Aus den Fugen geraten – Editorial 01/2018
Erlassene Gesetze sind wie zu Papier gebrachte Noten eines Komponisten. Das Verfassen war Ergebnis menschlicher Überlegungen und verfolgte einen Zweck. Beschriebene Notenblätter sind nicht die Musik. Gesetzestexte nicht deren Anwendung. Zu der Zeit von Johann Sebastian Bach gab es keine Missverständnisse zwischen Komponist und Interpret, weil sie in der Regel identisch waren. Mit dem Aufkommen unterschiedlicher Stile begann eine neue Ära. „Die Kunst der Fuge“, Bachs letztes Werk, für vier Stimmen geschrieben, enthält keinerlei Instrumentierungsanweisungen. Unzählige Legenden wabern um die Deutung dieser Eigenart. Komponierte er es für eine Idealbesetzung der Zukunft? Eine Offenheit, die im Laufe der Zeit zu einer Vielfalt an Interpretationen führte. Das Saxophon, das man erst 100 Jahre nach seinem Tod entwickelte, war wie für die Fuge geschaffen, denn die Saxophonfamilie besteht aus vier Stimmlagen. Der Tonkünstler Bach war ein Visionär. Das polyphone Zusammenwirken der verschiedenen Saxophonarten war unvorhersehbar und begeistert bis heute die Interpreten. Friedemann Graef vom Berliner Saxophon Quartett beschrieb 1990 das künstlerische Bemühen, eine Balance zwischen der individuellen Gestaltung der Einzelstimmen und einer gemeinsamen Artikulation und Dynamik zu finden: „Die Gleichberechtigung aller Stimmen in den Fugen bringt somit einen ‚sozialen’ Aspekt in die Ensemblearbeit“.
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Bachs Noten lösten unzählige Interpretationen vieler Musikrichtungen aus. Ganz zu schweigen von Büchern, die seine unergründlichen Intentionen interpretierend geschrieben wurden. Regelmäßig schlage ich meine Ausgabe des „Gödel, Escher, Bach – Ein Endloses Geflochtenes Band“ von Douglas Hofstadter auf, die ich seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung im Jahr 1985 besitze. Jedes Mal erstaunt mich die darin steckende visionäre Kraft, zum Beispiel im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen zum Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Wie der Titel andeutet, unter maßgeblicher Beteiligung Johann Sebastian Bachs. Seine Fuge stellt eine kulturelle Meisterleistung dar, die für Millionen von Menschen auf der Welt – über Grenzen hinweg – identitätsbildend wirkte.
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Wo ist der Zusammenhang zu Gesetzen? „Das Ensemble“ Gesellschaft macht aus den »Noten« der Legislativen das zur Aufführung gelangende Stück. Wenn das, was bei dessen Interpretation herauskommt aber statt eines ausbalancierten sozialen Gemeinschaftsprodukts als Ergebnis Ungleichheit und Gegeneinanderwirken hervorbringt, stellt sich die Frage, woran es liegt? Im Unterschied zum Nichtgefallen eines Musikstücks, ist ein Gesetz, das einem nicht passt nichts, was man problemlos aus seinem Leben verbannen kann. Wenn erkennbar wird, dass dessen Umsetzung mehr Schaden anrichtet, als es identitätsstiftend ist, muss man spätestens aufhören, die Interpreten zu beschimpfen und das Gesetz entsorgen. Wie viele Kompositionen – auch von Bach – landeten wohl im Papierkorb?
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In die Ablage „Mülleimer“ gehört das Gesetz, das die Grundsteuer in Deutschland regelt. Sozialer Zusammenhalt und Identität geraten erst heute in den gebührenden Fokus der Gemeinschaft. Spaltung und Isolation sind Gift für eine Welt, die nur gemeinsam existieren oder untergehen kann. Grund und Boden braucht jeder Mensch zum Leben. Er findet ihn bei Geburt verteilt vor und muss den Anspruch, ihn nutzen zu dürfen von den vorhandenen Eigentümern „abkaufen“. Die Bodenpreise entwickelten sich zu einer immer teureren, praktisch unbezahlbaren Angelegenheit für einen größer werdenden Teil der Bevölkerung. Das bestehende Gesetz trennt weder Grundstück und Gebäude, noch hat es die Nutzung des Grund und Bodens im Blick. Das öffnet einer Form der Spekulation Tür und Tor, die gesellschaftliche Gräben aufreißt und vertieft. Eine Minderheit Privilegierter kann auf gesellschaftszerstörerische Weise eine Mehrheit ausbeuten.
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Es scheint, als kippte das Bundesverfassungsgericht das bestehende Gesetz. (Bei Drucklegung stand das Ergebnis noch nicht fest, deutete sich aber an). Bei der richterlichen Entscheidung spielten die bisherigen negativen Auswirkungen keine Rolle. Vielmehr ging es um eine nicht vorgenommene laufende Anpassung, deren Unterlassung im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Der für die Gesellschaft günstige Umstand, dass diese Anpassung nur mit immensem Aufwand leistbar ist, könnte dazu führen, dass eine Gesetzesänderung erfolgen muss, die nicht nur das akute Problem im Hinblick auf das Grundgesetz löst, sondern auch das weitaus mehr Schaden anrichtende, welches vom uneingeschränkten Eigentum an Grund und Boden ausgeht.
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Es sieht danach aus, als würde eine grundlegende Problematik der Neuzeit an der Wurzel gepackt. Es könnte ein entscheidender Schritt sein hin zu einem „Gesellschaftsensemble“ mit größerer Sensibilität für die soziale Balance. Das wiederum würde es allen Teilen der Gesellschaft erlauben, Freude am Leben zu haben.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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Bachs Noten lösten unzählige Interpretationen vieler Musikrichtungen aus. Ganz zu schweigen von Büchern, die seine unergründlichen Intentionen interpretierend geschrieben wurden. Regelmäßig schlage ich meine Ausgabe des „Gödel, Escher, Bach – Ein Endloses Geflochtenes Band“ von Douglas Hofstadter auf, die ich seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung im Jahr 1985 besitze. Jedes Mal erstaunt mich die darin steckende visionäre Kraft, zum Beispiel im Zusammenhang mit aktuellen Diskussionen zum Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Wie der Titel andeutet, unter maßgeblicher Beteiligung Johann Sebastian Bachs. Seine Fuge stellt eine kulturelle Meisterleistung dar, die für Millionen von Menschen auf der Welt – über Grenzen hinweg – identitätsbildend wirkte.
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Wo ist der Zusammenhang zu Gesetzen? „Das Ensemble“ Gesellschaft macht aus den »Noten« der Legislativen das zur Aufführung gelangende Stück. Wenn das, was bei dessen Interpretation herauskommt aber statt eines ausbalancierten sozialen Gemeinschaftsprodukts als Ergebnis Ungleichheit und Gegeneinanderwirken hervorbringt, stellt sich die Frage, woran es liegt? Im Unterschied zum Nichtgefallen eines Musikstücks, ist ein Gesetz, das einem nicht passt nichts, was man problemlos aus seinem Leben verbannen kann. Wenn erkennbar wird, dass dessen Umsetzung mehr Schaden anrichtet, als es identitätsstiftend ist, muss man spätestens aufhören, die Interpreten zu beschimpfen und das Gesetz entsorgen. Wie viele Kompositionen – auch von Bach – landeten wohl im Papierkorb?
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In die Ablage „Mülleimer“ gehört das Gesetz, das die Grundsteuer in Deutschland regelt. Sozialer Zusammenhalt und Identität geraten erst heute in den gebührenden Fokus der Gemeinschaft. Spaltung und Isolation sind Gift für eine Welt, die nur gemeinsam existieren oder untergehen kann. Grund und Boden braucht jeder Mensch zum Leben. Er findet ihn bei Geburt verteilt vor und muss den Anspruch, ihn nutzen zu dürfen von den vorhandenen Eigentümern „abkaufen“. Die Bodenpreise entwickelten sich zu einer immer teureren, praktisch unbezahlbaren Angelegenheit für einen größer werdenden Teil der Bevölkerung. Das bestehende Gesetz trennt weder Grundstück und Gebäude, noch hat es die Nutzung des Grund und Bodens im Blick. Das öffnet einer Form der Spekulation Tür und Tor, die gesellschaftliche Gräben aufreißt und vertieft. Eine Minderheit Privilegierter kann auf gesellschaftszerstörerische Weise eine Mehrheit ausbeuten.
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Es scheint, als kippte das Bundesverfassungsgericht das bestehende Gesetz. (Bei Drucklegung stand das Ergebnis noch nicht fest, deutete sich aber an). Bei der richterlichen Entscheidung spielten die bisherigen negativen Auswirkungen keine Rolle. Vielmehr ging es um eine nicht vorgenommene laufende Anpassung, deren Unterlassung im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Der für die Gesellschaft günstige Umstand, dass diese Anpassung nur mit immensem Aufwand leistbar ist, könnte dazu führen, dass eine Gesetzesänderung erfolgen muss, die nicht nur das akute Problem im Hinblick auf das Grundgesetz löst, sondern auch das weitaus mehr Schaden anrichtende, welches vom uneingeschränkten Eigentum an Grund und Boden ausgeht.
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Es sieht danach aus, als würde eine grundlegende Problematik der Neuzeit an der Wurzel gepackt. Es könnte ein entscheidender Schritt sein hin zu einem „Gesellschaftsensemble“ mit größerer Sensibilität für die soziale Balance. Das wiederum würde es allen Teilen der Gesellschaft erlauben, Freude am Leben zu haben.
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Herzlich grüßt Ihr Andreas Bangemann
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