Ein Pater prangert an – Pat Christ
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Für Klaus Mertes löst der extreme Reichtum allmählich „Enteignungsfantasien“ aus
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Sein Brief klagte 2010 unvorstellbare Missstände in der katholischen Kirche an: Pater Klaus Mertes, damals Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, beschrieb darin den systematischen sexuellen Missbrauch von Schülern in den 1970er und 1980er Jahren. Endlich wurde damit skandalisiert, was jahrelang totgeschwiegen worden war. Klaus Mertes bewies großen Mut. Und nicht nur hier. Auch in der Corona-Krise erwies sich der Jesuit als couragiert. Aktuell prangert er den politischen Einfluss der Superreichen an.
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Oft hält man den Mund, obwohl es einen drängt, etwas zu sagen, man schweigt, obwohl man damit nicht das beste Gewissen hat. Denn etwas zu sagen, öffentlich und laut zu sagen, kann höchst unangenehm werden. Die letzten Jahre haben uns gelehrt: Es kann sogar den Ruf und die Karriere gefährden. Klaus Mertes macht seinen Mund dennoch auf. Als ich ihn bei unserem Telefonat frage, woher er denn den Mut nimmt, stutzt er hörbar. Ganz so, als hätte er sich diese Frage noch nie selbst gestellt. Ich erwarte von ihm als Katholik, dass er so etwas Ähnliches sagt wie: Er wisse ja Gott bei sich. Das sagt er nicht. Er sagt: „Ich will mich jeden Morgen im Spiegel anschauen können.“
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Natürlich ist Klaus Mertes auch ein überzeugter Christ. Doch gerade, Christ zu sein, bedeutet ja nicht, sich im Bewusstsein einer supranatürlichen Unverletzlichkeit zu wiegen. Ganz im Gegenteil. „Jesus war einer, der Angst gespürt hat“, sagt Klaus Mertes. Angstschweiß soll in seinen letzten Lebensstunden wie Blutstropfen auf den Boden gefallen sein. Angst darf man also haben. Mut wiederum setzt genau dort an, wo die Angst in Schach gehalten wird. Letztlich geht es für Klaus Mertes darum, der Angst „die Stirn entgegenzuhalten“. Nur so, sagt er, sei ein Leben in Würde möglich. Genau dafür setzt er sich ein: Menschliches Leben in Würde zu ermöglichen.
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Alles andere hieße aber auch, Menschen zu dehumanisieren. Wobei es Würde raubende Prozesse freilich immer gab. Ich denke an die Sklaverei. Ich denke an alte Menschen, die aufgrund von Personalmangel im Pflegeheim stundenlang in ihren Exkrementen liegen. Ich denke an sexuellen Missbrauch. Und ich denke an neuere Prozesse, die mit Blick auf die menschliche Würde als das Urmenschliche, das unbedingt verteidigt werden muss, große Sorgen bereiten. Und zwar nicht nur mir. Sondern auch Klaus Mertes. Kürzlich schrieb der Pater über jene Menschen mit unvorstellbarem Reichtum, die plötzlich global darüber befinden, was (für alle anderen Menschen) gut und was schlecht sein soll.
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Wirklich Wohltäter?
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Es jemandem übel anzukreiden, dass er reich ist, sehr reich, unvorstellbar reich, darum geht es nicht. „Aber es ist ein Problem, dass einzelne extrem reiche Personen die globale Politik bestimmen können“, sagt Klaus Mertes. Völlig irritierend sei, dass man jene, die sich selbst als globale Wohltäter gerieren, nicht mal mehr öffentlich kritisieren darf: „Gerade während der Corona-Krise hat das oft eine unglaubliche Aggression ausgelöst.“ Menschen wie Bill Gates täten doch etwas Gutes, hieß es dann. Sie setzten ihr Geld doch für das Wohl ihrer Mitmenschen ein. Doch das Geld entstammt Stiftungen. „Letztlich wird auf diese Weise am Fiskus vorbei gehandelt“, betont der Jesuitenpater.
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Entscheiden einzelne Reiche – schlicht, weil sie die Mittel und dadurch die Macht haben – werden Entscheidungen intransparent. Was will jemand wirklich? Welche Interessen stecken hinter jenem Interesse, das öffentlich bekundet wird? Woher stammen die eingesetzten Gelder wirklich? Wer wurde mit diesen Geldern beeinflusst? Gar gekauft? Früher, gibt Klaus Mertes zu, habe auch er nicht wahrgenommen, welche unglaubliche Macht qua pekuniärer und kapitaler Mittel sich da an wenigen Stellen in der Welt akkumuliert hat. Inzwischen macht ihm diese Akkumulation allergrößte Sorgen: „Ich muss zugeben, dass manchmal Enteignungsfantasien in mir aufsteigen.“ Wobei sich die Frage stellt: Welche Instanz könnte denn überhaupt noch enteignen?
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Als eine, die seit über 30 Jahren im Journalismus tätig ist, bin ich mir sicher: Von den Medien kommt garantiert kein Impuls, den Hyperreichtum und seine Einflussnahme auf die Politik zu problematisieren. Das Gegenteil geschah in den letzten Jahren. Von der Politik kann ein solcher Impuls schlecht ausgehen, denn es gibt eine immer stärkere Verwobenheit zwischen privaten und (mehr oder weniger demokratisch gewählten) politischen Machtinstanzen. Und die Bürger? Nun ja. „Die große Hoffnung auf eine weltweite Verbindung über das Internet ist geplatzt“, sagt Klaus Mertes zu diesem Punkt. Die Menschen verbinden sich nicht. Sondern dividieren sich auseinander.
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Leibeigener oder Souverän?
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Überhaupt, der Bürger, der ja kein Leibeigener eines Verfügungsgewaltigen ist, sondern „Souverän“. Viele Bürger allerdings, erfahre ich immer wieder, wissen mit diesem Begriff gar nichts mehr anzufangen. Auf der Homepage des Bundestags finde ich eine schöne Definition, was der „Souverän“ ist. Da heißt es: „Der Souverän ist der Inhaber der umfassenden Hoheitsgewalt im Staat, nach außen (völkerrechtlich) wie nach innen (staatsrechtlich). In demokratischen Republiken und parlamentarisch-demokratischen Monarchien ist das Volk der Souverän (…). Die Souveränität wird begrenzt durch (…) die Grundrechte der Einzelnen.“
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Heute spielt sich ein Multimilliardär wie Bill Gates oder Elon Musk souverän auf. Der eigentliche Souverän bemerkt nicht einmal, dass er seiner Souveränität beraubt wird. Oder sich vielmehr selbst seiner Souveränität beraubt. Er bemerkt nicht mehr, dass sich da Dinge vollziehen, die weit jenseits der für den Souverän absolut essenziellen demokratischen Kontrolle angesiedelt sind. „Kapitalismus plus Globalisierung bringt einen neuen Typus von Unternehmern hervor“, sagt Klaus Mertes.„Sie beanspruchen nicht nur, für ihr Unternehmen zu arbeiten, sondern auch über die Zukunft des Globus mitzuentscheiden.“ Darüber müsse dringend gesprochen werden.
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Wer sehr reich ist und darum sehr viel Macht hat, hat auch PR- und Definitionsmacht und kann damit jene, derer er sich bemächtigen will, hinter die Fichte führen. Ohne dass sie es bemerken. Klaus Mertes hat es bemerkt. Er stieß zum Beispiel darauf, dass der Begriff „Pandemie“ verändert wurde. Norbert Häring hatte in seinem „Neusprech-Kompendium“ darauf aufmerksam gemacht. „Eine Grippepandemie tritt auf, wenn ein neues Influenzavirus auftritt, gegen das die menschliche Bevölkerung keine Immunität besitzt, was weltweit zu mehreren, gleichzeitigen Epidemien mit enormen Todes- und Krankheitszahlen führt“, so lautete die Definition der WHO für Pandemie bis 2009.- – -
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Für Klaus Mertes löst der extreme Reichtum allmählich „Enteignungsfantasien“ aus
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Sein Brief klagte 2010 unvorstellbare Missstände in der katholischen Kirche an: Pater Klaus Mertes, damals Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, beschrieb darin den systematischen sexuellen Missbrauch von Schülern in den 1970er und 1980er Jahren. Endlich wurde damit skandalisiert, was jahrelang totgeschwiegen worden war. Klaus Mertes bewies großen Mut. Und nicht nur hier. Auch in der Corona-Krise erwies sich der Jesuit als couragiert. Aktuell prangert er den politischen Einfluss der Superreichen an.
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Oft hält man den Mund, obwohl es einen drängt, etwas zu sagen, man schweigt, obwohl man damit nicht das beste Gewissen hat. Denn etwas zu sagen, öffentlich und laut zu sagen, kann höchst unangenehm werden. Die letzten Jahre haben uns gelehrt: Es kann sogar den Ruf und die Karriere gefährden. Klaus Mertes macht seinen Mund dennoch auf. Als ich ihn bei unserem Telefonat frage, woher er denn den Mut nimmt, stutzt er hörbar. Ganz so, als hätte er sich diese Frage noch nie selbst gestellt. Ich erwarte von ihm als Katholik, dass er so etwas Ähnliches sagt wie: Er wisse ja Gott bei sich. Das sagt er nicht. Er sagt: „Ich will mich jeden Morgen im Spiegel anschauen können.“
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Natürlich ist Klaus Mertes auch ein überzeugter Christ. Doch gerade, Christ zu sein, bedeutet ja nicht, sich im Bewusstsein einer supranatürlichen Unverletzlichkeit zu wiegen. Ganz im Gegenteil. „Jesus war einer, der Angst gespürt hat“, sagt Klaus Mertes. Angstschweiß soll in seinen letzten Lebensstunden wie Blutstropfen auf den Boden gefallen sein. Angst darf man also haben. Mut wiederum setzt genau dort an, wo die Angst in Schach gehalten wird. Letztlich geht es für Klaus Mertes darum, der Angst „die Stirn entgegenzuhalten“. Nur so, sagt er, sei ein Leben in Würde möglich. Genau dafür setzt er sich ein: Menschliches Leben in Würde zu ermöglichen.
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Alles andere hieße aber auch, Menschen zu dehumanisieren. Wobei es Würde raubende Prozesse freilich immer gab. Ich denke an die Sklaverei. Ich denke an alte Menschen, die aufgrund von Personalmangel im Pflegeheim stundenlang in ihren Exkrementen liegen. Ich denke an sexuellen Missbrauch. Und ich denke an neuere Prozesse, die mit Blick auf die menschliche Würde als das Urmenschliche, das unbedingt verteidigt werden muss, große Sorgen bereiten. Und zwar nicht nur mir. Sondern auch Klaus Mertes. Kürzlich schrieb der Pater über jene Menschen mit unvorstellbarem Reichtum, die plötzlich global darüber befinden, was (für alle anderen Menschen) gut und was schlecht sein soll.
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Wirklich Wohltäter?
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Es jemandem übel anzukreiden, dass er reich ist, sehr reich, unvorstellbar reich, darum geht es nicht. „Aber es ist ein Problem, dass einzelne extrem reiche Personen die globale Politik bestimmen können“, sagt Klaus Mertes. Völlig irritierend sei, dass man jene, die sich selbst als globale Wohltäter gerieren, nicht mal mehr öffentlich kritisieren darf: „Gerade während der Corona-Krise hat das oft eine unglaubliche Aggression ausgelöst.“ Menschen wie Bill Gates täten doch etwas Gutes, hieß es dann. Sie setzten ihr Geld doch für das Wohl ihrer Mitmenschen ein. Doch das Geld entstammt Stiftungen. „Letztlich wird auf diese Weise am Fiskus vorbei gehandelt“, betont der Jesuitenpater.
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Entscheiden einzelne Reiche – schlicht, weil sie die Mittel und dadurch die Macht haben – werden Entscheidungen intransparent. Was will jemand wirklich? Welche Interessen stecken hinter jenem Interesse, das öffentlich bekundet wird? Woher stammen die eingesetzten Gelder wirklich? Wer wurde mit diesen Geldern beeinflusst? Gar gekauft? Früher, gibt Klaus Mertes zu, habe auch er nicht wahrgenommen, welche unglaubliche Macht qua pekuniärer und kapitaler Mittel sich da an wenigen Stellen in der Welt akkumuliert hat. Inzwischen macht ihm diese Akkumulation allergrößte Sorgen: „Ich muss zugeben, dass manchmal Enteignungsfantasien in mir aufsteigen.“ Wobei sich die Frage stellt: Welche Instanz könnte denn überhaupt noch enteignen?
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Als eine, die seit über 30 Jahren im Journalismus tätig ist, bin ich mir sicher: Von den Medien kommt garantiert kein Impuls, den Hyperreichtum und seine Einflussnahme auf die Politik zu problematisieren. Das Gegenteil geschah in den letzten Jahren. Von der Politik kann ein solcher Impuls schlecht ausgehen, denn es gibt eine immer stärkere Verwobenheit zwischen privaten und (mehr oder weniger demokratisch gewählten) politischen Machtinstanzen. Und die Bürger? Nun ja. „Die große Hoffnung auf eine weltweite Verbindung über das Internet ist geplatzt“, sagt Klaus Mertes zu diesem Punkt. Die Menschen verbinden sich nicht. Sondern dividieren sich auseinander.
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Leibeigener oder Souverän?
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Überhaupt, der Bürger, der ja kein Leibeigener eines Verfügungsgewaltigen ist, sondern „Souverän“. Viele Bürger allerdings, erfahre ich immer wieder, wissen mit diesem Begriff gar nichts mehr anzufangen. Auf der Homepage des Bundestags finde ich eine schöne Definition, was der „Souverän“ ist. Da heißt es: „Der Souverän ist der Inhaber der umfassenden Hoheitsgewalt im Staat, nach außen (völkerrechtlich) wie nach innen (staatsrechtlich). In demokratischen Republiken und parlamentarisch-demokratischen Monarchien ist das Volk der Souverän (…). Die Souveränität wird begrenzt durch (…) die Grundrechte der Einzelnen.“
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Heute spielt sich ein Multimilliardär wie Bill Gates oder Elon Musk souverän auf. Der eigentliche Souverän bemerkt nicht einmal, dass er seiner Souveränität beraubt wird. Oder sich vielmehr selbst seiner Souveränität beraubt. Er bemerkt nicht mehr, dass sich da Dinge vollziehen, die weit jenseits der für den Souverän absolut essenziellen demokratischen Kontrolle angesiedelt sind. „Kapitalismus plus Globalisierung bringt einen neuen Typus von Unternehmern hervor“, sagt Klaus Mertes.„Sie beanspruchen nicht nur, für ihr Unternehmen zu arbeiten, sondern auch über die Zukunft des Globus mitzuentscheiden.“ Darüber müsse dringend gesprochen werden.
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Wer sehr reich ist und darum sehr viel Macht hat, hat auch PR- und Definitionsmacht und kann damit jene, derer er sich bemächtigen will, hinter die Fichte führen. Ohne dass sie es bemerken. Klaus Mertes hat es bemerkt. Er stieß zum Beispiel darauf, dass der Begriff „Pandemie“ verändert wurde. Norbert Häring hatte in seinem „Neusprech-Kompendium“ darauf aufmerksam gemacht. „Eine Grippepandemie tritt auf, wenn ein neues Influenzavirus auftritt, gegen das die menschliche Bevölkerung keine Immunität besitzt, was weltweit zu mehreren, gleichzeitigen Epidemien mit enormen Todes- und Krankheitszahlen führt“, so lautete die Definition der WHO für Pandemie bis 2009.- – -
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