Demokratie als Lebensart – Editorial
Zahlreicher und komplexer werdende gesellschaftliche und ökologische Probleme lassen sich mit grundlegenden Fragen zu Geld, Wirtschaft und Wachstum verbinden. Alles wiederum steht im Zusammenhang mit dem politischen System und der Beschaffenheit der Demokratie. Die Verquickung politischer Entscheidungen und einflussreicher materieller Interessen ist mittlerweile ein offenes Geheimnis. Eine Normalität, gegen die anzukämpfen immer aussichtsloser zu werden scheint, selbst in regionalen Beziehungen, wie Stadt- und Gemeinderäten. Die jedem Zweifel erhabene Notwendigkeit von Arbeitsplatzerhalt und ‑neuschaffung, sowie des Wachstums als unerlässliche Bedingung dafür, umgrenzen den Raum, innerhalb dem über zukünftige Wege entschieden werden kann. Und die Luft zum Atmen in dieser Atmosphäre liefert das renditesuchende Kapital. Wer politisch nicht ersticken will, tut also gut daran, Türen und Fenster für Renditeinteressen vertretende Lobbyisten geöffnet zu halten. Politik, Kapitalrendite, Demokratie, Gesetze, Wirtschaftsinteressen u.v.m. sind die Komponenten im Schmelztiegel unserer Zeit. Die daraus entstandenen Legierungen sind eine direkte Folge des Zusammenspiels der Zutaten und ihren ordnungsgebenden, menschlichen Köpfen entsprungenen Konzepten. Die Erkenntnis des Entstehungsprozesses eines Ergebnisses hilft nicht viel, wenn man weiß, dass der Entwicklungsverlauf samt Auswirkung irreversibel ist. Nur grundsätzliches Infragestellen und radikale Neuentwicklungen von Systemen führen zu anderen Resultaten
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Joseph Beuys wäre 2021 100 Jahre alt geworden. Demokratiefragen spielten eine herausragende Rolle in seinem Leben und Schaffen. 1971 gründete er zusammen mit seinem Meisterschüler Johannes Stüttgen die „Organisation für Direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. Beuys sah die Notwendigkeit für alle Menschen, Demokratie als stets zu wiederholende Übung, als Aufgabe und Lebensart zu begreifen. Mit einer offenen, auf Kreativität, Partizipation und Kommunikation beruhenden Einstellung, ließe sich der Weg einer lebendigen Gesellschaft gehen. In einem Gespräch, das Joseph Beuys mit Michael Ende im Februar 1985 über Kunst und Politik führte, erläuterte er seine Auffassung, wonach Geld in erster Linie im Rechtsbereich und nicht im Wirtschaftsleben angesiedelt sein müsse. Erkenne man im Geld ein demokratisch gestaltbares Rechtsdokument wäre ein ökologischer Geldkreislauf möglich. Obwohl entscheidendes Mittel des Wirtschaftsverkehrs, entzieht sich Geld im bestehenden System der demokratischen Einflussnahme durch den Souverän. Fataler noch. Beuys sah im negativen Wirken von Geld gar den Beweis für das Unterlaufen aller demokratischen Prozesse.
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Aus dieser Gemengelage heraus entstand bei uns der Wunsch, Sie mit dieser Ausgabe der HUMANEN WIRTSCHAFT einmal mit Analysen und Lösungen zu diesem Themenkreis kompakt vertraut zu machen. Denn es mangelt nicht an Ideen, Konzepten oder sogar praktischen Umsetzungen für moderne Formen von Demokratie!
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Lassen Sie sich ein auf eine Mischung von Aufsätzen zum Thema ein, die ihnen revolutionär, übertrieben, utopisch, ja vielleicht sogar widersprüchlich erscheint. Hinter jedem dieser Texte stecken die Erfahrungen und das Wissen von Autorinnen und Autoren, die ihre gewachsenen Sichtweisen und Ideen darin verarbeiten. Ihr Befassen mit der Materie gab ihnen Orientierung. Und indem wir unseren Leserinnen und Lesern diese heterogene Textsammlung zumuten, die keine klaren Ziele offenbart, wollen wir bezwecken, dass sich in Ihrer ureigenen Auseinandersetzung mit diesem bedeutenden Thema Zielvorstellungen entwickeln, die Sie für erstrebenswert halten. Und wenn in Ihnen dann auch noch der unbändige Wille entsteht, aktiv Einfluss zu nehmen, können für unvorstellbar gehaltene Ziele erreicht werden. Wir müssen die Demokratie lebendig halten, indem wir sie in ihrer vorherrschenden Form unablässig hinterfragen und nie aufhören, an ihr zu arbeiten. Und wir alle sind aufgerufen, uns einzubringen und kreativer und aktiver Teil dieser „sozialen Plastik“ zu werden. Nur indem wir selbst bewusst mitgestaltend auf die Gesellschaft einwirken, kann sich grundlegend Neues entwickeln. Als Zuschauer, der sich demokratisch eingebunden fühlt, weil man alle vier Jahre ein Blatt Papier in eine Wahlurne werfen darf, bleibt man unbeteiligt und muss protestierend oder klaglos erdulden, was die bestehenden Verhältnisse für einen vorgesehen haben.
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Das bisherige Wirtschaften brachte uns an einen Punkt, der zwingend erfordert, überkommene Handlungsweisen und Systemgrundlagen anzuzweifeln. Selbst menschliche Kreativität für neuartige Lösungen ist dem Diktat von Effizienz und gewinnbringender Vermarktung unterworfen. Die Halbwertszeit des Neuen wird im sich beschleunigenden Rennen um Innovationen ständig reduziert. Der rennende Achilles verschleißt alle schöpferischen Potenziale und kann die „Schildkröte“ Zufriedenheit und Glück dennoch nie erreichen. Das kann nur gelingen, wenn man das systemische Gesamtpaket untersucht und erkennt, dass weder die Bedingungen noch die Regeln dieses Wettlaufs auf Dauer sinnvoll sind. Unser demokratisches System legitimiert das im Wirtschaften steckende Zerstörerische. Deshalb ist es nicht hinreichend, wenn die theoretischen Fehler des Wirtschaftssystems aufgedeckt werden. Deren Schutz im alten Gesamtsystem und damit die geringe Wahrscheinlichkeit, dass wir sie überwinden können, ist in einen politischen Organismus eingepflanzt. Die beiden müssen als Einheit erkannt und behandelt werden. Deshalb gilt: Geld und Bodenreformen haben bessere Aussichten auf Erfolg, wenn sie Demokratiereformen einschließen.
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Vorschläge und Ideen, wie diese aussehen können, gibt es zuhauf. Tauchen Sie ein in deren abenteuerliche Welt.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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