Phänomen Massenmigration

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Über unver­blüm­ten Wirt­schafts­na­tio­na­lis­mus und die Para­do­xien der Migrationsdebatte
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Seit 25 Jahren wird die Globa­li­sie­rung kriti­siert, unter ande­ren von mir. Vor allem, weil sie die Viel­falt von Natur und Kultur zerstört. Viel­falt ist eine Frage der Dimen­si­on. Nicht der globa­le Einheits­brei mit dem punk­tu­ell über­all glei­chen Gemisch bedeu­tet Viel­falt, sondern die größt­mög­li­che Unver­wech­sel­bar­keit von Regio­nen, Land­schaf­ten, und zuge­hö­ri­gen Bauwei­sen. Wobei sich letz­te­re durch größt­mög­li­che Vermei­dung umwelt­schäd­li­cher Trans­por­te und weitest mögli­che Berück­sich­ti­gung regio­na­ler Mate­ria­li­en und Gege­ben­hei­ten auszeich­nen müss­ten. Weiter wurde beschrie­ben, wie die Globa­li­sie­rung vor allem durch ein inter­na­tio­na­les Meinungs­kar­tell aus Kapi­tal­märk­ten, Partei­en, Gewerk­schaf­ten, Stif­tun­gen, Thinktanks, Main­stream- und Insti­tuts­öko­no­men, Welt­wirt­schafts­fo­rum, Leit­me­di­en und Life­style-Prot­ago­nis­ten betrie­ben wird. Immer zuguns­ten der Kapi­tal­sei­te und immer zulas­ten von Umwelt und Bevöl­ke­run­gen, den soge­nann­ten „Globa­li­sie­rungs-Verlie­rern“ (Lit.). Meine Texte wurden meist als zu links kriti­siert. Heute hat die Rechte zumin­dest die These vom „Meinungs­kar­tell der Eliten“ über­nom­men. Wie kommt das?

Die Kate­go­rien rechts und links seien über­holt, hieß es spätes­tens seit Gerhard Schrö­ders abfäl­li­gen Satz über die „Gesäß­geo­gra­phie“. Der alte Sprach­ge­brauch, wonach links gleich progres­siv und rechts gleich konser­va­tiv sei, war sowie­so schon immer proble­ma­tisch. Wenn der Zeit­geist restau­ra­tiv ist und die Welt sich rück­wärts dreht, ist der Konser­va­ti­ve, der sich nach alten, fort­schritt­li­che­ren Zeiten zurück­sehnt, unter Umstän­den der Progres­si­ve­re. Und umge­kehrt. Ähnlich war es mit den Begrif­fen „bevöl­ke­rungs­li­be­ral“ und „wirt­schafts­li­be­ral“. In der Bonner Repu­blik war dieser Gegen­satz gerin­ger als heute. Hamm-Brücher und von Lamb­s­dorff konn­ten in der glei­chen Partei sein. Heute sind beides Gegen­sät­ze. Daran wäre die FDP fast kaputt gegangen.

Dennoch erklä­ren diese direk­ten Der Sozio­lo­ge Andre­as Reck­witz glaubt heute, an die Stelle von rechts/links sei der Gegen­satz zwischen „Kosmo­po­li­ten und Kommu­ni­ta­ri­ern“ getre­ten. Früher war das alles einmal – wie so manches – klarer: Links war, wer Refor­men zuguns­ten der Schwa­chen und Benach­tei­lig­ten wollte. Rechts war, wer Privi­le­gier­te begüns­ti­gen wollte, (weil er glaub­te, sie seien der Motor des Fort­schritts) und das dann als „Reform“ auszu­ge­ben versuch­te. Und die Mitte war und ist da, wo man sich weder für Arme noch für Reiche einsetz­te, sondern einfach glaub­te, wenn nur das Primat der Wirt­schaft gelte, sei das gut für alle.

Mitte ist beque­mer Mittel­stand. Er bröckelt von Wahl zu Wahl. Nicht nur, weil die Konzen­tra­ti­ons­me­cha­nis­men des Kapi­tals global und natio­nal immer mehr Super­rei­che und Super­ar­me produ­zie­ren, sondern auch, weil er die Dimen­si­on noch nicht begrif­fen hat, in der sich die Super­rei­chen auch seinen Wohl­stand aneig­nen. Letz­ten Endes zu Lasten der Zukunft unse­res Globus.

Es ist unsin­nig, anzu­neh­men, dass die Ungleich­ver­tei­lung von Vermö­gen, Einkom­men und Arbeit auf dem Weg über die Globa­li­sie­rung über­wun­den werden kann. Globa­le Beweg­lich­keit und Orga­ni­sier­bar­keit ist eine Urei­gen­schaft des Kapi­tals und nicht der Bevöl­ke­run­gen. Mobi­li­tät von Bevöl­ke­run­gen war und ist vor allem wirt­schaft­lich erzwun­ge­nen Massen­mi­gra­ti­on. Heute ist sie zumeist Absicht und Folge des allzu beweg­li­chen Kapi­tals. Man muss deshalb unter­schei­den zwischen einem unso­li­da­ri­schen Natio­na­lis­mus, der sich gegen die jeweils ande­ren Länder rich­tet, und einem soli­da­ri­schen, der sich gegen die Über­macht und die Auswüch­se des globa­len Kapi­tals wendet. Der erste wird unter dem Mäntel­chen eines prin­zi­pi­ell unso­li­da­ri­schen Wett­be­werbs durch den neoli­be­ra­len Wirt­schafts­na­tio­na­lis­mus verkör­pert. Das Kapi­tal kann jedoch nur mit dem letz­te­ren zur Vernunft gebracht werden, solan­ge die sich ihm unter­wer­fen­den Regie­run­gen eben­falls natio­nal agie­ren. Ein solcher soli­da­ri­scher Natio­na­lis­mus würde den alten Rechts-Links-Gegen­satz aufheben.

In der Migra­ti­ons-Debat­te gehen nicht nur die alten Rechts-Links-Koor­di­na­ten durch­ein­an­der, sondern auch vieles andere. Vor allem irri­tiert, dass Kriegs- und poli­tisch Verfolg­te mit Wirt­schafts­flücht­lin­gen und Arbeits­mi­gran­ten beharr­lich in einen Topf gewor­fen werden. Erste­ren Asyl zu gewäh­ren, wird von Grund­ge­setz und Genfer Flücht­lings­kon­ven­ti­on gefor­dert und ist darüber hinaus gewis­ser­ma­ßen Ehren­sa­che. Nun behaup­tet die Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rin sogar, der Migra­ti­ons­pakt und sein Prin­zip „Regu­lä­re Migra­ti­on fördern“ gelte ausdrück­lich nur für Wirt­schafts- und Arbeits­mi­gran­ten. Flücht­lin­ge seien dage­gen Gegen­stand des noch in Arbeit befind­li­chen UN-Flücht­lings­pakts (s. Zitat Nr. 3). Sie verwech­selt da wohl Massen­mi­gra­ti­on mit Indi­vi­du­al­rei­sen der Eliten. Auch zwei Drit­tel der vermeint­lich anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Links­par­tei wollen offene Gren­zen „für alle“, also ausdrück­lich auch für Wirtschafts‑, Arbeits­mi­gran­ten und Fach­kräf­te. Ob sie noch nicht gemerkt haben, dass diese Enteig­nung und Schwä­chung der ärme­ren Herkunfts­län­der genau im Inter­es­se des Konzern-Kapi­tals ist (s. Zitat Nr. 12)? Dessen Inter­es­se ist unver­blüm­ter Wirt­schafts­na­tio­na­lis­mus. D. h. unter dem Begriff „Globa­li­sie­rung“ allen Schrott der Welt möglichst im eige­nen Land herstel­len. Möglichst hoher Trans­port­auf­wand und möglichst nega­ti­ve Handels­bi­lan­zen und Arbeits­lo­sig­keit für die jeweils ande­ren. Alles zu Lasten von Umwelt Klima und künf­ti­gen Gene­ra­tio­nen. Letz­te­res hat offen­bar nicht einmal unsere Öko-Partei erkannt. Sie fordert fröh­lich in einem der dicht­be­sie­dels­ten Länder: Stopp des Land­schafts­fra­ßes, bezahl­ba­re Mieten und offene Gren­zen für alle. Alles gleich­zei­tig. Das Boot sei noch nicht voll. Ob das wohl funktioniert?

„Was lässt sich aus der Einwan­de­rung in die USA“ im 19.Jahrhundert heute „für Deutsch­land lernen?“ fragte der SPIEGEL 4018 in einer Über­schrift auf S. 46. Meine Antwort: Dass Deutsch­land heute 72-mal so dicht besie­delt ist wie die USA damals, zehn Mal so dicht wie die USA heute, fünf Mal so dicht wie Schwe­den und doppelt so dicht wie Frank­reich. Von den welt­weit am dünns­ten besie­del­ten Ländern wie Kanada und Austra­li­en ganz zu schwei­gen. Über­le­gun­gen zu objek­ti­ven Krite­ri­en wie Besied­lungs­dich­te, bereits aufge­nom­me­ne Migran­ten, Ressour­cen­vor­kom­men, Sozi­al­pro­dukt usw. spie­len jedoch im Migra­ti­ons­pakt keiner­lei Rolle.
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