Ökonomie anders denken – Dietrich Heißenbüttel

Dem Extrak­ti­vis­mus entge­gen­wir­ken – Eine vier­tä­gi­ge Veran­stal­tung in Stutt­gart fragt nach der Rolle der Kunst beim Versuch, Ökono­mie anders zu denken – - – 

Der Aufstand in Syrien, Assads Krieg gegen sein Volk, Isla­mi­scher Staat und Al-Nusra, Flücht­lings­kri­se, AfD: Wie hat das alles ange­fan­gen? Es gibt sicher mehr als einen Grund. Zwei­fel­los spiel­te die Unzu­frie­den­heit mit dem auto­kra­ti­schen System eine Rolle, das aber seit langer Zeit bestand: von einem Putsch 1949 über Hafis al-Assad bis hin zu dessen Sohn Baschar ab 2000. Es sind aber vor allem wirt­schaft­li­che Gründe, die 2011, im Zuge des Arabi­schen Früh­lings, trotz Bespit­ze­lung und Verfol­gung der Oppo­si­ti­on, zu Massen­de­mons­tra­tio­nen führ­ten. Seit jeher hatten die Regie­ren­den die städ­ti­schen Eliten bevor­zugt und die Land­be­völ­ke­rung vernach­läs­sigt: Eine Minder­heit lebte nach euro­päi­schen Stan­dards, während eine wach­sen­de Unter­schicht am Hunger­tuch nagte. Flücht­lin­ge aus dem Irak­krieg und eine zuneh­men­de Land­flucht aufgrund drei aufein­an­der folgen­der Dürre­jah­re, bedingt durch den Klima­wan­del, ließen die Span­nun­gen weiter anwachsen. – - – 

Moham­mad Abu Hajar, Musi­ker und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, der sich in seiner Master­ar­beit mit den ökono­mi­schen Auswir­kun­gen von Einwan­de­rung beschäf­tigt hat, sieht die wich­tigs­te Ursa­che aller­dings in der neoli­be­ra­len Agenda, die Baschar al-Assad seit der Aushand­lung eines Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens mit der Euro­päi­schen Union 2004 verfolg­te. Dass das Abkom­men am Ende nicht unter­zeich­net wurde, hat nichts mit ökono­mi­schen Diffe­ren­zen zu tun, sondern mit Abrüs­tungs­for­de­run­gen im Zuge der dama­li­gen ameri­ka­ni­schen Poli­tik, die Syrien einer „Achse des Bösen“ zuord­ne­te. Europa war Syri­ens wich­tigs­ter Handels­part­ner, 60 Prozent der Expor­te gingen in die EU, ein Drit­tel der Impor­te kamen von dort. Durch den Frei­han­del sollte alles besser werden. Doch statt eines verspro­che­nen Wirt­schafts­wachs­tums von jähr­lich 7 bis 8 Prozent verlang­sam­te sich dieses in den folgen­den fünf Jahren auf 3,8 Prozent. Die Zahl der Menschen, die von weni­ger als einem Dollar am Tag leben muss­ten, verdop­pel­te sich. Die Preise stie­gen um 180 Prozent. – - – 

Die vier­tä­gi­ge Veran­stal­tung, auf der Abu Hajar diese Zahlen präsen­tiert, nach­dem er einlei­tend zu einem Video in arabi­scher Spra­che gerappt hat, steht unter dem Titel „Ökono­mien anders denken.“ Sie versteht sich als „Gipfel­tref­fen“ der Stutt­gar­ter Kultur und setzt einen ersten Akzent zur Neueröff­nung des zentral gele­ge­nen Kunst­ge­bäu­des am Schloss­platz, das drei Jahre lang vom Land­tag okku­piert war. „Das erste Gipfel­tref­fen“, heißt es in der Ankün­di­gung, „beschäf­tigt sich mit alter­na­ti­ven Ansät­zen zum neoli­be­ra­len, auf Algo­rith­men, Schul­den und dem Mythos eines uner­schöpf­li­chen Wachs­tums basie­ren­den Finanz­ka­pi­ta­lis­mus. Wie lassen sich dessen abstrak­te Struk­tu­ren entlang ihrer eige­nen Wider­sprü­che lesen, verste­hen und umin­ter­pre­tie­ren? Welcher kollek­ti­ven wie indi­vi­du­el­len Wider­stands­for­men bedarf es, um den bestehen­den Unge­rech­tig­kei­ten, Ausbeu­tungs- und Zerstö­rungs­me­cha­nis­men etwas – jenseits popu­lis­ti­scher Verzer­run­gen – entgegenzusetzen?“
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