Ökologie und das mehr-als-menschliche Eigentum – Carsten Herrmann-Pillath

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Bei der Bewäl­ti­gung der Heraus­for­de­rung des Klima­wan­dels liegt der poli­ti­sche Schwer­punkt auf der Dekar­bo­ni­sie­rung, also der Redu­zie­rung und Vermei­dung von CO2-Emis­sio­nen in der Wirt­schaft. Das hat zwei­fel­los hohe Prio­ri­tät, doch wird dabei über­se­hen, dass der kata­stro­pha­le Rück­gang der biolo­gi­schen Viel­falt in den letz­ten Jahr­zehn­ten nicht durch die globa­le Erwär­mung verur­sacht wurde, sondern durch das durch die Wirt­schaft erzeug­te Anwach­sen der Mate­ri­al­mas­se, die auch als Tech­no­sphä­re bezeich­net wird.
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Die mensch­li­che „Tech­no­mas­se“, d. h. das schie­re Gewicht der von Menschen geschaf­fe­nen Gegen­stän­de und Abfäl­le, hat die gesam­te feuch­te Biomas­se des Plane­ten Erde über­trof­fen. Außer­dem über­steigt die Zahl der für den mensch­li­chen Verzehr domes­ti­zier­ten Tiere, von Hühnern bis zu Rindern, bei weitem die Zahl der Wild­tie­re. Eine Umstel­lung auf erneu­er­ba­re Ener­gien würde dieses Wachs­tum, das durch das Wachs­tum der mensch­li­chen Bevöl­ke­rung und ihre zuneh­men­den Bedürf­nis­se und Wünsche ange­trie­ben wird, nicht unbe­dingt eindäm­men. Wie können wir diese Entwick­lung also aufhalten?
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Um die Ursa­chen für den Verlust der biolo­gi­schen Viel­falt zu verste­hen, ist ein Blick auf den Boden uner­läss­lich. Mensch­li­che Ansprü­che auf Land, sowohl direkt (z. B. Gebäu­de) als auch indi­rekt (z. B. Plas­tik­müll in den Ozea­nen), entzie­hen ande­ren Lebe­we­sen die Möglich­keit, ihren eige­nen Lebens­raum zu nutzen. Die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on wurde auf dem Glau­ben aufge­baut, dass der Mensch das Recht hat, sich die Erde anzu­eig­nen. Dies brach­te John Locke in seiner Eigen­tums­theo­rie zum Ausdruck. Darin vertrat er die Auffas­sung, dass die mensch­li­che Arbeit den Wert des Grund und Bodens bestimmt und sich daraus die recht­mä­ßi­ge Aneig­nung ergibt. Seine Theo­rie legi­ti­mier­te die kolo­nia­le Besitz­ergrei­fung riesi­ger Land­res­sour­cen, die von Menschen mit unter­schied­li­chen Lebens­wei­sen bewohnt wurden, und damit auch die Zerstö­rung ihrer natür­li­chen Lebens­räu­me. Diese Beob­ach­tung zeigt, dass ein zentra­les Problem in der mangeln­den Aner­ken­nung der ursprüng­li­chen Rechte der indi­ge­nen Völker besteht, die auf sehr unter­schied­li­chen Konzep­tua­li­sie­run­gen der Bezie­hung zwischen Menschen und Land beruh­ten (und dies immer noch tun). In der Tradi­ti­on von Locke recht­fer­tigt die produk­ti­ve Nutzung von Land die Aneig­nung. „Produk­tiv“ bedeu­tet dabei, die Bedürf­nis­se und Wünsche des weißen, männ­li­chen, kolo­ni­sie­ren­den Subjekts zu befrie­di­gen, wie es im Kapi­ta­lis­mus durch den Markt zum Ausdruck kommt.
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Die Recht­fer­ti­gung der Aneig­nung von Grund und Boden durch den Einsatz produk­ti­ver Arbeit ist zutiefst anthro­po­zen­trisch – oder besser gesagt, weiß-männ­lich-zentrisch. Selbst wenn wir diesen Zusam­men­hang akzep­tier­ten, stellt sich die Frage, wer das Land produk­tiv nutzt und nach welchen Maßstä­ben wir die produk­ti­ve Nutzung bewer­ten. In Anbe­tracht der Bezie­hung zwischen Menschen und ihrer Aneig­nung der Biosphä­re wirkt Lockes Erbe bis ins 21. Jahr­hun­dert hinein. Der Anthro­po­zen­tris­mus prägt sogar Konzep­te wie das der „Ökosys­tem­dienst­leis­tun­gen“, mit denen unsere gestör­te Bezie­hung zur Biosphä­re repa­riert werden soll: Wir erken­nen dabei den Wert der Biosphä­re im Hinblick auf ihren direk­ten und indi­rek­ten Beitrag zum mensch­li­chen Wohl­be­fin­den und Lebens­un­ter­halt an. In der neuen Erwei­te­rung der von der Euro­päi­schen Kommis­si­on geför­der­ten „natur­ba­sier­ten Lösun­gen“ wird als Ausweg aus unse­rer derzei­ti­gen Misere vorge­schla­gen, die Kräfte der Natur zu nutzen, um unsere Volks­wirt­schaf­ten zu repa­rie­ren und gleich­zei­tig ihre Wachs­tums­fä­hig­keit zu erhal­ten. Ich glaube jedoch, dass wir nicht in der Lage sein werden, unsere aktu­el­len Heraus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen, wenn wir uns nicht zuerst vom Anthro­po­zen­tris­mus befrei­en. Wie kann dies erreicht werden?
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Eine zuneh­men­de Beach­tung findet die Idee, die Rechte an der Biosphä­re gesetz­lich zu veran­kern, indem sie zum Beispiel analog zu den Menschen­rech­ten in die Verfas­sun­gen der Länder aufge­nom­men werden. Dies ist jedoch ein sehr unkon­kre­ter Ansatz, der sich nur schwer in konkre­te Maßnah­men umset­zen lässt. Deshalb wurde eine radi­ka­le­re Idee ausge­spro­chen: Warum soll­ten nicht auch nicht­mensch­li­che Ansprü­che auf Land als Eigen­tum aner­kannt werden? Karen Brad­shaw zum Beispiel beti­telt ihr Buch „Wild­life as Proper­ty Owners“ . Dies kommt einer Revo­lu­ti­on gleich: Die Schaf­fung eines biozen­tri­schen Eigen­tums­rechts. Tatsäch­lich kann diese Idee auf John Locke selbst zurück­ge­führt werden (obwohl er dem nicht zustim­men würde!): Wenn Eigen­tum durch Arbeit konsti­tu­iert wird, die das Land wert­voll macht, warum sollte das dann nicht auch für alle Lebe­we­sen gelten, die das Land als Ressour­ce nutzen und es damit über die mensch­li­che Einschät­zung hinaus wert­voll machen? Lockes Argu­men­ta­ti­on kann erwei­tert und der Grund und Boden als Lebens­raum für alle Arten von Lebe­we­sen betrach­tet werden. Wir machen es zu ihrem Eigen­tum, indem wir Lockes Über­zeu­gung wider­le­gen, wonach nur „der Mensch“ produk­tiv sein kann. Damit entsteht „mehr-als-mensch­li­ches“ Eigentum.
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