Rohstoffe – Warum wir von Biosprit und Biodiesel die Finger lassen sollten – Stefan Bringezu
Stefan Bringezu
Wer Auto fährt, kennt die Debatte um E10, jenen Kraftstoff, der bis zu 10 % Ethanol aus nachwachsenden Rohstoffen enthält, und der bei älteren Motoren zu technischen Problemen führen kann. Für E10 gibt es deshalb extra Zapfsäulen.
Weitgehend unbemerkt bleibt der oft kleingedruckte Hinweis auf den Zapfsäulen für Diesel, dass dieser zum Beispiel bis zu sieben Prozent Biosprit enthält. Dass der Hinweis kaum zu lesen ist, ist eigentlich kein Problem, denn er führt nicht zu technischen Problemen bei den Motoren – anderswo kann der Biosprit aber tatsächlich lebensgefährliche Nebenwirkungen haben.
Treibhausgasbombe
im Tanklaster
Während Bioethanol meist aus stärkehaltigen Pflanzen wie Mais und Zuckerrohr erzeugt wird, stellen die Unternehmen Biodiesel aus ölhaltigen Früchten her, in Deutschland aus Raps, weltweit hauptsächlich aus Palmöl. Die wachsende Nachfrage hat insbesondere in Südostasien zu einer massiven Ausdehnung von Palmölplantagen geführt.
Für die Plantagen roden die Unternehmen häufig tropischen Regenwald, ein Viertel dieser Flächen muss trockengelegt werden, wodurch die Torfböden plötzlich durchlüften und Mikroben sie abbauen. Durch das Verbrennen der Vegetation und die Mobilisierung des Kohlenstoffs aus den Torfböden verursacht der aus dem Palmöl gewonnene Biodiesel bis zu zwanzigmal mehr Treibhausgasemissionen als sein konventionelles Pendant. Dadurch genügt es, wenn nur Bruchteile solcher Fraktionen in die Tanklastzüge für Biodiesel gelangen, um die ganze Charge indirekt zur „Treibhausgasbombe“ zu machen.
Doch Biodiesel ist nach Bioethanol mittlerweile ebenfalls zum Milliardengeschäft geworden. Dafür wird schon mal illegal gerodet, und das Tropenholz gleich mitverkauft. Die lästigen Ureinwohner werden mit mehr oder weniger Gewalt vertrieben, die Polizei schaut weg oder hilft mit, die Regierung vergibt großzügig Lizenzen und wer Rechtsmittel gegen die Vertreibung durch die riesigen Plantagen einlegt, lebt gefährlich; wie gesagt, nicht in Deutschland, aber anderswo. Sicher, dies gilt nicht für alle Palmölplantagen. Doch sauber arbeitet die Branche noch lange nicht.
Konflikt Tank gegen Teller
Das hatte sich die Politik hierzulande anders vorgestellt. Als um 2005 herum Biokraftstoffe die höchsten Ebenen politischer Entscheidungsgewalt erreicht hatten, erhoffte man sich viele Vorteile: eine zusätzliche Einkommensbasis für die schwächelnde Landwirtschaft war ein Argument. Auch der Automobilindustrie wollten die Politiker ersparen, deutlich sparsamere Motoren zu bauen. Die bestehende Infrastruktur (Tankstellen etc.) konnte zudem unverändert genutzt werden. Und ja, es sollte auch gut sein für die Umwelt. Denn wenn Pflanzen wachsen, nehmen sie Kohlenstoffdioxid aus der Luft auf. Das wird zwar bei der Verbrennung wieder frei, aber zusätzliches CO2, wie bei Erdöl, würde nicht in die Atmosphäre gelangen.
Das Problem: Um aus Öl oder Stärke Kraftstoffe herzustellen, muss einiger Aufwand betrieben werden, der mit Emissionen verbunden ist. Vor allem aber werden Öl und Stärke aus Pflanzen erzeugt, für die Anbauflächen benötigt werden. Werden diese Anbauflächen Naturflächen abgerungen, so werden Grasländer, Savannen und Wälder in Ackerland umgewandelt. Dadurch werden nicht nur zusätzlich Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben, wertvolle Ökosysteme mit hoher Biodiversität können verloren gehen. Prominentestes Beispiel sind die Orang Utans in Indonesien, die ihren Lebensraum verlieren.
Die Politiker in Berlin und Brüssel reagierten: Sie forderten nicht nur einen Mindestgehalt an „Biokraftstoffen“ an den Tankstellen, sondern zugleich, dass die Pflanzen zu ihrer Herstellung nur von Land stammen dürften, das seit Jahrzehnten bereits dem Anbau dient. Ein Zertifizierungssystem wurde etabliert, das dies im Einzelfall nachweisen soll.
Nur hatten die politischen Entscheider ausgeblendet, dass es zum Dominospiel der Landbesitzer kommt. Die kapitalstarken Erzeuger der „Biokraftstoffe“ kaufen sich in die bestehenden fruchtbaren Anbaugebiete ein, vorwiegend in den Tropen, dort ist die Produktivität durch Zuckerrohr und Ölpalmen am höchsten. Dadurch müssen die Bauern, die vorher dort Nahrungsmittel angebaut haben, an den Rand der Anbauzonen ausweichen. Dort geschieht dann das, was technisch nüchtern „indirekte Landnutzungsänderung“ genannt wird. Dort werden Wiesen gepflügt, Savannen bewässert und Regenwald gerodet.
Mehr Äcker für die Zukunft
Die Politik hat inzwischen auf diese Entwicklung reagiert. Sie lässt sich von Instituten beraten – das kostet und dauert – und sie fordert, dass sobald ausreichend Informationen vorliegen, die indirekte Landnutzung durch neue Anrechnungsfaktoren berücksichtigt werden. Mittlerweile gibt es ein Dickicht an Regelungsvorschlägen, seitenlangen Listen von pflanzen- und technologiespezifischen Werten und möglichen Verrechnungsfaktoren, beim dem kaum noch jemand durchblickt.
Was bei der Diskussion aber häufig unter den Tisch fällt, ist die weltweite Entwicklung. Nach einem Bericht des Weltressourcenrats ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Nachfrage nach Nahrungsmitteln stärker wachsen wird als die Erträge auf den Anbauflächen zunehmen werden.
Mit anderen Worten: Allein um die Weltbevölkerung satt zu bekommen, wird es zu einer Ausdehnung der Anbauflächen und damit einer Umwandlung von Naturflächen kommen. Jede zusätzliche Nachfrage nach „Non-Food“ Biomasse vom Acker, sei es für „Bio“-Kraftstoffe oder „Bio“-Materialien („nachwachsende Rohstoffe“) wird den Druck auf die Umwandlung verstärken.
Die Lage wird dadurch verschärft, dass fruchtbare Böden in enormem Ausmaß durch Erosion und Überbauung verloren gehen. Steuern die Politiker nicht gegen, so müsste von 2005 bis 2050 die weltweite Anbaufläche um 320 bis 850 Millionen Hektar in die verbliebenen Naturflächen vordringen. Das entspricht einer Größenordnung der zehnfachen Fläche Polens bis zur fünfzehnfachen Fläche Frankreichs.
Zum Gegensteuern gehören aber die richtigen Prioritäten. Würde dem Anbau von Nahrungsmitteln politisch erste Priorität eingeräumt, so hieße das im Klartext, auf den Anbau von Energiepflanzen zu verzichten, die Mindestquoten hierfür als Maximalquoten zu verstehen und schrittweise auf null zu fahren. Beim Biogas ist die Lage übrigens ähnlich.
Insgesamt kann Deutschland seinen Verbrauch von agrarischen Gütern aktuell nur etwa zur Hälfte auf der eigenen Anbaufläche decken. Der Verbrauch in der EU benötigt pro Person weltweit fast 3.000 Quadratmeter. Möchte man die Zukunft nachhaltiger gestalten und mit den weltweiten Ökosystemen sorgsam umgehen, so sollte im Jahr 2030 der Verbrauch nicht mehr als 2.000 Quadratmeter Anbaufläche pro Person betragen. In diesem Fall würde die EU von einem Netto-Landimporteur zu einem Netto-Landexporteur werden (und so auch zur gesicherten Versorgung der Welt beitragen).
Das ist durchaus möglich. Es erfordert freilich Fortschritte auf verschiedenen Feldern. Bislang gehen ein Viertel bis ein Drittel der erzeugten Nahrungsmittel als Abfall verloren. Hier sind Einzelhandel und Haushalte gefordert. Die tierbasierte Ernährung erfordert ein Vielfaches der Ackerfläche – für Futtermittel – im Vergleich zu einer eher vegetabilen Ernährung. Wer sich also gesünder und mit etwas weniger Fleisch ernähren möchte, kann zugleich etwas für die Umwelt tun. Und: Die Biokraftstoffe vom Acker sollten wir möglichst bald aufs Altenteil schicken.
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