Als Finanzminister hatte ich Hunger – als Mönch bin ich satt
Nach dem Ersten Weltkrieg ging aus der deutschen Novemberrevolution im April 1919 die Münchener Räterepublik hervor. Schon nach wenigen Wochen wurde sie von deutschen Regierungstruppen blutig niedergeschlagen.
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Aus dem Geleitwort zu Band 12 der Gesammelten Werke Silvio Gesells
Am 9. Juli 1919 sprach das Standgericht ihn, Theophil Christen und Karl Polenske von der Anklage des Hochverrats frei. Die Verteidigung hatte der Rechtsanwalt Dr. Gundelwein übernommen, auf dessen Anraten Gesells Verteidigungsrede nicht vor Gericht gehalten wurde. Sie erschien zusammen mit dem Verhandlungsbericht in der Broschüre „Die Freiwirtschaft vor Gericht“ von Richard Hoffmann. Rolf Engert hat weitere Einzelheiten der Verhandlung und der voraufgegangenen Haftzeit überliefert. [Richard Hoffmann, Die Freiwirtschaft vor Gericht, Erfurt 1920. Rolf Engert, Silvio Gesell in München 1919, Hann.-Mu¨nden 1986.] Im Staatsarchiv München ist zudem die Prozessakte erhalten geblieben. –
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Zitate aus der Verteidigungsrede Silvio Gesells:
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Meine Stellung zum Staat, soweit sie Bezug hat zur Anklage wegen Hochverrats, ist folgende: Ich erkenne ohne weiteres jede Macht an, die mich in den Straßen der Hauptstadt verhaften kann, mich mit Revolvern und Gewehrkolben bedroht, die das Volk zu Gewalttaten gegen mich aufhetzt, die es duldet, daß man mich mißhandelt, bespuckt, beschimpft, und die mich sodann einkerkert.
Solche Macht ist für mich unbedingt gültig und bleibt es solange, bis eine andere Macht mich mit Handgranaten und Minen oder sonstwie befreit.
Der König ist tot, hurra! So lebe der König!
Weil das meine Ansicht über die Rechtmäßigkeit einer Regierung ist, konnte ich am 7. April, als ich mit der Ernennung zum Volksbeauftragten überrascht wurde, mir sagen: So weit ich sehe, um mich herum, liegt die Macht in den Händen der Ra¨teregierung. Möglich daß diese Regierung heute abend schon durch eine andere ersetzt wird. Das kostet ja nicht viel, es geht ja so unblutig, ich möchte sagen gemütlich zu. Ein Leutnant und zehn Mann würden allem Anschein nach genügen.
Die urstoffma¨ßige Unordnung ist zu groß, als daß das Regierende sich zu dem nötigen Kraftwirbel verdichten und der Regierung Richtung und Arbeitsziel vorschreiben könnte. Außerdem drängt die Zeit zu Taten.
Als ich mich am 7. abends ins Wittelsbacher Palais begab – es war das erste Mal –, um nach Herrn Niekisch zu fragen, wußte ich nicht, daß etwas Besonderes geschehen sei. Niekisch sagte mir, er habe mich für die Finanzen vorgeschlagen, und ich nahm die Wahl an. Gleichzeitig teilte er mir mit, daß Landauer, der meine Bestrebungen kannte und von dessen Anwesenheit ich erst jetzt etwas erfuhr, die Wahl unterstütze.
Warum nahm ich die Wahl an? Sehnte ich mich nach dem Posten? Was konnte er mir bieten! Volksbeauftragter einer Räteregierung zu sein, deren Ziel wahrscheinlich meinen Bestrebungen geradewegs widersprach. Auf alle Fälle: Es war weder Sehnsucht nach der Bu¨roluft, noch die Hoffnung auf Lohn. Diesen habe ich nicht nötig, und die Rolle, die ich in der Freiland-Freigeld-Bewegung spiele, scheint mir unendlich viel wichtiger als die eines von der Partei beherrschten kleinen Ministers. Im Deutschen Freiland-Freigeld-Bund wird nicht geflickt; dort arbeitet man an den Grundquadern des gewaltigsten Werkes aller Zeiten, und alle, die wir da arbeiten, sind uns dessen voll bewußt. Der Finanzminister Bayerns ist ein gar kleiner Mann, verglichen mit dem geringsten Maurergesellen an unserem Freiland- Freigeld-Dome.
Ein Gemisch von vielen Trieben bewog mich anzunehmen. Als „provisorisch“ war ich ernannt, und als vorläufige Aufgabe betrachtete ich das Amt. Erstens hatte ich Wichtigeres zu tun, und dann war es mir unklar, in welche Richtung nun die Regierung durch die sogenannten souveränen Massen gedrängt werden würde. Immerhin, ich fühlte mich stark, sofern man mich arbeiten ließ, um in kurzer Zeit und in großen Zügen den Plan zur Neuordnung der bayrischen Finanzen zu entwerfen und so ein Muster für alle deutschen Bundesstaaten wie auch für die Reichsfinanzen zu schaffen. Außergewöhnliche Aufgaben waren zu erfüllen. Mit den bekannten Mitteln, mit Zigarettensteuern und dergleichen kam man da nicht aus. Die Ausgaben waren verzwanzigfacht, die Währung vollkommen verpfuscht, alle Warenpreise durch die Blockade und die Ho¨chstpreispolitik aus ihrer natürlichen Rangordnung gerissen. Für die Entente müssen Auslandswerte, Devisen, viele Milliarden, aufgetrieben werden ohne Gegenleistung. Die Kriegsanleihen müssen verzinst werden. Der Zinsfuß stieg, und eine weitere starke Steigerung ist zu erwarten. Das bedeutet einen Kursrückgang aller festverzinslichen Papiere, der Kriegsanleihen, in denen die Aktiven der Banken der kleineren Gewerbetreibenden angelegt sind. Diese 200 Milliarden kann man getrost als schwimmend betrachten. In Berlin, von der Reichsbank, war nichts Gutes zu erwarten: dort lebt man noch ganz im Goldwahn, der von den Geldfu¨rsten genährt wird. Dort hat man noch nichts gelernt. Der mit dem Goldwahn zusammenhängende Plan eines Abbaues der Papiergeldflut, der Inflation, und zwar eines langsamen, allmählichen Abbaues, auf den Havenstein sich immer noch, wie es scheint, etwas einbildet, steht noch unerschüttert vor der Gesamtheit der Gewerbetreibenden. Dieser Abbau aber bedeutet m. E. die wirtschaftliche Not, die wirtschaftliche Eiszeit, – unser aller Untergang. Dagegen mußte angekämpft werden wie gegen die Pest.
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