Nichtwähler ins Parlament – Werner Peters

Reyb­roucks Buch „Gegen Wahlen. – Warum Abstim­men nicht demo­kra­tisch ist.“ ist 2013 in Amster­dam erschie­nen, die deut­sche Ausga­be im Wall­stein-Verlag zuerst 2016, inzwi­schen in vier­ter Aufla­ge 2017, was für die Aktua­li­tät der in dem Buch vertre­te­nen These spricht. Ich selbst habe von dem Buch erst nach der Abfas­sung meines Arti­kels erfah­ren und fühle mich natür­lich dadurch bestä­tigt in meiner These, dass es an der Zeit ist, über die Zusam­men­set­zung des Parla­ments aufgrund von und ausschließ­lich durch Wahlen nachzudenken.
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Das parla­men­ta­ri­sche System, das als Grund­pfei­ler und Garant einer den Bürger­wil­len reprä­sen­tie­ren­den Demo­kra­tie gilt, befin­det sich eindeu­tig in einer Krise. Haupt­ur­sa­che hier­für ist der Verlust an Legi­ti­mi­tät und Funk­tio­na­li­tät des Instru­men­tes, das die reprä­sen­ta­ti­ve Zusam­men­set­zung der parla­men­ta­ri­schen Gremi­en garan­tie­ren soll: der Wahl.
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Das Vertrau­en in Wahlen als faire und geeig­ne­te Vermitt­ler zwischen den Vorstel­lun­gen der Bürger und deren Umset­zung in der Poli­tik kommt von verschie­de­nen Seiten unter Druck. So zeigt sich inzwi­schen auch in Deutsch­land – in ande­ren west­li­chen Ländern schon seit langem und viel deut­li­cher – dass die Wahlen nicht mehr in der Lage sind, in den Parla­men­ten klare poli­ti­sche Verhält­nis­se herzu­stel­len. Das mühsa­me Ringen um eine neue Regie­rung nach der letz­ten Bundes­tags­wahl ist ein solches besorg­nis­er­re­gen­des Zeichen für diese Unfä­hig­keit. In den Bundes­län­dern werden wegen der Zersplit­te­rung der Parla­men­te nach den Wahlen bereits die aben­teu­er­lichs­ten Koali­tio­nen auspro­biert, um das – mögli­cher­wei­se über­hol­te? – Schema von Regie­rungs­mehr­heit und Oppo­si­ti­on herzu­stel­len. Das Anse­hen der Wahl leidet auch darun­ter, dass selbst die fins­ters­ten Auto­kra­ten offen­sicht­lich das Bedürf­nis haben, ihre Ermäch­ti­gung mit diesem Instru­ment zu legi­ti­mie­ren. Man könnte vorder­grün­dig von einem Sieg der Demo­kra­tie spre­chen, dass inzwi­schen auch Dikta­to­ren sich vor der Notwen­dig­keit gestellt sehen, sich ihre Posi­ti­on durch ein Votum des Volkes bestä­ti­gen zu lassen. Tatsäch­lich aber beschä­digt es das Vertrau­en in Wahlen, wenn man beob­ach­ten muss, wie total sie mani­pu­liert und verfälscht werden können.
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Den größ­ten Bedeu­tungs­ver­lust erfährt die Insti­tu­ti­on der Wahl aller­dings durch die Tatsa­che, dass immer mehr Bürger von diesem Instru­ment, das ihnen Reprä­sen­ta­ti­on im Parla­ment verschaf­fen soll, keinen Gebrauch mehr machen.
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Die mit Abstand größte Partei ist die Partei der Nicht­wäh­ler. Und sie wächst stän­dig an. Die etablier­ten Partei­en stehen hilf­los vor diesem Phäno­men, das sich zu einer Legi­ti­ma­ti­ons­kri­se der Demo­kra­tie auswächst. Das Problem wird durch­aus ernst genom­men, aber die bishe­ri­gen und geplan­ten Gegen­maß­nah­men sind unwirk­sam, weil sie nur ein Kurie­ren am Symptom sind. Man muss an die Wurzeln gehen und die Fehler im System aufde­cken und korri­gie­ren. Die Partei­en­de­mo­kra­tie alten Zuschnitts ist am Ende. Die aus unter­schied­li­chen Motiv­la­gen begrün­de­te Wahl­ver­wei­ge­rung stellt die Legi­ti­mi­tät der Volks­ver­tre­tung in Frage. Warum also nicht darüber nach­den­ken, wie die Nicht­wäh­ler im Parla­ment reprä­sen­tiert werden können? Man könnte per Los (nach Aris­to­te­les das demo­kra­ti­sche Prin­zip!) entspre­chend der Stim­men­zahl der Nicht­wäh­ler aus einem Pool inter­es­sier­ter Bürger Abge­ord­ne­te als Reprä­sen­tan­ten derje­ni­gen, die sich nicht mit einer Partei iden­ti­fi­zie­ren, in das Parla­ment entsen­den. Ein zwei­fel­los radi­ka­ler Vorschlag, aber kein unde­mo­kra­ti­scher. Im Gegen­teil – er würde dazu führen, das demo­kra­ti­sche System zu bele­ben, das derzeit dabei ist, zu einer Partei­en­olig­ar­chie, sprich: Post-Demo­kra­tie zu verkommen.
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