Nichts ist unmöglich – Stefan Nold

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„Na dann wollen wir doch mal sehen.“ Profes­sor Schell­haas hatte den linken Ellbo­gen auf den Over­head­pro­jek­tor gestützt und schau­te uns an. Der Hörsaal der Elek­tro­tech­ni­ker an der TH Darm­stadt war voll. Etwa 300 Studen­ten verfolg­ten seine Vorle­sung zur Wahr­schein­lich­keits­rech­nung. Er hatte nach unse­rer Meinung zu einem „todsi­che­ren“ Tipp für das Roulette gefragt. Die Idee: Immer, wenn man verliert, verdop­pelt man den Einsatz. Gewinnt man irgend­wann einmal, werden die bishe­ri­gen Verlus­te kompen­siert und man bekommt den gesam­ten letz­ten Einsatz dazu: Star­tet man mit 1 Mark und verliert fünf Mal hinter­ein­an­der, summie­ren sich die Verlus­te auf 1 + 2 + 4 + 8 + 16 = 31 DM. Setzt man im nächs­ten Schritt 32 DM und gewinnt, erhält man 64 DM – 31 DM = 33 DM; wenn man verliert, spielt man weiter, bis die Pech­sträh­ne aufhört. Je öfter man spielt, desto höher ist am Ende der Gewinn, mit dem man nach Hause geht.

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Der schwar­ze Schwan 

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Profes­sor Schell­haas konnte seine Vorle­sung span­nend machen wie einen Krimi. Sein Vortrag hatte biswei­len etwas Verschmitz­tes, wie Peter Falk als Inspek­tor Colom­bo. Dann kam er mit der Spra­che heraus: Das Problem sind die begrenz­ten Ressour­cen. Wenn man n‑Mal hinter­ein­an­der verliert, beträgt der Verlust 2n – 1. Bei n = 10 steht man mit 1.023 DM in der Kreide; das war für uns noch eine eini­ger­ma­ßen fass­ba­re Größe. Verliert man 15-mal in Folge, sind es 32.767 DM und wenn man 20-mal hinter­ein­an­der auf die falsche Farbe gesetzt hat, ist man über eine Milli­on Mark los. Unser Bauch­ge­fühl sagt uns: 20-mal hinter­ein­an­der falsch zu liegen, das kommt doch nicht vor. Das ist das Problem. Nassim Taleb hat an der Wall Street mit seiner Firma Empi­ri­ca Capi­tal ein Vermö­gen mit dieser Erkennt­nis gemacht; ein ande­rer, Viktor Nieder­hof­fer, ein Milli­ar­den­ver­mö­gen verlo­ren, weil er das nicht beach­tet hat. Der briti­sche Philo­soph und Erkennt­nis­theo­re­ti­ker David Hume (1711–1766) schrieb einmal: „No amount of obser­va­tions of white swans can allow the infe­rence that all swans are white, but the obser­va­ti­on of a single black swan is suffi­ci­ent to refute that conclu­si­on” (Wenn wir auch noch so viele weiße Schwä­ne beob­ach­ten, können wir niemals daraus schlie­ßen, dass alle Schwä­ne weiß sind, die Beob­ach­tung eines einzi­gen schwar­zen Schwans beweist das Gegen­teil). Ich habe das Zitat von Malcolm Glad­well über­nom­men, der über Taleb und Nieder­hof­fer und ihre gegen­sätz­li­chen Stra­te­gien berich­tet hat [1]. Nassim Taleb liebt das Hume-Zitat und deshalb ist es jetzt berühmt gewor­den. Glad­well schreibt span­nen­de und elegan­te Arti­kel für den New Yorker. Er bewun­dert die beiden Herren, ihre riesi­gen Biblio­the­ken und Anti­qui­tä­ten­samm­lun­gen. Viel­leicht muss er das auch, wenn er für den New Yorker schreibt. Sie sind für ihn so wie Platon und Sokra­tes, nur mit ganz viel Geld (bzw. im Falle von Nieder­hof­fer, mit ganz viel ohne Geld).

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Was ist Zufall? 

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Vor eini­ger Zeit spiel­ten wir mit unse­ren Mitbe­woh­nern die „Sied­ler von Catan“. Seit­dem unsere Kinder aus dem Haus sind, vermie­ten wir die frühe­ren Kinder­zim­mer an Studen­ten oder Prak­ti­kan­ten. Auf diese Weise haben wir in unse­rer großen Küche, auf der Terras­se oder im Garten viele inter­es­san­te Gesprä­che geführt. Außer­dem stabi­li­sie­ren die Miet­ein­nah­men das Haus­halts­bud­get und in Zeiten von Corona ist es schön, ein gesun­des Maß an Kommu­ni­ka­ti­on und Kontakt aufrecht zu erhalten.

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Beim Siedeln wird mit 2 Würfeln gespielt. Man kann nun an Feldern, die von 2 – 6 und von 8 – 12 numme­riert sind, Sied­lun­gen, Stra­ßen und Städte bauen. Jede Sied­lung grenzt an 2 oder 3 Felder. Wenn eine Zahl gewür­felt wird, bekom­men die Spie­ler für alle Sied­lun­gen oder Städte, die an Feldern mit diesem Zahlen­wert liegen, Ressour­cen, mit denen sie neue Sied­lun­gen, Stra­ßen und Städte bauen können. Zu Beginn darf jeder Spie­ler zwei Sied­lun­gen errich­ten. Ich hatte die höchs­te Zahl gewür­felt und durfte deshalb anfan­gen. Diesen Vorteil wollte ich nutzen und errich­te­te meine erste Sied­lung so, dass sie an ein Feld mit einer sechs und einer vier grenz­te. Würfelt man mit zwei Würfeln, sind 6, 7 und 8 die Würfe mit der höchs­ten Häufig­keit. Da die sieben eine Sonder­funk­ti­on hat, war meine Wahl vom Stand­punkt der Wahr­schein­lich­keits­rech­nung opti­mal. Es kam anders. Im gesam­ten Spiel, das über viele Runden ging, wurde fast nie die 6 gewür­felt, aber stän­dig die 10. Eine nach der ande­ren. Am Ende wurde ich Letzter.

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Zufall ist nicht das, was wir dafür halten. Beim Roulette kommt nicht abwech­selnd Rot und Schwarz. Das wäre eine vorher­seh­ba­re Folge. Eine zufäl­li­ge Signal­fol­ge zu program­mie­ren, ist nicht möglich. Man kann ledig­lich ein Signal gene­rie­ren, dessen statis­ti­sches Verhal­ten dem zufäl­li­gen Verhal­ten sehr nahe­kommt. Signal­theo­re­ti­ker nennen das ein Pseudo-Rausch-Binär-Signal (PRBS), siehe z. B. [2]. Zwar konnte ich beim Siedeln meine Sieg­chan­cen erhö­hen, indem ich meine erste Sied­lung an einem viel­ver­spre­chen­den Feld errich­te­te, aber es war, wie ich leider fest­stel­len musste, keine Garan­tie. Wenn wir unend­lich lang gespielt hätten, wären irgend­wann auch die Sech­sen gewür­felt worden. Aber wer hat schon so viel Zeit? Wir sind darauf trai­niert, in schein­bar unre­gel­mä­ßi­gen Abfol­gen von Zahlen und Symbo­len regel­mä­ßi­ge Muster zu erken­nen. Wer das gut kann, den hält man für intelligent.- – -
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