Wie wollen wir wirtschaften? – Dietrich Heißenbüttel

„Die gesam­te wirt­schaft­li­che Tätig­keit dient dem Gemein­wohl“, heißt es in Arti­kel 151 der Bayri­schen Landes­ver­fas­sung, von der Reali­tät unge­fähr so weit entfernt wie der real exis­tie­ren­de Sozia­lis­mus der DDR von kommu­nis­ti­schen Ideal­vor­stel­lun­gen. Darauf verweist Rainer Müller von der Stutt­gar­ter Gruppe der Initia­ti­ve Gemein­wohl­öko­no­mie im Work­shop des zwei­ten Forums Zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven im Stutt­gar­ter Kunst­ge­bäu­de. An der vier­tä­gi­gen Veran­stal­tung „Ökono­mien anders denken“ im April 2017 (s. HUMANE WIRTSCHAFT 03/2017) war kriti­siert worden, Initia­ti­ven aus der Bürger­schaft seien zu wenig einge­bun­den gewe­sen. Das Hannah-Arendt-Insti­tut, 2015 gegrün­det im Rahmen des Bürger­pro­jekts „Die Anstif­ter“ und mit mehre­ren Univer­si­täts­in­sti­tu­ten verbun­den, hat diese nun zur Mitwir­kung einge­la­den. Rund zwan­zig Initia­ti­ven, acht­zig Teil­neh­mer waren zum ersten Forum im Dezem­ber erschie­nen. Im Januar waren beim Impuls­vor­trag Chris­toph Deutsch­manns, des emeri­tier­ten Sozio­lo­gen der Univer­si­tät Tübin­gen, aller­dings nur vier­zig Perso­nen im Saal, an den Work­shops am folgen­den Tag nahmen nur um die zwan­zig teil. Die eigene Arbeit vorzu­stel­len, ist Vielen ein Anlie­gen. Was darüber hinaus­geht, dafür fehlt oft die Zeit und die Ener­gie. Dabei sollte es genau darum gehen: dass sich die Initia­ti­ven vernetzen.
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Dass der Gebrauch des Eigen­tums zugleich dem Wohl der Allge­mein­heit dienen soll, steht auch im Grund­ge­setz. In Reali­tät berei­chern sich die Reichs­ten auf obszö­ne Weise, während auch in Deutsch­land viele unter­halb der Armuts­schwel­le leben. Und die Schere klafft immer weiter ausein­an­der. Die sozia­len und ökolo­gi­schen Folgen der derzei­ti­gen Wirt­schafts­form sind verhee­rend. Wer sich mit der Frage des rich­ti­gen Wirt­schaf­tens beschäf­ti­gen wolle, so Deutsch­mann, sei aller­dings gut bera­ten, sich ein wenig mit der Geschich­te zu beschäf­ti­gen. Denn die Frage werde seit 300 Jahren disku­tiert. Das gute Leben und Wirt­schaf­ten war eine der zentra­len Fragen der Aufklä­rung. Eigent­lich sei an dem Verspre­chen eines freien Mark­tes, zu dem Jeder glei­cher­ma­ßen Zugang habe, ja auch wenig auszu­set­zen. Aller­dings wurde dieses Verspre­chen nie einge­hal­ten. Eben dies provo­zier­te Karl Marx‘ Kritik am Kapi­ta­lis­mus. Der hat Deutsch­manns Analy­se zufol­ge vier unge­plan­te Folgen: Erstens sei es anstel­le eines gleich­be­rech­tig­ten Markt­zu­gangs zu immer kras­se­rer Ungleich­heit gekom­men. Zwei­tens konn­ten eben nicht Alle ihre Bedürf­nis­se besser befrie­di­gen. Drit­tens habe die zuneh­mend globa­le Vernet­zung der Wirt­schafts­kon­zer­ne mitt­ler­wei­le auch den Hand­lungs­spiel­raum der Natio­nal­staa­ten stark einge­schränkt. Und vier­tens zerstö­ren die massi­ven Einwir­kun­gen kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaf­tens zuneh­mend unsere natür­li­chen Lebensgrundlagen.
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Deutsch­mann bleibt skep­tisch. In gewis­ser Weise habe sich die kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­form als Erfolgs­mo­dell erwie­sen, während der Versuch, den Sozia­lis­mus zu errich­ten, kläg­lich geschei­tert sei. Null­wachs­tum oder Degrowth könne sehr schnell zu hoher Arbeits­lo­sig­keit führen, daher hiel­ten Poli­ti­ker wie Ökono­men an der Wachs­tums­ideo­lo­gie fest. In Reali­tät sei Wachs­tum kaum plan­bar, sondern von den Impul­sen vieler einzel­ner Akteu­re abhän­gig. Deutsch­mann tendiert daher zur Idee eines grünen, nach­hal­ti­gen Wachstums.
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Seine Ausfüh­run­gen blie­ben nicht unwi­der­spro­chen. Sie böten „jede Menge Stoff zur Diskus­si­on“, meinte der Philo­soph Micha­el Wein­gar­ten vom Hannah-Arendt-Insti­tut. Auf Einwän­de aus dem Publi­kum ließ sich der Sozio­lo­ge zu weite­ren Aussa­gen bewe­gen. Er unter­schied zwischen Kapi­ta­lis­mus und Markt­wirt­schaft und meinte, die Erträ­ge aus Kapi­tal und Grund­be­sitz müss­ten höher besteu­ert werden. Zum Thema des vorka­pi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaf­tens nannte er Karl Polanyi, zur Boden­wert­steu­er Henry George (s. zuletzt Dirk Löhr in HUMANE WIRTSCHAFT 04/2017). Ein Manko blieb, dass er sich nur auf das Produk­ti­vi­täts­wachs­tum bezog und das expo­nen­ti­el­le Wachs­tum der Geld­men­gen, Ursa­che für eine Reihe von Proble­men, beisei­te­ließ. Der stich­hal­tigs­te Einwand laute­te, Deutsch­mann bezie­he sich zu sehr auf Deutsch­land und die reichen Länder der Welt. Tatsäch­lich hatte er zwar das Problem der extre­men globa­len Ungleich­heit ange­spro­chen, wusste jedoch zu den ärme­ren Ländern etwa des afri­ka­ni­schen Konti­nents kaum etwas zu sagen: Kein Wort von Schul­den­kri­se, von der Drohung, die Entwick­lungs­hil­fe zu kürzen, wenn die Sahel-Staa­ten nicht die Sahara-Migra­ti­on unter­bin­den, oder von den Ökono­mi­schen Part­ner­schafts­ab­kom­men (EPAs), die der loka­len Wirt­schaft das Wasser abgraben.
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Genau damit beschäf­tig­te sich einer der drei Work­shops des folgen­den Tags. Peter Selig-Eder vom Stutt­gar­ter Welt­haus beklag­te die Abge­ho­ben­heit aller auf Europa und die reichen Länder beschränk­ten Debat­ten. „Das Wirt­schafts­wachs­tum saugt weiter­hin Ressour­cen in unge­heu­rem Umfang aus dem globa­len Süden ab“, monier­te er. Dem versu­che der Faire Handel – zu unter­schei­den von Fair-Trade-Produk­ten – ein Stück­weit entge­gen­zu­wir­ken: als prak­ti­sche Hilfe, um klein­bäu­er­li­che Exis­ten­zen zu verbes­sern, „wie beschei­den das auch immer ist.“ Aus dem Publi­kum kam die Anre­gung, darüber nach­zu­den­ken, Fair­han­dels­zo­nen einzu­rich­ten, um über punk­tu­el­le Einzel­in­itia­ti­ven hinaus­zu­ge­lan­gen und das Thema brei­ter zu etablie­ren: so wie sich in Öster­reich bereits ganze Kommu­nen zum Prin­zip des Gemein­wohls beken­nen würden.
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Bekennt­nis zum Gemeinwohl
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Die Initia­ti­ve Gemein­wohl­öko­no­mie, ausge­hend vom öster­rei­chi­schen attac-Mitbe­grün­der Chris­ti­an Felber, sei seit der Veröf­fent­li­chung von Felbers Buch 2010 „unglaub­lich gewach­sen“, sagt Rainer Müller. In Deutsch­land gebe es mitt­ler­wei­le 50 Regio­nal­grup­pen. Trotz­dem bezeich­net er die Gemein­wohl-Ökono­mie als ein „klei­nes Pflänz­lein.“ Der Vorzug ist, ähnlich wie im Fall des Fairen Handels, dass sie einen Einstieg in einen System­wan­del im Klei­nen ermög­licht, ohne auf einen Schlag alles ändern zu wollen. Auf frei­wil­li­ger Basis können Unter­neh­men nach einer von Felber entwi­ckel­ten Matrix ihre Gemein­wohl­bi­lanz erstel­len oder erstel­len lassen. Dazu gehö­ren sozia­le und ökolo­gi­sche Krite­ri­en, Menschen­wür­de und Mitent­schei­dung, und zwar sowohl inner­halb des Betriebs als auch im Verhält­nis zu Liefe­ran­ten und Kunden. Die Stadt Stutt­gart fördert das Vorha­ben, will eine halbe Nach­hal­tig­keits­stel­le einrich­ten und die Hälfte der Kosten tragen, wenn Unter­neh­men eine Gemein­wohl­bi­lanz erstel­len. Zwei städ­ti­sche Eigen­be­trie­be haben bereits eine Bilanz erstellt oder sind dabei, sie zu erstel­len: Das Sozi­al­un­ter­neh­men Leben und Wohnen, das Alten- und Wohnungs­lo­sen­un­ter­künf­te betreibt, hat als erster kommu­na­ler Betrieb welt­weit seine Arbeit bilan­ziert. Die Geschäfts­füh­re­rin, so Müller, war zuerst äußerst skep­tisch, sei jetzt aber umso mehr über­zeugt. Als nächs­tes folgen die Stadt­ent­wäs­se­rung und auf Landes­ebe­ne der Forst­be­trieb. Jenseits von Stutt­gart sind der Trek­king­aus­rüs­ter Vaude und die Sparda-Bank Vorrei­ter. Auch Green­peace hat soeben eine Gemein­wohl-Bilanz erstellt.
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Müller setzt im Moment darauf, eher solche Unter­neh­men zu gewin­nen, die ihre Tätig­keit ohne­hin im Sinne des Gemein­wohls verste­hen, um die Idee weiter zu verbrei­ten. Selig-Eder, direkt ange­spro­chen, meinte zunächst, das Welt­haus betrei­be Lobby­ar­beit für den globa­len Süden, das sei doch ohne­hin im Sinne des Gemein­wohls. Mit nicht mehr als einer Drei­vier­tel- und einer halben Stelle sei der Aufwand, eine solche Bilanz zu erstel­len, kaum zu bewäl­ti­gen. Aller­dings sah er sich die Matrix dann doch näher an. Auf länge­re Sicht bleibt frei­lich das Problem, dass es an den nega­ti­ven Auswir­kun­gen der globa­len Wirt­schaft wenig ändert, wenn sich nur dieje­ni­gen, die sich ohne­hin nicht aus Gewinn­stre­ben, sondern aus ideel­len Grün­den betä­ti­gen, zum Gemein­wohl beken­nen. Tatsäch­lich sagt auch Müller, länger­fris­tig müsse eine posi­ti­ve Bilanz durch Steu­er­vor­tei­le belohnt werden. Dies würde wieder­um dem Modell der Gemein­nüt­zig­keit ähneln. Aller­dings läuft die Idee des gemein­nüt­zi­gen Wirt­schaf­tens den Tenden­zen zur Priva­ti­sie­rung und Public-Priva­te-Part­ner­ships, wie sie jahr­zehn­te­lang die Poli­tik geprägt haben, diame­tral zuwi­der. So wurde die Gemein­nüt­zig­keit der Wohnungs­bau­ge­nos­sen­schaf­ten 1990 erst aufge­ho­ben. Es geht also auch um eine Trend­wen­de, weg von den Patent­re­zep­ten des angeb­lich sich selbst regu­lie­ren­den Markts hin zu einer akti­ve­ren Rolle der Politik.
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Bürger­schaft­li­ches Enga­ge­ment für eine Umset­zung des Grundgesetzes
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Hier setzte der dritte Work­shop von Wein­gar­ten und Deutsch­mann an. Wein­gar­ten spricht eben­falls von gemein­wohl­ori­en­tier­tem Wirt­schaf­ten, welches das priva­te Gewinn­stre­ben erset­zen oder zumin­dest ergän­zen müsse. Er hält es auch für rich­tig, damit auf der kommu­na­len Ebene zu begin­nen, wie dies die Initia­ti­ve Gemein­wohl­öko­no­mie tut. Aller­dings müsse dem eine inter­na­tio­na­le Vernet­zung, insbe­son­de­re auf der euro­päi­schen Ebene folgen, die etwa mit einem Austausch mit Part­ner­städ­ten begin­nen könnte. Denn die Rahmen­be­din­gun­gen der Wirt­schaft bestim­me zuneh­mend die Euro­päi­sche Union. Die EU-Kommis­si­on sei frei­lich durch nichts demo­kra­tisch legi­ti­miert, so Wein­gar­ten: Wenn die Krite­ri­en, die sie an ihre Mitglieds­län­der anlegt, auch für die EU selbst gelten würden, müsste sie sich selbst ausschlie­ßen. Eine Repo­li­ti­sie­rung der Ökono­mie könne nur von der Bürger­schaft ausge­hen, meinte er. Die Schwie­rig­kei­ten sind dem Philo­so­phen sehr wohl bewusst. So fallen seiner Beob­ach­tung zufol­ge die Gewerk­schaf­ten immer wieder in natio­na­le Denk­mus­ter zurück.
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Eine Revo­lu­ti­on ist, folgt man Wein­gar­ten, aller­dings nicht nötig. Es würde genü­gen, das Grund­ge­setz umzu­set­zen, in dem unter ande­rem ein Direkt­man­dat vorge­se­hen war, das aller­dings dann von den Partei­en geka­pert wurde. Würden mit den Erst­stim­men nicht Partei‑, sondern Bürger­ver­tre­ter gewählt, sähe es mit der Durch­setz­bar­keit gemein­wohl­ori­en­tier­ter Krite­ri­en ganz anders aus. Denn, darauf weist auch Wein­gar­ten hin, die Aussa­ge des Grund­ge­set­zes „Eigen­tum verpflich­tet“ schreibt eigent­lich eine Orien­tie­rung am Gemein­wohl vor. 

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