Ein moderner „Turmbau zu Babel“ – Siegfried Wendt
1. Einordnung des Titels – - –
Im Unterschied zu meiner Jugendzeit ist es heute nicht mehr selbstverständlich, dass jeder Leser gleich weiß, was es mit einem Titel auf sich hat, der sich auf eine biblische Geschichte bezieht. Deshalb sei hier kurz skizziert, um was es beim sog. Turmbau zu Babel geht. Der erste Teil der Bibel, das sog. Alte Testament, beginnt mit dem ersten Buch Mose. In dessen elftem Kapitel wird berichtet, dass alle damaligen Bewohner der Welt eine einheitliche Sprache hatten. Eines Tages beschlossen sie, einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel reichen sollte. Da Gott aber nicht wollte, dass ihnen dieses Vorhaben gelänge, verwirrte er ihre Sprache, so dass keiner mehr seine Mitmenschen verstehen konnte. – - –
Im Laufe meines Aufsatzes werden die Leser erkennen, weshalb ich im Titel auf diese biblische Geschichte Bezug nehme. – - –
2. Hinführung zum Thema – - –
Zu Beginn möchte ich über zwei weit zurückliegende, aber inhaltlich zusammenhängende Erlebnisse berichten und damit die Aufmerksamkeit der Leser auf ein Problemfeld lenken, das in den letzten Jahrzehnten unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit riesige Dimensionen angenommen hat und von dem ich befürchte, dass es unsere technische Zivilisation sehr bald vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten stellen wird. – - –
(1) In den Herbstsemesterferien 1961 arbeitete ich als Werkstudent in der Konstruktionsabteilung der Autofirma Porsche in Zuffenhausen, wo ich ein paar grundlegende Programme zur Ingenieursarithmetik entwickelte. Ein halbes Jahr danach, als ich bereits wieder im Studium war, rief mich ein ehemaliger Kollege von Porsche an und bat um einige Erklärungen zu Teilen der von mir entwickelten Programme, deren Funktionalität er erweitern sollte. – - –
(2) Im Sommer 1973 holte mich ein ehemaliger Studienfreund in ein Projekt, bei dem es um die sog. „Nachdokumentation“ eines Softwaresystems ging, welches von der Firma Siemens mit einem Aufwand von ca. 400 Mitarbeiterjahren zur Nutzung bei der Olympiade 1972 in München entwickelt worden war. Dieser Studienfreund erzählte mir damals den folgenden Witz: „Frage: Was sind die wichtigsten Informationen für einen Softwareprojektmanager? Antwort: Die Telefonnummern seiner ehemaligen Mitarbeiter.“ – - –
3. Ein revolutionärer technologischer Wandel – - –
Die beiden im Abschnitt 2 beschriebenen Erlebnisse deuten darauf hin, dass es im vorliegenden Aufsatz um das Problem der Verteilung des Knowhows über komplexe technische Systeme geht, deren Funktionalität zum Teil durch Software realisiert wird. Bis ungefähr zum Jahre 1965 spielte Software in komplexen technischen Systemen – man denke an Pkws, Kraftwerke, Flugzeuge oder Fernsehsender – noch keine wesentliche Rolle. Dann erst gab es den revolutionären technologischen Wandel, der zu einer geradezu explosionsartigen Zunahme der wirtschaftlichen Bedeutung von Software führte. Abbildung 1 veranschaulicht den Sachverhalt, dass dieser Wandel nicht alleine durch die Erfindung des Computers ausgelöst wurde, sondern dass noch die Entwicklung der Mikroelektronik hinzukommen musste. Diese hat nämlich eine Reduktion des Raumbedarfs für Computer und Speicher um Faktoren in der Größenordnung von Millionen gebracht, was zur Folge hatte, dass nun Computer als Komponenten in Systemen beliebiger Funktionalität benutzt werden konnten. So sind beispielsweise in modernen Pkws oder Flugzeugen jeweils etliche Computer zur Realisierung von Steuerungsfunktionen enthalten, die im Vergleich zur Vorcomputerzeit so komplex sind, dass sie dem Nichtfachmann als „Zaubereien“ erscheinen. Diese Zaubereien werden ausschließlich durch entsprechende Software erreicht, wobei der Umfang der Software über die Jahre hinweg immer größer werden konnte. – - –
Das Fassungsvermögen der Speicher für die Software ist nämlich aufgrund der Mikroelektronik in schier unvorstellbarem Maße gewachsen. Während in der Anfangszeit der Computertechnik in einen Programmspeicher nur ungefähr so viel Software hineinpasste, wie ein einzelner Programmierer in einem halben Jahr programmieren konnte, ist das Fassungsvermögen der Speicher inzwischen so groß, dass man darin heute problemlos das Millionenfache unterbringen kann. – - –
4. Das Problem der Knowhow-Verteilung – - –
Planung, Entwurf und Realisierung komplexer technischer Systeme erfordern eine hochgradige Arbeitsteilung. Das bedeutet, dass Hunderte oder gar Tausende von Fachleuten, die sich größtenteils nie treffen, wohlkoordiniert zusammenwirken müssen. Dazu müssen ihnen die Informationen über ihre jeweiligen Teilaufgaben in genormter Form über ein wohldefiniertes Netzwerk von Kanälen zufließen. Diesen Informationsfluss zu organisieren ist die Aufgabe von Ingenieuren. Konkret äußert sich diese Aufgabe in den folgenden drei Fragen: Anhand welcher Dokumente können die Teilaufgaben abgegrenzt werden? Anhand welcher Lehrunterlagen können diejenigen Personen geschult werden, die im Laufe des Projekts neu in die Entwicklermannschaft aufgenommen werden sollen? Wie können sich Personen, die nicht an der Planung und Realisierung des ursprünglichen Systems beteiligt waren, später das Wissen verschaffen, welches sie benötigen, um Fehler im System zu korrigieren oder um das System um neue Funktionen zu erweitern? – - –
Die Notwendigkeit hochgradiger Arbeitsteilung im technischen Bereich ist eine Folge der großen Variationsbreite des Knowhows, auf dem die Machbarkeit komplexer technischer Systeme beruht. Abbildung 2 gibt eine grobe Übersicht über die zeitliche Entwicklung des Knowhow-Bedarfs im Bereich der Technik. – - –
Die vor 1800 benutzten technischen Systeme waren von so geringer Komplexität, dass fast jedermann durch bloßes Betrachten der Systeme die Kausalzusammenhänge erkennen konnte, auf denen das Funktionieren dieser Systeme beruhte, und die man kennen musste, damit man die Systeme nutzen konnte. Die nächsthöhere Komplexitätsstufe erforderte dann bereits eine Aufteilung des Knowhows auf kleine Gruppen von Knowhow-Trägern, von denen jeder nur noch für einen speziellen Teil des Gesamtwissens über das System zuständig war. Ungefähr um 1900 war das verfügbare technische und naturwissenschaftliche Wissen bereits so umfangreich, dass man nun Systeme bauen konnte, deren Komplexität nur noch durch hochgradige Arbeitsteilung beherrscht werden konnte. Das war auch die Zeit des Entstehens der modernen Ingenieurdisziplinen Maschinenbau und Elektrotechnik. Es ist kennzeichnend für diese Disziplinen, dass im ersten Teil des jeweiligen Studiums die Vermittlung der genormten Darstellungsformen – insbesondere Konstruktionszeichnungen und Schaltpläne – eine zentrale Rolle spielt, denn auf diesen beruht die Effizienz der hochgradigen Arbeitsteilung. – - –
In Abbildung 2 behaupte ich, dass die kommunikative Beherrschung der arbeitsteilig entstehenden Systeme verloren ging, als die Funktion der Systeme in zunehmendem Maße durch Software bestimmt wurde. Das war ungefähr im Jahre 1965. Im folgenden Abschnitt wird aufgezeigt, was zu den bereits gelösten Problemen der hochgradigen Arbeitsteilung hinzugekommen ist, wodurch ein neues und noch nicht gelöstes Problem entstand. – - –
5. Die Besonderheit informationstechnischer Systeme – - –
Informationstechnische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass man durch bloße Analyse ihres Aufbaus und Verhaltens nicht zwingend auf ihre Funktion schließen kann, sondern dass man dazu auch noch das Wissen benötigt, wie die beobachtbaren Sachverhalte zu interpretieren sind. So kann man beispielsweise eine Verkehrsampel nur verstehen, wenn man weiß, dass das rote Signal „Stop“ und das grüne Signal „Freie Fahrt“ bedeuten. Die Verkehrsampel ist also ein informationstechnisches System. Dagegen ist eine Schreibmaschine kein informationstechnisches System, denn man braucht nicht unbedingt lesen zu können, um die Funktion einer Schreibmaschine zu verstehen. Deren Funktion besteht nämlich nur darin, die optischen Muster, die auf den Tasten stehen, aufs Papier zu drucken. Die auf diese Weise erzeugten Musterfolgen müssen keine in irgendeiner Sprache interpretierbaren Texte sein. Wenn es zum Verständnis der Funktion erforderlich wäre, die gedruckten Musterfolgen auch interpretieren zu können, wäre es unmöglich, dass jemand, der kein Englisch kann, Schreibmaschinen zur Benutzung in England baut. – - –
Die Interpretationsnotwendigkeit ist der Grund für die Schwierigkeiten, die sich der kommunikativen Beherrschung komplexer technischer Systeme entgegenstellen, bei denen ein Großteil der Funktionalität durch informationstechnische Komponenten realisiert wird. – - –
Ob ein System kommunikativ beherrscht wird, entscheidet sich an der Frage, ob das Wissen des Einzelnen, welches verteilt werden sollte, standardisiert so beschrieben werden kann, dass es die Empfänger mit zumutbarem Aufwand aufnehmen und verstehen können. Dabei handelt es sich immer um Wissen, welches das Verständnis der Kausalzusammenhänge zwischen den beobachtbaren Erscheinungen ermöglicht. Falls diese Kausalzusammenhänge ausschließlich mit naturwissenschaftlichen Begriffen erklärt werden können und keine Interpretationsnotwendigkeit besteht, könnte man sich das Wissen grundsätzlich auch ohne Kommunikation mit Wissensträgern verschaffen, indem man das System analysiert und im Betrieb beobachtet. Dies ist aber nur eine grundsätzliche und keine realistische Möglichkeit, denn ein System der hier betrachteten Art besteht immer aus einer sehr großen Zahl von Komponenten, deren Zusammenwirken man nur erkennen könnte, indem man das System vollständig in seine Teile zerlegt und anschließend wieder zusammenbaut. Deshalb gibt es Pläne, die den Systemaufbau in genormter Form zeigen. Diese Pläne entstehen als Ergebnis der Entwurfsaktivitäten und müssen vorliegen, bevor mit der Systemrealisierung begonnen werden kann. Das ist der Grund, weshalb Systeme ohne Interpretationsnotwendigkeit kommunikativ so effizient beherrscht werden. – - –
mehr online…
Im Unterschied zu meiner Jugendzeit ist es heute nicht mehr selbstverständlich, dass jeder Leser gleich weiß, was es mit einem Titel auf sich hat, der sich auf eine biblische Geschichte bezieht. Deshalb sei hier kurz skizziert, um was es beim sog. Turmbau zu Babel geht. Der erste Teil der Bibel, das sog. Alte Testament, beginnt mit dem ersten Buch Mose. In dessen elftem Kapitel wird berichtet, dass alle damaligen Bewohner der Welt eine einheitliche Sprache hatten. Eines Tages beschlossen sie, einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel reichen sollte. Da Gott aber nicht wollte, dass ihnen dieses Vorhaben gelänge, verwirrte er ihre Sprache, so dass keiner mehr seine Mitmenschen verstehen konnte. – - –
Im Laufe meines Aufsatzes werden die Leser erkennen, weshalb ich im Titel auf diese biblische Geschichte Bezug nehme. – - –
2. Hinführung zum Thema – - –
Zu Beginn möchte ich über zwei weit zurückliegende, aber inhaltlich zusammenhängende Erlebnisse berichten und damit die Aufmerksamkeit der Leser auf ein Problemfeld lenken, das in den letzten Jahrzehnten unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit riesige Dimensionen angenommen hat und von dem ich befürchte, dass es unsere technische Zivilisation sehr bald vor nahezu unlösbare Schwierigkeiten stellen wird. – - –
(1) In den Herbstsemesterferien 1961 arbeitete ich als Werkstudent in der Konstruktionsabteilung der Autofirma Porsche in Zuffenhausen, wo ich ein paar grundlegende Programme zur Ingenieursarithmetik entwickelte. Ein halbes Jahr danach, als ich bereits wieder im Studium war, rief mich ein ehemaliger Kollege von Porsche an und bat um einige Erklärungen zu Teilen der von mir entwickelten Programme, deren Funktionalität er erweitern sollte. – - –
(2) Im Sommer 1973 holte mich ein ehemaliger Studienfreund in ein Projekt, bei dem es um die sog. „Nachdokumentation“ eines Softwaresystems ging, welches von der Firma Siemens mit einem Aufwand von ca. 400 Mitarbeiterjahren zur Nutzung bei der Olympiade 1972 in München entwickelt worden war. Dieser Studienfreund erzählte mir damals den folgenden Witz: „Frage: Was sind die wichtigsten Informationen für einen Softwareprojektmanager? Antwort: Die Telefonnummern seiner ehemaligen Mitarbeiter.“ – - –
3. Ein revolutionärer technologischer Wandel – - –
Die beiden im Abschnitt 2 beschriebenen Erlebnisse deuten darauf hin, dass es im vorliegenden Aufsatz um das Problem der Verteilung des Knowhows über komplexe technische Systeme geht, deren Funktionalität zum Teil durch Software realisiert wird. Bis ungefähr zum Jahre 1965 spielte Software in komplexen technischen Systemen – man denke an Pkws, Kraftwerke, Flugzeuge oder Fernsehsender – noch keine wesentliche Rolle. Dann erst gab es den revolutionären technologischen Wandel, der zu einer geradezu explosionsartigen Zunahme der wirtschaftlichen Bedeutung von Software führte. Abbildung 1 veranschaulicht den Sachverhalt, dass dieser Wandel nicht alleine durch die Erfindung des Computers ausgelöst wurde, sondern dass noch die Entwicklung der Mikroelektronik hinzukommen musste. Diese hat nämlich eine Reduktion des Raumbedarfs für Computer und Speicher um Faktoren in der Größenordnung von Millionen gebracht, was zur Folge hatte, dass nun Computer als Komponenten in Systemen beliebiger Funktionalität benutzt werden konnten. So sind beispielsweise in modernen Pkws oder Flugzeugen jeweils etliche Computer zur Realisierung von Steuerungsfunktionen enthalten, die im Vergleich zur Vorcomputerzeit so komplex sind, dass sie dem Nichtfachmann als „Zaubereien“ erscheinen. Diese Zaubereien werden ausschließlich durch entsprechende Software erreicht, wobei der Umfang der Software über die Jahre hinweg immer größer werden konnte. – - –
Das Fassungsvermögen der Speicher für die Software ist nämlich aufgrund der Mikroelektronik in schier unvorstellbarem Maße gewachsen. Während in der Anfangszeit der Computertechnik in einen Programmspeicher nur ungefähr so viel Software hineinpasste, wie ein einzelner Programmierer in einem halben Jahr programmieren konnte, ist das Fassungsvermögen der Speicher inzwischen so groß, dass man darin heute problemlos das Millionenfache unterbringen kann. – - –
4. Das Problem der Knowhow-Verteilung – - –
Planung, Entwurf und Realisierung komplexer technischer Systeme erfordern eine hochgradige Arbeitsteilung. Das bedeutet, dass Hunderte oder gar Tausende von Fachleuten, die sich größtenteils nie treffen, wohlkoordiniert zusammenwirken müssen. Dazu müssen ihnen die Informationen über ihre jeweiligen Teilaufgaben in genormter Form über ein wohldefiniertes Netzwerk von Kanälen zufließen. Diesen Informationsfluss zu organisieren ist die Aufgabe von Ingenieuren. Konkret äußert sich diese Aufgabe in den folgenden drei Fragen: Anhand welcher Dokumente können die Teilaufgaben abgegrenzt werden? Anhand welcher Lehrunterlagen können diejenigen Personen geschult werden, die im Laufe des Projekts neu in die Entwicklermannschaft aufgenommen werden sollen? Wie können sich Personen, die nicht an der Planung und Realisierung des ursprünglichen Systems beteiligt waren, später das Wissen verschaffen, welches sie benötigen, um Fehler im System zu korrigieren oder um das System um neue Funktionen zu erweitern? – - –
Die Notwendigkeit hochgradiger Arbeitsteilung im technischen Bereich ist eine Folge der großen Variationsbreite des Knowhows, auf dem die Machbarkeit komplexer technischer Systeme beruht. Abbildung 2 gibt eine grobe Übersicht über die zeitliche Entwicklung des Knowhow-Bedarfs im Bereich der Technik. – - –
Die vor 1800 benutzten technischen Systeme waren von so geringer Komplexität, dass fast jedermann durch bloßes Betrachten der Systeme die Kausalzusammenhänge erkennen konnte, auf denen das Funktionieren dieser Systeme beruhte, und die man kennen musste, damit man die Systeme nutzen konnte. Die nächsthöhere Komplexitätsstufe erforderte dann bereits eine Aufteilung des Knowhows auf kleine Gruppen von Knowhow-Trägern, von denen jeder nur noch für einen speziellen Teil des Gesamtwissens über das System zuständig war. Ungefähr um 1900 war das verfügbare technische und naturwissenschaftliche Wissen bereits so umfangreich, dass man nun Systeme bauen konnte, deren Komplexität nur noch durch hochgradige Arbeitsteilung beherrscht werden konnte. Das war auch die Zeit des Entstehens der modernen Ingenieurdisziplinen Maschinenbau und Elektrotechnik. Es ist kennzeichnend für diese Disziplinen, dass im ersten Teil des jeweiligen Studiums die Vermittlung der genormten Darstellungsformen – insbesondere Konstruktionszeichnungen und Schaltpläne – eine zentrale Rolle spielt, denn auf diesen beruht die Effizienz der hochgradigen Arbeitsteilung. – - –
In Abbildung 2 behaupte ich, dass die kommunikative Beherrschung der arbeitsteilig entstehenden Systeme verloren ging, als die Funktion der Systeme in zunehmendem Maße durch Software bestimmt wurde. Das war ungefähr im Jahre 1965. Im folgenden Abschnitt wird aufgezeigt, was zu den bereits gelösten Problemen der hochgradigen Arbeitsteilung hinzugekommen ist, wodurch ein neues und noch nicht gelöstes Problem entstand. – - –
5. Die Besonderheit informationstechnischer Systeme – - –
Informationstechnische Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass man durch bloße Analyse ihres Aufbaus und Verhaltens nicht zwingend auf ihre Funktion schließen kann, sondern dass man dazu auch noch das Wissen benötigt, wie die beobachtbaren Sachverhalte zu interpretieren sind. So kann man beispielsweise eine Verkehrsampel nur verstehen, wenn man weiß, dass das rote Signal „Stop“ und das grüne Signal „Freie Fahrt“ bedeuten. Die Verkehrsampel ist also ein informationstechnisches System. Dagegen ist eine Schreibmaschine kein informationstechnisches System, denn man braucht nicht unbedingt lesen zu können, um die Funktion einer Schreibmaschine zu verstehen. Deren Funktion besteht nämlich nur darin, die optischen Muster, die auf den Tasten stehen, aufs Papier zu drucken. Die auf diese Weise erzeugten Musterfolgen müssen keine in irgendeiner Sprache interpretierbaren Texte sein. Wenn es zum Verständnis der Funktion erforderlich wäre, die gedruckten Musterfolgen auch interpretieren zu können, wäre es unmöglich, dass jemand, der kein Englisch kann, Schreibmaschinen zur Benutzung in England baut. – - –
Die Interpretationsnotwendigkeit ist der Grund für die Schwierigkeiten, die sich der kommunikativen Beherrschung komplexer technischer Systeme entgegenstellen, bei denen ein Großteil der Funktionalität durch informationstechnische Komponenten realisiert wird. – - –
Ob ein System kommunikativ beherrscht wird, entscheidet sich an der Frage, ob das Wissen des Einzelnen, welches verteilt werden sollte, standardisiert so beschrieben werden kann, dass es die Empfänger mit zumutbarem Aufwand aufnehmen und verstehen können. Dabei handelt es sich immer um Wissen, welches das Verständnis der Kausalzusammenhänge zwischen den beobachtbaren Erscheinungen ermöglicht. Falls diese Kausalzusammenhänge ausschließlich mit naturwissenschaftlichen Begriffen erklärt werden können und keine Interpretationsnotwendigkeit besteht, könnte man sich das Wissen grundsätzlich auch ohne Kommunikation mit Wissensträgern verschaffen, indem man das System analysiert und im Betrieb beobachtet. Dies ist aber nur eine grundsätzliche und keine realistische Möglichkeit, denn ein System der hier betrachteten Art besteht immer aus einer sehr großen Zahl von Komponenten, deren Zusammenwirken man nur erkennen könnte, indem man das System vollständig in seine Teile zerlegt und anschließend wieder zusammenbaut. Deshalb gibt es Pläne, die den Systemaufbau in genormter Form zeigen. Diese Pläne entstehen als Ergebnis der Entwurfsaktivitäten und müssen vorliegen, bevor mit der Systemrealisierung begonnen werden kann. Das ist der Grund, weshalb Systeme ohne Interpretationsnotwendigkeit kommunikativ so effizient beherrscht werden. – - –
mehr online…
Aktuelle Kommentare