real­ver­mö­gen. Wir nennen dies Vermögenssicherungspräferenz.

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Die Kombi­na­ti­on von mangeln­der effek­ti­ver Nach­fra­ge aufgrund der margi­na­len Spar­nei­gung und einer Vermö­gens­si­che­rungs­prä­fe­renz löst eine Stagna­ti­ons­ten­denz aus. Stagna­ti­on beschreibt eine unaus­ge­las­te­te, unter­be­schäf­tig­te Volks­wirt­schaft, die typi­scher­wei­se auch sinken­de oder nied­ri­ge Wachs­tums­ra­ten sowie unfrei­wil­li­ge und persis­ten­te Arbeits­lo­sig­keit aufweist.

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Ökono­mie in Quaran­tä­ne – Verstär­kung der Stagnationstendenz 

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Dieses Problem kann sich nun deut­lich verschär­fen. Ökono­mie in Quaran­tä­ne bedeu­tet, dass bestimm­te Güter bzw. Dienst­lei­tun­gen nicht mehr nach­ge­fragt werden (sei es frei­wil­lig oder per gesetz­li­cher Rege­lung). Leis­tun­gen ganzer Bran­chen werden nicht mehr nach­ge­fragt. Wenn­gleich bestimm­te Leis­tun­gen vermehrt nach­ge­fragt werden, so ist doch rela­tiv eindeu­tig, dass die Gesamt­nach­fra­ge per Saldo fällt. Viele Einkom­men in vielen Bran­chen blei­ben gleich hoch oder stei­gen in einzel­nen Fällen – es wird aus diesen Einkom­men jedoch weni­ger konsu­miert, sodass die Spar­quo­te für diese Einkom­mens­klas­sen steigt. Demge­gen­über gibt es andere Bran­chen, wo die Einkom­men fallen oder gar ganz wegfal­len – hier tritt dann der im ersten Abschnitt beschrie­be­ne Fall auf, dass der Konsum zurück­ge­fah­ren werden muss und Spar­quo­ten nega­tiv werden können. Dieser Mecha­nis­mus dämpft die Gesamt­nach­fra­ge zusätz­lich und unab­hän­gig davon, dass bestimmt Leis­tun­gen wie der Frei­zeit­ver­treib im Kino oder im Frei­zeit­park nicht mehr nach­ge­fragt werden.

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Anders formu­liert, verstärkt die Ökono­mie in Quaran­tä­ne und die damit zusam­men­hän­gen­de Vermö­gens­bil­dung bei den höhe­ren Einkom­men das Problem der unglei­chen Einkom­mens­ver­tei­lung. Nur aus höhe­ren Einkom­men kann Vermö­gen gebil­det werden, welches zusätz­lich zu Vermö­gens­ein­kom­men führt, was wieder­um ande­ren Arbeits­ein­kom­men entzo­gen werden muss. Hier geht es nur um die Hypo­the­se der Tendenz. Die Geschich­te zeigt, dass Rentiers, d. h. die Bezie­her von Einkom­men aus Zinsen, Divi­den­den, Vermie­tung oder Verpach­tung von Boden und Wohn­raum etc. am wenigs­ten geschwächt werden. Die Mieten blei­ben fällig, während bei den Nahrungs­mit­teln gespart werden muss. Nach Insol­venz vieler Geschäf­te sind aber auch die Mieten für Gewer­be­räu­me nicht mehr zahl­bar, sodass mittel­fris­tig auch die Einkom­men der Rentiers fallen können.

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