Zum Glück gibt es Schuldige
Liebe Freunde,
am vergangenen Wochenende fand unter großer Beteiligung (800 Menschen) das „Bankentribunal“ der Organisation „attac“ in Berlin statt. Die Jury dieses Tribunals kam natürlich auch zu einem „Urteil“:
“Die Jury kommt zu der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht wie eine Naturgewalt über die deutsche Wirtschaft hereingebrochen ist. Es gibt klare Verantwortliche. Dazu gehört die Politik, hier vertreten durch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Durch ihre Arbeitsmarkt‑, Sozial- und Finanzpolitik haben sie dazu beigetragen, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft ablösen konnten und hoch riskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden.
Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer in Armut gestützt werden.
Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur ‘Getriebene der Märkte’.
Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz grob verletzt, dass ‘Eigentum verpflichtet’ und auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat.”
via Nachdenkseiten
Was ist von diesem Urteil zu halten?
Meiner Meinung nach beweist es, dass sowohl attac, als auch dieses Bankentribunal; Gefangene ihrer Lösung einer Steuer auf Finanztransaktionen (Tobin-Tax) sind und in ihrem Denken deshalb im bestehenden System und seinen Regeln stecken bleiben. Das Ziel, diese Steuer in die politische Diskussion zu bringen, hatte attac schon vor diesem Tribunal erreicht. Ein Erfolg, der zu Stolz berechtigt. Aber auch zur Skepsis. Sind es – zum Teil – nicht die Gleichen, jetzt Verurteilten, die die Lösung von attac gerade „hoffähig“ machen?
In dem Urteil lädt man die Schuld auf handelnde Personen ab, ohne zu fragen, worin die Ursachen dieses Handelns zu suchen sind. Die Schuldigen werden angeprangert und von den zukünftigen Entscheidungsträgern wird erwartet, dass sie nun endlich, die von der Jury für richtig und notwendig gehaltenen Maßnahmen ergreifen. Ein Urteil, das nicht gerade zu Vertrauen in vernünftige zukünftige Lösungen führt, denn im Grunde gehören auch die „Richter“ zu den Schuldigen. Wer hat denn die „Angeklagten“ in ihre Positionen gebracht? Die jetzt amtierende Regierung hat wie die vorherigen ihre Vorgehensweise in den jetzt vor Gericht behandelten Fragen offen gelegt. Das Souverän hat sie und damit ihre Programme gewählt. Gehört gar der Souverän selbst an den Pranger?
Eine kluge Jury hätte in Bezug auf die angeklagten Personen zumindest ergründen müssen, welche Kräfte und Wirkmechanismen im Spiel waren, die zu den vorliegenden Ergebnissen geführt haben. Hätte man das mit allem gebotenen Ernst getan, müsste man schon bald von der Suche nach Schuldigen, auf Fehlersuche im System gehen.
Wie geeignet ist eine Steuer auf Finanztransaktionen?
Mit Regulierung der Finanzmärkte hat attac vor allem die „Tobin-tax“ im Auge. Durch sie erhofft man sich ein Zurückgehen der Spekulation, ein Eindämmen der Gier, aber auch eine segensreiche Einnahmequelle für den Staat. Steckt darin nicht ein erheblicher Widerspruch? Wenn das Eindämmen der Spekulation auf ein der realen Wirtschaft dienendes Maß das wichtige politische Ziel ist, dann darf die Höhe der Einnahme einer „lenkenden“ Steuer keine kalkulierbare Größe sein. Wenn von Einnahmen alleine für die Bundesrepublik von 30 Milliarden Euro die Rede ist und man über die Möglichkeiten des sinnvollen Einsatzes dieser Summe fabuliert, dann zeugt das nicht gerade von einem politischen Verständnis in der Sache. Die Steuer macht doch nur Sinn, wenn sie dazu führt, dass die Spekulationsgeschäfte zu Lasten von Mensch und Wirtschaft radikal eingedämmt werden. Wenn man dieses politische Ziel konsequent verfolgt, dann gehen doch auch die Einnahmen aus dieser Steuer zwangsläufig gegen Null.
Oder wissen die „Richter“ gar, dass sie mit ihren Forderungen gar keine Änderungen im System herbeiführen, sondern den Profiteuren lediglich einen Teil der immensen Gewinne abluchsen?
Ist es nicht selbstverständlich, dass die Steuer, wie alle anderen Steuern auch lediglich in die Preise der Transaktionen einfließen und bestenfalls vorübergehend zu einer Beruhigung der Märkte führen? Durch die in der Relation zum Volumen marginale Abzweigung der Spekulationsumsätze zum Zwecke der Umverteilung wird doch die ursächliche Triebkraft der Vorgänge nicht beeinträchtigt. Die Geldvermögen wachsen – kurzfristig vermutlich leicht verlangsamt – unerbittlich weiter. Diese wachsenden Vermögen brauchen die rentierliche Anlage und werden sie auch finden, vorzugsweise in spekulativen „Finanzprodukten“, denn die reale Wirtschaft braucht diese wachsenden Vermögen schon lange nicht mehr.
Die Finanztransaktionssteuer birgt die Gefahr nicht mehr wert zu sein, als die Chemotherapie bei Krebs in einem tödlichen Stadium. Man bekämpft die Symptome. Während man beim Krebs die Ursache im außer Kraft gesetzten menschlichen Immunsystem zwar erkannt hat, aber für dessen Wiederherstellung die Zeit für nicht mehr ausreichend hält, bleibt es bei lebensverlängernden Maßnahmen. Dürfen wir den Fehler einer solchen Handlungsweise auch in Bezug auf die gesamte Wirtschaft und damit allen Menschen machen? Müssen wir nicht vielmehr mit aller Macht auf die ursächliche Behandlung der Krankheit drängen?
Solange die Geldvermögen und mit ihnen die Schulden in unserem „Wirtschaftskörper“ ungehindert weiter wachsen, werden wir nicht gesunden können. Dieses Wachstum schränken wir aber nur ein, indem wir das Geldsystem neu gestalten. So wie die tatsächlich stattfindende tägliche Bildung von Krebszellen im menschlichen Körper dann unproblematisch ist, wenn das gesunde Immunsystem das exponentielle Wachstum durch Gegenmaßnahmen verhindert, so müssen wir beim Geldsystem dafür sorgen, dass Geldvermögen und Schulden nicht exponentiell wachsen können. Das Durchbrechen der Exponentialfunktion gelingt dabei durch eine Abgabe auf liquide Mittel. Das Geld wird dadurch dazu gezwungen, sich stets der Wirtschaft bereit zu stellen, auch wenn es selbst keine Rendite mehr erzielt. Geld lässt sich dann nicht mehr beliebig anhäufen. Und Geld lässt sich auch nicht mehr für Zwecke der Erzielung leistungsloser Einkommen aus Vermögen nutzen. Das führt nicht nur zu einem intakten Immunsystem in der Wirtschaft. Es führt auch zu einer Belebung aller Bereiche, bis hin zu der Möglichkeit, wieder viel mehr Menschen in Lohn und Brot zu setzen, als das heute der Fall ist.
Das Verurteilen der Mächtigen und Profiteure ist auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lösung Augenwischerei, solange keine Lösungen auf dem Tisch liegen, die fundamental etwas ändern. Dazu ist aber weder die Steuer auf Finanztransaktionen alleine ein erfolgversprechendes Mittel, noch ein Tribunal, wie das jetzt abgehaltene. Das politische Klima für Veränderungen braucht Organisationen wie attac und viele weitere, die ihre Kompetenz durch das Aufzeigen umfassender Änderungen beweisen. Wer sich stur weigert die durch Zinseszinsen explodierenden Vermögensbildungen mit geeigneten Maßnahmen zu beenden, macht sich zum Erfüllungsgehilfen der herrschenden Eliten. Die Regeln müssen so geändert werden, dass Geld dient, leistungslose Einkommen aus Geldvermögen unmöglich gemacht werden und die Umverteilung von Arm zu Reich erst gar nicht entsteht. Dazu braucht es keiner Tribunale, sondern klarer politischer Vorschläge und den Willen, sie durchzusetzen.
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