Ablass und Grundeinkommen – Hinrich Ruyter
Zum 500sten Reformationsjubiläum erscheint dieser Tage das Buch „Manifest zum Grundeinkommen“ mit 95 Thesen zur Befreiung der Arbeit. Die Autoren, Daniel Häni und Philip Kovce schreiben in der Einleitung: „War zu Luthers Zeiten die Religion lebensprägend, so ist es heute die Arbeit. […] Vor 500 Jahren ergriff Martin Luther eine Selbstbestimmungsinitiative. Seine Thesen (zur Befreiung des Glaubens) wehrten sich dagegen, dass die Kirche […] sich selbst an Gottes Stelle setzte […]. Wer ein selbstbestimmtes Verhältnis zu Gott pflegen kann, der steht ganz und gar anders in der Welt.“ – - –
Das kleine Buch ist bei Ecowin in Salzburg für 8 Euro erschienen, als E‑Book für 3,99 Euro. Das Titelbild zeigt die „größte Frage der Welt“ in Deutsch, die am 15. Mai 2016 auf dem größten Plakat der Welt auf der Plaine de Plainpalais in Genf in Englisch ausgelegt war: WHAT WOULD YOU DO, IF YOUR INCOME WERE TAKEN CARE OF? WAS WÜRDEST DU ARBEITEN; WENN FÜR DEIN EINKOMMEN GESORGT WÄRE? Dieselbe Frage lag am 29. Mai in Berlin auf der Straße des 17. Juni, zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Am 5. Juni 2016 haben dann die Schweizer Bürger mit 23 % dafür gestimmt, dass in die Bundesverfassung aufgenommen wird: „Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.“ So weit ist kein anderes Land auf der Welt. – - –
Das neue Buch mit 64 Seiten ist wie der Vorgänger „Was fehlt, wenn alles da ist?“ (192 Seiten, 19,90 Euro) vor allem Denkanstoß, mit überholten oder widersprüchlichen Vorstellungen zu Arbeit, Freiheit und Selbstverantwortung zu brechen. Kecke Fragen und Feststellungen sind das Mittel. Im Prolog enthält das Buch die Aussagen von sieben bekannten Leuten zum Grundeinkommen, dann Ausführungen zur größten Frage der Welt. Der Hauptteil nennt auf 23 Seiten kurz und prägnant die „95 Thesen zur Befreiung der Arbeit“. Zum Schluss wird ausgeführt, warum es noch kein Grundeinkommen gibt. Und es sagen acht normale Bürger und Bürgerinnen, wie ihre Lebenssituation ist, und was das Grundeinkommen dabei verändert hätte oder ändern würde. Das Buch wird die zurzeit weltweit zunehmende Diskussion der Grundeinkommens-Idee nähren. Es ist zu wünschen, dass es in andere Sprachen übersetzt wird.
Ist es überheblich, Thesen zum Grundeinkommen Luthers Thesen gleichzustellen? Was sind die Gemeinsamkeiten, wo sind Gegensätze? – - –
Ganz klar: Wenn wir 100 Jahre vorausdenken, möchte ich das dann weltweite Grundeinkommen als mindestens so revolutionär ansehen, wie die Reformation nur einer der unzähligen Kirchen und Religionen der Welt. Sowohl beim Grundeinkommen wie bei der Reformation ging und geht es um Freiheit, im Kampf gegen Macht und Machtmissbrauch. Hier gegen die Macht der selbsternannten Vertreter Gottes, dort gegen die Macht von Regierungen und Drahtziehern. These 62 von Häni/Kovce drückt das vortrefflich aus: „Das Demokratieverhängnis – Wer anstelle des schlechten Bürgers gute Entscheidungen treffen will, der trifft eine schlechte Entscheidung. Der Anfang vom Ende des mündigen Bürgers.“ Diese These und ca. 37 weitere richten Häni und Kovce an unsere Politiker. Die meisten anderen an den Bürger, das Volk. – - –
Martin Luther soll 1517 seine Thesen an die Kirchentür der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben. 95 Thesen gegen den Ablass, welche die Grundlage für eine gelehrte Disputation sein sollten. Luther übersandte die Thesen am 31. Oktober 1517 an den Erzbischof von Mainz, von dem er glaubte, er wisse nichts vom Missbrauch des Ablasses. Lateinisch waren sie, das gemeine Volk hätte sie nicht verstehen können. Englisch war die größte Frage der Welt in Genf und in Berlin, aber um weltweit vom Volk verstanden zu werden. Deutsch ist das neue Buch. Die Thesen Luthers wurden – entgegen seiner ursprünglichen Absicht – ins Deutsche übersetzt und verbreiteten sich deshalb schnell im Volk. Nur so und mit Hilfe des damals noch nicht lange eingeführten Buchdrucks kam die Reformation in Gang. Ob sie durch gelehrte Disputation hätte entstehen können? Talkshows (auch die zum Grundeinkommen) lassen daran zweifeln.
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