Eigentümliche Betrachtungen – Editorial 0219

„Eigen­tum und das Erbrecht werden gewähr­leis­tet.“ Das ist der erste Satz im § 14 des Grund­ge­set­zes für die Bundes­re­pu­blik Deutschland.
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„Eigen­tum ist Dieb­stahl.“, sagte Pierre Joseph Proudhon 1840 und beschwor dadurch einen aus Frank­reich ausge­hen­den Skan­dal herauf. Ricar­dos Lehre vom „Wert“: „Der Wert jeder Ware wird bestimmt einzig und allein durch die zu ihrer Produk­ti­on erfor­der­li­che Arbeits­men­ge.“, bedeu­te­te für Proudhon und viele Sozia­lis­ten, dass es keiner­lei Spiel­raum für Einkünf­te außer­halb des Arbeits­pro­zes­ses geben könne, nament­lich keine Kapi­tal­ren­di­ten, Boden­ren­ten oder Zins­ein­nah­men. Die Logik dahin­ter gipfel­te in der Auffas­sung, wonach den gerech­ten Arbeits­löh­nen abge­zweig­te Kapi­tal­ein­künf­te bei den Arbei­ten­den dazu führen, dass sie die selbst produ­zier­ten Güter nicht kaufen könn­ten. Die Provo­ka­ti­on Proudhons gelang. Ebenso zog er den Hass von Sozia­lis­ten auf sich, wie beispiels­wei­se Marx, der in Bezug auf den Kampf gegen die Kapi­ta­lis­ten wesent­lich revo­lu­tio­nä­rer auftrat. Heut­zu­ta­ge wird erkannt, wie es durch die privi­le­gier­te Macht­stel­lung von Bezie­hern der arbeits­lo­sen Einkom­men zu einer im Laufe der Zeit immer unge­rech­te­ren Vertei­lung von Geld­ver­mö­gen kommt. Unge­ach­tet dessen werden der Kapi­ta­lis­mus und mit ihm der Kapi­ta­list nicht diffe­ren­ziert genug betrach­tet. Weder wird der Kapi­ta­lis­mus eindeu­tig von der Markt­wirt­schaft abge­grenzt, noch der Kapi­ta­list vom täti­gen Unter­neh­mer. Mit pauscha­lie­ren­den Urtei­len getra­gen von vorge­fass­ten Meinun­gen werden Kapi­ta­lis­mus und Markt­wirt­schaft in einen Topf gewor­fen. Linke Poli­tik im 21. Jahr­hun­dert ist nach wie vor von Enteig­nungs­fan­ta­sien beseelt, wenn­gleich sie nicht mehr in die Zeit passen und darum unter dem Teppich gehal­ten werden. Statt­des­sen propa­giert man Maßnah­men, mit Hilfe von Steu­ern, das angeb­lich zu Unrecht ange­eig­ne­te, in die Staats­kas­se zu holen. Das Eigen­tum und seine unum­stöß­li­che Stel­lung als funda­men­ta­le Voraus­set­zung des Wirt­schaf­tens verlan­gen eine genaue­re Betrach­tung. Kann man heute noch allen Erns­tes Enteig­nun­gen zuguns­ten eines wie auch immer konzi­pier­ten Macht­kon­strukts wollen? Falls es ohne Eigen­tum nicht geht: Muss man zwangs­läu­fig die Auswir­kun­gen, die es mit sich bringt taten­los hinnehmen?
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„Eigen­tum verpflich­tet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allge­mein­heit dienen.“ Das ist Satz 2 des § 14 GG. Es stellt sich sogleich die Frage: Wozu könnte Eigen­tum den Einzel­nen verpflich­ten? Liegt es im Ermes­sen der Indi­vi­du­en, wie das Wohl der Allge­mein­heit bedacht wird? Handelt es sich um einen Appell zu Ethik und Moral? Die Maxi­men, die das Grund­ge­setz vorgibt, werden von unend­lich vielen Einzel­ge­set­zen flan­kiert, aus deren komple­xem Gefüge sich Gerech­tig­keit einstel­len sollte, dass dem Grund­satz genüge tut. Während das Eigen­tums­recht einklag­bar ist, fehlen die Mittel, wie die Verpflich­tung für das Allge­mein­wohl kontrol­liert und sank­tio­niert werden können. Welche Formen von Eigen­tum sind bedenk­lich und bedurf­ten genaue­rer Betrach­tung? Das Eigen­tum an beweg­li­chen Sachen, deren Herstel­lung problem­los erbracht werden kann eher nicht. Aber wie sieht es mit den lebens­not­wen­di­gen Dingen aus, wie Grund und Boden, den natür­li­chen Ressour­cen und den Einrich­tun­gen des tägli­chen Lebens, die alle brau­chen, um ein menschen­wür­di­ges Dasein zu führen? (Mobi­li­tät, Ener­gie, Wasser und Luft, Kultur, Gesund­heits­we­sen, Kommu­ni­ka­ti­on, Medien und Macht über eigene Daten). Das Grund­ge­setz gibt einen entschei­den­den Hinweis. Es spricht vom Gebrauch des Eigen­tums. Nur dessen Nutzung ergibt gesell­schaft­li­chen Sinn. Nutzen heißt, es mit Leis­tung anrei­chern und das Ergeb­nis anbie­ten, es bereit­stel­len. Darin steckt ein sozia­les Element, Arbeits­leis­tung, die entlohnt sein will und muss. Was aber geschieht, wenn das Eigen­tum auf natür­li­che oder künst­li­che Weise verknappt ist? Die Knapp­heit beim Grund und Boden ist einleuch­tend. Auf künst­li­che Verknap­pung tref­fen wir bei Paten­ten, Urhe­ber­fra­gen oder beim Geld­sys­tem. Künst­lich, weil die Knapp­heit durch ein Gesetz oder ein Recht hoheit­lich herge­stellt wird. Das Poten­zi­al zur Unge­rech­tig­keit steckt in der nicht vorhan­de­nen recht­li­chen Tren­nung von ökono­mi­schem und verwal­ten­dem Nutzen. Das macht den Eigen­tü­mer zu einer Art Türste­her, der nur Zugang gewährt, wenn Eintritts­geld für ein „Lokal“ bezahlt wird, dessen Zweck­dien­lich­keit und Anzie­hungs­kraft er nicht erzeugt hat. Eigen­tum ist im nicht ausdif­fe­ren­zier­ten Fall nicht nur die recht­li­che Über­tra­gung einer Obhut und damit der Verant­wor­tung, sondern auch die Hinga­be der ökono­mi­schen Nutzung des Eigen­tums. Wert­stei­ge­run­gen von Grund Boden sind in aller Regel nicht auf die Leis­tung eines Einzel­nen zurück­zu­füh­ren, statt­des­sen Ergeb­nis der Gemein­schafts­leis­tung einer Stadt oder Region. Im prak­ti­zier­ten Eigen­tums­recht werden mone­tä­re Gewin­ne priva­ti­siert und die Kosten, die diese ermög­lich­ten, sozia­li­siert. Isoliert betrach­tet ein profa­ner Zusam­men­hang. Aber einer, dessen in ihm stecken­des Unge­rech­tig­keits­po­ten­zi­al besei­tigt werden könnte, und zwar ohne, dass man Hand ans Eigen­tum legen muss. Die in Geset­zes­form gepack­ten Privi­le­gi­en ließen sich derart anpas­sen, dass sowohl dem Grund­ge­setz als auch den Leis­tungs­be­rei­ten genüge getan wäre. Zu diesem Zweck braucht es neben poli­ti­schem Willen der genau­en Fokus­sie­rung auf das wahr­haf­ti­ge Problem anstatt auf dessen Symptome.
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