Absurde Unterstellungen – Pat Christ
Zu Unrecht wird die Waldorf-Bewegung in jüngster Zeit als „rechts“ geframet
– - -
Die Marke „Waldorf“ hat untrügliche Kennzeichen. Das betrifft allen voran die Unterrichtskultur in den Waldorf-Schulen. Gelernt wird ganzheitlich. Ästhetisch-künstlerisch. Werteorientiert. Das klingt gut. Das klingt nach dem, was wir heute bräuchten. Dennoch steht Waldorf mehr denn je am Pranger. Der anthroposophischen Bewegung wird mit Blick auf ihren Gründer Rechtslastigkeit vorgeworfen. Das ist irritierend. Wobei man mit eben dieser Unterstellung dieser Tage rasch bei der Hand ist.
– - –
Es schadet nicht, zu wissen, wie viel drei im Quadrat ist. Ohne das Einmaleins kommt man ganz schlecht aus. Ohne das Alphabet im Grunde gar nicht. Doch Menschenbildung meint viel mehr. Da geht es nicht nur um Know-how. Lehrerinnen und Lehrer in Waldorf-Kitas und Waldorfschulen stellen sich bei jedem einzelnen Schüler die Frage: Wofür ist dieser junge Mensch begabt? Es geht ihnen in erster Linie darum, gute Voraussetzungen zu schaffen, damit sich ein Kind mit allen seinen Anlagen frei entfalten kann. Es geht um das, was im Kind ist. Was in ihm uranfänglich angelegt ist. Und nicht um das, was in das Kind hineinsoll.
– - –
Was nun war für Rudolf Steiner die eigentliche Triebfeder zu seinem pädagogischen Konzept? Alles begann damit, dass er als Hauslehrer für die vier Söhne der jüdischen Familien Specht aus Wien engagiert worden war. Otto, einer der Buben, war mit seinen elf Jahren das, was man heute einen „Schulverweigerer“ nennen würde. Er hatte einen Wasserkopf. Und man hielt ihn für dumm. Der junge Rudolf Steiner brauchte gerade einmal zwei Jahre, um Otto so weit zu bringen, dass er ins Gymnasium gehen konnte. „Ich musste den Zugang zu einer Seele finden, die sich zunächst wie in einem schlafähnlichen Zustande befand“, äußerte er später. Welch empathische Leistung!
– - –
Heute werden Rudolf Steiner, gelinde gesagt, verschrobene Ansichten unterstellt. Wenn man ihn nicht gleich als Rassisten anprangert. Er, der so segensreich in der jüdischen Familie Specht wirkte, gilt sogar als Antisemit. „Faktisch treffen die meisten Vorwürfe nicht zu“, verteidigt sich der Bund der Freien Waldorfschulen. Die Anthroposophie sei nicht rechtslastig: „Rudolf Steiner war kein Rassist und kein Antisemit. Die von ihm vertretene Geisteswissenschaft stellt sich in aller Konsequenz dem Forum der Wissenschaft. Seine esoterischen Aussagen erheben keinen Wahrheitsanspruch, sondern sind heuristisch als Annahmen zu verstehen.“
– - –
Kein Notendruck
– - –
In der Regelschule werden Kinder für die Klassenarbeit getrimmt. Für die nächste Klausur. Das nächste Extemporale. Der Notendruck ist enorm. Gute Noten, wird den Kindern eingebläut, seien wichtig. Gute Noten brächten vorwärts. Gute Noten beförderten an die Spitze. Wer gute Noten zu schreiben vermag, lernen die Kinder, befinde sich auf der Gewinnerseite.
– - –
Wie entsetzlich ist es, glaubt man all dies, dann am Ende durchs Abitur zu rasseln. Dass „gute Noten“, je nachdem, in welchem Licht man sie sieht, im Grunde nur von geringer Aussagekraft sind, spielt bis heute im Schulwesen nur eine untergeordnete Rolle. In Waldorfschulen hingegen gibt es kein Zensursystem. Das überzeugt viele Eltern. Darum steigt die Zahl der Waldorfschulen. 241 gab es im Schuljahr 2021⁄22 – ein neuer Höchststand. Der Anthroposophischen Gesellschaft gehören 12.000 Menschen an.
– - –
Nun ist es nicht so, dass ein Anthroposoph seinem Idol Rudolf Steiner blind nacheifern würde. Sachlich ernstzunehmende Kritik, so scharf und „pointenbemüht“ sie auch sein mag, wird laut dem Bund der Freien Waldorfschulen akzeptiert. Der Verein verweist beispielsweise auf Waldorfkritiker Heiner Ullrich. Für den ist die Anthroposophie nicht wissenschaftlich genug. Der ehemalige Mainzer Waldorfschüler findet weiter, dass Steiners Rassismus „vertuscht“ wird. Steiner sagte 1905 tatsächlich: „Die Bevölkerung, die man die kaukasische Rasse nennt, stellt die eigentliche Kulturrasse dar.“ Das ist auch für moderne Anthroposophen ein „absolut inakzeptabler Kulturchauvinismus“.
– - –
Und gleichzeitig ist es doch kein Grund, die heutige Anthroposophie und die heutige Waldorfpädagogik in Bausch und Bogen abzulehnen. Oder zu verleumden. Dies geschieht aktuell jedoch etwa seitens der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“. Auf der „Skepkon 23“, die vom 18. bis 20. Mai in Frankfurt stattfand, referierte hierzu Ann-Kathrin Hoffmann, Bildungswissenschaftlerin und Expertin für „Antiintellektualität“. „Zur Kritik anthroposophischer Lebens- und Wissensformen während der Corona-Pandemie“ lautete der Titel ihres Vortrags, der sich um die Waldorf-Kritik an Hygiene- und Impfmaßnahmen drehte.
– - -
Mehr online
– - –
Aktuelle Kommentare