Frischekur für den Geist der Demokratie – Werner Peters
Werner Peters hat 2018 in dieser Zeitschrift einen Artikel „Nichtwähler ins Parlament“ veröffentlicht, in dem er sich dafür ausspricht, zur Auffrischung der Demokratie neben den gewählten Parteivertretern aus der Bevölkerung geloste Bürger entsprechend dem Prozentsatz der Nichtwähler ins Parlament zu senden.
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Er hat diese Idee inzwischen in einem Buch vertieft und um Gedanken zum inneren Kern von Demokratie und der ambivalenten Rolle von Wahlen erweitert.
In diesem Artikel hat Werner Peters die in dem Buch entwickelten Argumente für ein gemischt aleatorisch-repräsentatives Parlamentssystem zusammengefasst.
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„Wahlen allein sind primitiv. Eine Demokratie, die sich darauf reduziert, ist dem Tod geweiht“ so hat David van Reybrouck in seinem 2013 erschienenen Buch „Gegen Wahlen“ geschrieben, in dem er sich für eine Einbeziehung des Losverfahrens bei der Zusammensetzung des Parlaments, also ein gemischt aleatorisch-repräsentatives System, ausspricht. In der Tat, Wahlen verfehlen zunehmend ihr Ziel, stabile politische Verhältnisse zu schaffen, wie die letzte Bundestagswahl gezeigt hat, und leiden darunter, dass sie einen Großteil der Bevölkerung von der Repräsentation im Parlament ausschließen. Nimmt man die Wähler der sogenannten „Sonstigen“ dazu, die wegen der 5 %-Hürde den Einzug ins Parlament verpasst haben, so ist mit den Nichtwählern, die immerhin ein Viertel der Bevölkerung stellen, annähernd ein Drittel der Bürger nicht im neuen Bundestag vertreten, wobei dieser aufgrund der Unfähigkeit der Parteien zu grundlegenden Reformen – nicht einmal im eigenen Haus – erneut auf 125 % seiner Sollgröße aufgebläht wurde.
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Die Parteiendemokratie dämmert ihrem Ende entgegen. Die Politikverdrossenheit der Bürger steigt im gleichen Maße, wie die Fähigkeit und Bereitschaft der Politiker zu ernsthaften Reformen an den politischen Strukturen abnehmen. Mit der CDU im freien Fall verschwindet auch die letzte Volkspartei. Die Auflösung der Blöcke und an deren Stelle eine hektische Suche nach Koalitionsmehrheiten unter Parteien verschiedenster politischer Ausrichtung wird das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Politik weiter schwinden lassen.
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Ohne die Parteien für das ganze Ausmaß der vorhandenen und sich weiter ausbreitenden Demokratiemüdigkeit verantwortlich zu machen, ist es offensichtlich ihre alles beherrschende Präsenz in Politik und Gesellschaft, an der eine Reform der demokratischen Strukturen anzusetzen hat. „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ heißt es in Art. 21, 1 GG. Diesen Auftrag zur „Mit“-wirkung haben die deutschen Parteien zum Anlass genommen, im Laufe der Zeit ihre Dominanz in der Politik immer weiter auszudehnen und andere Akteure, etwa aus der Zivilgesellschaft, von politischen Entscheidungen weitestgehend auszuschließen.
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Die Parteien haben sich nicht angepasst an die gewachsenen Bedürfnisse der Menschen nach unmittelbarer Mitbestimmung am politischen Geschehen. Sie halten fest an alten Strukturen und bieten den Bürgern außer Teilnahme an Wahlen keine Möglichkeit, sich wirkungsvoll einzubringen in die politische Gestaltung der Gesellschaft. Dies aber wird zunehmend als nicht ausreichend empfunden, weil der Glaube an Wahlen als Anstoß zu Veränderungen und Reformen einer Resignation des „es ändert sich ja doch nichts“ Platz gemacht hat und die Parteien nicht mehr als Sachwalter des Gemeinwohls und Träger von Zukunftsvisionen wahrgenommen werden.
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Die Menschen sind politisch aktiv geworden, allerdings nicht in den Parteien, sondern in eigenen Initiativen und Aktionsgruppen. Sie mischen sich ein in die Politik, bestreiten den Parteien den Anspruch, als ihre Vertreter oder gar Vormunde allein die Politik zu bestimmen. Mit der weiten Verbreitung des Internet und den immer leichteren und immer schnelleren Möglichkeiten der Vernetzung ist eine weitere Welle politischer Aktivitäten in Form von Kampagnen, Petitionen, Aufrufen dazu gekommen. Das politische Engagement ist unübersehbar, aber es bricht sich an den Strukturen, die das Monopol des politischen Handelns und Entscheidens im Parlament verankert haben, in dem aufgrund des Wahlsystems nur die Parteien das Sagen haben.
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